Ich habe mich auf ein Experiment eingelassen. So eine Art Newtopia für Menschen, die nicht gerne das Haus verlassen, aber trotzdem eine neue Gesellschaft gründen wollen. Mit vier Kumpels habe ich mich in die sechsstelligen Nachkommazahlen von Life is Feudal: Your Own gestürzt und angefangen, ein autonomes Dorf aufzubauen und gegen einen öffentlichen Server voller Menschen zu verteidigen. Nachdem ich mein Zeitungsabonnement und mein Netflixkonto gekündigt und meine mit Fallout 4 bestückte PlayStation 4 vom Strom getrennt habe, bleibt mir auch genug vergeudbare Lebenszeit über, um mich ins mittelalterliche Simulationswesen zu stürzen. Wenn ich in zwei Wochen nicht wenigstens einmal die Jalousie hochziehe, holt mich da raus.
Ich fürchte, ich muss die Realityshow zuerst für einen Schwung Erklärungen unterbrechen. Es ist eigentlich nicht meine Art, trockene Fakten über ein Spiel niederzuschreiben, aber Life is Feudal: Your Own ist selbst dann nur schwer verständlich, wenn man die Systeme schon einmal gesehen hat, und quasi unmöglich begreifbar ohne Vorwissen zu haben.
LiF ist eine Mittelalter-Lifesim im Schafspelz eines Minecraftklons. Zwei Dinge unterscheiden es dabei von Minecraft: Die ordentliche Grafik und die obszön komplexen Simulationsanteile. Da wäre vor allem das Skillsystem. Die ebenso ausufernden Kampffähigkeiten ausgeklammert bietet Life is Feudal fünf Stränge an Handwerksfähigkeiten, die sich von grundlegendem Rohstoffabbau bis zur professionellen Weiterverarbeitung ranken. Landwirtschaft führt zu Kochen und schließlich zu Schneidern, Erzschürfen zu Waffenschmieden, Forstwirtschaft zu Belagerungswaffenbau, Kräuterkunde zu Chirurgie und Landschaftsbau zu Architektur. Dabei hat jeder Server – beziehungsweise jede Singleplayer-Karte, aber niemand spielt LiF allein – eine Maximallevel an Skills, der manchmal die Anzahl benötigter Punkte für drei, meistens jedoch eher für zwei dieser Stränge abdeckt. Ein meisterhafter Koch mit alchemistischen Fähigkeiten wird also niemals ein guter Bauarbeiter, ein Schmied mit Schreinerkenntnissen wird nicht einmal wissen, wie man einen Webstuhl bedient. Spezialisierung, Zusammenarbeit und Gruppenbildung sind die Zauberworte.
Und da wird es dann besonders interessant, denn so ziemlich alle Skillbäume in Life is Feudal greifen tief verzahnt ineinander. Logisch, dass der Steinmetz die Esse baut, an der der Schmied den Kochtopf hämmert, mit dem der Koch aus Kohl und den Gewürzen des Alchemisten eine hervorragende Suppe kocht. Der Architekt legt zwar den Grundstein jedes Gebäudes, Balken und Bretter kommen aber vom Schreiner, und die Schlösser für die Türen holt sich selbiger wiederum vom Schmied. Durchblick ohne Wiki ist bei Life is Feudal geradezu unmöglich, aber genau das schweißt so sehr zusammen, wenn man eine Gruppe an Freunden gefunden hat, mit denen man sich in das Vorhaben verbissen hat, einen Clan zu errichten. Freunde werben könnte dabei eine schwierige Sache werden, denn obwohl Life is Feudal doch ganz hübsch ist für den durchschnittlichen Survival-OpenWorld-Brei, in den es viel zu oft zu Unrecht gemischt wird, tun Interface und Steuerung ihr Bestes, um jeden Neuanfänger nachhaltig zu vergraulen. Ein Blick auf das folgende Bild mögen jene verstummen lassen, die Skyrims Interface verfluchen:
Wenn dann aber aus der rauen Hügellandschaft nach etlichen Stunden gemeinsamer Arbeit eine Terrassenlandschaft voller Lagerhäuser, Handwerksstätten und Fachwerkhäusern geworden ist, dann ist jede mühsame Einarbeitungszeit wieder wett gemacht. Wenn ich weiß, dass ich mich vollkommen auf den Kumpel verlassen kann, der dafür sorgt, dass wir immer genug Holzkohle im Rennofen haben, und wenn ich den Schmied nach einer neuen Schaufel frage und er mir gleich einen kompletten Werkzeugkasten bringt, fühle ich mich wie in einer richtigen mittelalterlichen Dorfgemeinschaft. Life is Feudal ist vermutlich so nah an einem ernst gemeinten LARP-Wochenende wie nur digital möglich. Kein anderes Spiel, das ich kenne, schweißt mich so mit meinen Mitspielern zusammen. Selbst mit denen, die ich gar nicht kenne. Das andere Dorf an dem Ufer, an dem wir regelmäßig Wasser holen? Zuerst hatten sie Angst, wir würden sie angreifen. Dann haben sie sich auf eine Erzhandelsroute mit uns eingelassen. Jetzt fühle ich mich erst recht wie im Life Action Roleplay.
Ich kenne übrigens auch kein anderes Spiel, dass seine Craftingvorgänge so penibel in Echtzeit berechnet. Ganz abgesehen von der Akkuratesse der Herstellungsvorgänge an sich. Ein abgezogenes Tierfell kommt erst einmal einen Tag aufs Trockengestell, dann einen Tag in die Gerbewanne voller Pisse, dann werden die restlichen Haare abgekratzt. Zwei Tage für einen Fetzen Leder. Da wird jede Rüstung zur besonderen Trophäe. Die verschwende ich doch dann nicht im Kampf, was denkt sich dieses andere Dorf denn.
Aber so arm das klingt, oder so sehr das von meiner zu ausreichend vorhandenen Freizeit zeugt: Zeit investieren in Life is Feudal: Your Own macht mir wahnsinnig viel Spaß. Und bisher war ich nur Koch und Bauarbeiter. Ob ich die anderen Skilltrees irgendwann auch einmal ausprobiere?
Mehr Texte von Pascal findet Ihr auf seinem Blog Indieflock.
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