Spätestens seit diesem Sommer wissen wir: Die Fußballwelt spielt komplett verrückt. Oligarchen, Milliardäre, Investmentbanken und mit Katar sogar ein ganzer Staat sorgen dafür, dass sich Spieleragenten durch pervers anmutende Transfers die Taschen mehr denn je füllen. Und das alles auf Kosten der kleinen Leute, die dafür mit einer Champions League vorlieb nehmen müssen, in der die besten Spieler der Welt Fußball auf allerhöchstem Niveau zelebrieren. Wie EA Sports in dieser gesellschaftspolitisch betrachtet schwierigen Gemengelage mit FIFA 18, seinem neuesten Ableger einer nicht enden wollenden Videospielreihe, auf diese Exzesse reagiert, war die große Frage des Spieleherbstes. Die Antwort: Electronic Arts´ Sportsparte macht natürlich voll einen auf Turbo-Kapitalismus und veröffentlicht dreisterweise ein Fußballspiel, bei dem beinahe nur der Fußball eine Rolle spielt und sonstige kulturelle Konventionen im Hintergrund verbleiben. The Journey, quasi die Einzelspielerkampagne in FIFA 18, taugt hier bestenfalls zum löchrigen Feigenblatt, das nicht verdecken kann, dass EA Sports 18 nichts – aber auch gar nichts – dafür tut, den sogenannten Männerfußball aus seiner geschlechtsspezifischen Umklammerung zu befreien. Nach über 20 Jahren wäre es vielleicht, in kommenden Fortsetzungen, an der Zeit, die lukrative, aber infantile Fuck-you-Mentalität abzulegen – und der gesalbten Kritik von heute mit gewohnter Qualität aus den Neunzigern zu begegnen. Vielleicht mit einer weiblichen Hauptfigur in The Journey und mit einer Spielewelt, die mehr tut, als Stereotype achselzuckend zu wiederholen.
Wobei: Stereotype werden in FIFA 18 nicht nur wiederholt, sondern durch gezielte Pseudo-Romantisierung schlichtweg pervertiert. Jeder Videospielkritiker von Welt, der sich vom Feuilleton in die dumpfe Welt des Fußballs hinabbewegt hätte, wüsste genau, wovon ich spreche: Den Einstieg in The Journey, wenn Alex Hunter, der aufstrebende Star der Premier League aus FIFA 17, zusammen mit seinem Kumpel und ein paar Jungs eine Runde kickt. Einfach so. Nicht auf einem Bolzplatz in Manchester, nein, in Rio in einer Favela. Zynischer geht´s ja wohl nicht: Als ob ein Star wie Alex Hunter ohne seinen Agenten – und dafür mit einem Freund im Schlepptau – Urlaub in Rio machen und dort ohne Gage gegen den Ball treten würde … welch absurde Vorstellung! Wenn Kommerzprodukte wie FIFA 18 meinen, die reine, ursprüngliche Begeisterung für den Fußball in ein brasilianisches Armenviertel verlegen zu müssen, dann stimmt so einiges nicht. Dass dieses kleine Favela-Trainingsspielchen ohne Frauen auskommt und EA Sports damit direkt voll auf die vorsintflutliche Machokarte setzt, dürfte niemanden mehr überraschen. Und neue Freunde/FreundINNEN gewinnt man mit dieser verengten Sicht der Dinge natürlich erst recht nicht. Da beispielsweise die LGBT-Community in The Journey von Beginn an komplett wegignoriert wird, sollte sich keiner bei EA Sports darüber beschweren, dass aus dieser Ecke niemand stolz das FIFA 18-Banner schwenkt. Geradezu perfekt passt es ins Bild, dass auch bei den Haarfarben diskriminiert wird: Wer ganz genau hinschaut, wird bemerken, dass niemand in der Favela blond ist.
Nach diesem Fiasko musste ich – völlig fertig mit den Nerven – FIFA 18 erst einmal zur Seite legen. In solch heiklen Situationen kann es durchaus helfen, sich mit ganz anderen Dingen zu beschäftigen, wie zum Beispiel mit den Tweets von Jutta Dittfurth. Moralisch gestählt und quasi erleuchtet mit neuer Jutta-Energie machte ich mich dann an den Rest von The Journey. Kurz vorausgeschickt: Wenn EA Sports meint, mich damit korrumpieren zu können, dass sie aus einer Fußballkarriere eine Story stricken, die über den Tellerrand hinausschaut und mir durch einen abwechslungsreichen und methodisch weiterführenden Mix aus Spiel und Training tatsächlich noch etwas beibringt, dann haben sie an der falschen Tür um Einlass gebettelt. Solange nicht alte Gräben zugeschüttet werden und dort, wo Feindschaft herrscht, der friedensstiftende Dialog gewinnt, wird das nämlich mit mir und FIFA 18 nichts. Ein Vorschlag: Wenn man doch nur mit diesen sogenannten Gegnern in den fremd wirkenden Trikots sprechen könnte, dann dürften wir vielleicht versuchen, uns mit ihnen anzufreunden, Bündnisse einzugehen … das wäre mal wirklich interessant! Aber in FIFA 18 ist das Vorurteil nun mal mächtiger als eine innige Umarmung und – ganz ehrlich – mir tut das weh.
Besonders auf den Sack ging es mir, dass die USA – der größte Feind der westlichen, aufgeklärten Welt – bei FIFA 18 derart exponiert in den Vordergrund gedrängt wird. USA und Fußball, nee, ist klar! Erst geht es für Alex Hunter in der Saisonvorbereitung nach Amerika und anstelle einer saftigen Kritik an Donald Trump platziert EA Sports ordentlich Werbung für Christiano Ronaldo. Ich hätte kotzen können, wenn ich das nicht zuvor schon getan hätte. Als ich nämlich irgendwo das Zitat von Julian Gerighty, dem Irgendwas-Director von The Division las, der meinte, dass The Division „nur ein Videospiel sei, ein Unterhaltungsprodukt ohne politische Botschaft“, rebellierte völlig zu Recht mein Magen. Abartig ist sowas, mindestens. Die EA Sports-Leute meinen bestimmt auch, dass Fußball nur Sport und FIFA 18 nur ein Videospiel sei.
Bleiben wir beim Kommerz: Wenn ich den morgigen Tag noch erleben und nicht an einem Herzinfarkt sterben möchte, dann will ich lieber nicht erfahren, wieviel Kohle der Ronaldo für seinen kleinen, unsympathischen Auftritt in The Journey eingesackt hat. Umgerechnet wären das zu viele Krankenhäuser, Brunnen und Grundschulen, die in Afrika gebaut werden könnten, als dass es meine Pumpe verkraften könnte. Und wer meint, dass EA Sports es damit hat gut sein lassen, der kennt nicht den neuen Gipfel der kapitalistischen Perversion, den die Kanadier am Ende des Transferfensters in The Journey erklommen haben: Da wechselt der Alex Hunter doch nicht zu Real Madrid, um sich weiter beim Christiano Ronaldo einzuschleimen, sondern geht zu LA Galaxy in die USA. Ohne Worte. Übrigens auch in Richtung Trump: Hier bleibt sich EA Sports erschreckend treu und verzichtet weiterhin auf ein klares Bekenntnis für ein freies Amerika.
Um es kurz zu machen: The Journey wird auch danach nicht besser. Mal tritt man hier gegen den Ball, mal macht man dort eine Trainingssession, dann wird der eine abgewrackte Ex-Promi (Thierry Henry) ins bezahlte Rampenlicht gezogen und anschließend der andere Möchtegern-Star (der seltsame Stürmer von LA Galaxy, keine Ahnung, wie der Spacken heißt) protegiert. Ein Roter Faden – außerhalb des reinen, menschenverachtenden Kommerzes – ist weit und breit nicht zu erkennen. Die wahrscheinlich extrem schlecht bezahlten ClickworkerINNEN in ihren prekären Arbeitsverhältnissen, die anstelle ordentlich ausgebildeter, tariflich gebundener Autoren an der Möchtegern-Story schreiben mussten, sind da nur zu bemitleiden. Der schlechteste Twist ist der mit der Schwester von Alex Hunter. Das war ja klar: Erst wird Alex Hunter als Quoten-Mischling in den Ring geschubst, um möglichst auch die dunkelhäutigen Minderheiten mit Profit einzufangen, aber wenn es wirklich drauf ankommt, also eine Frau ins Spiel kommt,wird die arische Karte gezogen und ein 16-jähriges, weißes Mädchen präsentiert – die man dann auch noch als amerikanische Nationalspielerin ein paar Minuten gegen Deutschland (!) selber spielen muss. Antirassistisches Gender Mainstreaming geht anders, EA Sports!
Davon mal abgesehen, ist es unglaubwürdig, dass Alex Hunter nichts von seiner Schwester wusste, die das absolute Top Talent im amerikanischen Damenfußball ist und in der gleichen Stadt wie er lebt. Wir wissen ja alle: Auch Los Angeles ist am Ende des Tages nur ein Dorf. Apropos Dorf: Auf diesem Provinz-Niveau befindet sich das komplette FIFA 18-Spiel und die Tatsache, dass ich durch The Journey mein eigenes Spiel signifikant verbessert habe, heißt nicht, dass ich dieses Vorzeigeprodukt kapitalistischer Ausbeutung und Ignoranz in irgendeiner Form gutheißen kann. Es ist nun mal allerallerallerhöchste Zeit, dass die Publisher dazu stehen, dass sie mehr als Videospiele erschaffen. Ob sie es wollen oder nicht, EA Sports & Co müssen endlich mal lernen, was ich ihnen nun ins Stammbuch diktiere: Aus politischer Überzeugung reaktionäre Weltbilder zu festigen, ist vielleicht noch irgendwie argumentierbar, sich aber dem Kommerz wegen dem Kommerz zu verschreiben, natürlich nicht.
P.S.: Diese Kritik widme ich Doreen, die vehement mehr kulturkritisches Niveau bei Polyneux eingefordert hat. Das hat sie nun davon.
3 Kommentare
Polemik und Satire sind zwei nicht so einfach zu meisternde Textgattungen, das zumindest hat der Autor klar nachgewiesen.
Das hat er tatsächlich. Und ich meine das im Gegensatz zu Dir nicht ironisch. :-)