Während Publisher gerne behaupten, es wären quasi nur Open World-Spiele mit 2 Milliarden Stunden Spielzeit und der besten Quintupel-A-Grafik gefragt, kommt eine kleine pixelige Gans aus dem Gebüsch. Press Y to honk. Und alle so „HAHA, sie honkt! Honk Honk!“
In einem kleinen Ort vermutlich irgendwo in England war alles wunderbar geordnet und ruhig. BIS die namensgebende Gans des Untitled Goose Game kam, also ich. Der Gärtner will eigentlich nur an seinem freien Tag sein Gemüse gießen, aber wer wäre ich, wenn ich das einfach so geschehen lassen würde? Schließlich liegt hier so viel Zeug einfach nur in der Gegend rum! Wenn er es behalten wollte, dann würde er doch besser auf seine Sachen aufpassen! Wie auch auf seinen Hut! Der auf seinem Kopf saß. Gut, vielleicht nicht das beste Beispiel..
Aber der ängstliche Junge, dem ich die Brille von der Nase gekla… äähhh.. dem ich freundlicherweise eine Sonnenbrille aus dem Laden gebracht habe, nachdem er seine alte auf mysteriöse Weise verloren hat, sollte mir dankbar sein! Im Grunde bin ich ein Held!
Die Marvel-Filme mit dem Trickster Loki waren schon extrem erfolgreich, warum sollte das also mit einer lustigen Gans, die mit der roten Schleife sicher genau so attraktiv ist wie Tom Hiddleston, nicht funktionieren? Ja, Äpfel, Birnen und so, aber beide sind toll!
In jedem anderen Spiel würde es mich mindestens extrem viel Überwindung kosten, nicht besonders nett und hilfreich zu sein. Aber jetzt bin ich ja eine Gans und der kann man natürlich nicht böse sein! Haha! Gib mir dein Geschirr, Kellnerin, es gehört jetzt MIR!
Die Gans ist ein Phänomen. Es gibt inzwischen so viel Fan-Content zu ihr, dass man meinen könnte, es handele sich hier um ein großes AAA-Game und nicht um ein kleines Indiespiel, das von einer handvoll Australier entwickelt wurde. Von einem Haufen Memes und Comics über Remixes und alternativen Soundtracks mit „Gangster-Musik“ bis hin zu mit der Gans bedrucktem Merchandise und dem obligatorischen Mr. Sandman-Video gibt es inzwischen alles. Wer möchte kann die einer Resident Evil 2-Mod jetzt sogar mit der Gans als Mr. X spielen.
Man kann die dreiste Gans so zusätzlich zur spielbaren Story in Situationen der “realen Welt” bringen, für die man selber keine Lösung hat, wodurch sie so viel mehr werden kann als einfach nur ein Vogel. Ganz unpolitisch natürlich (!) kann die Gans unliebsame Politiker oder Nazis bekämpfen. Fan Fiction sei Dank hat die Meme-Gans im Gegensatz zum Film-Loki die Möglichkeit, wirklich zum Helden zu werden. Das war vielleicht nicht intendiert, aber eventuell können wir es uns, wenn wir uns den Rest der Spielelandschaft so anschauen, auch kaum noch vorstellen, nicht beinahe mit Allmachts-Fantasien durch ein Spiel zu gehen und alles umstürzen zu können.
Ob das Spiel genau so ein großer Erfolg geworden wäre, wenn es wie geplant komplett ohne Musik veröffentlicht worden wäre, ist fraglich. Claude Debussys Stück wurde für den Trailer exakt auf die Handlungen der Gans zugeschnitten, was eine Slapstick-artigen Eindruck erzeugte. Die Rückmeldungen waren dermaßen positiv, dass diese Atmosphäre für das gesamte Spiel genutzt wurde.
Dass sich die Macher eben nicht daran orientiert haben, wie ein Spiel angeblich zu sein hat, hat dem Spiel offenbar sehr gut getan. Es hat keine aufwendige Story, die bei einem Stealth-Puzzle-Spiel aber auch nicht unbedingt nötig ist. Es hat keine teure Grafik aber eine ganz eigene, die das Spiel ausmacht und dazu sehr gut passt. Als Story ist die Quest-Liste (Ob die Gans sie wohl selbst geschrieben hat?), die gut mit wunderbaren Ärgernissen gefüllt ist, vollkommen ausreichend.
Der oft gezogene Vergleich zu der Hitman-Reihe passt nur sehr vereinzelt. In vielen Spielen hängt man fest, nur weil man gerade nicht auf genau die Lösung kommt, die sich die Entwickler ausgedacht haben. In diesen beiden gibt es aber verschiedene Wege, um eine Aufgabe zu erfüllen. So ist es einerseits leichter, andererseits kann man aber auch kreativer sein und sich selbst ins Spiel einbringen.
Einmal muss man überzeugend eine Deko-Gans spielen, um ein Kostüm verpasst zu bekommen, aber ansonsten ist Untitled Goose Game wenig stealthig. An ein paar Orten darf man nicht entdeckt werden und muss sich durchschleichen. Aber die Konsequenz beim Scheitern ist es, entweder verscheucht zu werden oder einen eben „geliehenen“ Gegenstand wieder abgenommen zu bekommen. Auch wenn das die Aufgaben manchmal etwas tricky macht, bleibt man an derselben Spielstelle und kann direkt weiter an seinem aktuellen Ziel arbeiten. Der Verlauf des Spiels wird somit, von einer kurzen Verzögerung abgesehen, nicht von einer Entdeckung beeinflusst.
Ganz im Gegensatz zu dem von Hitman, bei dem man darauf angewiesen ist, sich gute Speicherpunkte auszusuchen, ist das Goose Game deutlich einsteigerfreundlicher. Es ist weniger riskant und somit kurzweiliger. Der Sinn des Spiels ist es, Leute zu ärgern und das reicht mir und den Leuten, die es auf den ersten Platz der Nintendo Switch-Verkaufscharts gebracht haben, vollkommen. Ich kann nur sagen: Es ist großartig und Loki würde sich darüber freuen.
1 Kommentar
Also ich habe es inzwischen auch ein paar Stunden mit meiner Freundin gespielt und obwohl auch wir es total liebenswert finden, ist mir der enorme Erfolg dann doch irgendwie ein Rätsel. Es ist ja nicht das erste “Blödel-Spiel” und macht das auch nicht auffallend besser (oder schlechter) als zum Beispiel Octodad damals oder Genital Jousting. Liegt das am Ende vielleicht an der Switch? Bessere PR? Zufall?