Ihr kauft Sakuna: of Rice and Ruin für die großartigen 2D-Kämpfe, doch ihr werdet für die Reiskultivation am Ball bleiben.
Sakuna: Of Rice and Ruin ist mehr Farmingsimulator als fast alle anderen Spiele, die sich das Beackern von Feldern auf die Fahnen schreiben. Nicht umsonst empfehlen die Entwickler*innen von Edelweiss als Spielguide die Webseite des japanischen Ministeriums für Agrikultur, die eine Anleitung zum Reisanbau veröffentlicht hat. Wie Urs in meiner Besprechung zum Spiel in Polyneux Macht’s Kurz – Folge 34 witzelte, er als Experte im Reisanbau sei beeindruckt von dem Spiel, ist also wahrer als vermutet.
Gleichzeitig zelebriert das Spiel aber auch die Geschichte der Agrikultur und ruht sich nicht auf den monotonen Tagesabläufen aus, die Bauernhofsimulationen wie Story of Seasons – und zu einem gewissen Grad auch Sakuna – ausmachen. Obwohl jede Jahreszeit in Sakuna: Of Rice and Ruin nur aus drei Tagen besteht, gelingt es dem Spiel, die Mühen der alljährlichen Arbeit immer wieder gekonnt zu zeigen und an den richtigen Stellen durch technische Innovationen, aber auch durch den Prozess verändernde Entscheidungen des Spielenden zu brechen. Damit simuliert Sakuna: Of Rice and Ruin mehr noch als die eigentliche Farmarbeit den Prozess wissenschaftlichen Fortschritts im Allgemeinen. Bewusste Experimente stoßen unerwartete Veränderungen im beobachteten Raum an, die wiederum unvorhersehbare Ideengeber für neue technische Innovationen sind. Möchte ich dem Reis besonderen Geschmack verleihen oder eine überdurchschnittlich hohe Ernte einfahren, muss ich das Wissen der vorangegangenen Bauern, über die Sakunas Begleiter verfügen, mit den ungenauen Anweisungen aus Schriftrollen verbinden, die sie finden kann. Deren ideale Auslegung kann ich nur für mich selbst herausfinden, indem ich experimentiere: Heißt “die Blätter spärlich düngen” nun einen oder zwei Tage zerstoßene Tierhufe in den Dünger zu mischen, soll der Reis in seichtem, stehendem oder hohem, fließendem Wasser reifen, trockne ich ihn am besten vor der Ernte am Strauch oder danach auf einem Gestell? Experimentiere ich, so werde ich nicht nur mit den Ergebnissen meiner Ernte belohnt, sondern auch mit neuen Ideen der Farmarbeiter. Eine zu große Ernteeinfuhr lässt sich mit den traditionellen Methoden der Bauern nicht mehr rechtzeitig dreschen. Bessere Technologie muss also her, die die Erntegöttin mit dem Schmiedejungen ersinnt, um mehr Reis in kürzerer Zeit vom Stroh zu trennen. So wird aus dem traditionellen kokibashi, einem gespaltenen Stück Bambus, mithilfe des Einfallsreichtums der Figuren im Spiel ein senbakoki oder Handdrescher, bei dem die Reisähren durch mehrere metallene Zähne gezogen werden. Aus der Not, den Reis vor dem Verderben schützen zu müssen, wird eine Tugend: Das Rad, das den technologischen Fortschritt antreibt. Die Kombination aus Bedarf und Neugier: Die Wissenschaft. Dass die in diesem Fall so spezifisch japanische Evolution der Ackerbauwissenschaft auch in der internationalen Version so gut funktioniert, spricht nur für die großartige Lokalisation des Spiels. Da ziehe ich – als Spieler, als Übersetzer und als Wissenschaftler – ehrfürchtig meinen Kegelhut.
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