Krank sein ist schlimm. Selbst die kleinste Erkältung nervt und umso länger es dauert, desto weniger Lebensfreude empfindet man. Als mich vor Ostern ein Infekt von den Beinen fegte, hoffte ich auf rasche Genesung. Weit gefehlt! Zwei Wochen lag ich darnieder und war von Halsschmerzen, Husten und einer laufenden Nase gegeißelt. Schöne Scheiße. Alle Pläne für die Feiertage mussten kassiert und sämtliche Aktivitäten, die über einen zehnminütigen Spaziergang hinausgingen, eingestellt werden. Mein Freundeskreis mied mich, niemand kam zum Kaffee oder auf ein Pläuschchen. Verraten und verkauft von der Menschheit und meinem eigenen Körper, blieb mir ein einziger Lichtblick in dieser entbehrungsreichen Zeit: Dragon’s Dogma 2.
Wenige Tage bevor die Seuche mich in die Knie zwang, bekam ich freundlicherweise einen PS5-Review-Code von Capcom. Meine Vorfreude auf das Spiel war groß, da ich den Vorgänger sehr schätze. Von diesem war ich sogar so angetan, dass ich die Quasi-GOTY-Edition „Dark Arisen“ erst auf der 360 und später nochmals auf der PS4 durchspielte. Auf den ersten Blick wirkt es wie ein weiteres Fantasy-RPG, setzt sich bei näherem Hinschauen aber deutlich ab von den Skyrims und Dragon Ages dieser Welt, was es bis heute zu einer einzigartigen Erfahrung macht. Und Dragon’s Dogma 2 knüpft genau da an, wo der Vorgänger aufhörte. Statt bei null anzufangen, erweitert und verfeinert es die Systeme und die Welt des Originals.
Schon die Auswahl der Monster wirkt origineller als bei manchen Genre-Kollegen. So gibt es neben Goblins oder Orks auch Zyklopen, Greifen und Chimären aus der griechischen Sagenwelt. Diese sind auch gefährlicher als die üblichen Pappkameraden, gerade zu Anfang stellen größere Gegner eine ernstzunehmende Bedrohung dar. Besonders ernst wird die Lage des Nachts, denn da sehe ich buchstäblich die Hand vor Augen nicht. Das macht das Reisen zwischen den sicheren Städten, das einen großen Teil des Spiels ausmacht, beschwerlich und gefährlicher. Da Schnellreisen nur eingeschränkt möglich sind, kann ein zu spät begonnener Marsch zu einem weit entfernten Ziel schnell im Tod in der Finsternis enden. Das Übernachten an Lagerfeuern ist möglich, dafür muss ich aber erstmal eines finden. Außerdem benötige ich eine Campingausrüstung und sollte, um keine bösen Überraschungen zu erleben, vorher die nähere Umgebung von Monstern gesäubert haben.
Während ich in anderen RPGs häufig vorgefertigte NPCs für die Party rekrutieren kann, gibt es in Dragon’s Dogma 2 die sogenannten „Pawns“, von denen ich bis zu drei mitnehmen kann. Mein Haupt-Pawn begleitet mich ständig und wird von mir im Charakter-Editor gestaltet. Die anderen beiden Begleiter:innen-Slots kann ich mit Pawns besetzen, die einfach in der Welt herumlaufen oder an sogenannten Riftstones warten. Das besondere ist, dass diese ebenfalls von Nutzer:innen kreiert wurden. Jeder individuell gestaltete Pawn wird auf die Spielserver hochgeladen und steht theoretisch allen Spieler:innen auf der Welt zur Verfügung. Da Gamer immer Gamer bleiben, treffe ich selbstverständlich auf viele leichtbekleidete, großbusige Damen (seufz). Aber ich bin auch originelleren Eigenkreationen oder Figuren aus anderen Medien begegnet, wie ziemlich überzeugenden Kopien von Kratos, Geralt of Rivia oder Daenerys Targaryen. Fremde Pawns können von mir nicht gelevelt werden, weshalb ich sie regelmäßig auswechseln sollte, um das Kräfteverhältnis in meiner Party in der Balance zu halten. Neben Aussehen und Level sollte ich bei der Auswahl unbedingt noch Klasse, Persönlichkeitstyp und Fertigkeiten berücksichtigen. Denn wenn ich im Kampf geheilt werden möchte und ein:e Übersetzer:in für die Elfensprache benötige, bringt mir eine Kämpferin mit dem Talent Ressourcen zu finden herzlich wenig. Außerdem, und das ist ein besonderer Clou, können Pawns Informationen über versteckte Schätze oder von mir noch nicht erledigte Quests verfügen.
Gerade letzteres ist oft von Nutzen, da Dragon’s Dogma 2 mir nicht den Arsch hinterher trägt. Es gibt zwar Questmarker, aber diese sind kein unfehlbares GPS wie in anderen Spielen, sondern zeigen oft nur den ungefähren Ort, an den ich mich begeben muss. Das ist meist ausreichend und der Rest erklärt sich von selbst. Gelegentlich muss ich aber etwas intensiver suchen, um herauszufinden, wie es weitergeht. Auch die Beschreibungen meiner Aufgaben sind zuweilen vage, sodass Nachdenken gefragt ist. Und selbst das Aufspüren mancher Side-Quests erfordert Eigeninitiative. So kommen diese gelegentlich von NPCs, die unmotiviert in der Landschaft herumstehen und mich nicht eigenständig ansprechen. Das hat zur Folge, dass ich auf der Suche nach der Lösung für eine Quest oft etwas anderes erledige oder sonstige interessante Dinge entdecke. Manchen mag das nich gefallen, aber für mich ist es genau die Art von Spieldesign, die mich motiviert und bei der Stange hält.
Bei so viel Licht gibt es natürlich auch ein paar Schattenseiten. So sieht das Spiel einerseits sehr hübsch aus, läuft dafür aber auf den Konsolen nicht stabil. Gerade bei effektreichen Kämpfen und in den Städten geht die Framerate merklich in die Knie. Mich stört das zum Glück genauso wenig, wie direkt vor meiner Nase materialisierende NPCs, aber 60-FPS-Purist:innen dürften das weniger entspannt sehen. Diese und andere Probleme gibt es anscheinend auf allen Systemen, selbst auf starken PCs. Kenner:innen des ersten Teils mögen außerdem bemängeln, dass Dragon’s Dogma 2 schon fast wie ein Remake des Vorgängers wirkt. Umwälzend neu ist hier nichts, alles ist nur größer, schöner und geiler. Die Frage, ob das für ein Sequel reicht, muss sich jede:r selbst beantworten. Für mich ist es in diesem speziellen Fall genau das, was ich mir erhofft hatte. Denn während das erste Dragon’s Dogma noch Potenzial auf dem Tisch liegen gelassen hatte, wird dieses zehn Jahre später, dank eines höheren Budgets und leistungsfähigerer Hardware, vollumfänglich verwirklicht.
Nicht unerwähnt bleiben soll an dieser Stelle der erst bei Release aufgetauchte DLC, der direkt einen Shitstorm und Review-Bombing nach sich zog. Sebstverständlich sind die Downloadinhalte, wie bei Capcom inzwischen üblich, kompletter Quark und reine Geldmacherei. Für mich ist das Thema trotzdem unproblematisch, denn weder wurde hier etwas aus dem Spiel herausgenommen, noch bringt das Ausgeben von Echtgeld im Shop überhaupt Vorteile. Im Gegenteil! So verschlechtert zum Beispiel der Kauf von Ferrystones für die Schnellreise die Spielerfahrung, da diese am Anfang bewusst rar sind, was wiederum wichtig fürs Pacing ist. Im späteren Spielverlauf, wenn ich die Welt erkundet und mehrfach abgeklappert habe, stehen diese Items überreichlich zur Verfügung. Und auch beim Rest handelt es sich um unnötigen Quatsch, der das Spiel nur uninteressanter macht. Die Bezahlinhalte riechen nach einer Entscheidung der Anzugträger aus den oberen Etagen, die keine Ahnung von Videospielen haben. Dementsprechend tut jede:r Spieler:in gut daran, das Geld zu sparen und sich ohne nutzlose Abkürzungen auf das Spiel einzulassen. Es lohnt sich!
Nach dieser kaum enden wollenden Eloge verwundert es nicht, dass auch mein Fazit uneingeschränkt positiv ausfällt. Ich habe bereits über 130 Stunden in Dragon’s Dogma 2 gepumpt, ohne den richtigen Abspann zu sehen. Und es wird sicher noch eine Weile dauern, bis es so weit ist. Diese für meine Verhältnisse exorbitante Spielzeit liegt zum einen darin begründet, dass ich zwei Wochen mit einer fast tödlich verlaufenen Erkältung ans Sofa gefesselt war. Zum anderen bin ich so verliebt in diese wilde und raue Welt, dass ich sie nicht zu bald verlassen möchte. Ich jage also weiter mit Begeisterung Nebenquests hinterher, verkloppe zum hundertsten Mal Zyklopen und erkunde jede Ecke der Karte, nur um noch ein bisschen mehr aus dem Spiel rauszuquetschen. Solche eine Aussage Mitte April zu tätigen ist zwar riskant, aber hier könnte es sich um mein Spiel des Jahres 2024 handeln. Dragon‘s Dogma 2 legt die Latte für RPGs und Videospiele allgemein ein Stückchen höher. Und es würde schon an ein Wunder grenzen, sollte in diesem Jahr noch etwas Besseres erscheinen. Aber man soll ja niemals nie sagen. Nicht wahr, Dragon Age Dreadwolf?
Neueste Kommentare