Rebellions Atomfall ist nicht wie Fallout oder S.t.a.l.k.e.r., auch wenn man das überall lesen kann. Kein Stück. Es hat „Fall“ im Namen, ein Atomkraftwerk spielt eine Rolle und es ist ein Open-World-FPS-RPG-Dingens. Da hören die Gemeinsamkeiten auch schon auf. Aber die Entwickler sind nicht ganz unschuldig an den Vergleichen, denn im Marketing-Vorfeld gab man auch Fallout: New Vegas als wichtige Inspiration an. Das ist etwas schade, denn Atomfalls Unique Selling Point ist eigentlich, dass es komplett anders konzipiert ist als all die anderen Open-World-Titel, mit denen es ständig verglichen wird. Meiner Meinung nach ähnelt es noch am ehesten Immersive-Sims, wie System Shock (1994/2023) oder Prey (2017), weil es dem Spieler allerlei Möglichkeiten und Wege zum Erreichen des Ziels gibt, ihm aber nicht sagt, wie was in welcher Reihenfolge zu erledigen ist. Man wird nicht an die Hand genommen und durchs Pew-Pew-Wunderland geführt, sondern muss sich fast alles selbst erschließen. Es ist viel mehr „Schnitzeljagd – The Game“ als Fallout. Und wenn einem das nicht gefällt? Tja, dann kann man Atomfall auch ganz anders spielen… Aber erst mal ganz von vorne: Worum geht’s hier eigentlich?

Rebellions Atomfall spielt in einer alternativen Zeitlinie, in der die Regierung 1957 eine Quarantäne-Zone um Windscale errichtet hat, in die niemand rein oder raus kann. Unser namenloser Avatar erwacht 1962 ohne Gedächtnis in einem Bunker in eben dieser Zone. Unsere einzige Zielvorgabe ist es, die Zone zu verlassen. Über das Wie und Warum lässt uns das Spiel im Dunkeln. Doch spätestens als uns der erste britische Kampfroboter mit Dalek-Stimme über den Weg läuft, ist klar, dass in dieser Timeline wohl mehr im Argen liegt, als nur ein Feuer im nahegelegenen Kraftwerk…

Atomfall dauert irgendwas zwischen etwa 8 und 35 Stunden. Wenn man weiß wie, kann es aber auch in unter 5 Stunden durchgespielt werden. Das klingt so unpräzise wie der Liefertermin des Paketzustellers, liegt aber eben daran, dass die Entwickler nicht nach den im Genre üblichen Regeln spielen. Zunächst einmal kann man sich die Schwierigkeit ganz nach Gusto in den Bereichen „Kampf“, „Überleben“ und „Erkundung“ in jeweils fünf Stufen einstellen und auch während des Spiels jederzeit anpassen. Das ist ein klasse Feature, aber macht das Angeben einer genaueren Spielzeit schon mal schwierig. Besonders der Punkt „Erkundung“ verändert das Spiel je nach Einstellung sehr stark, denn schon in der vom Spiel vorgeschlagenen dritten Stufe, gibt es keine Questmarker auf Karte und Kompass. Okay, es gibt auch eigentlich gar keine richtigen Quests im Spiel, aber dazu später. Atomfall will eigentlich auf eigene Faust und ohne Führung erkundet werden, wodurch es bei mir schon mal in die richtige Kerbe schlägt, denn für mich ist das Geilste an Open-World-Spielen das Entdecken der Welt. Und wenn die Welt, wie in diesem Fall, dann auch noch toll gestaltet ist und wirklich viel zu entdecken bietet, haben wir schon mal mehr als die halbe Miete. Wem das eher Angst macht oder einfach nach zu viel Arbeit klingt, kann den Regler aber jeder Zeit weiter runter drehen und sich, wie von anderen Spielen gewohnt, mehr führen lassen.


Die Ausdauer und ein paar andere Eigenschaften des Avatars lassen sich natürlich auch verbessern bzw. neue Fähigkeiten erlernen. Atomfall arbeitet zwar nicht mit XP-Punkten und Level-Aufstiegen, aber man findet (oder kauft) Trainingsbücher und –stimulanzien, die den gleichen Zweck erfüllen. Der Unterschied zu herkömmlichen Systemen ist nur, dass man bei weiteren Durchläufen viel Zeit sparen kann, weil man dann weiß, wo der Krempel zu finden ist und man nicht erst langwierige Level-Aufstiege durchackern muss.

Was man am Anfang eigentlich noch nicht weiß, ich euch jetzt aber verrate: Es gibt sechs dieser Schlüsselcharaktere, was auf sechs verschiedene Enden des Spiels hinausläuft. Und daher auch die Wischi-Waschi-Spielzeitangabe! Man kann einfach so drauflos spielen und dann relativ direkt den Hinweisen der erstbesten Schlüsselfigur folgen. Zack! Und schon ist man nach etwa 8 bis 10 Stunden durch, aber hat große Teile des Spiels gar nicht gesehen. Oder man heißt SpielerZwei, hat das mit den sechs Enden schon vor dem Beginn irgendwo gelesen und versucht nun, sich alle Optionen bis kurz vorm Schluss offen zu halten, um dann idealerweise einen letzten Spielstand zu haben, der es einem erlaubt, mit wenig Aufwand alle Enden zu sehen. Spoiler: Ich hab’s verkackt!

Man könnte jetzt fabulieren, dass Atomfall polarisiert, weil es sicher nicht jedem gefällt, aber durch die jederzeit individuell anpassbaren Einstellmöglichkeiten ist das eigentlich Quatsch. Wer klassisch herumgeführt werden möchte, aber beispielsweise richtig knackige Kämpfe will, der stellt es sich einfach genau so ein. Und wer primär die pure, freie Exploration in einer coolen Spielwelt liebt, aber keinen großen Stress beim Kämpfen und Überleben haben möchte, stellt es sich ebenfalls genau so ein. Punkt. Besser geht’s eigentlich gar nicht. Hätte das System Shock Remake so etwas gehabt, dann hätte mir Kollege Urs seinerzeit vermutlich nicht erzählt, dass er das Spiel eigentlich ganz cool fand, dann aber doch irgendwann frustriert abgebrochen hat, weil nicht mehr klar war, wie’s weitergeht. (Ja, ich weiß, dass die Nightdive Studios inzwischen auch so etwas nachgepatcht haben, aber da war’s für den lieben Urs schon zu spät.)

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