Eine Person, ein Haus. Am Anfang war ich etwas skeptisch. Ich lief durch das verlassene Hotel und versuchte erstmal alles anzugucken, was herumlag, weil ich dachte, ich könnte damit vielleicht etwas anfangen. So hob ich eine ganze Menge Mathe- und Physikbücher auf, auf deren Rückseite „spannende“ Zusammenfassungen standen. Ja, ich sah sogar die Rückseite zweier Spülschwämme und ärgerte mich schon, bis ich mich irgendwann dazu durchringen konnte, mich damit abzufinden, dass Gegenstände an denen „observe“ stand, einfach nicht spielrelevant waren.
Aus Adventures bin ich gewohnt, immer mit allem interagieren zu müssen, um an neue Informationen zu kommen. Das kann manchmal durch Nutzlosigkeit der Gegenstände total daneben gehen und furchtbar nerven oder in guten Adventures zumindest lustige Kommentare abwerfen.
Allerdings ist The Suicide of Rachel Foster eben kein Adventure sondern ein verschriener Walking Simulator und muss meinen Ansprüchen an andere Genres natürlich nicht gerecht werden. Also raus aus dem einen und rein in den anderen Spielemodus! Das war auch wirklich notwendig, denn nach dem ich das Spiel nach den ersten paar Minuten Frustration darüber erstmal zur Seite gelegt habe, besserte sich meine Stimmung schlagartig, als ich mit ganz neuen Erwartungen wieder angefangen habe. Wie bei jedem Spiel muss man sich manchmal einfach drauf einlassen, um dann zu merken, dass es doch ganz spannend ist.
Aber nun zur eigentlichen Story, die ja Kern eines jeden Walking Simulators ist. Man steuert hier Nicole, eine junge Frau, die irgendwann in den 1990ern nach dem Tod ihres Vaters in das Hotel der Familie zurückgeht. Da sie schon lange keinen Kontakt mehr zu ihm hatte, will sie das inzwischen verlassene und wirklich sehr renovierungsbedürftige Gebäude mitten in den Bergen einfach nur noch loswerden. Sie fährt vor dem Verkauf noch ein letztes Mal dorthin, um sich ein Bild vom Zustand zu machen – natürlich während gerade ein großer Schneesturm aufzieht, weil es sonst ja zu einfach wäre.
Als sie kurz nach ihrer Ankunft einen Anruf von Irving bekommt, der sich als ihr persönlicher Ansprechpartner vom Katastrophenschutz vorstellt und erfährt, dass sie eingeschneit wird und leider nicht mehr rechtzeitig davor abreisen kann, ist sie verständlicherweise wenig begeistert. Aber da sie nun eh auf unbestimmte Zeit festsitzt, schaut sie sich alles noch ein mal an und taucht zusammen mit ihrem neuen Telefonfreund in die von ihr lange verdrängten Erinnerungen aus einer Zeit ein, in der die Affäre ihres Vaters mit der minderjährigen Rachel Foster herauskam und ihrem daraus folgenden Selbstmord. Nicole hat ihren Vater damals zusammen mit ihrer Mutter verlassen und wollte mit ihm nichts mehr zu tun haben. Dass er bei dieser Geschichte so viele Jahre später an seiner Bürotür noch ein Schild mit der Aufschrift „Dad‘s Office“ angebracht hat, wirkt sehr befremdlich. Genau wie die fehlende Einordnung der sogenannten Affäre eines mittelalten Familienvaters mit einem Mädchen im ungefähren Alter seiner Tochter. Auch wenn ich das für mehr als problematisch halte, möchte ich aus Spoilergründen aber nicht weiter darauf eingehen.
Die Story ist sehr linear, das heißt bestimmte Handlungen triggern ein Fortlaufen der Story. Manchmal hab ich 5 Minuten den ganzen Raum untersucht, bis ich gemerkt habe, dass ich ihn nur hätte verlassen müssen, um weitermachen zu können. Oft lösen aber auch nur bestimmte Gesprächsfetzen mit Irving neue Ziele aus. Leider muss man auch immer das Ende dieser Gespräche abwarten, um überhaupt irgendwas machen zu können, was zuweilen etwas nervig sein kann. Geht man während des Gesprächs aus dem Zimmer statt danach, bekommt man leider kein neues To do für die Liste, sondern irrt suchend durch das große, manchmal etwas tot wirkende Haus. Ja, ein Hotel muss viele Räume haben, aber warum kann man in so viele rein? Selbst so großartige Kulissen wie ein voll eingerichtetes Tanzzimmer und eine verlassene Kapelle scheinen wie die Spülschwämme nur da zu sein, weil sie irgendjemand darstellen wollte. Einen Sinn haben sie leider nicht – außer dass ich die ganze Zeit auf die passende Storyline wartete, die zu meiner großen Enttäuschung nie kam.
Das Herumlaufen durch eine einsame, mit Karte erkundbare Gegend, während ich mit einer zweiten Person per Telefon oder Funk in Kontakt stehe, kannte ich bereits aus dem großartigen Titel Firewatch. Auch dort war ich schon zu faul, mir Wege zu merken, was nicht so richtig hilfreich bei der Orientierung war. Aber dadurch, dass ich in diesem Spiel viel rumlaufen musste, um bestimmte Orte zu finden und Nicole nach und nach auch Geheimgänge im Hotel findet, war ich irgendwann gezwungen, mir bestimmte Wege zu merken. Ihr kennt das sicher, aber für mich war es jetzt mal eine echt gute Herausforderung, auf deren Ergebnis ich ein klein bisschen stolz bin! Während ich also durch die leicht gruseligen Gänge des Hotels lief, ging ich gewissermaßen auf Geisterjagd und versuchte mithilfe von Nicoles und Irvings Gesprächen mehr über die Tragödie herauszufinden, die damals hinter dem Tod der namensgebenden Rachel Foster steckte.
Bei aller Linearität kann man den Ausgang der Geschichte als Spielerin selber bestimmen, aber irgendwie fühlte sich für mich keine der Auswahlmöglichkeiten innerhalb der Handlung der Figuren richtig an. Hier wäre es sinnvoll gewesen, Nicole und damit auch mir als Spielerin zum Schluss kurz Zeit zu geben, sich mit dem was rausgefunden wurde, zu befassen. Das doch ziemlich abrupte Ende wirkt nach einem wieder hochgekommenen Trauma nicht besonders sinnig oder befriedigend. Auch hätte ich mir gewünscht, das Thema Suizid wäre hier etwas sensibler behandelt worden als es das leider wurde oder dass es zumindest irgendwie aufgearbeitet worden wäre. Bei so einem großen aufgemachten Fass ist das eine ziemlich vertane Chance, die die potenzielle Spielerschaft deutlich hätte vergrößern können.
ABER: auch wenn ich das Spiel Genre-Neulingen nicht unbedingt als Einstieg empfehlen würde, fand ich mich als Genre-Liebhaber durchaus die meiste Zeit unterhalten. Wenn ihr jetzt also wisst, dass ihr die Telefongespräche kurz aussitzen müsst, bevor irgendwas neues passiert und deswegen nicht wie ich ziellos durch die Gegend tappt und ganz wichtig: wenn ihr mit einer schlechten Einordnung eines Selbstmordes umgehen könnt (!), seid ihr mit The Suicide of Rachel Foster ganz gut bedient. Trotz aller Mängel bekommt man ein spannendes „Familiendrama“ serviert, das mit anderen beliebten Spielen der gleichen Art gut mithalten kann!
12 Kommentare
Was wäre denn ein geeigneter Einstieg im die Welt der Walking Simulators? Ich bin milde interessiert und habe einige aus diversen Aktionen in der Bibliothek. Empfehlungen von dir?
Ich für meinen Teil würde mit What remains of Edith Finch anfangen, weil es einfach nur wunderschön und voller liebevoller kleiner Einfälle ist.
Da hat Christian natürlich völlig Recht.
Edith Finch ist mit Sicherheit unter den besten Walking Sims, die man nur spielen kann.
Ein etwas unbekannteres Spiel, welches mir aber ähnlich gut gefallen hat (und das es neulich bei Epic für lau gab) ist “Close to the Sun”.
In einem sehr an Bioshock 1 angelehntem Szenario, rätselt, flüchtet und gruselt man sich durch ein riesiges, mehr oder weniger verlassenes Ozean Forschungsschiff auf der Suche nach der eigenen Schwester.
Ich mochte auch den Grusel von “The Park” sehr gerne-aber das ist halt sehr kurz. Wenn es mal für <5€ im Sale ist würde ich zuschlagen.
Und streng genommen ist ja auch "the stanley parable" ein Walking Sim. Das wäre dann imho die mit Abstand Beste von allen.Extrem (!) Lustig, tiefgründig und absolut erstaunlich. Wenn du das noch nicht kennst – das wäre meine Topp Empfehlung!
The Stanley Parable hätte ich jetzt eher als Gaming Simulator betitelt. Ich arbeite da an der 5-Jahres-Errungenschaft. ;-)
Vielen Dank euch allen! Immerhin The Stanley Parable besitze ich von euren Tipps, dann werde ich mir das Mal anschauen und auf ein Angebot von Edith Finch warten.
Ich möchte noch Gone Home empfehlen, das fand ich ganz großartig damals.
Danke, Urs! Juhu, das habe ich im Backlog.
Sehr gut! Dann hoffentlich viel Spaß damit. Schreib’s in die Kommis!
Gone Home..
Da kann man mal sehen wie unterschiedlich die Geschmäcker sind.
Ich fand das damals außerordentlich moralinsauer und zu offensiv bemüht bis zur Peinlichkeit.
Das hat mmn “A Normal Lost Phone” besser hinbekommen…
Heute abend, so der Plan, schnappe ich mir ein Glas Wein und setze mich mal an Gone Home. Das sollte an einem Abend machbar sein, zumindest laut howlongtobeat.com. Und dann schreibe ich natürlich in die Kommis, wie es mir gefiel.
Man glaubt es kaum, aber der Plan ging auf. Fast. Es war Bier statt Wein. Der war nämlich umgekippt (im Sinne von: schlecht). Sachen gibt’s!
Hat mir schon sehr gut gefallen, das Spiel. Ich versuche nicht zu viel zu spoilern (wobei das bei einem x Jahre alten Spiel wohl auch weniger relevant ist):
– Extrem (!) erleichtert war ich, dass mich das Spiel durchgeführt hat, ohne dass ich in eine Sackgasse gelaufen bin, weil ich etwas übersehen habe. Die relevanten Gegenstände waren anscheinend auffällig genug platziert. Nichts hätte ich schlimmer gefunden, als durch das Haus zu streunern, auf der Suche nach dem einen Zettel unter einem beliebigen Teller.
– Die Geschichte, die sich entfaltet hat, gefiel mir sehr und hat mich fast schon mitfiebern lassen. Das muss man erst mal schaffen, nur mit Voice Notes und Gegenständen in der Umgebung.
– Dass ich als Angsthase selbige nicht fürchten musste, rechne ich dem Spiel hoch an. Bis auf den letzten Bereich, den man betritt, wo es dann doch etwas kribbelte, hatte ich nie Angst vor dem nächsten Raum, sei er auch dunkel. Als sehr entfernt vergleichbares Spiel habe ich Amnesia durchlitten, und ich hätte es oft am liebsten einfach aus dem Fenster geworfen. Leider hatte ich es nur digital, nicht physisch.
– Kleine Kritikpunkte bleiben: Wieso darf ich manche zerknüllten Zettel aus dem Eimer fischen und lesen, andere nicht? Immersionskiller waren für mich die Terxturen der Kleiderschränke – abfotografierte Kleiderstapel, als platte Textur hineingeklebt.
Meckern auf hohem Niveau: Danke für den Tipp und die Aufmerksamkeit!
Nachdem ich jetzt drei Jahre Gone Home verdaut und sogar Dear Esther in der Zwischenzeit nachgeholt habe, war heute What Remains of Edith Finch dran. Sogar mit Wein, der noch gut war.
Im Vergleich zu erstgenannten Spielen tatsächlich noch mal ein gutes Stück besser ob der Abwechslung. Schon wahnsinnig kreativ und abwechslungsreich. Manche der Mechaniken waren zwar etwas sperrig, aber nie so schlimm, dass es nervig geworden wäre. Als zweifacher Vater ist mir aber wirklich, ohne jetzt ein sechs Jahre altes Spiel zu spoilern, mancher Teil des Spiels extrem schwer gefallen. Ich wusste, was zu tun war, aber ich wollte nicht. Das Ende war dann eine genau richtige Mischung. Nicht zu plakativ, nicht zu trivial. Wirklich gut!
Ich schließe mit den gleichen Worten wie letztes Mal: Danke für den Tipp und die Aufmerksamkeit! Bis in drei Jahren, wenn ich Rachel Foster oder Ethan Carter begleitet habe.