Strangeland ist das neueste Point & Click-Adventure vom Primordia-Macher Wormwood Games und gepublisht von Wadjet Eye Games, den Indie-Darlingen mit dem charakteristischen Pixel-Artstyle. Ein Mann in einer zerrissenen Zwangsjacke findet sich darin auf einem verstörenden Karneval wieder, der ihn mit Geistern seiner Vergangenheit konfrontiert und tausend Tode sterben lässt.
Selten habe ich ein Setting erlebt, das schon auf den ersten Blick so viel versprochen hat. Denn es dauert nur wenige Dialogzeilen und Screenwechsel, bis klar wird, dass der gleichnamige Park in Strangeland kein wild zusammengeschustertes Hirngespinst des namenlosen Fremden zu sein scheint. Im Gegenteil: Das Disneyland des Grauens folgt Regeln der nordischen Mythologie. Hier ist die Walküre – natürlich – eine Achterbahn, trägt sie doch Seelen in den Himmel, und der Kopf des weissagenden Riesen Mimir legt Tarotkarten gegen eingeworfene Vierteldollar. Ein Mann, der sich seiner Rolle als Mann in der Gesellschaft nicht sicher zu sein scheint, wird zum Zerrbild eines nordischen Kriegers in einer als absurd gezeichneten mythologischen Klamaukwelt.
Strangeland lohnt sich schon für diese starke Symbolik sehr, auch wenn es im letzten Spieldrittel in meinen Augen viele interessante Punkte fallen lässt, um ein neues Setting zu öffnen und Fragen anzugehen, die man sich nicht gestellt hat.
Als Interpretation nordischer Mythen im düsteren Vergnügungspark der Gedankenwelt eines Verzweifelten hat mir Strangeland regelmäßig den Atem genommen. Die Ideen der Umsetzung bekannter Konzepte als Attraktionen oder gequälte Seelen treffen immer wieder aufs Neue ins Schwarze und machen mir Lust darauf, die verdrehte Lösung der Sage zu sehen, die hier als Hommage umgesetzt wird. Dazu tragen auch sehr die Synchronsprecher*innen bei, die man fast alle schon aus anderen großartigen Performances in WEG-Titeln kennt; allen voran Abe Goldfarb, bekannt als Joe Mallone aus der Blackwell-Reihe oder Professor Kukui im Pokémon-Anime.
Zum Schluss hin versucht Strangeland jedoch, aus seiner sagenhaften Symbolik Parallelen zu psychischem Leiden zu ziehen, dekonstruiert dabei das nordische Setting und versucht, es als judäisch-christliches neu aufzubauen.
Das funktioniert nur bedingt; einerseits spielerisch, da es mit mehreren sich wiederholenden Sequenzen einhergeht. Diese persiflieren ihre vorangegangenen Vorbilder nicht, sondern kopieren sie meist nur als weniger farbenfrohe, deutlich bösartigeres Spiegelkabinett des ersten Spielteils. Andererseits funktionieren sie leider auch erzählerisch nicht, weil die Neuinterpretation der Figuren als Adam und Eva feministische Züge fallen lässt, die das Spiel vorher eigentlich clever aufgreift. So wird aus Nornen, die nicht Frau sein dürfen und darüber offen sprechen und einem selbstironischen Phone Operator, der die Rolle des Mannes in einer gesellschaftlich akzeptierten Beziehung in Frage stellt, am Ende doch nur ein Abziehbild biblischer Emanzipation: Ein Adam mit „seiner“ Eva in der Support-Rolle, der vor seinem ‚Gott‘, dem Schwarzen Hund seiner Ängste und Depressionen flieht. Entsprechend unbefriedigend bleiben die vier Enden, von denen nur eines das ‚richtige‘ zu sein scheint, das jedoch aber auch nicht befriedigend wirkt. Die anderen drei biedern sich als ’schlechte‘ Enden an, da sie Fehler wiederholen oder ein Ende der Figuren erzwingen, wo keines hätte sein müssen. Die Vielfalt der Optionen in der letzten Szene gefällt mir durchaus, aber wohin sie führen, kann ich die meiste Zeit nicht nachvollziehen.
Dennoch: Allein für die ersten drei Stunden würde ich Strangeland empfehlen. Das Setting ist einzigartig, die Interpretation der Mythen und Sagen geistreich, und die darauffolgende letzte Stunde auch weder zäh noch so schlecht, dass sie mir etwas verdirbt. Das Spielende bleibt lediglich hinter den Erwartungen zurück, die die so starken ersten zwei Drittel in mir geweckt haben.
1 Kommentar
Gut analysiert. :)