Ich hasse Putzen! Aber wer tut das nicht? Eigentlich ist das kein weltbewegendes Thema. Man muss sich schließlich einfach nur die nötige Ignoranz und Abgestumpftheit meines Ex-WG-Mitgewohners Roland P. aus M. zu eigen machen und die Welt erstrahlt auch auf einer Müllkippe jeden Tag aufs Neue in gleißendem Licht!
Problematisch wird diese Putzabneigung allerdings, wenn man wie ich auch gleichzeitig Unordnung und Dreck hasst. Und so trennten sich nach nicht einmal einem Jahr wieder unsere Wege, nachdem auch diverse pädagogisch wertvolle Gespräche meinen ehemaligen Mitbewohner nicht davon überzeugen konnten, dass es für zivilisierte Menschen kein guter Start in den Tag ist, wenn der Frühstückstisch morgens mit zur Uni will, weil er an den Unterarmen kleben bleibt. Besonders nachdem man kurz vorher schon gleiches mit den Badezimmerfliesen unter den Füssen erlebt hat!
Ich bin ein sogenannter „Putzflucher“. Während ich putze, schimpfe ich die ganze Zeit vor mich hin und bin, na, sagen wir mal „leicht gereizt“. Wer schlau ist, stört mich besser nicht beim Putzen, denn die schlechte Laune kann sich dann gewitterartig entladen.
Spätestens seit dem Ende des Studiums lag die Lösung des Dilemmas eigentlich auf der Hand: Eine Putzfrau! Bei einem Großteil meines Freundeskreises ist es eigentlich gang und gäbe, dass man sich als berufstätiger Mensch eine Putzfrau leistet. Allerdings nicht für mich, weil gleich zwei Neurosen dagegen sprechen:
Zum Einen ist da die Sache mit dem Vertrauen. Ich kann mich einfach nicht mit dem Gedanken anfreunden, dass jemand Fremdes in meiner Wohnung ein und aus geht und Zugang zu meiner Privatsphäre hat.
Und zum Anderen verdanke ich es wahrscheinlich der Erziehung meiner Eltern, dass ich mich unwohl fühle, wenn jemand anderer meinen Dreck hinter mir her räumt. Das erzeugt irgendwie Schuldgefühle in mir (was aber nicht heißt, dass ich es grundsätzlich nicht zulasse…).
Aus diesen Gründen habe ich in meinem Leben noch keine Putzfrau gehabt. Bis vor etwa zwei Wochen. Da habe ich mir endlich eine Haushaltshilfe zugelegt, die sich meinen Neurosen erfolgreich widersetzt, denn sie ist absolut vertauenswürdig und weckt auch kein schlechtes Gewissen: Chibi-Robo!
Chibi-Robo ist ein kleiner Haushaltsroboter aus dem Hause Nintendo (ehemals Bandai), der mit Zahnbürste und allerlei anderem Gerät bewaffnet für Ordnung und Sauberkeit im Hause sorgt. Er löst auch familiäre Beziehungs- und Erziehungsprobleme, ja sogar vor außerirdischen Invasionen muss man dank Chibi-Robo keine Angst mehr haben!
Gut, es ist nicht mein Haus, sondern das der Familie Sanderson und eigentlich spielt sich das ganze Geschehen noch nicht einmal in der Wirklichkeit, sondern in meinem GameCube ab, aber das stört mich nicht sonderlich. Gäbe es den knuddeligen Chibi-Robo wirklich, ich würde mir sofort einen kaufen!
Das Spiel um den niedlichen Haushaltsroboter vom Entwickler Skip Ltd. ist sicherlich nicht jedermanns Geschmack. Sowohl Idee, als auch Präsentation werden vielen Zeitgenossen „zu japanisch“ und „zu nintendo“ sein. Manch einer könnte schnell auf den Trichter kommen, dass es sich um eine echte Putzsimulation handelt. Das würde den bekloppten Japanern ja ähnlich sehen, ne?! Tatsächlich kann man es aber als eine gelungene Mischung aus Puzzle-Plattformer, Adventure, RPG und Sandkasten-Spiel bezeichnen, bei dem das Hauptaugenmerk auf der Erkundung der Spielwelt liegt. Vom Spielgefühl her fühlt es sich wie eine Mischung aus der Katamari-Serie und den Pikmin-Spielen an, wobei noch ein großer Schuss Animal-Crossing-Niedlichkeit dabei ist.
Das Putzen ist zwar Chibis eigentlicher Lebenszweck, aber spielerisch nur Mittel zum Zweck, denn für erfolgreiche Hausarbeit erhält man von den Hausbewohnern Happy-Punkte und Geld. Die Happy-Punkte sorgen dafür, dass Chibi in der Weltrangliste der Haushaltsroboter aufsteigt, um irgendwann vielleicht ein Super-Chibi-Robo, also die Numero Uno unter den mechanischen Zugehfrauen zu werden. Von dem verdienten Geld kann er sich diverse Upgrades und Hilfsmittel kaufen, die ihm seine Aufgaben leichter machen.
Die Hausbewohner, für die er arbeitet, bestehen nicht, wie zunächst angenommen, nur aus Papa, Mama und Tochter Jenny sowie dem Hund Tao, sondern sind um einiges zahlreicher: Da gibt es jede Menge lebendiges Spielzeug und andere Freaks im Haus der Sandersons.
Und so kann Chibi neben der Haupt-Storyline, in der es neben dem mächtig schiefhängenden Familiensegen der Sandersons auch um seinen geheimnisvollen Vorgänger, Giga-Robo, und ein paar verrückte Aliens geht, diverse Sidequests erledigen, die ihm die sonstigen Bewohner des Hauses auftragen. Allerdings hat man sich das nicht wie bei einem klassischen Rollenspiel vorzustellen, wo man irgendwelche Typen trifft, die einem dann sagen, dass man ja, so man nichts besseres zu tun hat, dieses oder jenes für sie tun könnte. Die Entwickler haben die meisten der Aufgaben so geschickt in die sich entwickelnde Geschichte eingebettet, dass der Fortschritt allein durch die Neugier des Spielers entsteht; ähnlich wie in einem guten Adventure. Charakterzeichnung und -entwicklung ist hier nicht allein dem Protagonisten vorbehalten. Man lernt nach und nach die ganzen irrwitzigen Bewohner des Hauses kennen und schließt sie unweigerlich ins Herz. Sie haben fast alle eine eigene interessante Geschichte, welche wiederum mit den Geschichten der anderen verbunden ist. Und am Ende fügt sich alles zu einem großen Ganzen zusammen…
Ich habe genau an dieser Stelle ein kleines Problem:
Mir juckt es gewaltig in den Fingern, etwas mehr über die liebenswerten Charaktere zu erzählen, die unter dem Dach der Sandersons wohnen, denn sie machen einen Großteil des Charmes von Chibi-Robo aus. Da es aber so viele sind und ich wirklich gerne zu jedem ein paar nette Anekdoten spoilern würde, liefe ich Gefahr, im Handumdrehen die ohnehin schon üblicherweise ausufernden Dimensionen meines Geschwafels bei weitem zu sprengen.
Ob Space Hunter Drake Redcrest (ein Spielzeugroboter, der des Nachts für Gerechtigkeit und Ordnung im Universum sorgt) oder Sophie (das Kauspielzeug von Hund Tao, welches unsterblich in Drake Redcrest verliebt ist, sich aber nicht traut, ihn anzusprechen) oder Sarge und die Free Rangers (eine Truppe militanter Guerilla-Eier, die sich für den Gegenangriff auf Tao rüsten, weil dieser vermeintlich einen ihrer Kameraden gefressen hat) oder Sunshine (Jennys Teddy, der abhängig von Blütennektar ist und ziemlich ungemütlich werden kann, wenn er auf Turkey ist) oder Funky Phil (eine tanzende Blume (ihr wisst schon, diese Zappel-Dinger, die Ende der 80er wahlweise auch als Cola-Dose zu bekommen waren), die davon träumt, im Showbiz ganz groß raus zu kommen) oder Dinah (eine T-Rex-Dame aus Legosteinen, die der größte Fan von Funky Phil ist) oder Fred und Frieda (ein Frosch-Pärchen, das ständig Regentänze im Garten aufführt) oder Captain Plankbeard (ein Pirat, der weder weiß, wo er einst seine Schätze vergraben hat, noch wo er sein Piratenschiff geparkt hat) oder, oder, oder… . Es ist schon wirklich bemerkenswert, wie witzig, liebevoll und clever all die Nebenfiguren in diesem Spiel gestrickt sind. In Chibi-Robo hätte fast jede dieser Figuren ein eigenes Spin-Off verdient!
Aber kommen wir lieber zum eigentlichen Helden:
Chibi-Robo ist geschätzte 10 Zentimeter groß (daher u.a. der Vergleich mit Pikmin) und von Hause aus eine praktische Haushaltshilfe. Allerdings hat ihn der spielzeugbegeisterte Vater eigentlich als Geschenk für Jennys 8. Geburtstag gekauft und wohl weniger die praktische Seite des Ganzen im Kopf gehabt. Übrigens gegen den ausdrücklichen Willen von Mutter Sanderson, da die Kassen der Familie mehr als leer sind, seit Dad arbeitslos ist.
Zum Lieferumfang gehören außerdem das kleine Chibi-Haus, quasi die Schaltzentrale für den Roboter, und Telly Vision, ein kleiner fliegender Fernseher, der sich selbst als Chibis Manager vorstellt. Im Gegensatz zu Chibi, der nur „Ja“ und „Nein“ in seinem Vokabular hat, kann sein Sidekick Telly reden und macht auch oft ausgiebigen Gebrauch von dieser Fähigkeit, wobei er neben nützlichen Tipps auch viel lustigen Käse von sich gibt.
Ähnlich wie bei den Sims oder auch Pikmin sprechen alle Figuren eine merkwürdige (und manchmal nervige) Fantasiesprache, die aber glücklicherweise untertitelt ist. Dieses Gebrabbel fügt sich aber eigentlich sehr gut in die übrige Soundkulisse ein, welche aus unaufdringlicher Musik und „musikalischen Soundeffekten“ besteht, was ausgezeichnet zur leicht skurrilen Grafik passt. Um mal ein Beispiel zu geben: Wenn Chibi mit einer ausgedienten (Drake-Redcrest-)Kinderzahnbürste Pfotenabdrücke von Tao vom Boden schrubbt, erklingen, anstelle von realistischen Geräuschen, flamenco-ähnliche Gitarrenakkorde.
Chibi-Robo hat anfangs ein kleines Problem mit seiner Energieversorgung, denn sein eingebauter Akku hat nur eine recht geringe Kapazität, was dazu führt, dass er in relativ kurzen Abständen eine Steckdose aufsuchen muss, um sich wieder aufzuladen (und bei dieser Gelegenheit auch gleich zu speichern). Dies geschieht über einen Stecker, der ihm gewissermaßen aus dem A**** hängt. Dies führt, zusammen mit dem Tag-und-Nacht-Wechsel des Spiels, anfänglich dazu, dass einem das Gameplay etwas zäh vorkommt. Aber keine Sorge, mit jedem Aufstieg in der Chibi-Robo-Weltrangliste erhält der kleine Held vom Hersteller einen etwas stärkeren Akku als Belohnung, so dass das Aufladen nach relativ kurzer Zeit kaum noch den Spielfluss bremst und eher zu einem strategischen Spielelement wird. Auch den Tag-und-Nacht-Wechsel empfand ich persönlich nicht als störend, da auf diese Weise ein klein wenig Zeitdruck für aufwendigere Aktionen entsteht, der dem Spiel nicht schadet, sondern es bereichert, weil man ein wenig Zeitplanung betreiben muss. Wer die Pikmin-Spiele kennt, kann sich in etwa vorstellen, wie das läuft. Allerdings gibt es hier kein Tages-Limit, das den Spieler wie im ersten Pikmin-Teil nachhaltig frusten könnte, weil einem die Zeit davon rennt. Schafft man etwas nicht mehr rechtzeitig vor dem Tageszeitenwechsel, so erledigt man es eben danach. Und dies ist auch symptomatisch für das ganze Spiel: Chibi-Robo ist nicht wirklich schwer. Sterben kann man auch nicht. Es ist ein Spiel wie ein gutes Buch, das man am besten mit heißem Kakao und Keksen genießt…
Wobei: 20-30 Stunden Spielzeit mit Kakao und Keksen zu verbringen dürfte dann wohl doch zu leichten Mangelerscheinungen führen. Macht mich also bitte nicht für etwaige Skorbutausbrüche verantwortlich…
Neben den dezenten Anzeigen für die Tageszeit und dem Akku-Ladezustand stört kein unnötiger Interface-Schnick-Schnack die Sicht auf die Umgebung. Die Anzeige für die Punkte, das Geld und den Schrott (das erkläre ich gleich noch…) wird nur eingeblendet, wenn man etwas davon erhält oder ausgibt. Des Weiteren kann man eine Übersichtskarte über den jeweiligen Raum aufrufen, in eine zoombare Ego-Perspektive schalten, welche zum Erkunden der Umgebung ebenso wichtig ist wie zum Zielen mit dem Chibi-Blaster (Erklärung folgt ebenfalls später…) und einige Inventar-Menüs aufrufen. Neben der Übersicht über die erlangten Plaketten (diese bekommt man für erledigte Quests), sind das Item- und das Ausrüstungs-Inventar relativ wichtig. Im ersteren sieht man wichtige Gegenstände, die Chibi gesammelt oder gekauft hat. Hier kann man teilweise Hinweise über deren Zweck bekommen. Eingesetzt werden die Items kontext-sensitiv, was den insgesamt sehr positiven Eindruck der Steuerung unterstreicht. Spricht man einen Charakter an, so bringt dieser automatisch das Gespräch auf einen wichtigen Gegenstand, so man diesen im Inventar hat.
Im Ausrüstungsmenü kann man Chibi-Robo mit wichtigen Werkzeugen ausrüsten, welche aber zunächst einmal gefunden bzw. gekauft werden müssen. Hier findet man dann so nützliche Dinge, wie z.B. den Chibi-Copter, mit dem Chibi auch fliegen kann, oder besagte Zahnbürste zum Schrubben oder einen Teelöffel, der als Schaufel dient, oder eine Kinderspritze, die mit allerlei Flüssigkeiten gefüllt werden kann, oder auch das Chibi-Radar, das einem beim Auffinden von versteckten Items hilft. Außerdem kann der kleine Roboter hier den schon erwähnten Chibi-Blaster ausrüsten, mit dem er Geheimtüren aufschießen, aber auch die bösen Spydorz erledigen kann. Zu den Spydorz kann ich leider ebenso wenig erzählen, wie zu den Aliens oder Giga-Robo, da dies dann doch zu viel der Spoilerei wäre. Erwähnen möchte ich in diesem Zusammenhang nur, dass es neben Happy-Punkten und Geld auch noch eine Anzeige für Schrott gibt, welchen man von erlegten Spydorz erhält. Hat man genug Schrott gesammelt, kann man im Chibi-Haus Hilfs-Roboter kreieren, welche einem als Brücke oder Leiter dienen, um in neue Bereiche des Hauses vorzudringen…
Zusätzlich zu den Werkzeugen, kann man Chibi im Ausrüstungsmenü auch noch in diverse Kostüme stecken, die man nach und nach erhält. Aber anders als bei vielen anderen japanischen Spielen (Sailor Moon-Kostüm, anyone?), erfüllen die Kostüme alle ihren Zweck und sind oft sehr wichtig für das Lösen von Rätseln.
Nachdem ich nach meiner (wie immer) völlig abwegigen Einleitung und der Schwärmerei für den starken narrativen Aspekt des Spiels doch noch ein paar Worte über das Gameplay verloren habe, ist es nun Zeit für ein paar abschließende Sätze (meine Deutschlehrerin wäre verdammt stolz auf mich!):
Ich könnte jetzt dumme Floskeln dreschen, wie beispielsweise „den GameCube ein letztes Mal entstauben“ oder „am Ende seiner Lebensspanne doch noch ein gutes Cube-Spiel“, aber das erspare ich Euch mal. Zudem weiß der geneigte Stammleser ja eh, dass ich Nintendo allgemein und den Cube im Besonderen nach wie vor sehr mag. Und bei mir gibt es ohnehin nichts zu entstauben, weil ich ja den Chibi-Robo habe (Brüller! *Tusch*).
Chibi-Robo ist sicherlich nichts für Jedermann, denn spielerisch harte Herausforderungen sucht man hier vergebens. Das Spiel will eigentlich nur eines: Auf möglichst nette und niedliche Art entspannt unterhalten. Und dies gelingt auf voller Linie! Es sei denn, man lässt sich von der Verpackung und der Oberfläche täuschen und somit das Spiel als vermeintlichen Kinderkram bzw. japanischen Schwachsinn im Laden liegen, was ein wirklich großer Irrtum wäre. Klar, man kann Kinder (so ab 7-8 Jahren) und Japaner ohne Bedenken damit spielen lassen, aber es nur auf diese beiden Zielgruppen zu reduzieren, täte diesem tollen Spiel wirklich großes Unrecht. Es gibt nämlich noch eine weitere Zielgruppe: Junkies, die sich nicht vom Mainstreambrei ihre kostbare Freizeit stehlen lassen wollen, sondern auf der Suche nach dem Besonderen sind. Junkies, die krank-geniale Ideen und viel Liebe zum Detail zu schätzen wissen. Junkies, die auch Katamari oder Pikmin für Meilensteine der Spielgeschichte halten. Junkies eben…!
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