Moin! Heiko hier.
Ich hab‘ heute zusammen mit Gerd ein neues Getriebe in den Passat vom alten Kröger einbauen müssen. Das gab dem geschätzten Kollegen ausgiebig Gelegenheit, mich wieder mit seinen Weisheiten zu Videospielen vollzutexten. Thema heute: „Der skandalöse DLC für Dead Space 3“. Gerd hat sich darüber ausgelassen, dass es ja eine bodenlose Frechheit von EA sei, ihm erst 60 Ocken für das Spiel abzuknöpfen und dann noch mal extra die Hand für unverzichtbaren DLC aufzuhalten. Ein Skandal sei das. Mal unter uns: Gerd ist ein Idiot. Nicht nur weil er mit Ende Dreißig noch bei seiner Mutter wohnt, sondern weil er jeden Scheiß nachplappert, den er in den Magazinen liest. Ich hab‘ DS3 auch gespielt. Allerdings ohne den DLC, weil man den nämlich gar nicht braucht. Gutes Spiel, übrigens. Jedenfalls hat der Gerd noch mal um die 30 € für den ganzen Booster-Krams ausgegeben und sich dann nachher darüber beschwert, dass das Spiel viel zu kurz und null spannend gewesen sei. Naja, wenn man noch nicht zu viel Benzindämpfe eingeatmet hat, könnte man da unter Umständen einen Zusammenhang herstellen, aber Gerd ließ sich nicht von seinem „Skandal“ abbringen.
Aber es kam noch besser: Während wir also das alte Getriebe ausbauen und uns unterhalten, kommt unser Stift, der Justin, vorbei geschlafwandelt und meint, DLCs seien voll geil. Er hätte immer komplett alle DLCs für das jeweils aktuelle Modern Warfare. Die bräuchte man sowieso, wenn man Online zockt. Ich hab‘ ihm daraufhin gesagt, er bräuchte gleich `ne neue Lehrstelle, wenn er nicht bald die Inspektion am Focus von der Billerbeck fertig hätte. Soweit kommt das noch, dass sich so’n 17jähriger Kappenträger in unsere Erwachsenengespräche einmischt. Ich hab‘ schon Videospiele gespielt, da ist der noch mit der Tröte um den Weihnachtsbaum gelaufen…
Egal. Wo war ich? Ah ja, Gerd und sein Skandal. Spielehersteller, die ausprobieren, wie weit sie beim Geldverdienen gehen können, sind kein Skandal. Das machen Autohersteller genauso. VW lässt sich bis heute sogar den Aschenbecher im Auto extra bezahlen. Nennt sich Marktwirtschaft. Ich sach zu Gerd: „Gerd, weißt Du überhaupt, was ein Skandal ist? Wenn Du Pastor Lehkemper auf dem Gemeindefest beim Knutschen mit Deiner Mutter erwischen würdest, das wäre ein Skandal! Aber nicht wenn Firmen versuchen, Honks wie Dir so viel Geld wie möglich aus der Tasche zu ziehen.“ Danach war erst mal Sendepause…
Ja, ich weiß, ich bin nicht besonders nett zum Gerd. Aber ich kann es einfach nicht ab, wenn Leute stumpf irgendwelche Schlagzeilen nachplappern. Da macht es keinen Unterschied, ob es der übliche Frühstückspausendreck aus der BILD oder das Gelaber von diesem Demagogen-Mops Jim Sterling ist. Ich finde auch vieles von dem, was die Publisher in letzter Zeit so alles versuchen, nicht gut, aber letztendlich gehören zum Abzocken immer noch zwei; einer, der’s versucht, und einer, der es mit sich machen lässt. Es könnte alles so einfach sein, wenn sich nicht so viele Videospieler wie Heroinabhängige auf der Suche nach dem nächsten Schuss verhalten würden …
Wenn wir hier nicht nebenbei auch noch `n bisschen Arbeiten müssten, hätte ich Gerd auch erklären können, woher es überhaupt kommt, dass sich Teile der Fachpresse in den letzten Jahren immer mehr auf GALA-Niveau bewegen: Man will weg vom langweiligen Waschmaschinentest der 80er und 90er. Finde ich vom Prinzip her auch super, nur leider rutschen einige dabei in die Gefilde der Regenbogenpresse ab. Gerüchte und Skandale verkaufen sich fast so gut wie Sex. Nur leider hat die Spielebranche kaum vorzeigbare Stars und die wenigen, die es gibt, sind schlau genug, nicht ihr Privatleben in die Öffentlichkeit zerren zu lassen, so wie es bei Film- und Rockstars oft der Fall ist. Und was macht man, wenn man keine Britney hat, die sich mit rasiertem Schädel und ohne Unterwäsche besoffen hinterm Steuer ihres Wagens erwischen lässt? Man kann sich ja schließlich nicht jeden Tag über die Spinnereien eines Peter Molyneux lustig machen oder über Cliffy B’s neue Strähnchen ablästern. Also macht man aus jedem Marketing-Pups der Publisher einen ausgewachsenen Skandal. Gut, ich persönlich lege mit dieser Art von Sensationsjournalismus maximal den Hamsterkäfig aus, aber mehr Auflage bzw. Klicks bringt das allemal. Wer immer noch glaubt, Videospiele wären ausschließlich ein Hobby von halbwegs aufgeklärten Menschen, der kennt unseren Justin nicht …
So ganz tot war das Thema dann heute aber doch noch nicht: Beim Aufräumen kurz vor Feierabend meinte Gerd zu mir, dass ein Skandal an sich ja auch immer relativ sei. Und wo er Recht hat, da hat er Recht. Die Hot-Coffee-Mod für GTA San Andreas ist ein schönes Beispiel: Bei uns hat das lächerliche Ding nicht mal für ein müdes Schulterzucken gereicht, während die prüden Amerikaner damals voll drauf abgegangen sind. Gerd nickte zustimmend. Und so hätte dieser Arbeitstag fast in ungewohnter Eintracht enden können, wenn sich Justin nicht noch mal ungefragt eingemischt hätte: „Aber echt! Das Sexismus-Gelaber letztens um das neue Tomb Raider war auch so ein Quatsch! Dabei haben die Laras Möpse doch schon von Teil zu Teil immer kleiner gemacht. Was wollen die eigentlich noch?! Das mit den Möpsen ist doch der eigentliche Skandal!“
Gerd und ich sahen uns stumm an. Unser Justin, der meint, dass neben der Tieferlegung und dem Monster-Subwoofer im Kofferraum selbstverständlich auch eine minderjährige Blondine auf dem Beifahrersitz zur Grundausstattung eines 3er BMWs gehört, kennt das Wort „Sexismus“? Es passiert nicht oft, aber ich brauchte tatsächlich ein, zwei Sekunden, um die passenden Worte zu finden: „Mein lieber Justin, wenn man ganz offensichtlich keinen Schimmer hat, wovon man redet, dann hält man besser ganz die Klappe. Genau wegen Blödsinn wie diesem lassen wir Dich auch nicht mit den Kunden reden. In meiner Werkstatt dulde ich keinen sexistischen Blödsinn!“ – Zumindest seitdem meine Frau alle Nackedei-Poster im Betrieb konfisziert und mir tagelang Vorträge über das Thema gehalten hat … – „Zu kleine Möpse? Skandal? Ich geb‘ Dir gleich Skandal! Sieh zu, dass Du zu Ende fegst, damit wir den Laden endlich dicht machen können, Du Luftpumpe!“ – Das ist übrigens wirklich ein Skandal: Man bekommt heute einfach keine guten Auszubildenden mehr…
So, war nett mit Euch zu schnacken, aber ich muss jetzt wirklich los. Munter bleiben!
Heiko ist ein selbstständiger KFZ-Meister irgendwo im Emsland. Ausgedacht hat ihn sich SpielerZwei für seine Kolumne „Heikos Garage“ in der WASD. Dieser Text wurde im März 2013 für die 3. WASD-Ausgabe mit dem Heft-Thema „Skandal“ geschrieben. (Mit Dank an Markus Weissenhorn für das schicke Artwork!)
Neueste Kommentare