Bis dahin war alles gut gelaufen. Die vergangenen Wochen hatten Kraft gekostet, doch es war fast vorbei. Der Schlag riss mich aus meiner Apathie, ich stieg aus und begutachtete den Schaden. Mein Leihwagen wies nur einen Kratzer auf, der andere hatte eine große Beule. „Zum Glück bin ich versichert“, dachte ich. Doch war mir in diesem Moment nicht bewusst, dass die Selbstbeteiligung bei eintausend Euro lag. Umzüge sind ein Kraftakt, selbst die gut geplanten. Da ich nicht planen kann, sind meine Umzüge besonders anstrengend. Dieses Mal musste ich das halbe Land durchqueren und arbeitete zum Zeitpunkt des Umzuges bereits anderthalb Wochen in der neuen Stadt. Als ob das nicht reichte, musste der Umzug innerhalb eines Tages erfolgen. Freitags quer durchs Land zur alten Wohnung, nachts einen Parkplatz finden und einige Kisten einräumen. Wenig Schlaf, zu zweit Möbel und mehr Kisten einräumen, mittags zurück, einen Parkplatz an der neuen Wohnung finden und dann der Schlag.
Die Polizisten nahmen die Unfalldetails gut gelaunt zu Protokoll. Ich räumte den Transporter leer und rammte auf dem Weg zur Vermietung noch fast einen Rettungswagen. Die Rechnung für den Schaden nahm ich regungslos entgegen und ging zur U-Bahn-Station. Ich war ermattet und konnte mich nicht mehr aufregen. In den nächsten Tagen zahlte ich die Rechnung, ging arbeiten und richtete meine neue Wohnung ein. Ich baute Bett, Sofa, Fernseher und Xbox 360 auf. Das genügte. Dann legte ich ein Spiel ein, das ich mir bereits vor Jahren gekauft, seitdem jedoch nicht angerührt hatte.
Das erste Metal Gear Solid war ein Hit der Playstation-Ära. Dass es bereits zwei Vorgänger gegeben hatte war mir damals ebenso wenig klar wie die Tatsache, dass die deutsche Synchronisation des Spiels grauenhaft war. Als junger Mann kannte ich nur wenige Spiele mit Sprachausgabe, lokalisierte Titel gab es kaum und meine Ansprüche waren gering. Die zahlreichen Filmzitate verstand ich nicht, auch der Name „Hideo Kojima“ war mir unbekannt. Doch ich genoss Metal Gear Solid und war beeindruckt von Technik und Umfang des Spiels. Zwar kaufte ich die Playstation 2, doch spielte ich seltener als früher und verpasste Metal Gear Solid 2 und 3. Erst mit der HD-Wiederveröffentlichung auf PS3 und Xbox 360 wurde ich auf die Spiele aufmerksam. Ich kaufte mir das Bundle kurz nach Erscheinen, legte die Disc aber 2013 erstmalig ein.
Ich begann mit Metal Gear Solid 2: Sons of Liberty, dessen Handlung fast ausschließlich auf einer Bohrinsel stattfindet. Der Protagonist ist nicht der aus dem Vorgänger bekannte Solid Snake, sondern der junge Agent Raiden. Zwar war es fast anderthalb Jahrzehnte her, dass ich den Vorgänger gespielt hatte, doch konnte ich mich sofort für das Spiel begeistern und beendete es zügig. Die Geschichte war wirr und voller Zitate und Anspielungen, wie schon im Vorgänger, doch dieses Mal verstand ich, durch fünfzehn Jahre Filmkonsum geschult, deutlich mehr. Nach der Endsequenz installierte ich Metal Gear Solid 3: Snake Eater und startete es, guckte aber nur den Vorspann. Ich hatte plötzlich keine Lust mehr auf diese Reise in die Vergangenheit und schaltete ab.
Als ich Metal Gear Solid spielte, wohnte ich noch bei meinen Eltern. Ich hatte die Schule abgeschlossen, war wirr um Kopf und überlegte, wie es mit mir weitergehen sollte. Den zweiten Teil der Serie spielte ich, als ich vor der Beendigung meines zweites Studiums und kurz vor dem Umzug in ein eine andere Stadt stand. Nun, zu dem Zeitpunkt an dem ich mit Metal Gear Solid 3 begann, hatte ich wieder einen großen Umzug hinter mir und zudem eine neue Stelle in einem neuen Berufsfeld angetreten. Ob Zufall oder “planned happenstance”, Metal Gear scheint mich besonders zu reizen, wenn mit mir und um mich Veränderungen geschehen.
An die Steuerung des ersten Metal Gear Solid erinnere ich mich nicht. Gab es damals bereits die Analog-Sticks? Ich habe keine Ahnung. Die Steuerung von Snake Eater aber gleicht im Wesentlichen der von Metal Gear Solid 2, und so fand ich mich schnell zurecht. Der Protagonist war weder Solid Snake noch Raiden, sondern der junge Big Boss, der in MGS2 noch der Antagonist war. Das Ausbreiten der Hintergrundgeschichte von Metal Gear spare ich mir, selbst Gewieftere scheitern daran. Freunde der Spieleserie kennen sich ohnehin aus und Neulinge fänden auch durch meine Ausführungen keinen Zugang. Nur so viel: Es geht um Ehre, Doppel-, bis Triple-Agenten und nicht weniger als die Weltverschwörung. Nichts ist wie es scheint. Und alles ist wie es nicht scheint. Nur schlimmer.
Das Jahr 1964: Big Boss, der im Spiel noch unter Naked Snake firmiert, beginnt seine Mission im russischen Dschungel. Im Auftrag der US-Regierung soll er den an einer Superwaffe arbeitenden Wissenschaftler und Überläufer Dr. Sokolov aus der Hand des Colonel Volgin befreien, der ihn zum Bau einer überlegenen Angriffswaffe zwingt. Bald trifft Naked Snake auf seine Mentorin The Boss, die samt ihrer Einheit die Fronten gewechselt hat und nun im Kalten Krieg für die Russen kämpft bzw. für Colonel Volgin. Dieser hat sich vom Zentralkommando in Moskau abgewendet, verfolgt eigene Ziele und tendiert in Richtung Größenwahn und Massenvernichtung. Das erste Aufeinandertreffen mit The Boss ist dramatisch, Sie entwaffnet Snake und verwundet ihn. Was folgt, lässt sich mit dem Begriff „batshit insane“ zusammenfassen. Kojimas kalter Krieg ist voller Referenzen und Albernheiten. Begegnungen mit einer halbnackten, Motorrad fahrenden Doppelagentin oder einem hundertjährigen Scharfschützen gehören ebenso dazu. wie das Verstecken in einem Pappkarton.
Neuerungen gegenüber dem Vorgänger sind das Camouflage- und das Cure-Feature: Das erste ermöglicht die Tarnung durch der Umgebung entsprechende Kleidung. Das zweite zwingt Snake seine Verletzungen unter Einsatz verschiedener Mittel selbst zu versorgen. Zudem muss regelmäßig gegessen werden, entweder abgepackte Rationen oder erlegte Tiere. Statt in den engen Räumen einer Bohrinsel, spielt Snake Eater häufig in weiten Arealen, in Wäldern, den Bergen oder in einem Sumpfgebiet. Die Umgebung sieht hübsch aus und die serientypischen Bossgegner agieren wunderbar vor dem Hintergrund des Settings. Besonders gefallen hat mir der James Bond-Bezug, vom Titellied bis zu der Geschichte um die Ereignisse des kalten Krieges. Und obwohl der Endkampf und der eigentliche Endkampf nach dem, was ich für den Endkampf gehalten hatte, meine Nerven strapazierten, genoss ich die Auflösung und die Endsequenz sehr. Kojimas Hang zum Überzeichneten, Dramatischen und Abgeschmackten stößt viele ab, ich fühle mich davon angezogen. Ich weiß nicht, ob sie absichtlich zu einem Desaster aus Krampfsteuerung und Kameraperspektiventerror wurde, doch visuell und erzählerisch ist die finale Konfrontation mit The Boss ein Höhepunkt. In der abschließenden Filmsequenz entspannte ich mich, verknüpfte Handlungsfäden und ordnete meine Gedanken. War der letzte Kampf ein spielerischer Alptraum, um das anschließende Erlösungsgefühl zu verstärken? Traue ich Kojima zu viel zu, wenn ich so denke? Was es auch war, es war großartig.
Zu sagen, dass Snake Eater bis jetzt mein Lieblings-Metal Gear Solid ist, fällt leicht. An den ersten Teil der Reihe habe ich kaum Erinnerungen, ich kann also nur den Vergleich zu zweiten anstellen. Und in dieser Gegenüberstellung gefällt mir Snake Eater deutlich besser. Ein wenig liegt das an den verbesserten Spielmechaniken, stärker noch am Setting und der Spielfigur. Der russische Dschungel bietet mehr Interessantes als die Ölbohrplattform und Snake ist mir näher als Raiden. Zwar bin ich kein Raiden-Basher, bevorzuge aber auch Snake (ob Solid oder Naked ist mir gleich) als Hauptcharakter. Allein das Geknurre des David Hayter weckt Nostalgie in mir. Und dank einer durch John Wayne und He-Man geprägten Kindheit, sympathisiere ich mit Raubeinen und Einzelkämpfern. Es bleibt abzuwarten, wie sich der Wechsel von Hayter zu Kiefer Sutherland als Sprecher auswirkt. Da ich Ground Zeroes noch nicht gespielt und kaum Videomaterial zu The Phantom Pain gesehen habe, kann ich noch nicht beurteilen, ob die neue Stimme die Figur sich von mir entfernen lässt. Das werde ich erst beim Spielen herausfinden.
Doch bevor ich den fünften Teil angehe, möchte und werde ich Metal Gear Solid 4: Guns of the Patriots durchspielen. Die 25th Anniversary-Edition habe ich mir bereits vor einiger Zeit gekauft und die Chancen stehen gut, dass ich es bis September schaffe. Denn ich bin wirklich scharf auf The Phantom Pain und möchte es am liebsten sofort einlegen, wenn es herauskommt. Und der Komplettist in mir zwingt mich dazu, vorher Teil vier und Ground Zeroes nachzuholen. Peace Walker, den PSP-Teil, spare ich mir, da Zeit wie Lust dafür fehlen und meine Zwanghaftigkeit für ein Spiel in besserer PS1-Optik nicht ausgeprägt genug ist. Doch Guns of the Patriots ist bereits auf meiner PS3 installiert, es wartet auf mich. Und dieses Mal werde es nicht liegen lassen, bis eine weitere Zäsur in meinem Leben bevorsteht. Man darf nicht bei allem darauf warten, dass der richtige Zeitpunkt eintritt. Gelegentlich muss man einfach etwas tun.
5 Kommentare
..ein Spiel in besserer PS1-Optik..Meh!
Peace Walker wurde für die PSP entwickelt, ist also eher PS2 als PS1. Die HD Version auf der PS3 sieht gut genug aus und macht ordentlich Spaß. Die Steuerung ist eher an MGS4 angelehnt. Auch Phantom Pain scheint in einzelne Missionen aufgeteilt zu sein, die wiederholt durchgespielt werden können. Nicht dass Du später einen Artikel schreibst, in dem Du Dich beklagst, dass Du nie Peace Walker gespielt hast.
BTW: es gibt ein Dino Bonus Level!
Naja, vielleicht hätte ich schrieben sollen: “Schlechtere PS2-Optik.” ;) Aber eigentlich ist die Grafikqualität auch gar nicht der ausschlaggebende Grund für mich, das auslassen zu wollen. So gern ich MGS mag, das sind schon ziemliche Zeitfresser. Und als Berufstätiger musst du dir die Zeit für’ Spielen schon gut einteilen. Da ist es immer ein bisschen doof in der Kiste mit den alten Sachen zu kramen, obwohl schon genug Neues auf dem Tisch liegt, auf das ich auch richtig Bock habe.
Obwohl Dino-Level natürlich reizvoll klingt, hm… Ach, vielleicht gucke ich nach MGS4 doch mal kurz in Peace Walker rein!
Ich würde auch glatt sagen wollen, Peace Walker würde sich hinblickend auf Phantom Pain eher lohnen als Guns of the Patriots. Nicht nur wegen der Handlung, sondern wie Ove Gamer es schon sagt, den spielerischen Aspekten. Nach Portable Ops haben sie dort die Spielmechaniken wie den Basen-Bau, bzw. der Rekrutierung von Söldnern weiterentwickelt. Auch verstärkt eingesetzt wurden dort die Side-Ops, bzw. das missionsbasierte Gameplay.
Es wirkte auf mich nach dem fast schon depressiven Guns of the Patriots vor allem auch nach einem Spiel, bei dem Kojima wieder Spaß an der Entwicklung hatte. Den Eindruck hatte ich, als ich während dem Spielen neue, kleinere Features freispielte. Er ist auch nicht mehr an den Canon vorheriger Spiele, die eigentlich auch keinen Nachfolger haben sollten, gebunden und kann sich nun mit einen frischen Thema austoben. Wohl auch, weil sie mit einen “kleineren” PSP-Ableger ruhig mehr experimentieren konnten.
Wobei die Handlung zugegeben etwas weird werden kann und scheinbar nicht viele Leute Peace Walker bevorzugen. Es ist auch nicht das beste Metal Gear, aber das ist alles vielleicht auch ein Thema für einen anderen Zeitpunkt. Gut, so verkehrt ist MGS4 auch nicht.
Ach, noch völlig vergessen: Phantom Pain (und Ground Zeroes) haben auch die selbe Umschreibung wie Peace Walker: Tactical Espionage Operations, anstelle der Tactical Espionage Action.
So, genug kluggeschißen :>.
Ich finde MGS4 so klasse, das gibt es gar nicht. Und ja, ich spiele alles, alles! Ich kaufe mir sogar Twin Snakes, uaaah!