Ich hasse nichts mehr als Frauenklischees. Man hört oft, der Traum einer jeden Frau sei ein begehbarer Kleiderschrank für ihre Massen an ungetragenen Shoppingtrophäen. Was ein entwürdigender Schwachsinn! Mein einziges Paar neutralschwarzer Turnschuhe wird so lange getragen, bis meine Mutter mir androht, zu meinem Geburtstag mit mir einkaufen zu gehen. Ich will mir morgens gar nicht den Kopf darüber zerbrechen, was ich anziehe. Schließlich gibt es so viel wichtigeres, dem ich meine Zeit widmen möchte. Aktuell wären das zum Beispiel meine ausgedehnten Wanderungen mit Voodina durch Sanktuario.
Voodina ist allerdings das krasse Gegenteil von mir. Sie ist ein Fashion Victim wie er im Buche (oder dem beim Friseur ausliegenden, abgegriffenen Frauenmagazin) steht, immer darauf bedacht für jeden Anlass ein passendes Outfit griffbereit zu haben. Ihre besondere Vorliebe gilt dabei natürlichen Materialien und sanften Grüntönen, die sie zwischenzeitlich wie eine exzentrische Mischung aus Hippiebraut und Medizinmann aussehen lassen. Sicher nicht die alltagstauglichsten Modelle. Was sie trägt ist entweder maßgeschneidert oder sie bringt es von ihren Reisen an exotische Orten mit nach Hause. Weiß der Geier, wo sie das alles her bekommt… Ich frage lieber nicht nach, denn die Antwort würde mir wahrscheinlich nicht gefallen. Morgens steht Voodina oft stundenlang vor ihrer Kleidertruhe und es fällt ihr schwer, sich für ein Outfit zu entscheiden. Diese Stiefel sehen gut aus… aber etwas grob wirken sie. Dafür muss die Kopfbedeckung dann mehr Intelligenz ausstrahlen. Man will ja schließlich passend für jedes bevorstehende Ereignis gekleidet sein und nicht wie ein Dorftrampel herumlaufen.
Sie war nicht immer so. Es gab eine Zeit, da sah sie sich die Auslagen der Billigläden an und trug Klamotten ohne Label. Damals lachte sie noch über die Vorstellung, sie könnte ihr hart erarbeitetes Geld für so etwas Überflüssiges wie einen größeren Kleiderschrank ausgeben. Aber sie wurde immer anspruchsvoller. Zu ihrem letzten runden Geburtstag beschloss sie, dass es Zeit wäre, sich etwas zu gönnen. Zu diesem Zeitpunkt hatten wir eigentlich geplant, in die Berge zu reisen. Etwas worauf wir beide uns seit langem gefreut hatten. Aber auf einmal war etwas anderes wichtiger… Voodinas Truhe war voll. So voll, dass sie ständig einen Rucksack mit den Kleidungsstücken herumschleppte, die nicht mehr hineinpassten. Ihre Laune war entsprechend gedämpft und es machte keinen Spaß mehr, mit ihr zu reisen. Ständig meckerte sie herum, dass ihr Rücken schmerzte oder sie fragte, wie weit es denn bitte noch bis zur nächsten Stadt sei. Also gab ich nach und unterstützte sie dabei, die größte Truhe zu bekommen, die es käuflich zu erwerben gab.
Wir nahmen entsetzlich langweilige Nebenjobs an, die weit unter unserem Niveau lagen, um das Geld dafür zu verdienen. Es dauerte ewig bis wir genug zusammen hatten. Ich frage mich, ob es das wirklich wert war. Das Geld hätte man hervorragend in eine bessere Ausrüstung für unsere bevorstehende Klettertour investieren können. Und Voodinas Privatschneider, der ihr überall hin folgte, bat schon seit langem um eine Gehaltserhöhung. Ja, sie besaß inzwischen sogar einen Privatschneider. Während wir darauf hinarbeiteten, ihre große Truhe bezahlen zu können, fragte ich sie vorsichtig, ob sie nicht einige ihrer Habseligkeiten verkaufen könnte. Brauchte sie wirklich diese beiden völlig identischen Ringe, die sie nie trug? Entrüstet riss sie sie mir aus der Hand. Natürlich, schließlich konnte man ja mehr als einen Ring tragen! Wertvoll waren sie nicht, aber sie wollte sie behalten, weil es ihre ersten Ringe gewesen waren. Daran hingen Erinnerungen. Außerdem gab sie zu bedenken, dass es in ihrem Freundeskreis einige arme Kinder gäbe, die sich über ein solches Geschenk irgendwann einmal freuen könnten. Wenn sie alt genug seien. Bis dahin verwahrte sie alles in ihrer aus allen Nähten platzenden Truhe.
Als der Tag endlich gekommen war, an dem die große Truhe geliefert wurde, war ich erleichtert. Voodina hatte hervorragende Laune und brachte Stunden damit zu, ihre Besitztümer zu sortieren. Ich freute mich für sie, war aber gleichzeitig ein wenig enttäuscht darüber, dass wir unsere weiteren Reisen hierfür verschoben hatten. Und eigentlich hätte ich von dem Geld zu gerne diese merkwürdige Glocke gekauft, die mir das geschwätzige Mädchen auf der Straße angeboten hatte.
P.S. Während ich den Header bearbeitet habe, hat das Spiel übrigens die Verbindung zum Server verloren, weshalb die auf dem Boden zu sehenden Rüstungsteile nun keinen Platz mehr in der Truhe einnehmen können…
5 Kommentare
Auch ich, der ich mich im realen Leben eher zweckgebunden Kleide, neige diesbezüglich in Videospielen zur Verspieltheit. Von der Farbe der Rüstungsteile meines Commander Shepard bis hin zum passenden T-Shirt meines XBL Avatars. Immer diese schwerwiegenden Entscheidungen… *seufz*
Vielen Dank für diesen tollen Artikel. Ich musste beim Lesen lauthals lachen und erkenne mich auf beiden Seiten wieder. Aus dem Leben gegriffen :-)
Bin ich der einzige Diablo 3 Spieler, der NICHTS, aber auch wirklich NICHTS in seiner Truhe hat?
Ich habe nur ein SET, fertig. Gefundene Gegenstände weren angezogen oder weggeworfen. Ich verkaufe sie nicht einmal. Edelsteine weredn eingesetzt oder nicht. Nichts gecraftet.
Fertig.
Ich muss wohl zum Psychater…
Ich habe anfangs auch meine Kiste ausgebaut und bis oben hin mit abgelegten gelben Items vollgestopft. Das erwies sich aber schnell als Geld- und Zeitverschwendung, nachdem ich die Zusammenhänge zwischen Char-Level, Item-Drops und Gold-AH durchschaut hatte…
Mir gehts da genau wie im echten Leben: Ich hebe altes Zeug auf, dass ich irgendwann mal gerne getragen habe, auch wenn ich es ganz sicher nie mehr anziehen werde… voll ausgebauter Kleiderschrank platzt aus allen Nähten.