Grand Theft Auto – Spiele sind mehr als nur Gangstergeschichten. Es sind kleine, in sich geschlossene Welten. Ein Mikrokosmos auf DVD gepresst, damit sich große Kinder darin verlieren können. Wer nicht mehr im Sandkasten spielen darf, der lehnt sich auf dem Sofa zurück, nimmt das Gamepad zu Hand und verschwindet auf einem viel größeren Spielplatz.
Dieser Spielplatz hat in GTA IV fast unangenehm detaillierte Ausmaße angenommen. Konnte ich im dritten Teil noch locker den schnellsten Weg von einer Insel zur nächsten auswendig, brauche ich jetzt schon ein GPS System, weil ich mich ansonsten bei den verschiedenen Auffahrten der Schnellstraßen verfahre. Ohne die grüne und gelbe Linie auf der kleinen Karte im linken Bildschirmrand wäre ich in den ersten Stunden vollkommen verloren gewesen. Gleichzeitig nimmt mich die Routenplanung aber so stark an die Hand, dass ich wie ferngesteuert durch die Straßen kurve.
Kurven sind neuerdings auch so eine Sache. Die Autos steuern sich äußerst behäbig bis bockig, was dem Realismus gut tut, der Kurvenlage dagegen nicht. Wer nicht bremst, der landet unweigerlich an einer Hauswand und wer doch bremst muss viel Fingerspitzengefühl beweisen, um sicher über die Kreuzungen zu gelangen.
Die Auswahl der Gefährte geht von der Familienkutsche über den Jeep bis zum Sportwagen, wobei letztere naturgemäß sehr rar gesät sind. Eine alte GTA-Krankheit macht die Autosuche dabei zusätzlich schwer. Egal wo man gerade herumfährt, man kann sich sicher sein, dass das Auto in dem man sitzt, in der Umgebung am häufigsten zu finden ist. Wer also mit einem Hummer durch die Viertel brettert und ein Motorrad sucht, der wird sehr viele Hummer sehen und kein einziges Motorrad.
Ebenso merkwürdig ist der Anblick von größeren Parkplätzen. Vor dem Flughafen beispielsweise gibt es riesige Parkflächen für hunderte von Autos. Zu sehen sind aber nur etwa zehn und die verteilen sich auf zwei Automodelle. Es gibt doch mindestens 20 verschiedene Autos im Spiel. Warum zur Hölle stehen dann immer maximal drei verschiedene Modelle auf einem Parkplatz? Und warum holt niemals jemand sein geparktes Auto ab? So gut GTA IV auch darin ist, eine lebendige Stadt zu simulieren, stolpert der aufmerksame Spieler noch zu häufig auf logische Ungereimtheiten.
Warum stehen zum Beispiel die Busse in der Stadt nur am Straßenrand herum? Ich kann einsteigen und sie fahren, aber für den öffentlichen Nahverkehr werden sie nicht eingesetzt. Die Feuerwehr taucht auch nur auf, wenn mal ein Auto explodiert, ansonsten ist sie nirgends zu sehen. Nur die Müllabfuhr dreht ihre Runden.
Die Passanten laufen ohne Start und Ziel über die Gehwege. Wo sollen sie auch hingehen? Kaum ein Gebäude ist betretbar. Nur einige für Missionen wichtige Häuser haben offene Türen, die gesamte restliche Welt bleibt verschlossen. Wunderschön blinkende Werbung macht auf allerlei Geschäfte, Restaurants und sogar eine Videospielhalle aufmerksam, aber steht man schließlich davor, grinst einem eine feste Wandtextur entgegen.
Für all die negativen Punkte, die ich hier aufzähle, gibt es natürlich auch andere positive Beispiele. Kaum ein Passant gleicht dem anderen, es wird telefoniert, geschimpft, geraucht, mal stehen kleinere Gruppen zusammen und reden, vor einem der eigenen Verstecke flaniert ein Straßenprediger, der das Ende der Welt heraufbeschwört, und beginnt es in Strömen zu regnen, rennen die Menschen mit Zeitungen über dem Kopf durch die Straßen.
Das grafische Highlight und der wichtigste Punkt für eine lebendige Spielwelt ist der Tag- und Nachtwechsel zusammen mit dem Wetter. Wenn die Sonne gerade untergeht werden die Schatten länger, rot glitzert das Wasser im Hafen und eine träumerische Atmosphäre legt sich über Liberty City. Ganz anders präsentieren sich die Straßenzüge bei einem Gewitter. Dicht prasselt der Regen auf den Asphalt. Kurz erleuchtet alles in gleißendem Licht und dann kracht der Donner durch die Lautsprecher und setzt sich im Controller durch wilde Vibration fort.
Im Straßenverkehr hupen die anderen Fahrer einen zwar an, wenn man eine rote Ampel überfährt, aber selber vollführen sie halsbrecherische Spurwechsel, die schon mal die ein oder andere Flucht abrupt stoppen können. Flucht stoppen ist ein gutes Stichwort, um etwas über die Polizei zu schreiben. Die ersten drei Fahndungslevel sind mit einer brachialen Autoflucht schnell überstanden, hat man sich aber vier oder mehr Sterne eingehandelt ist eine Flucht fast aussichtslos. Neben normalen Polizisten jagen einen noch zwei Spezialeinheiten, die Armee ist komplett verschwunden. Dementsprechend gibt es leider auch keine Panzer zu klauen.
Wirkt es zuerst so, als ob es neben den Storymissionen nicht viel zu tun gäbe, entfalten sich nach und nach immer mehr Betätigungsfelder, in die man teilweise vom Spiel eingeführt wird und teilweise nicht. Drogen müssen transportiert, Autos geklaut, Rennen gewonnen, Kopfgelder eingesackt und Sprungschanzen entdeckt werden. Päckchen gibt es auch wieder zu finden, diesmal aber in Form von rot glühenden Tauben, die es zu erschießen gilt. Über den Polizeicomputer gelangt man an weitere Aufträge, die immer damit enden, dass irgendein Gangster ins Gras beißt.
Dann gibt es natürlich noch das neue Freunde-System. Mit bestimmten Charakteren können Treffen ausgemacht werden, zu denen der Spieler die Freunde abholt und in einen Strip Club, ein Restaurant, eine Bar, zum Bowling, Pool oder Dart spielen fährt. Das macht alles ein, vielleicht zwei Mal Spaß, danach wird es langweilig und zu einer lästigen Pflicht. Nach dem Kneipenbesuch betrunken Auto zu fahren sorgt erstmal für ein paar gute Lacher und danach selbst beim Betrachten für Kopfschmerzen. Bei den Minigames macht sich der Ansatz Rockstars, viele kleine Gimmicks ins Spiel zu packen, sehr negativ bemerkbar. Alles wird versucht, aber nichts gemeistert. Wenn ich eine Runde virtuelles Bowling spielen will, dann werfe ich die Wii an. Zum Glück können diese Treffen über das Handy ausgeschaltet werden und auch die ganzen Minigames sind natürlich optional. Wirklich gut haben mir nur die Besuche des Comedy Clubs und des Kabaretts gefallen. Hier kommt die irre Komik der Serie perfekt zur Geltung.
Überhaupt sind alle für das Spiel produzierte Medien wieder einmal perfekte Satire. Egal ob Radio- und Fernsehsendungen, Reklametafeln oder das spieleigene Internet, alles ist vollgestopft mit bissigen Kommentaren zu unserer industrialisierten Gesellschaft. Wer hier mit offenen Ohren und Augen durch die Welt wandert, kann wahre Perlen finden. Dieser wichtige Aspekt der Satire wird bei GTA sehr häufig übersehen.
Das Radioprogramm konnte erst nicht recht überzeugen. Zu viele Sender prasselten auf mich ein, zu viel Hip Hop und R’n’B dudelte aus den Lautsprechern. Nach einigem Suchen habe ich aber meine Nischenprogramme gefunden. Quasi wie im echten Leben. Radio Brooker bietet klasse Indie-Rock und Elektro-Musik, Liberty Rock Radio versorgt mit klassischem Rock und die zahlreichen Talksender laden zum längeren Lauschen ein.
Neben den etwa 30 Stunden für die Hauptstory habe ich nun noch weitere 10 mit den vielen kleinen Nebenaufgaben verbracht. Wirklich Spaß hatte ich in den letzten Stunden nicht mehr. Zu simpel und viel zu ähnlich sind die Aufgaben. Es gibt auch keinen wirklichen Grund sich zu beschäftigen, da das verdiente Geld nicht gebraucht wird. Wohnungen können nicht mehr gekauft werden, Kleidungsläden gibt es nur noch wenige und so viele Raketenwerfer kann ich gar nicht kaufen, wie ich Kohle habe.
Ich bin allgemein kein großer Online – Multiplayer Freund und nur wenige Spiele konnten mich länger als ein paar Runden im Internet halten. Selbiges gilt auch für GTA IV. Die Auswahl an Spielmodi ist groß, die Einstellungsmöglichkeiten noch größer und aus technischer Sicht kann ich den Entwicklern hier nichts vorwerfen. Auf mich wirkt der Onlinepart aber irgendwie seelenlos, steril und trist. So recht kann ich es nicht in Worte fassen, aber es zieht mich nicht zurück an den Controller und das ist wohl ein eindeutiges Indiz.
Jetzt habe ich mehrere hundert Wörter hier rumgesabbelt, eben noch mal die Konsole eingeschaltet, ein paar Laternen umgefahren und die Xbox 360 direkt wieder ausgeschaltet. GTA IV ist die logische Weiterentwicklung eines erfolgreichen Spielprinzips. Die Technik hat einige Schritte nach vorn gemacht, aber ansonsten hat sich nicht viel getan. GTA ist noch immer GTA und jeder sollte zumindest für ein paar Stunden in Liberty City vorbeischauen. Die Stadt ist zu schön, um sie zu verpassen. Wenn ihr jedoch aus eurem Auto aussteigt und euch genauer umschaut, dann erwartet nicht zu viel. Zumindest nicht in den Maßstäben der früheren Teilen. Für mich hatte der vierte Teil keinen langen Atem.
7 Kommentare
Mal ein Artikel, der nicht alles hochlobt. Da ich warten muss bis GTA IV auf dem PC erscheint, füttere ich mich mit GTA-Reviews durch, dieser Beitrag hat mal ein wenig mehr Kontrast reingebracht, danke
:)
GTA ist einfach nicht mein Spiel. Ich kenne alle Teile (bis auf die Handheld-Ableger) und nur ein einziger hat mir wirklich gefallen: Vice City.
Und selbst bei VC war es weniger das Spiel, sondern vielmehr das 80er-Jahre-Setting, welches mich eine Zeit lang bei der Stange hielt…
Schon witzig: Die großen Konsolen-Hypes der letzten Monate gingen alle an mir vorüber. Weder GTA IV noch Halo 3 haben mich die Bohne interessiert. Zurücklehnen und zuschauen ist aber auch sehr interessant!
Halo 3 ist ja auch ovehryped, bezugnehmend auf den Single-Player-Modus (ja ja, Halo ist erst im MP doll, blabla :P).
Ich habe leider kein 3D-GTA wirklich gezockt, war dann aber schon über die Überwertungen von #4 überrascht – das Teil ist bei GameRankings bestes Spiel ever!
Aus den kritischen Stimmen liest man heraus, dass die Welt insg. beeindruckend gelungen ist, während das Spiel-/Missionsdesign selbst da wohl nicht mithalten kann oder gar schwächer als bei den Vorgängern ist!?
PS: Ich glaube ja, dass 50% der Tester einfach davon geflasht waren, dass GTA endlich neue Grafik hat :).
Das mit den Hype-Reviews hat sowieso schlechte Ausmaße erreicht…
GTA IV ist sicherlich kein schlechtes, sondern sogar ein gutes Spiel, aber mein persönlicher Favorit aus der GTA-Reihe ist immer noch GTA: Vice City.
Ich kann auch nicht so ganz nachvollziehen, wie all die bezahlten Tester (liegt vielleicht hier das Problem?) auf diese überschwänglichen Bewertungen gekommen sind. Gerade die Komplexität der Stadt und die relative Uniformität der Straßenzüge macht ein wirkliches Kennen von Liberty City praktisch unmöglich (oder vielleicht erst nach 100 h).
Hier wäre eine simplere Straßenführung eindeutig besser gewesen, aber dann wäre es wohl nicht mehr new yorkig genug gewesen. Bei GTA IV gibt es viel zu viele Parallel- und Parallel-Parallel-Straßen. Nicht immmer ist mehr auch gleich besser.
Im Großen und Ganzen fand ich “Bully” besser und innovativer. Ein unverbrauchtes Setting, wirklich neue Ideen, eine Stadt, die man nach 10 h Spielzeit auch wirklich gut kennt…
tripleM: Ich denke der Anspruch an die Stadt war nicht Übersichtlichkeit, sondern Realismus. Entweder, oder. Ich persönlich mag eine unglaublich große Umgebung, auch auf die Gefahr hin, dass ich sie nicht schaffe komplett in meinem Kopf zu kartografieren, besser, als eine Einschränkung, damit ich mir alles merken kann. Gibt doch jetzt GPS ingame, hab ich gelesen ?
Ich stimme tripleM zu. Natürlich gibt es GPS um sein Ziel zu finden. Aber dieses “Hier-bin-ich-zu-Hause”-Gefühl, was ich noch aus Vice City kenne, will sich einfach nicht einstellen…
:(