Ich fahre mit 250km/h im Windschatten eines orangenen Dodge Viper, nur noch ein paar Meter trennen meine Stoßstange von seiner. Per Funk fordere ich Luftunterstützung an, kurz darauf schwebt ein Polizei-Hubschrauber nur knapp über unseren Köpfen hinweg. Er wird in ca. 500 Meter Entfernung eine lange Kette mit Nägeln auf die Straße werfen um den Raser zu stoppen. Auf der Gegenfahrbahn versuche ich Schwung zu holen und entkomme nur knapp einem Crash mit einem nichts ahnenden Verkehrsteilnehmer. Nach diesem Schockmoment habe ich mich nun seitlich zum flüchtigen Fahrer vorgearbeitet und währenddessen noch eine Straßensperre vor der Tunneleinfahrt geordert. Als ich zurück auf die eigene Fahrbahn wechsle, streife ich doch noch einen Reisebuss. Die Macken und Kratzer in meinem Lamborghini jucken mich nicht. Meinem Chef ist das zum Glück auch egal, das Budget für neue Polizeiwagen in Seacrest County ist nach oben hin offen. Das ist auch nötig, denn die berüchtigtsten Speedjunkies der Welt reisen für die illegalen Straßenrennen extra in unseren wunderschönen Bezirk ein. Alles was zählt ist, diesen Raser mit allen Kräften zum Stoppen zu bringen, auch wenn das bedeuten mag, dass seine (wie auch meine) Luxus-Karre danach nur noch für den Recyclinghof interessant ist.
Mit einem letzten Druck auf den sich zu Ende neigenden Turbo-Zünder ramme ich den Dodge seitlich an die Leitplanke. Sein Heck bricht aus, er gerät ins Schleudern und bekommt seinen Wagen nicht mehr unter Kontrolle. Er driftet seitlich genau auf meine Straßensperre zu und kann vor dem Nagelband nicht mehr bremsen oder gar ausweichen. Seine Reifen sind platt und er kommt direkt vor der Tunneleinfahrt in der Polizeit-Sperre aus fünf Porsche Cayennes zum Liegen. Die Karosserie ist zerbeult und zerkratzt wie eine Cola-Dose nach einem Kick auf dem Pausenhof, aber ich habe es wieder einmal geschafft. Der letzte Fahrer ist erledigt, das Rennen beendet. Ein weiterer Erfolg für das SCPD und ich sehe schon meine Beförderung (mit neuem Wagen?) winken.
Das ist mein Job. Ich jage Raser in den teuersten und schnellsten Autos der Welt mit eben diesen. Wir bekämpfen Feuer mit Feuer und merken es gar nicht mehr. Das viele Adrenalin hat mich verändert, mich regelrecht abhängig gemacht. Auch wenn es keiner wissen darf, aber an meinen freien Tagen zieht es mich ebenfalls auf die Straße und ich werde zum Gejagten. Ich weiß nicht, ob es nur der Geschwindigkeitsrausch ist, der mich zu dem werden lässt, dass ich in meinem Beruf bekämpfe oder ob ich als Jäger nicht unbemerkt auch einfach nur zu einem Teil des Spiels geworden bin. Würden die Raser auch hier sein ohne uns Cops? Geht es mir noch um Gerechtigkeit oder nur um den Erfolg und die Trophäe? Es ist ein offenes Geheimnis, dass ich nicht der einzige bin, der ab und an die Seiten wechselt. Vielleicht ist es auch die Ehre und das Ansehen, das man von Rennen zu Rennen und mit jedem Sieg erringt? In 20 Fahndungslevel unterteilen wir von der SCPD die illegalen Raser. Natürlich haben wir auch bei uns Cops ein klassisches Beförderungssystem. Je erfolgreicher wir uns als Jäger präsentieren, desto mehr Zugriff auf schnellere und bessere Autos erhalten wir und desto abhängiger nach Geschwindigkeit werden wir. Ein Teufelskreis.
Nichts ist befriedigender, als einen Raser zu erledigen, aber auch das unter uns Fahrern herrschende, große Konkurrenzdenken (auf beiden Seiten) motiviert ungemein. An einer sich stets über das Internet aktualisierenden Pinnwand vergleichen wir unsere Zeiten auf den Strecken. Wir haben es so implementiert, dass ich direkt benachrichtigt werde, wenn ein Kollege meine persönliche Bestzeit unterboten hat oder ein Rennen durch das Zerschrotten der Raser schneller beenden konnte als ich. Ja, auch simple Wettrennen unter uns Polizisten werden ausgeführt, schließlich findet nicht immer irgendwo ein illegales Straßenrennen statt. Vor unseren Vorgesetzten rechtfertigen wir das als “Üben für den Notfall” und die glauben uns das auch noch. Wir tun so, als würden wir zu einer Straßensperre gerufen und versuchen innerhalb eines Zeitlimits, diese zu erreichen. Hier zeigt sich, wer Abkürzungen und den Turbo am effektivsten einsetzen kann.
In manchen Momenten kommt mir das alles etwas surreal vor und ich weiß nicht, wo das eigentlich hinführen soll. Nach jedem erlegten Raser steht schon das nächste angekündigte Rennen an. Ich komme mir bei meiner Arbeit von Mal zu Mal nutzloser vor und fange an, an eine Verschwörungen zu glauben. Vielleicht ist das alles nur ein von der Industrie gefördertes Katz-und-Maus-Spiel, um mehr Autos und Waffen zu verkaufen? Ich meine, ganz abwegig wäre das nicht. Die Firmen, die unsere EMP-Kanonen herstellen, die die gegnerischen Sensoren stören oder die Nagelbretter immer weiter und technisch raffnierter ausbauen, beliefern sowohl uns als auch die Raser. Auch lassen sich die unzähligen Werbeclips der Autohersteller nicht abschalten, wenn wir ein neues Auto als Belohnug für unsere Beförderung erhalten. Und warum passiert hier so wenig? Toi, toi, toi, aber wenn ich mir überlege, in was für irrwitzige Unfälle wir schon verwickelt waren, ist die Sterbequote in unserem Team doch sehr gering. Auch Seacrest County ist eigentlich zu schön und zu perfekt. Wo sind eigentlich die ganzen Städte und die Menschen, die diesen Steuermissbrauch auf Rädern finanzieren? Sind wir vielleicht alle nur Teil eines großen Experiments? Was, wenn das alles nur ein Spiel ist? Aber ich habe keine Zeit, diese Fragen zu erforschen, ich brauche meinen nächsten Rausch, die Straße ruft, auf dem Highway wurde ein Rennen gesichtet. Ich liebe diesen verdammten Job.
10 Kommentare
Ein sehr schöner Einblick in die Psyche und das Leben der Spielfigur/des Spielers, extrem bewegend, wohl auch weil ich mich selber damit identifizieren kann. Man sieht sich ja dann unter der Woche in der Selbsthilfegruppe ;).
Interessant wie sehr die Meinungen da auseinander gehen können.
Ich empfinde das Spiel als absoluten Fehltritt. Sowohl als Reminiszenz an den Ursprung des Franchises “Need for Speed” als auch als eigenständiges Rennspiel.
Basis von NfS war für mich immer das Auto. Und nicht irgendeins, sondern erlesen Luxuskarren die man im Real-Life wohl nie unter den Poppes bekommen wird.
Und natürlich sind die Karren beim neuesten Serienableger alle vorhanden (und werden penetrant häufig als Belohnung ausgeschüttet),und nicht mal schlecht designt; allein sie sind nicht mehr Spielmittelpunkt sondern schnödes Beiwerk.
Das Handling ist so supersimpel dass man auf keiner Strecke mal bremsen muss (je schräger der Drift desto mehr Grip ohne dabei an Geschwindigkeit zu verlieren), man wird zu andauernden Crashes angehalten (man fährt ja grundsätzlich auf der linken Straßenseite weil es den Boost auflädt, der im Übrigen quasi dauereinsatzbereit ist) die Wagen reagieren träge und seifig (bei einem Lamborghini erwarte ich dass er Schienen in den Asphalt gräbt wenn ich das Lenkrad auch nur anhauche) und die KI ist darauf getrimmt Daueraction zu forcieren (und bestraft den Fahrer durch Extremgummiband für fehlerfreies Fahren).
NfS: HP hat nichts mehr mit Racing zu tun, es ist vielmehr ein actiongeladenes Reaktionsspielchen in wirklich grandioser Landschaftsgrafik ohne auch nur eine eigenständige Idee.
Egospecht: Das Auto im Mittelpunkt? Also bei den Hot Pursuit Teilen war das nie der Fall, da stand immer die Verfolgungsjagd als zentrales Element im Vordergrund. Und ja, es ist ein Arcade-Spiel, das beschreibst du schon richtig. Mit Racing hat das nicht mehr viel zu tun. Da es um permanentes Kopf-an-Kopf-Rennen geht, ist eine Unterstützung der KI von Nöten, das hat mit Fairness nicht mehr viel zu tun. Aber wie langweilig wäre eine Verfolgungsjagd, wenn man nach einem Crash nicht mehr den Anschluss finden würde? Eben, Bocklangweilig.
Ich finde es gut, dass Criterion Rennspiele mit einem anderen Fokus macht. Für Autoporno und Realismus hat man ja GT5 und Konsorten, bzw. auch die NfS:Shift Reihe, die ja auch fortgesetzt wird parallel dazu.
Ich habe mir das aktuelle “Need for Speed” jetzt am Samstag gekauft und bin gestern endlich mal dazu gekommen, das Spiel (kurz) anzuzocken (im Moment blockiert meine Frau ständig mit “Fable 3” die Xbox *g*).
Zuerst hatte ich ja bedenken und war mir nicht ganz sicher, ob ich mir so einen Arcade-Racer nach etlichen Jahren mal wieder holen soll.
Aber: Ich habe den Kauf nicht bereut!
Nach zwei Runden hatte ich so einen Spaß in den Backen, ich hätte am liebsten die ganze Nacht durchgespielt. ;)
Erstmal das positive: Großartiger Text, wirklich.
Mir persönlich mag das Spiel jedoch nicht gefallen, das man Autos einfach so bekommt nervt mich extrem. Aber, @manu, natürlich hast du recht wenn du sagst das war bei NFS:HP schon immer so. Aber erstens hat das gegen Freunde fahren damals doch deutlich mehr Spaß gemacht, was weiss ich warum denn es ist einfach zu lang her, und zweitens bin ich wohl mittlerweile mehr der NFS:Shift Typ. Ich kaufe mir die Autos lieber selber, dann hat das gerät wenigstens einen Wert und man kann eine Beziehung zu dem Gefährt aufbauen, das fehlt mir bei NFS:HP einfach gänzlich. Habe mir mehr erwartet aber bin sicher mit falschen erwartungen ans Spiel gekommen, da ich NFS:HP nur noch dunkel und vor allem anders in Erinnerung habe. Criterion hat hier sicher großartiges abgeliefert aber eben nichts für mich. Da Shift 2 jedoch schon sehr bald kommt und Shift immer noch sehr viel Spaß macht und ich aktuell eh Formula 1 2010 zocke, lässt sich das sicher verschmerzen ;)
Danke für das Lob, Adam!
Die Autos verlieren extrem an Wertigkeit, aber ich spiele Rennspiele auch nicht wegen den Autos. Siehe oben, für Autopr0n gibt es ja GT5. Ich finde Autos generell doof. Wegen mir könnten das bei HP auch F-Zero- oder Wipeout-Gefährte sein. Vom Geschwindigkeitsgefühl kommt es da auch dran.
Ob das jetzt ein Aston Martin Schlagmichtot XY oder ein Koenigsegg ist: i don’t care. Im Fahrverhalten spürt man das bei DEM Spiel sowieso nicht, die sind alle gleich unrealistisch. :-D
Erstmal: Rennspiele mit Bremsen sind Scheiße. Von daher ist NfS:HP schon mal gut.
Gefallen hatte mir die Demo aber nicht, denn das Crashen der Gegner dauerte viel zu lange und ich fahre lieber RENNEN (mit überholen und so) als dass ich mir Gedanken darum machen will, wie ich jemanden schnell zerlege.
Schöner Artikel! :)
Sag mal, Manu, auf welcher Plattform spielst du? Falls du auf Xbox spielst könnte man ja mal die Gamertags zwecks dem ganzen Autolog-Kram tauschen…
Danke Ranor!
Wenn ich die freie Wahl habe, spiele ich eigentlich alles auf Xbox360, wenn es kein Exklusiver-PS3-Titel wie God of War ist.
Schreib mir einfach eine DM über Twitter oder per Mail wegen GT.
Zunächst mal, sehr schön geschrieben, und spannend zu lesen, Manu!!
Anonsten hat sich meine Meinung zum neuen NfS:HP seit meinem Review nicht geändert, in dem ich am meisten den übertriebenen Gummiband-Effekt kritisiere. Mittlerweile habe ich knapp 20 Spielstunden auf dem Tacho und würde ich das Review heute nochmal schreiben, fiele die Kritik noch stärker ins Gewicht, da es mit zunehmender Spieldauer immer unfairer wird.
Das hat für mich nichts mehr mit Spannung zu tun, wenn ich ein nahezu perfektes Rennen als Raser fahre, und mir extra zum Ende hin einen Turbo aufhebe. Bei der Meldung “Noch 1 Kilometer bis zum Ziel” zünde ich den Turbo, ein Extra, über das die Polizei nicht verfügt. Und während meiner Turbo-Blutrausch-Speedeffekt-Verzerrung (quasi kurz vor dem Zeitsprung) zieht genüßlich ein Polizeiwagen an mir vorbei (mit gefühlt doppelter Geschwindigkeit) und wirft vor mir ein Nagelband ab, wegen des noch laufenden Turbos für mich unausweichlich. Und während ich noch die Löcher in meinen Reifen bestaune *ziuuhm* *ziuuhm* *ziuuhm*, ziehen mal eben drei Raser-Kollegen an mir vorbei. Ich werde Vierter und das ganze Rennen war für Nüsse.
Und diese Frust-Momente versauen mir echt den Spaß am Spiel. Das wiegen das nette Autolog-Gewandt der Freundesbestlisten und die wirklich hammergeile Grafik nicht auf.