Dieser Text enthält Spoiler zum The Last of Us-DLC Left Behind.
Als ich vergangenes Jahr The Last of Us spielte, empfand ich währenddessen etwas, das hatte ich bisher noch gar nicht so häufig. Identifikationen mit Spielfiguren sind für uns ja absolut wichtig, wenn das Spiel sehr nah an Charaktere herangeht und man Teil ihrer Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft wird. Bei mir und Ellie war das dieses Mal sehr ausgeprägt, weil sie mich absolut an mich erinnerte, als ich etwa 14 Jahre alt war. Die Klamotten, die Art zu sprechen und zumindest im Inneren schon etwas gereifter. Der schlurfende Gang in ihren abgetragenen Jeans und Chucks – anfangs frech, später dann neu- und wissbegierig. Bis das Eis brach, war sie eher zurückhaltend, aber dann sprudelten die Gefühle nur so aus ihr heraus, frei und ungeniert. Kurzum: Egal ob mit oder ohne persönliche Parallelen, ich fand Ellie absolut fantastisch und hinreissend – der bislang authentischste Teenager, den ich die letzten Jahre spielen durfte.
Nüchtern betrachtet stopfte Left Behind eine Lücke, die mir seinerzeit im Hauptspiel etwas negativ auffiel, nämlich die wohl extremste Situation, die Ellie und Joel durchleben mussten. Sie war mit Sicherheit wesensverändernd für die beiden, aber so richtig deutlich ist das leider nicht geworden. Joel rang mit dem Tod und litt an Wundstarrkrampf und für mich war es ein Rätsel, wie Ellie diese Situation so allein meistern konnte. Selbst in meiner Fantasie konnte ich mir das kaum bis gar nicht ausmalen, mir fehlte in der Erzählung schlicht etwas, ich war leicht bedrückt. Der DLC vermochte diesen „Fehler“ nun zu beheben. Ich hätte nicht gedacht, dass ihm das so gut gelingen würde. Mir ist es jetzt fast egal, ob dieser Part dem Hauptspiel fehlt, mir ist es nur wichtig, dass ich ihn nun spielen konnte und dass ich nicht den Fehler beging, es nicht zu tun. Left Behind ist neben dem Shadowbroker-DLC aus Mass Effect 2 der Beste, den ich je spielen durfte.
Left Behind schaffte aber noch viel mehr als nur diese Lücke zu füllen. Er erreichte noch etwas viel Gewaltigeres für mich. Er brachte mir einmal mehr das wunderbare Gefühl der Poesie und Romantik in ein Videospiel zurück. Und wie es der Zufall so wollte, passte auch die Zeit, in der ich Left Behind spielte. Jedes Spiel kann noch einmal ganz anders auf einen wirken, wenn man es auch zur richtigen Zeit spielt. Der DLC beschrieb den Weg zu einem gewissen Augenblick, diesen Moment der Vollkommenheit, den Menschen untereinander erleben können, wenn alles zusammenpasst. Solche Dialoge und die dazugehörige Gestik kann man nicht schreiben und visuell umsetzen, wenn man derartiges noch nie selbst erlebte.
Der besondere Teil des DLC beschreibt die zwischenmenschliche Bindung zwischen Riley und Ellie, zumindest für eine kurze Zeit – einen Teil der letzten Zeit, von der die beiden nicht wussten, dass sie angebrochen war. Es war auch der Beginn einer anderen, einer neuen Zeit ihrer Beziehung. Er beschreibt den Moment, wo das Innere plötzlich aus ihnen herausbrach, mit dem knisternden Vorspiel aus Dialogen voller gemischter Gefühle aus Wut, Verlust und Zuneigung. Die Unterhaltung zwischen beiden, wenn sich zwischen Spaß und Witz plötzlich die Ernsthaftigkeit einschlich und Riley das Gespräch einfach verließ. Minuten der Stille als Ellie ihr folgte und sie dann wütend fragte „Ist das Gespräch schon beendet?!“ und Riley provokant mit der Gegenfrage antwortete „Ich weiß es nicht, ist es das?!“. Oder als beide in der Fotobox nebeneinander saßen, mit lautem Gelächter, sie Grimassen zogen und dann die einsetzende Ruhe zwischen ihnen mit flüchtigen Blicken, sie soviel sagen wollten, aber noch nicht konnten, weil der Zenit des Bauchkribbelns noch nicht erreicht war. Ich traue es mich kaum zu äußern, aber ich fand’s schon fast erotisch.
Die Erzählung wechselte zwischen Gegenwart und Vergangenheit hin und her und der Kontrast könnte nicht kleiner, aber auch nicht größer sein. In der Gegenwart suchte Ellie im Winter nach Medizin und Nähzeug, während Joel schwer verletzt in einem verschlossenen Raum lag. Sie schlich vorbei an Infizierten, hinter verfallen Regalen und Schränken. An anderen Stellen war es möglich, Infizierte und Schurken gegeneinander aufzuhetzen, das war im Hauptspiel so noch nicht möglich, das hat mir sehr gefallen und gab besonders im höchsten Schwierigkeitsgrad dem Kampf gegen mehrere Gegner eine leichte taktische Note. Schön auch die Momente, als der Wechsel zwischen Gegenwart und Vergangenheit einsetzte. Als Ellie endlich den lang ersehnten und hart umkämpften Verbandskasten fand, umklammerte sie ihn frierend und erleichtert und hauchte mit geschlossenen Augen „ich lass’ dich nicht mehr los, ich lass’ dich nicht mehr los…“, dann der Wechsel in die Vergangenheit und in tief verborgene Gefühle. Das war sehr nah an Ellie, das war sehr nah an mir. Ich war wieder 14.
Ellie und Riley durchstreiften ein heruntergekommenes Shoppingcenter, kicherten sich zusammen durch einen Kostümladen, landeten in der Arcade inklusive Minispiel und saßen schließlich beflügelt auf einem sich drehenden Karussell. Sie stritten sich, sie versöhnten sich und später las Ellie 5 Minuten aus einem Witzebuch vor. Allerdings wurde die süße Unbeschwertheit hinterrücks immer wieder überschattet von der Tatsache, dass Riley schon in wenigen Stunden fortgehen muss, zu den Fireflys – weg von Ellie, auf unbestimmte Zeit. Die bis dato bestehende Freundschaft war noch ohne Wendung und die beiden Teenager wurden immer erwachsener, die Wörter zwischen ihnen immer offener und ernster. Das Versteckspiel mit Wasserpistolen setzte Gedanken frei, die nach draußen wollten, die nach draußen gehörten und mir rutschte fast das Herz in die Hose als Riley zu Ellie sagte „Nur du könntest mich dazu bewegen, nicht fortzugehen!“. Die Herzen wurden warm, aber dann lenkte Ellie mit gesenktem Kopf wieder ein „Ach, ich komme klar, du kommst klar, irgendwann sehen wir uns wieder.“ – die Lüge in der Luft konnte man förmlich mit roter Farbe anmalen.
Toni hatte letztens in einem seiner Texte ein interessantes Zitat einer ehemaligen Kommilitonin herangezogen:
Ich dachte etwas darüber nach, ob ich verstehe, was sie meinte und ja, ich kenne das. Das geschieht auch außerhalb vom Sex. Also es ist dieser Moment, den ich vorhin schon ansprach. Es ist das JETZT ODER NIE, oder der Augenblick, wo es kurz bebt im Körper und sich anfühlt, als ob man die/der Stärkste ist. Das passiert beim Flirten – wenn es denn mal gut läuft – es passiert auch beim ersten Kuss, wenn Wunsch und Erfüllung zusammentreffen, dann explodiert alles in einem. Es ist DER perfekte Augenblick, er ist nur kurz, aber Perfektion währt ja nie lang. Man denkt kurz nach, ob es gerade wirklich passiert – es ist ein Stück vom Glück, es ist das, was ich Leben nenne. Ein gutes Leben. Für diesen Moment ist es gut.
Und genau mit diesem Gedanken sah ich der Wendung zu, die Ellies und Rileys Leben für immer formen würde in eine Richtung, die sie beide bisher nur erahnen konnten. Es würde nicht der Biss sein, wie ich anfangs noch vermutete. Kurz bevor sich Ellie und Riley verabschieden mussten, sollte es noch den letzten Tanz geben. Riley legte ein Tonband ein und es ertönte eine gecoverte Version von „I got you babe“. Riley und Ellie begannen lachend zu tanzen, sie schienen fast frei zu sein und dann begann jenes Feuerwerk. Dieses wahnsinnige Erlebnis, was so selten ist, wenn man sich traut, sich zu offenbaren – ein Augenblick, der intimer und privater nicht sein könnte. Ellie wusste genau: JETZT oder nie! Man sah es ihr in jeder Pore ihres kleinen Gesichtes an. „Bitte geh’ nicht…“, sagte sie zu Riley und dann stand die Welt still. Die Sekunden zwischen ihnen, wo alles klar wurde, wo alle Fragezeichen verschwanden, bis Riley sich vollkommen entschlossen das Firefly-Amulett vom Hals riss – ein scheues Lächeln und dann der Kuss von Ellie. Das war es…
Jetzt wäre im Grunde der richtige Moment gewesen, die beiden allein zu lassen. Aber nein, ich sollte nicht vergessen, dass ich mich nicht im Paradies befand. Infizierte stürmten plötzlich den Raum, angelockt durch die Musik und die unschuldige Romantik wurde durch Pistolenschüsse zerstört.
In diesem Augenblick wachte Ellie wieder auf, immer noch den Verbandskasten umklammernd, die Gegenwart holte uns wieder ein. Ein letzter großer Kampf stand uns auf dem Rückweg zu Joel bevor. Eine Horde von Schurken vermuteten unseren verletzten Freund hinter einem verschlossenen Tor und Ellie musste sich noch einmal gegen ungefähr 15 von ihnen behaupten. Mit Messer, Pistole und Pfeil und Bogen trat Ellie den drei Wellen entgegen – entschlossen, mutig und brutal. Sie hat gelernt zu kämpfen, egal was es ihr abverlangen würde. Sie konnte es schon, bevor sie einst auf Joel traf. Sie konnte es bereits seit Riley. Nach dem Kampf setzte die große Siegerin zitternd und unsicher Nadel und Faden an Joels Wunde an… Was für ein Mensch Ellie doch ist! Rückblende…
Riley und Ellie rannten, rannten und rannten. Hinter ihnen eine Handvoll Infizierter. Obwohl ich wusste, wie es kommen würde, war ich nicht darauf vorbereitet. Wie besessen und voller Adrenalin töteten die beiden ihre Widersacher, einen nach dem anderen. Als Ruhe eintrat, sagte Riley bedrückt „Dein Arm.“, während Ellie noch erleichtert nach Luft rang. Sie wischte über die blutende Wunde und sah den Biss, es war eindeutig. Ein Blick zu Riley, sie hob die Hand und man sah auch ihre Bisswunde.
Nebeneinander auf den Boden gesunken, zählte Riley die zwei Möglichkeiten auf, die ihnen noch blieben. Erstens: Kurz und schmerzlos eine Kugel in den Kopf. Oder zweitens: „Wir machen es ganz romantisch, wir sitzen es zusammen aus und werden gemeinsam wahnsinnig. Wir sollten kämpfen und wir sollten die Möglichkeiten bis zur letzten Minute nutzen, in der wir zusammen sein können.“. Während Riley diese Worte sprach, sah ich Ellie mit dem verarzteten Joel davonreiten.
Am Ende fragte Ellie nach der dritten Möglichkeit und Riley erwiderte nur ein trauriges „Sorry“. In Gedanken spulte ich wieder zurück bis zu dem Moment, an dem Riley das Tonband einlegte und die Musik aufdrehte. Hätten wir doch nur ohne Musik getanzt…
Mein aufrichtiger Dank an Naughty Dog für diesen wunderbaren und herzerwärmenden DLC. Interessanterweise gibt er dem Ende des Hauptspiels zusätzlich einen ganz enormen Boost. Wenn man Left Behind nicht spielt, bleibt alles wie es ist. Aber wenn man ihn spielte weiss man, dass da noch viel mehr war. Man nimmt Ellies ursprünglichen Wunsch und ihr Vorhaben noch ernster und man weiss, dass sie ein wunderschönes Erlebnis in sich trägt, von dem sie niemanden etwas erzählte. Joels Lüge wirkt noch größer und Ellies Verständnis für ihn erscheint grenzenloser. Letztendlich kämpft er auch nur für jede Minute, die er mit Ellie zusammensein kann. Ich bin tief bewegt.
7 Kommentare
Danke für diesen Text!
Nach dem Hauptspiel fing für mich wieder die Zeit an, in der kein Spiel über den Schirm flimmerte was mich derartig ins Gescehehen hineingesogen hat. Sich so durchdacht und ausgearbeitet, ja sogar *richtg* angefühlt hat. Und dann kam ‘Left Behind’. Ein DLC. Drei Buchstaben, die ich grundsätzlich meide wie Vorbestellungen. Aber die Zeit, die sich für die Entwicklung des DLC genommen wurde und das phänomenale Hauptspiel ließen mich Vertrauen entwickeln. Vertrauen, dass Naughty Dog bei derartigen Charakteren nicht im Traum etwas liebloses auf die Spielerschaft loslassen können. Und es hat sich bestätigt. In Zeiten, in denen nahezu besessen auf Ankündigung von Spieldauer gewartet und gestarrt wird, hat Naughty Dog geliefert. Keine Erweiterung, die unzählige Spielstunden der Leere ins Hauptspiel anfügt, sondern gewohnt liebevollen und durchdachten Mehrwert beisteuert. Hier wurde alles richtig gemacht.
Danke für die Blumen! :)
Ja, mit DLC ist tatsächlich so eine Sache, ich war da bislang bis auf ganz wenige Ausnahmen immer eher auf Abstand. Das sind schon meistens wirklich die besonderen Spiele, bei denen ich mich doch mal näher mit den DLC beschäftige.
Left Behind hatte mich einfach extrem interessiert wegen Ellie. Ich mochte die Figuren im Hauptspiel so gern, ich wollte absolut nichts auslassen, komme was da wolle. Dass mich das aber dann tatsächlich sooooo weghauen würde, hätte ich auch nicht gedacht. Wenn er nur allein die Lücke gefüllt hätte, wäre ich ja schon zufrieden gewesen, aber er schaffte dann doch noch so viel mehr.
Ich versuche da jetzt vielleicht auch etwas offener zu werden und nicht gleich immer alles abzuschmettern, was mit DLC zu tun hat. Nicht durch und durch, aber zumindest ein bisschen.
Starker Text, Doreen! Leider habe ich derzeit keine Möglichkeit TLOU zu spielen, denn ich vermute, dass es mir gut gefallen würde. Im Sommer will ich ja Aule besuchen und der hat eine PS3 – vielleicht lässt er mich das ja mal anspielen! :)
Ich würde es Dir/Euch sogar mal ausleihen, haha. =)
Gebongt!
Ich hab TLoU letzte Woche begonnen und am Samstag dann ganz faul im Bett die verbliebenen 6h gespielt. Ich finde Ellie auch großartig und die Inszenierung ist wieder auf einem sehr hohen Niveau, aber es hat auch wieder die typischen Naughty Dog Schwächen. Überall wird es mit Preisen überschüttet und als DAS Spiel der PS3/360-Gen bezeichnet, aber dafür ist das Gameplay einfach viel zu schwach, finde ich. Auch die Story war weit weniger beeindruckend, als ich erwartet hatte und konnte mich nie so emotional packen wie TWD.