Der Schmerz nervt. Ausgehend von der Daumenwurzel, strahlt er aus in die Handfläche und in den Unterarm. In den ersten Tagen kaum spürbar, wusste ich sofort, dass er sich bald ausbreiten und intensivieren würde. Wer beruflich viele Tasten drückt und privat Smartphones und Videospiel-Controller benutzt, der ist möglicherweise mit dem Schmerz vertraut, den eine Sehnenscheidenentzündung auslöst. Linderung verschaffen Schmerzmittel und sanfte Dehnübungen, entscheidend für die Genesung ist die Entlastung der Hände. Und das wiederum nervt ebenso schwer wie der Schmerz, denn momentan möchte ich nur eines: Spielen.
Das Blabla der Grafikhuren
Ähnliche schwere Pein, wie sie mir meine Krüppelhände bescheren, scheinen manche beim Spielen von The Evil Within zu verspüren. Schwache Technik, Cinemascope-Balken, Bildwiederholrate bei 30 fps gelocked, wirre Story, mehr Gore als Horror. Selbst jene die das Spiel insgesamt positiv bewerten, reiten auf einem oder mehreren der genannten Punkte herum. Mir hingegen ist das alles völlig egal. Im Gegenteil: Ich mag die schwarzen Balken, der engere Bildausschnitt ist der Atmosphäre sehr zuträglich. Und obwohl zwischen 30, 60, 120 oder vier Milliarden fps selbstverständlich elefantöse Unterschiede bestehen und jeder, der das nicht erkennt und zugibt ein saudummer Affenarsch, mindestens jedoch ein schamloser Lügner oder Konsolenfanboy ist, kümmert mich das alles nicht. Selbst dass die Bildrate auf der PS4 bei diesem technisch wenig beeindruckenden Spiel gelegentlich heftig absinkt, tangiert mich peripher. Der Bildraten- und Auflösungsfetischismus, der mit der Current Gen auch im Konsolenbereich verstärkt Einzug gehalten hat, ist mir fremd. Dementsprechend jucken mich diesbezügliche Unzulänglichkeiten auch bei The Evil Within in etwa null komma garnicht. Ich habe damals Wing Commander auf einem Amiga 500 gespielt und das lief mit ca. 5 fps. DAS hatte ich mir tatsächlich gewaltsam schönreden müssen. Aber ein Videospiel das in sich funktioniert, selbst wenn gewisse technische Mängel ein wenig an der Atmosphäre kratzen, muss ich nicht kritisieren, weil es irgendwelche Standards nicht einhält. Andere tun das gerne und mit Eifer, auch damit habe ich keine Probleme. Obwohl ich nicht ins gleiche Horn stoße, kann ich diesen Ansatz durchaus verstehen, wenn auch nicht vertreten. Der Leser merkt es sofort, ich bin heute unheimlich egalitär und tuffig drauf. Das liegt zu großen Teilen an meiner im allgemeinen egalitären und tuffigen Grundhaltung, das letzte Quäntchen Egalitarismus und Tuffigkeit bescherte mir jedoch der außerordentlich gute Stoff, den mir The Evil Within in die Venen pumpte.
Das Beste von Gestern
Meine Einstellung zu Horror-Spielen habe ich en detail bereits im Text zu P.T. und in unserem jüngsten Podcast kundgetan. Ich bin ihnen grundsätzlich zugeneigt, die Grenze des Erträglichen ist jedoch schnell erreicht. Horror? Gern! Aber bitte in erträglichem Maße. Was mich zu sehr erschreckt, kann ich nicht genießen. Und The Evil Within bietet mir genau das, was ich mag und aushalten kann. Schon der Einstieg gefällt mir ausnehmend gut, das als Anfangs- sowie Fixpunkt mäßig originell gewählte Sanatorium nimmt mich auf, nur um mich wieder auszuspucken und erneut an sich heran zu zerren. Die Charaktere sind mysteriös, der Doktor und sein verstörter Patient Leslie, die Schwester, die mich in der scheinbar sicheren Zelle erwartet, die Arbeitskollegen des Protagonisten… Selbst der klischeehaft schnodderige Detective, Sebastian Castellanos, dessen Hintergrundgeschichte bereits hunderte Male erzählt wurde, vermag mich zu faszinieren. Gerade da er so austausch- und berechenbar erscheint, bietet er mir und dem Rest der Charakterriege genug Raum zur Entfaltung. Stoisch lässt er sich durch den Wahnsinn treiben und hinterfragt ihn nur selten. Dafür plagen mich vor dem Bildschirm umso mehr Zweifel: Was ist real? Ist die ganze Welt aus den Fugen geraten und verrückt geworden oder ist Sebastian selbst dem Wahnsinn verfallen?
Die Spannung bewegt sich auf einem für mich angenehmen Niveau, Actionsequenzen dienen als Ventil. Nach ihrer Bewältigung folgen ruhige Passagen, in denen die Spannung sich erneut zuspitzt, bis sich wieder alles in Chaos und Gewalt entlädt. Die Geschichte mäandert vor sich hin, ist nicht völlig durchschaubar, driftet aber nie in David Lynchsche Absurditätsdimensionen ab. Früh wird deutlich, dass die Gesetze von Zeit und Raum hier bedeutungslos sind, abrupte Schauplatzwechsel müssen nicht erklärt werden, in dieser Welt ist alles möglich. Dass das endgültige Auseinanderfallen der Realität ausgerechnet durch ein Zitat aus dem ersten Resident Evil eingeläutet wird, erscheint im ersten Moment plump, ist jedoch nur folgerichtig. Steckt sie doch den Rahmen ab, in dem sich die Erfahrungen bewegen werden, die vor mir liegen: Ein Best Of des Survival Horror-Genres, ein Amalgam aus allem, was mich in den letzten 20 Jahren erschreckt und mir den Schlaf geraubt hat, vom Kettensägen schwingenden Lederschürzen-Prollo, bis zum Spinnenviech mit The-Ring-Gedächtnis-Oberkörper. Letztgenannte Kreatur mich übrigens bis an den Rand des Aufgebens getrieben. Immergleiche Levelabschnitte, in denen ich vor praktisch unzerstörbaren Gegner fliehen muss, rauben mir die Motivation, auch wenn sie wie hier nur vereinzelt auftreten. Dass ich trotz unzähliger Neustarts an dieser Stelle nicht aufgehört, sondern mich durchgebissen habe, spricht für die subjektiven Qualitäten des Spiels; ich mag es einfach, mit jeder Faser meines Körpers. Ich schieße, ich schleiche, ich rätsele. Alles nur ein bisschen, alles auf Sparflamme. In Verbindung mit der großartigen Atmosphäre, der herrlichen, stilisierten Lichtstimmung und des hervorragenden Sounddesigns ergibt sich jedoch eine Mischung, deren Reiz ich mich nicht entziehen kann. Selten habe ich so offen mit dem New Game Plus geliebäugelt, wie in diesem Fall.
In fremden Zungen
Trotz meines im obigen Absatz ausgesprochenen Lobs möchte ich hier auf eine Schwachstelle des Spiels hinweisen, die umso ärgerlicher ist, da sie doch leicht zu vermeiden gewesen wäre. Gerade in einem Spiel, das so von seiner Stimmung lebt wie The Evil Within, können bereits kleinere Stilbrüche dem gesamten Immersionskonstrukt nachhaltige Schäden zufügen. Ein die Atmosphäre regelmäßig negativ beeinflussender Faktor ist hier, wie so oft!, die in Teilen grauenhaft verhunzte deutsche Sprachausgabe. Nicht genug, dass mancher Charakter seinen Text scheinbar nur vom Blatt liest und nicht spielt, einige Unterhaltungen aneinander vorbei laufen und Randbemerkungen oft keinen Sinn ergeben, kommt mir im Spiel immer wieder der Gedanke: “So redet doch kein Mensch!” Dass mein Hauptcharakter einen fähigen Synchronsprecher erhalten hat nützt wenig, wenn er immer wieder zusammenhanglose, generische Bemerkungen von sich gibt, die scheinbar nur dem Zweck dienen, die Stimmung zu töten. Andere Sprecher, wie der des zweifelnden und melancholischen Joseph, wirken schlicht fehlbesetzt und rasseln ihre Zeilen emotionslos hinunter.
Ob das in der englischen Version besser ist? Keine Ahnung. Wie schon seit Jahren, enthält uns Bethesda diese vor, auf der Disc befinden sich nur die deutsche, französische und italienische Sprachausgabe sowie Texte. Ich habe meine PS4 auf Englisch gestellt, trotzdem startete das Spiel standardmäßig auf Französisch, was mich sehr irritierte, da ich dieser Sprache nicht mächtig bin. Auch die Option des Herunterladens eines englischen Sprachpaketes besteht nicht, was in Zeiten von 15 GB-Day-One-Patches doch einen gangbaren Lösungsweg darstellen sollte. Doch scheinbar möchte der Publisher, dass wir in unserer Landessprache spielen, weiß der Teufel warum. Bei Wolfenstein: The New Order war das noch nachvollziehbar, da hier aufgrund der absurden deutschen Gesetzgebung stark zensiert werden musste und durch die Änderungen in der Geschichte eine eigene englische Sprachfassung für den deutschen Markt erforderlich gewesen wäre. Doch bei The Evil Within standen der Veröffentlichung einer multilingualen Version im deutschsprachigen Raum, die eben auch die originale Tonspur enthält, objektiv nichts im Wege. Diese Praxis empfinde ich als um so bedauerlicher, da ich prinzipiell geneigt bin, Spiele in Deutschland zu kaufen, sofern ich es mir leisten kann. Auch die Entwickler und Publisher sehen das gerne, da sie nur so die Arbeit ihrer lokalen Dependancen rechtfertigen können. Wenn nur noch importiert oder von asiatischen Keystores gekauft würde, dann wären diese überflüssig und Arbeitsplätze verschwänden. Und das möchte ja niemand.
Im Regelfall hätte ich The Evil Within trotzdem aus dem Ausland bezogen, da mir die englische Tonspur eben lieber ist. Dass ich nun doch die deutsche Version gespielt habe, liegt einzig daran, dass Bethesda so freundlich war mir eine Promoversion zur Verfügung zu stellen, sogar nebst eines schicken T-Shirts und eines freundlichen Begleitschreibens inklusive Lösungshilfe. Ich möchte trotz aller berechtigter Kritik nochmals betonen, dass die deutsche Lokalisierung von The Evil Within durchaus ihre starken Momente hat. Ich bin nicht der erste der feststellt, dass die deutschen Lokalisierungsstudios in den letzten Jahren erhebliche Fortschritte erzielt haben und trotz der widrigen Umstände unter denen sie arbeiten müssen, häufige solide Arbeit abliefern. So ist auch die Sprachausgabe dieses Spiels weit davon entfernt, grotesk schlecht und völlig vergeigter Mist zu sein, wie wir es gelegentlich bei anderen großen Spielen erleben und erlebt haben. Ich gucke in deine Richtung, Dragon Age: Origins. Jedoch trüben die genannten Qualitätsschwankungen die Freude. Und in diesem Punkt nicht frei wählen zu dürfen, verärgert mich zusätzlich und nachhaltig.
Comeback eines Wiedergängers
Doch weder der Ärger, noch die Freude über das wirklich schicke T-Shirt, noch der Schmerz in meinen von Gicht und Rheuma geplagten Krüppelhänden konnten mich daran hindern, The Evil Within durchzuspielen und zu genießen. Wenn auch eine große Survival Horror-Renaissance nicht zu erwarten ist, so erfreut es mich doch, dass das Genre auch im AAA-Segment wieder seinen Platz zu finden scheint. Zwar ist momentan neben dem ebenfalls bereits erschienenen und auf dieser Seite besprochenen Alien: Isolation nur noch das für 2016 erwartete Silent Hills als größerer Vertreter dieses Genres angekündigt. Doch wer weiß, vielleicht haben auch Capcom und EA ein einsehen und führen ihrer Serien Resident Evil und Dead Space wieder aus der Sphäre der platten Ballerspiele, zurück in die Welt des Horrors und des eher gemäßigten Schusswaffeneinsatzes. Vielleicht erwarten uns auch völlig neue, kreative Titel oder einige der gelungenen Indiefranchises kämpfen sich in die vorderen Reihen. Zu wünschen wäre es, auch wenn wohl keinem dieser Titel je die Verkaufszahlen eines Call of Duty oder GTA beschieden sein werden. Aber das ist auch gut so, denn die Vorstellung, dass die Nische ein Abstellgleis und Ausdruck mangelnden Erfolges ist, scheint in der Branche nicht mehr so weit verbreitet zu sein, wie noch vor einigen Jahren. Nicht zuletzt die Indie-Welle sollte den Großen gezeigt haben, dass auch Kleinvieh unter Umständen eine Menge Mist verursachen kann. Und wohin passt das Horror-Genre wohl besser, als in eine kleine, schattige Nische? Oder in einen Wandschrank. Oder unter ein Auto. Hauptsache sicher, richtig?
4 Kommentare
Was wolltest du uns jetzt sagen? Ich bin ein bißchen hilflos. Erst gewinnt man den Eindruck das Spiel sei nett trotz vernachlässiger Kritikpunkte, dann führst du eine ellenlange Triade über Lokalisation von Spielen um dann einen vermeintlich hoffnungsvollen Ausblick zu Horrorspielen zu geben.
Meine Frage : Ist The Evil Within eine Empfehlung wert oder nicht ?
Grüße blue
Hm, eigentlich hatte ich vor einen schönen Text zu schreiben, das war mein oberstes Ziel. In der Hoffnung, dass mir das geglückt ist, nehme ich wie gewünscht noch eine Kaufberatung vor:
Zuschlagen, das Spiel ist geil!
Triade…Tirade…Trias…Trallalaaaaa
(Mir gehen unpassende Sprecher auch tierisch auf den Nerv. Egal in welcher Sprache. Stimmt schon, dass die englischen Sprecher meist besser sind, aber egal wie: Entnervtes Gesabbelt lässt mich auch gern den Bildschirm anbrüllen.)