Was hat sich Nintendo eigentlich bei diesem EU-Release-Termin gedacht? Der 2. Januar? Seriously? Einmal davon abgesehen, dass man das wichtige Weihnachtsgeschäft nicht mitgenommen hat, ist es zudem sehr wahrscheinlich, dass Captain Toad: Treasure Tracker in den meisten “Best of 2015”-Listen keine tolle Platzierung bekommen wird. Spiele, die Anfang des Jahres erscheinen, haben in Zeiten des kollektiven ADHS erfahrungsgemäß keine guten Chancen, zwölf Monate später die Wertschätzung zu erlangen, die ihnen eigentlich gebührt. Und gerade in diesem Fall ist es besonders schade, denn Treasure Tracker ist mehr als nur ein putziger Lückenfüller für die traditionell schwachen Wochen nach den Feiertagen.
Nintendo-Fans (von denen soll es ja tatsächlich immer noch ein paar geben) kennen Captain Toad, quasi der Indiana Jones des Pilzlandes, bereits aus den Mario Galaxy-Spielen. Dort war er allerdings nur ein relativ unwichtiger Nebencharakter, der lediglich für ein paar nette Gags zuständig war. Erst in Super Mario 3D World hatte er einen etwas prominenteren Auftritt und konnte auch gespielt werden. Und zwar in den dort eingestreuten Bonusrunden, die das Spielprinzip von Treasure Tracker schon vorweg nahmen: Captain Toad muss in einem relativ kleinen und überschaubaren 3D-Level vom Startpunkt zum Ziel, dem großen gelben Stern, gelangen. Unterwegs sammelt er im Idealfall noch ein paar Bonusgegenstände, Münzen und 1Up-Pilze ein. Dabei muss er selbstverständlich einen Bogen um die im Level verteilten Gegner und Fallen machen. Klingt simpel, sieht auf den ersten Blick auch simpel aus, hat aber zwei größere Haken: Zum Einen kann Captain Toad nicht hüpfen, weil sein Rucksack bis oben hin voll mit Schätzen ist, was den Weg durch die Level teilweise ziemlich tricky macht. Um trotz dieser “Behinderung” durch die alles andere als barrierefreien Umgebungen zu kommen, müssen Aufzüge aktiviert, Plattformen verschoben oder manchmal sogar der ganze Level auf den Kopf gestellt werden. Zum Anderen sind die 3D-Level auch längst nicht so simpel gestrickt, wie sie auf den ersten Blick erscheinen. Viele Wege, Kammern und Gegenstände findet man erst, wenn man ausgiebig mit der frei drehbaren Kameraperspektive herumspielt. Beides zusammen macht aus dem, was vordergründig wie ein ultra-simpler 3D-Plattformer aussieht, ein sehr clever designtes Puzzle-Spiel.
Wenn man aus einer so einfachen Grundidee ein Spiel machen will, das deutlich länger als ein bis zwei Stunden unterhält, dann lautet der Schlüssel “Leveldesign”. Und genau hier beweist Nintendo EAD wieder einmal, dass man nach wie vor einige der fähigsten Köpfe der ganzen Branche beschäftigt. Es ist schon erstaunlich, dass Nintendo auch fast 20 Jahre nach Mario 64 immer noch mehr aus dem Thema “3D” rausholt als die meisten anderen Spieleentwickler. Die bereits erwähnten Bonus-Stages in Super Mario 3D World wirken im direkten Vergleich zum ausgewachsenen Spin-Off-Spiel wie eine Art Rumpf-Design, eine einfache Fingerübung. Abgesehen vom fehlenden Timer, der die Mischung aus Puzzlen und Geschicklichkeit nun (zumindest in den meisten der über 70 Levels) zu einer deutlich entspannteren Sache macht, wirkt das Design hier ungleich elaborierter. Außerdem wird das grundlegende Spielprinzip im Verlauf des Spiels dermaßen kreativ variiert, dass kein Abschnitt wie der anderen ist.
Schön sind auch die zusätzlich eingestreuten Spielmechaniken, wie z.B. das Rübenkanonenschießen und die Lorenfahrten, bei denen man aus der Egoperspektive mit dem Wii U-Gamepad zielen muss. Oder die beweglichen Level-Elemente, die man per Touchscreen verschieben muss, um Toad den Weg durch diese Abschnitte zu ebnen. Ebenso wie die Bossfights gegen einen Lava-Drachen, der grimmig sein will, aber am Ende genauso putzig ist, wie alles andere im Spiel.
Apropos putzig: Auch wenn Treasure Tracker schon allein durch sein Leveldesign und die Spielmechaniken wunderbar funktioniert, so gibt es doch einen ganz entscheidenden Faktor, der noch hinzu kommt: Charme! Davon hat es nämlich tonnenweise. Captain Toad ist von vorne bis hinten unglaublich niedlich gemacht. Und spätestens als das zweite Kapitel begann, hatte es mich komplett in der Tasche, weil man dann auch endlich meine absolute Lieblingsfigur aus der ganzen Pilzland-Bande spielt: Captain Toadette! Toadette und ich haben eine lange und innige Beziehung, weil sie schon in Mario Kart Double Dash meine Standard-Fahrerin war. Auch weil sie dort zu den Killer-Piloten gehörte, aber nicht nur. Ich finde einfach, dass sie mit ihren wehenden Zöpfen, ihrem rosa Kleidchen und ihrer Quietschstimme eine der gelungensten und niedlichsten Nintendo-Kreationen überhaupt ist. Und bevor hier jetzt jemand voreilig die Hand nach dem Trope-Alarm-Buzzer ausstreckt, sei noch auf folgendes hingewiesen:
Treasure Tracker hält sich insgesamt nicht großartig mit etwas wie einer Geschichte auf. Aber das bisschen, was man als Rahmenhandlung bekommt, fand ich schon ziemlich cool. Das Ganze beginnt nämlich damit, dass Toadette von einem Riesen-Vogel gekidnapped wird und Captain Toad sie nun retten muss. So weit, so “Damsel in distress” (Mario, Peach, Bowser – Ihr wisst schon…). Doch kaum hat Toad sie am Ende des ersten Kapitels gerettet, wird er nun selbst vom bösen Vogel entführt und es ist jetzt an Toadette, sich die Grubenlampe aufzusetzen und den schweren Rucksack mit den Schätzen zu schultern, um Captain Toad den Hintern zu retten. Und das ist noch lange nicht das Ende dieses Nintendo-untypischen Rollentauschs, aber mehr will ich hier nicht verraten. Auf jeden Fall “Hut ab!” an die Entwickler, dass sie in diesem Spiel eines der bekanntesten Nintendo-Klischees auf nette Art verarschen.
Captain Toad: Treasure Tracker ist vom Umfang her sicher kein Schwergewicht, aber wenn man alle Level nicht nur schaffen, sondern auch die kniffligeren Zusatzaufgaben alle erledigen will, ist man trotzdem viele Stunden beschäftigt. Außerdem ist es gar nicht mal so leicht. Mir ist es zunächst gar nicht richtig aufgefallen, aber die Level werden tatsächlich kontinuierlich schwieriger. Dass ich es bis kurz vor dem Ende, wo dann sogar ein paar Abschnitte kamen, die mich zum Rage Quit gebracht haben (kein Witz!), nicht gemerkt habe, ist ein weiterer Beweis für die grandiose Arbeit der Spieldesigner bei EAD: Das Spiel hat einfach eine nahezu perfekte Lernkurve.
Wenn Ihr also eine Wii U habt und auch nur einen Funken Gespür für Gamedesign, das pure Liebe am Videospiel ausstrahlt, dann holt Ihr Euch Captain Toad: Treasure Tracker. So viel Cleverness und Niedlichkeit bekommt Ihr derzeit in keinem anderen Spiel!
3 Kommentare
Frage an SpielerZwei, nachdem ich jetzt die Episode 1 durchgespielt und die jeweils drei Diamanten im Level gesammelt und “Nebenaufgaben” erledigt habe: Hast du dich an den “Zeitmissionen” versucht? Lohnt sich der Aufwand, außer für das Gefühl 163% aus dem Spiel herausgeholt zu haben (und vielleicht noch einen Stempel auf dem Buchumschlag)?
Ähm…
Das kann ich dir nach drei Jahren beim besten Willen nicht mehr aus dem Kopf sagen.