Mit ein wenig Fantasie kann ich sie mir vorstellen, die Traudl, wie sie im Dirndl am Herd steht und ihrem Gustl das Essen zubereitet. In der guten, alten (alternativen) Zeit, bevor alles den Bach runterging. Es dürfte wohl Sauerkraut mit Gelbwurst geben, beides aus der Dose und als Vorspeise eine ordentliche Portion Suppe Frau. Zum Nachtisch serviert Traudl riesige Dampfnudeln, bevor es zum geselligen Teil des Abends geht. Im Hintergrund knistert das Kaminfeuer, als die Traudl die Zither auspackt und sich der Gustl erst einen großen Schluck aus dem Maßkrug gönnt, bevor er beseelt das Horst-Wessel-Lied schmettert. Hach, wie schön und heimelig es doch war, bevor die Nazis (bzw. für uns deutsche Spieler „das Regime“) endgültig die Macht ergriffen und alles in Schutt und Asche legten.
Im alternativen Heute von Wolfenstein: The Old Blood haben Traudl und Gustl keinen Lebensraum mehr, sozusagen. Traurig, nicht wahr? Das Bürgertum mitsamt dem öffentlichen Leben ist in diesem 1946 völlig ausradiert und wer nicht gerade eine Uniform trägt, der liegt irgendwo verloren in der Gosse und brabbelt dummes Zeug. Die Welt scheint verloren; wäre da nicht BJ Blazkowicz, amerikanischer Agent des OSA (Office for Secret Actions), der in jungen Jahren womöglich in einen ganz großen Topf voller Testosteron und Anabolika fiel und eine herzliche Abneigung gegenüber den Nazis hegt und bleihaltig auslebt.* Schon im großartigen Wolfenstein: The New Order, im letzten Jahr als Reboot der Serie veröffentlicht, machte BJ Blazkowicz einen guten Job. Die als Prequel angelegte Standalone-Erweiterung Wolfenstein: The Old Blood erhält aber noch ein zusätzliches Old School-Sternchen von mir. Das wunderbar auf okkultes B-Movie-Niveau gezogene Nazi-Thema setzt genau die richtige Dosis an infantilen Blutdurst frei, mit dem sich ein frontaler Ego-Shooter weitaus geschmeidiger spielen lässt als es kinnkratzend und stirnrunzelnd möglich wäre. Und geradezu innovativ ist The Old Blood auch noch obendrein. Denn es ist die erste Standalone-Erweiterung, die nicht nur ein bisschen die Story ausweitet, sondern aus direkt zwei Spielen besteht. Im ersten Teil geht es Rudi Jäger an den Kragen, den Leiter des Gefängnisses auf Burg Wolfenstein und im zweiten dann Helga von Schapps.
Die Liebhaber von Wolfenstein mögen jetzt verzückt aufhorchen, denn Helga von Schapps ist eine Reminiszenz an alte Zeiten: Sozusagen ein Mischwesen aus Doktor Schabbs aus Wolfenstein 3D und Helga von Bulow (Helga von Braun in der eingedeutschten Variante) aus Return to Castle Wolfenstein. Das passt übrigens wunderbar zu ihrer Geschichte in The Old Blood, denn die wird sehr straight erzählt, was bedeutet: Die Wummen sind groß und sie dürfen ausgiebig genutzt werden. Sie sollten es auch, denn abgesehen vom finalen Bosskampf ähnelt die Helga von Schapps-Kampagne eher einem Shooter im Horde-Modus als einem modernen Genrevertreter mit Quasi-Open World-Maps und sonstigem Gedönskram.
Zuvor wandelt Wolfenstein: The Old Blood in den Fußstapfen seines großen Bruders The New Order, zumindest in abgespeckter Form. Wurde in New Order noch ein erfreulich großer Wert auf Dialoge und Beinahe-Charakterentwicklung gelegt (nach Shooter-Maßstäben, selbstverständlich), macht sich The Old Blood davon völlig frei. Wenn überhaupt mal gesprochen wird, dann nur kurz. BJ Blazkowicz denkt hin und wieder laut, immerhin, aber auch die innere Einkehr hält sich in Grenzen und ist ziemlich testosterongeschwängert. Ansonsten hat der Spieler in der Rudi Jäger-Story wie in The New Order die Wahl, ob er den stealthigen Weg wählt oder sich frontal durch die Horden der Nazis schießt. Wobei, ganz kleiner Mini-Minuspunkt, das Schleichen leider zu oft für die Katz ist. Dort, wo Generäle sind, wird BJ Blazkowicz entdeckt. Eher früher als später, trotz Deckung. Diesbezüglich gefiel mir The New Order besser, aber, wie schon erwähnt, es muss ja nicht immer friedlich herumgestreunert werden. Sich mit gezogener Wumme in die Nazihorde zu stürzen funktioniert auch, wobei es in manchen Passagen Sinn macht, sich zu merken, wo Munition und Rüstung herumliegen. Jaja, beides gibt es wieder mehr als zuhauf – aber nicht immer dann, wenn man es braucht.
Darf man eigentlich über einen Shooter schreiben, ohne auf das Handling der Waffen, den Sound und das ganze Genre-Pipapo einzugehen? Ja, warum nicht? The Old Blood lässt sich technisch nichts zu Schulde kommen, das soll mal dazu reichen. Es glänzt aber natürlich auf ganz anderem und eigenem Gebiet. Gute Shooter gibt es wie Sand am Meer, aber nicht viele bis gar keine, die mit solch einem wunderbaren Augenzwinkern altdeutsche Bräsigkeit auf´s Korn nehmen. Das nenne ich mal ein Alleinstellungsmerkmal! Der Blick auf Poster und Konservendosen lohnt sich; es wird albern gevolkstümelt und es ist eine wahre Freude in den friedlichen Phasen des Spiels ein wenig in den Ecken der Mapschläuche zu stöbern. Da wird beispielsweise zum Großen Wurstfest geladen, es gibt die Suppe Frau und neben dem obligatorischem Sauerkraut auch die mir völlig unbekannte Gelbwurst aus der Dose. Auch sonst bleibt Wolfenstein weder historisch noch geografisch akkurat. Doch es hat seinen ganz eigenen Charme, dass die Klischee-Dörfer wie aus Skyrim importiert und bayerischer als bayrisch aussehen. So ein idyllisches Dorf am Fuß der Alpen darf dann ruhig Paderborn heißen.
Seiner eigenen Tradition ist sich The Old Blood vor allem in der Rudi Jäger-Kampagne bewusst: Es ist jetzt nicht direkt so, dass mir bei den Scharmützeln in der Kabelbahn Tränen der Rührung aus den Augen schossen, aber die Fahrten hoch zur Burg Wolfenstein und wieder runter gehören zum Retro-Erlebnis einfach dazu und sie sind auch recht spannend arrangiert. Wer Zeit und Muße dafür hat, könnte mal die Räumlichkeiten in der Burg Wolfenstein aus The Old Blood mit denen aus den Uralt-Vorgängern vergleichen – da dürfte es sicherlich das eine oder andere interessante Easter Egg geben. Neben den offensichtlicheren, die verstreut im Spiel zu finden sind. Sehr prominent „versteckt“ sind die Alptraum-Szenarien, die ganz amüsant, aber nicht abendfüllend in jedem Level ein Stück pixelige Wolfenstein-Vergangenheit ins Jetzt befördern.
Kämpfte ich im Bosskampf mit Rudi Jäger alberner Weise noch bzw. nur um die Ehre seines verstorbenen Köters, geht es in der Helga von Schapps-Geschichte dramatischer zu. Nazi-Zombies vor brennender Kulisse mit obligatorischem Zeppelin und kombiniert mit geheimen Artefakten sowie einer verrückten Wissenschaftlerin können am Ende nichts Gutes ergeben. Sofern sich nicht BJ Blazkowicz der Geschichte annimmt und das tut er natürlich auf seine konsequente Art. Spielerisch sinken die Ansprüche im Vergleich zur ersten Kampagne, denn Stealth und Taktik spielen nun gar keine Rolle mehr. Es geht einfach nur ums Ballern. Fertig, aus. Da gibt´s aus meiner Sicht nichts dran zu meckern. Die Cut Scenes mit Helga von Schapps sind wunderbar „drüber“, die okkulte Nazi-Endzeit-Stimmung packte mich und eigentlich würde ich nur jubilieren, wenn es nicht den ollen finalen Bosskampf gäbe. Da brauche ich gar nicht eine einzige Sekunde lang in Richtung Bloodborne zu schielen, um hier den Daumen zu senken. Uninspiriert, simpel und lahm geht es auf den allerletzten Metern zu – wie in so vielen Shootern, leider.
An anderer Stelle bekommt The Old Blood doch noch am Ende die Kurve. Die Überleitung zu The New Order gelingt wunderbar. Eigentlich sogar so gut, dass ich damit beinahe direkt noch einmal losgelegt hätte, wenn nicht so einige andere Spiele noch gespielt werden wollen. Wobei rein genretechnisch The Old Blood die Latte sehr hoch gelegt hat. Mag The New Order als Spiel kompletter sein und der Wolfenstein-Serie gut getan haben, ist ein moderner Rückgriff auf den reinen Shooter-Kern eine hervorragend umgesetzte Idee. Dass sie heutzutage noch (profitabel) funktioniert, bewies letztes Jahr schon Sniper Elite 3 eindrucksvoll – wobei The Old Blood dem Wüsten-Shooter-Porno vom Humor über die Technik bis zu den Actionpassagen in allem weit überlegen ist. Ganz zu schweigen von der Spielwelt. Wie das normale Leben von Leuten wie Traudl und Gustl mal war, bevor alles zusammenbrach, das interessiert sonst kaum einen Entwickler von Shootern, gehört bei Wolfenstein aber zur gepflegten Tradition. Das erhebt die Serie weit über seine Konkurrenz und es ist schön zu sehen, dass mit Wolfenstein auch heutzutage noch respektvoll und auf höchstem Level experimentiert wird.
*Kleiner Ausflug am Rande: Die Zensur-Geschichte mit dem „Regime“ schenke ich mir ab jetzt einfach mal. Beim Spielstart fühlte ich mich kurz diskriminiert, weil mir der liebe Gesetzgeber verbietet auf Nazis zu schießen – aber dann zückte ich die Knarre und ballerte mir den Weg frei. Was soll´s. Und natürlich bleiben die Nazis auch in der deutschen Version Nazis, ganz gleich ob das Hakenkreuz durch ein „W“ ersetzt wird oder nicht.
2 Kommentare
Ich bin etwas zwiegespalten:
Einerseits bekommt man für die 20 Tacken klasse FPS-Futter für 8-10 Stunden. Es ist zudem eine schöne Hommage an die älteren Serien-Teile (ich meine nicht die Wolfenstein 3D-Traumsequenzen, sondern die direkten Bezüge auf Return to Castle Wolfenstein (2001) und Wolfenstein (2008)). Und die Überleitung des Endes zum Anfang von TNO ist auch gelungen.
Andererseits fehlen The Old Blood einige Aspekte, die TNO so großartig machten, insbesondere die coole Story und die liebevoll ausgeschmückte Welt.
Unterm Strich sollte man TOB definitiv nicht verpassen, darf aber nicht erwarten, etwas auf dem extrem hohen Niveau von TNO zu bekommen.