…an dem du einmal hängst, wenn du zurückdenkst…trällerten einst die Toten Hosen und manchmal gibt es tatsächlich diesen einen besonderen Augenblick, der sinnbildlich für eine ganze Lebensphase stehen kann. Im Privaten wie im Beruflichen sowie im Großen wie im Kleinen. Und bei Spielereien. Diesen einen ganz besonderen Moment hatte ich bei meiner allerersten Erfahrung mit Playstation VR und es hatte etwas mit Brüsten zu tun. Meine PSVR-Karriere startete ich mit der Demo von EVE: Valkyrie. Ich blickte mich mit großen Augen vor dem ersten Einsatz im Cockpit um und schaute dabei auch an mir herunter. Und sah Brüste. Weil ich plötzlich eine Pilotin war, zu meiner eigenen Überraschung. Diesen monumentalen Lachanfall werde ich so schnell nicht vergessen und wie immer sich VR zukünftig entwickeln wird, kann mir niemand mehr den Moment nehmen, an dem ich plötzlich erkannte, dass ich als Mann Brüste haben kann. Für mich steht diese Erfahrung auf eine leicht bizarre Art und Weise für all die großartigen und unbegrenzten Möglichkeiten, die VR bietet. Ganz abgesehen davon, wie gut die aktuellen VR-Spielkonzepte heute schon funktionieren.
Dabei kommt es, zumindest momentan, auf die individuelle Erwartungshaltung an. Für mich persönlich ist Immersion maßgeblich entscheidend dafür, wie mir ein Videospiel gefällt. Dass ich mit Virtual Reality einiges anfangen kann, war mir daher klar. Und daran ändert auch das recht unkomfortable Kabelgewirr von der PlayStation VR mitsamt dem döseligen Möchtegern-Headset nichts. Ebenso nicht die überraschend niedrige Auflösung, die leider näher am meinem Lieblings-Gadget, dem Google Cardboard, lag, als ich zu vermuten gewagt hätte. Dass die VR-Videospiele von heute mit dem Umfang von aktuellen AAA-Blockbustern nicht zu vergleichen sind, mag schade sein, aber nicht wundern. VR steht erst am Beginn seiner kommerziellen Reise.
Auch mit den VR-Texten bei Polyneux geht es hiermit erst los und da ich – soviel ich weiß – noch der Einzige aus der Polyneux-Rasselbande mit VR bin, beschränken sich die Texte erst einmal nur auf PSVR. Polyneux-Beiträge über Oculus Rift und Vive müsst ihr, liebe Leserinnen, Leser und Bots euch also selber ausdenken, aber das ist doch auch eine schöne Aufgabe. Wie dem auch sei, das Ding ist aktuell PSVR und mit Gunjack und EVE: Valkyrie stelle ich erst einmal zwei gelungene Vertreter aus dem Launch-Aufgebot vor und mit Driveclub VR noch den vermeidbaren Schuss in den Ofen.
Bei der herben Driveclub VR-Enttäuschung bin selbst mit meiner überzogenen Erwartungshaltung schuld. Keine Ahnung, warum ich dachte, dass Driveclub VR besser als sein „normales“ Pendant sein sollte. Ist es nicht und das in jeder Beziehung. Als Arcade-Raser ist und bleibt Driveclub ödestes Mittelmaß. Bei der VR-Variante blendet die Optik darüber aber nicht mehr hinweg. Driveclub VR ist ein ausgesucht hässliches Spiel – derart unschön, dass es nicht sauber spielbar ist. Zum einen, weil die geringe Weitsicht nur erahnen lässt, wann die nächste Kurve kommt und zum anderen, weil das gesamte Setting an Inspirationslosigkeit nicht zu überbieten ist. Darüber hinaus ist es als VR-Spiel schlicht ungeeignet. Ich bin mir sicher, dass mein mächtiger VR-Hangover nach meiner ersten ausgedehnten Session vor allem daher rührt, dass Kopf und Körper bei Driveclub VR so unschön voneinander getrennt wurden. Die Virtual Reality gaukelt mir mit allen Sinnen vor, dass ich dem Vordermann volle Pulle in einer mal wieder zu spät gesehenen Kurve hintendrauf knalle – aber in Wirklichkeit sitze ich gemütlich auf dem Sessel. Das macht so keinen Sinn, das ist nicht stimmig und darauf (und nur darauf) reagieren bei mir Kopf und Magen recht unangenehm.
EVE: Valkyrie macht dafür Sinn. Die Vollversion natürlich viel mehr als die oben erwähnten Demo. Als VR-Spiel der allerersten Generation mag es jetzt schon eine Art Klassiker sein. Ich bin mir ziemlich sicher, dass in zehn Jahren, wenn das Reboot gefeiert wird, viele damaligen Early Adopter rührselig auf EVE: Valkyie schauen und sich darüber freuen, dass VR-Games damals noch nicht so aufgeblasen waren, sondern sich auf das Gameplay, konzentrieren durften – und dabei schon fantastisch präsentiert wurden. EVE: Valkyrie ist eben keine nutzlose Portierung wie Driveclub VR, sondern der erste echte, kompetent entwickelte VR-Vollpreistitel. Und das hat wenig damit zu tun, dass ich Brüste in dem Spiel habe, sondern damit, dass es in jeder Beziehung (beinahe) perfekt funktioniert.
Der Lobgesang soll aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass EVE: Valkyrie ein simples Spiel ist. Es hat mit seinem Namensvetter überhaupt nichts zu tun und bietet dem verwöhnten AAA-Publikum sicherlich nicht ansatzweise genug an Inhalten. Das rein ökonomische Preis-Leistungs-Verhältnis ist für die Tonne, wenn überhaupt, auch wenn EVE: Valkyrie mehr Spielzeit als andere Vertreter aus der gleichen Preiskategorie bietet. Es bedient sich jedoch gekonnt vieler Spielelemente andere Combat-Shooter und verbindet damit wunderbar alte Gewohnheiten mit neuer Technik.
EVE: Valkyrie ist eine Art „Space Action Combat“ und damit eigentlich gar nicht mein Genre. In der Demo, vielleicht noch ungünstig vom überraschenden Geschlechterwechsel beeinflusst, habe ich nix getroffen. Es war ein peinlicher Start. Freude machte es mir trotzdem. VR funktioniert vor allem im Weltraum und dass aus vielerlei Gründen. Erst einmal, weil das All schick präsentiert werden kann. Und die Vertikale ist in VR besonders reizvoll. Für mich ist es eine Art Immersions-Boost, wenn ich gegnerischen Fliegern aus jeder erdenkliche Richtung kommend den Garaus machen kann. Oder sie mir. Das wird in EVE: Valkyrie wunderschön inszeniert, die Schlachten wirken monumental, bleiben dabei übersichtlich und lassen mir immer das Gefühl, dass Chaos noch halbwegs beherrschen zu können.
Dass die Missionen Standard-Geschichten sind, interessiert mich weniger. Mal sollen einfach böse Jungs ausgeschaltet oder eigene Flieger beschützt werden. Das funktioniert alles sauber und ist unspektakulär. Der Unterschied zu all den Genrevertretern besteht darin, dass man in EVE: Valkyrie mittendrin ist. Einen Luftkampf am Monitor zu spielen oder das Raumschiff als Piloten „tatsächlich“ in VR zu steuern und geradezu zu erleben, ist schon ein mächtiger Game Changer, sozusagen. Mir gibt das einen mächtigen Kick und wenn es nicht so niveaulos und schmierig wäre, würde ich sogar sagen, dass mein Busen bei einigen Missionen vor Aufregung geradezu bebte.
EVE: Valkyrie ist darüber hinaus perfekt komponiert: Kleine Ruhepausen wechseln sich mit harten Gefechten ab und es ist doch schön, wenn man neben all der nervenzerfetzenden Ballerei einfach mal eine Minute Zeit hat, um sich all die großartig designten Raumschiffe und Planeten anzuschauen, so wie sie in VR eindrucksvoll vor dem Cockpit thronen – während sie ansonsten in der Nicht-VR-Welt nicht mehr sind als eine schöne Tapete. Genre-typisch muss man eine gewisse fehlende Abwechslung in Kauf nehmen und mit Blick auf einen Quasi-Konkurrenten auch die vergleichsweise schwammige Steuerung erwähnen. Besonders mit der Bordkanone sind Treffer aus der Entfernung nahezu eine Glückssache. Es macht schon Sinn, auf die Raketen zu bauen und wer damit in einen schönen Rhythmus kommt, wird besonders den größeren Gefechten einiges abgewinnen können.
Der erwähnte Quasi-Konkurrent ist Gunjack, ebenso mit EVE-Genen ausgestattet und zusammen mit Batman mein momentaner VR-Favorit. Mit EVE: Valkyrie teilt es sich das Weltraum-Setting, ist aber ansonsten mehr guter, alter Shoot´em-Up als ein traditionelles Combat-Game. Letztlich fliegt man da einfach raus ins All und bekommt ein paar Gegner vorgesetzt, die man mit Dauerfeuer abballert. MSo läuft die erste Mission und wahrscheinlich die letzte auch und alle dazwischen ebenso. Ich bin erst mit drei Vierteln der „Kampagne“ durch. Mir scheint, dass die zu verdienenden Sterne für die Freischaltung neuer Missionen bei Gunjack hinten heraus recht unfair verteilt werden. Mehr gibt es über Gunjack aber auch nicht zu motzen.
In Gunjack sind wir kein Pilot eines ausgewachsenen Raumschiffs, sondern sitzen eher in einer Art Warrior-Kapsel (dem Gunjack, übrigens), in der man es nicht nötig hat, irgendwelche Manöver zu fliegen oder Gegnern auszuweichen. Entweder man trifft die Feinde oder eben nicht. Geschieht letzteres, wird man selbst getroffen. Das ist außerordentlich simpel und es klingt nach einem Spielkonzept aus den Achtzigern – und natürlich stimmt das auch. Aber es funktioniert nun mal höllisch gut und das reicht, um diese kleine VR-Perle ganz fest ins Herz zu schließen.
Schon der Einstieg ist sehr überzeugend. Wie man in der Kapsel sitzt und ganz langsam auf die Startbahn befördert wird, bevor man ins All geschossen wird…das sind einfach wunderbare Aha-Momente in VR und mir klappt da immer noch der Kiefer runter. Nicht zuletzt wegen des Timings. Bevor die erste Gegner-Welle anrollt, vergehen einige Sekunden. Zeit genug, um das wunderschöne Setting zu bewundern. Sich mal umzuschauen und tief durchzuatmen, bevor es rundgeht. Ich liebe es geradezu über Planeten hinweg zu fliegen und bin daher auch ein großer Freund von Elite: Dangerous, aber in VR ist das Gefühl eine ganze Ecke intensiver.
Mit dem virtuellen Sonntags-Space-Spaziergang ist dann aber recht schnell Feierabend. Immer kniffliger zu treffende Gegnerwellen machen das Leben schwer und vor allem in der Kombi mit einem Boss aka monumental großen gegnerischen Raumschiff, hängt Gunjack die Latte recht hoch. Wie schon gesagt, fürchte ich, dass auch damit die Spielzeit künstlich erhöht werden soll, aber so lange der Frust nicht annähernd die Überhand gewinnt, ist ja alles gut. Seit Demon Souls ist es wieder hip zu wissen, wann man inkompetenten Mist baut und bei Gunjack ist es nicht anders. Es gibt pro Mission zwei bis drei knackige Momente, in denen man zwingend mit voll aufgeladener Bordkanone plus Sonderwaffe (den Laser mag ich besonders gerne) bewaffnet einfach keinen Fehler machen darf. Schon eine kleine Unaufmerksamkeit kann letztlich dafür verantwortlich sein, dass es schon wieder keinen dritten Stern für die Mission gab. Frustrierend, aber dennoch gut.
Das Timing ist das eine, die Präzision das andere. VR hin oder her, wenn bei einem Shoot´em-Up Treffer Glücksache sind, spielt man in der Regel dieses Videospiel genau ein einziges Mal und dann nie wieder. Bei Gunjack zielt man nicht mit dem Gamepad, sondern mit den Augen. Man steuert also durch Kopfbewegungen und es ist fantastisch, wie gut und hochpräzise das funktioniert. Nicht zuletzt wird ein Spiel, in dem das Gefährt an sich sehr statisch ist und alles um einen herum nur so dahinflitzt, dann doch stimmig, weil man selbst ein bisschen was tun muss. Da die PSVR-Brille kein störender Fremdkörper ist, macht dies Gunjack zum für mich eindrucksvollsten Action-VR-Erlebnis derzeit. Das in VR auch in der Ruhe Kraft liegen kann, dafür steht Batman, aber darüber gibt es später etwas zu lesen.
Nun ging es erst einmal in die Action-Gefilden und da gibt es Licht und Schatten, die wunderbar die Stärken und Schwächen von VR aufzeigen – inklusive den Möglichkeiten und Hemmnissen von PlayStation VR im Besonderen. PSVR ist so innovativ wie altmodisch zugleich und wer darin keinen Charme sieht, dem ist meiner Meinung nach auch nicht zu helfen. Besonders die Indie-Fraktion müsste eigentlich voll auf den PSVR-Zug aufspringen – nicht zuletzt, weil die eher kleinen Spiele gezwungener Maßen innovativer als die Big Budget-Konkurrenz sein müssen, um langfristig eine Daseinsberechtigung zu erhalten. Ich finde das ungemein spannend und natürlich VR als Konzept erst recht. Meinen Segen hat PlayStation VR jedenfalls.
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