Fallout 4 habe ich nie beendet. The Witcher 3 habe ich mal angefangen, aber dann wieder liegen gelassen. Viel zu oft geht mir bei umfangreichen Spielen die Luft aus, obwohl ich eigentlich Bock drauf habe, obwohl ich gehooked bin und obwohl ich im Vorhinein eine einfache Fahrt für den Hype-Train gelöst habe. Es gibt so viele Superblockbuster die es nicht schaffen, mich motivatorisch über die Ziellinie zu tragen, Yakuza 0 aber spiele ich seit 70 Stunden und bin noch immer motiviert bis in die Haarspitzen. Was passiert hier? Was stimmt nicht mit mir? Hier habe ich die Motivation, die mir bei anderen umfangreichen Spielen fehlt. Wenn ich gefragt würde, warum das bei Yakuza anders ist, könnte ich schlicht erwidern: „Weil das Spiel einfach so verdammt geil ist!“ Da diese Antwort weder für die Leser_Innen noch für mich selbst befriedigend ist, hole ich etwas weiter aus.
Waren Konsolen früher Individualhardware mit teils äußerst unterschiedliche Stärken und Schwächen, stellen wir uns heute Plastikkästen voller PC-Hardware unter den Fernseher. Alles gleicht sich und alle Spiele erscheinen überall in praktisch gleichwertiger Form, außer für die Nintendo-Konsolen. Nach Marketing und Freundesliste sind Exklusivtitel ein ausschlaggebender Grund für oder gegen die Anschaffung eines bestimmten Gerätes. Während Nintendo seine altehrwürdigen Marken pflegt, abgesehen von Metroid, bedient Microsoft mit Halo, Gears of War und wenigen weiteren in erster Linie die Dudebro-Testosteron-Fraktion. Sony bringt einen bunteren Strauß an Titeln auf seine Playstation(s), in dem neben den westlichen Machismo-Gewächsen auch exotischere Blüten treiben. Dies liegt unter anderem an der japanischen Provenienz des Elektronikherstellers, aufgrund derer nicht alle Titel auf die Bedürfnisse von US- wie EU-Jungbullen zugeschnitten sind.
Die von Sega produzierte Yakuza-Reihe findet im Westen weniger Beachtung als God of War und Konsorten, ist aber eine Bank unter den Sony-Exklusivtiteln. Während der erste Teil noch aufwändig lokalisiert in Nordamerika und Europa veröffentlicht wurde, erschien der Nachfolger lediglich untertitelt und mit zweijähriger Verzögerung. Teil drei und vier wurden ebenfalls verspätet auf den Markt geworfen. Von Yakuza 5 hörten wir lange gar nichts, bis es nach drei Jahren digital veröffentlicht wurde. Die diversen Spin-Offs und Remasters kennen wir Gaijin nur aus Legenden und Erzählungen, vom Zombie-Ableger Yakuza Dead Souls abgesehen. Trotz dieser Veröffentlichungspolitik hat die Reihe auch im Westen ihre Fans und wird mal (wenig treffend) als japanisches GTA, mal (treffender) als geistiger Nachfolger von Shenmue oder gar (auch gut) als Brawler Marke Streets of Rage bezeichnet.
Yakuza: Zero erscheint nun fast zwei Jahre nach dem Japan-Release im Westen. Eine lokalisierte PS3-Version hat Sega sich gespart, dafür ist die PS4-Fassung auch physisch erhältlich. Wie üblich startet das Spiel in Kamurocho, einer fiktiven Variante des Rotlichtviertels von Tokyo. Zwar ist uns dessen Karte aus den vorangegangenen Spielen ebenso vertraut wie Protagonist Kazuma Kiryu, dieses Mal begeben wir uns jedoch in das Jahr 1988 und erleben die Anfänge der Verbrecherkarriere des jungen Yakuza. Der zweite spielbare Charakter ist der ebenfalls aus diversen Vorgängern bekannte Goro Majima, der in Sotenbori, einem ebenfalls fiktiven Teil von Osaka unterwegs ist.
Das zugrundeliegende Spielprinzip klingt vertraut: Aus der Third-Person-Perspektive steuern wir Kiryu bzw. Majima durch die Straßen und werden regelmäßig in Kämpfe mit Hooligans, anderen Yakuza, Betrunkenen, Männern in schwarzen Anzügen usw. verwickelt und geben den Lumpen aufs Fressbrett. Die Steuerung der Protagonisten gleicht sich, die größten Unterschiede liegen in den Kampfstilen, von denen jeder der beiden dreierlei beherrscht. Im Verlauf des Spiels können neue Techniken von NPCs gelernt und im Charakterbildschirm gekauft werden. Das benötigte Geld wird anfangs buchstäblich aus in den Straßen lauernden Tunichtguten herausgeprügelt, später werden zum Leveln jedoch extrem hohe Beträge benötigt. Während Kiryu diese durch das Immobiliengeschäft einnimmt, betreibt Majima Nachtclubs. Doch diese „Wirtschaftskomponente“ ist nicht die Einzige Möglichkeit, die Hauptstory von Yakuza Zero links liegen zu lassen.
Zur Zerstreuung können Kiryu und Majima Bowling, Darts, Baseball oder Billard spielen, sie können Karaoke singen oder Telefondating betreiben sowie Sega-Arcades besuchen und vieles mehr. All diese Minigames sind prinzipiell optional, manches wird jedoch innerhalb einer Haupt- oder Nebenquest eingeführt. Besonders schön war z.B. die Episode, in der Kiryu beim Bowling drei Strikes nacheinander werfen muss, was man einen Turkey nennt und als Preis bekommt er einen echten Turkey, also einen Truthan, aber in Wirklichkeit ist das dann ein lebendes Huhn und die Bowlingbahnmitarbeiterin bietet ihm an, das Huhn zuzubereiten, aber Kiryu bekommt Mitleid mit dem Tier und nennt es Nugget und schließlich stellt er es als Manager in seiner Immobilienfirma an und…
Das Skurrile und Bizarre spielt eine große Rolle in Yakuza 0. Während das Absurditätslevel in den Nebenquests konstant hoch ist, geht es in der Hauptstory zwar dramatisch, aber durchaus ernst zu. Während Kiryu aufgrund eines misslungenen Auftrags und der dahinter verborgenen Verschwörung um ein brachliegendes Grundstück in Kamurocho aus seiner Yakuza-Familie ausscheidet, versucht Majima sich nachdem er Aufgrund eines Verrats aus derselben ausgeschlossen wurde, sich wieder einen Platz in ihren Reihen zu sichern. Beide Linien sind voll großer Gesten sowie Gefühle und lassen uns teilhaben an den inneren und äußeren Kämpfen der Protagonisten. Zum Ende eines jeden Kapitels steht eine große Klopperei, die im Gegensatz zu den anderen Kämpfen etwas mehr als bloßes Button-Mashing verlangt. Große Teile der Erzählungen finden in Zwischensequenzen statt, die klasse geschrieben sowie gespielt sind und dank der Yakuza-typisch hervorragenden Gesichtsanimationen auch prima aussehen.
Das lässt sich vom Rest des Spiels leider nicht uneingeschränkt sagen, die PS3-Herkunft ist nicht zu übersehen. Während die überschaubare Größe der Areale für meine Begriffe noch ein Pluspunkt darstellt, lässt sich selbiges von den teils schwachen Umgebungstexturen und Animationen nicht behaupten. Zudem bricht die Framerate trotz der simplen Optik gelegentlich ein und leichtes Tearing stellt sich ein. (Letztere Probleme werden übrigens durch den Boost-Mode für nicht optimierte Spiele behoben, den das neuste Firmware-Update für die PS4 Pro enthalten wird.) Aber all das fällt wenig ins Gewicht, anlässlich des Umfangs, der Abwechslung und des schieren Spaßes, die Yakuza 0 bietet.
Wem kann man Yakuza 0 also empfehlen? Umso mehr ich darüber nachdenke, desto weniger weiß ich, wem ich es nicht empfehlen kann. Denn eigentlich spricht mich keine der enthaltenen Zutaten besonders an, manche, wie die für japanische Spiele typische Quietschigkeit, stoßen mich sogar eher ab. Dennoch schafft es die Yakuza-Reihe es seit jeher, mir ihre einzigartige Mischung schmackhaft zu machen und ihrem aktuellen Vertreter gelingt dieses sogar noch besser als den Vorgängern. Ich hänge jetzt bereits über vier Wochen in Kamurocho und Sotenbori ab und ein Ende ist nicht in Sicht. Obwohl ich doch langsam mal Fallout 4 beenden könnte, The Witcher 3 ernsthaft angehen müsste, South Park – The Stick of Truth nachholen sollte, in Super Mario 3D World reinschauen wollte… Aber das wird warten müssen, da ich derzeit mit Immobilienerwerb und Nachtclubmanagement beschäftigt bin. Zudem laufen hier in Kamurocho noch einige Fressen rum, die dringend poliert werden wollen. Wenn ich mich beeile, kann ich in 15 bis 20 Stunden durch sein. Ganz bestimmt. Es wird deutlich, dass es schon mit dem Teufel zugehen müsste, wenn Yakuza 0 Ende 2017 keinen Spitzenplatz in meinen Top Ten belegen würde. Obwohl in diesem Jahr mit starker Konkurrenz zu rechnen ist, schließlich erscheint bald Yakuza Kiwami…
Ich habe übrigens über 500 Screenshots aufgenommen. Einer geht noch.
3 Kommentare
Ich habe es gerade durch und muss auch sagen, ein klarer GOTY-Kandidat. In 2016 wäre es das für mich zweifellos gewesen.
Yakuza 3 und 4 habe ich durchgespielt. Bei Dead Souls war der Ofen relativ schnell aus, und Y5 wollte ich gerade weitermachen, als nun 0 herauskam. Die Mechanismen der Serie kenne ich also hinlänglich.
Aber bei diesem Spiel muss man wirklich den Doppelpunkt hinter dem Wahnsinn setzen. Ein Wahnsinn! wie packend die Story ist (und Y3 ist das erste und einzige Spiel, dass eine Träne aus mir herauslocken konnte – Rikiyaaaaa!). Ein Wahnsinn! wie süchtigmachend die Minispiele diesmal sind. Ein Wahnsinn! wie toll die Atmosphäre der Städte rüberkommt – obgleich technisch die PS3-Herkunft mehr als deutlich ist, fühlt man sich als Anhänger der Serie in die next gen geschossen.
Das ist Yakuza 0.
Für Zahlenliebhaber: 10/10.
Kleiner Nachtrag – da habe ich doch tatsächlich meine zwei großen perönlichen GOTY-Hoffnungen vergessen: Das System Shock Remake, was jedoch nach Wechsel auf UE4 als Engine ziemlich dürftig aussah. Und Poisoned Pawn, die quasi Enhanced Edition von Tex Murphy’s Underseer.