Was war ich verzaubert von den ersten öffentlichen Infos zu Ghostwire: Tokyo. Die grundsympathische Ikumi Nakamura durfte hier das Ruder in die Hand nehmen, und ihre künstlerischen Einflüsse auf Bayonetta versprachen bei den gruselig-schrägen Gegnerdesigns in Ghostwire schon Großes. Die Trailer eines ewig nächtlichen Tokyos in photorealistischer Grafik sahen fantastisch aus, ich wollte mich in dieser Welt so gerne bewegen. Ein Kampfsystem, das zwar aus der Egoperspektive stattfand, durch unerfindliche Handbewegungen der Figur und einen kräftigen Einschlag japanischer Mythologie in Form von Talismanen aber interessant und neuartig aussah. Ich hatte mich echt gefreut.
Dann ging es irgendwann bergab. Nakamura verließ Tango Gameworks aus gesundheitlichen Gründen. Zusätzliche Trailer zeigten immer noch nicht wirklich, wie das Spiel funktionieren würde, aber sprangen auf jeden Social-Media-Hypetrain auf. Streichelbare Hunde, süße Katzen? Klaaaar hat Ghostwire: Tokyo die zu bieten! Ich war nicht schlauer, aber irgendwann dann doch etwas genervt.
Und plötzlich hielt ich es in den Händen. Ich hatte schon fast vergessen, dass das Spiel veröffentlicht worden war, bekam aber einen Key ins Postfach gespült. Ich lud es runter, startete es, sah mir die ersten Cutscenes an. Alles war so angenehm seltsam, wie ich es erhofft hatte. Doch dann tat ich den ersten Schritt in der Spielwelt. Und meine Enttäuschung nahm mit jedem weiteren zu.
Ghostwire: Tokyo ist ein First-Person-Shooter, wie er der Far Cry-Formel nicht treuer folgen könnte. In Ghostwire: Tokyos Shibuya wütet ein bösartiger Geisternebel, der alle Menschen, die ihn berühren, entkörpert. Protagonist Akito wird gerade rechtzeitig vom Geist eines Cops namens KK besessen, sodass er der Entkörperung entgehen kann, und folgt nun dem Mastermind hinter dem Nebel, um seine Schwester zu retten und KKs Aufträge zu erfüllen. Fortan darf er Türme erkle- ich meine, Torii-Schreine aktivieren, um den Nebel zu vertreiben und neue Teile der Stadt begehbar machen, Federn sam- ich meine, Seelen in Talismane aufsammeln, die er erst gegen Währung kaufen muss, damit er nicht ständig zu einem Abladepunkt laufen muss, und in Nebenquests Kampfarenen säubern. Dabei stehen ihm spannende Bewegungsmöglichkeiten zur Verfügung: Er kann laufen, schleichen und sich an sehr seltenen, festgelegten Punkten mit einem Greifhaken auf Häuser ziehen, um dort Sammelobjekte zu finden.
Da Akito außerdem mit einem Fuß in der Geisterwelt steht, kann er die Yokai aus der japanischen Mythologie und die Monster, deren physische Formen für unterschiedliche Leiden der japanischen Leistungsgesellschaft stehen, mit Zaubersprüchen attackieren. Derer gibt es drei, die man jeweils aufladen kann, um leicht andere Effekte zu erzielen. Ausgelöst werden sie per Knopfdruck auf den rechten Trigger, zielen kann man mit dem linken. Klingt wie Schusswaffen? Ist auch so, denn die esoterischen Handbewegungen Akitos sind reine Zierde. Akito ist ein DOOM Guy mit drei Waffen, die sämtliches Trefferfeedback vermissen lassen, sich furchtbar träge steuern und schon gegen die erste Gegnerversion viel zu oft eingesetzt werden müssen.
Mein Hauptproblem mit Ghostwire: Tokyo, egal ob auf die Bewegung in der Welt oder das Schießen bezogen, ist das Folgende: Nichts fühlt sich gut an in diesem Spiel. Akito hat kaum Werkzeuge, um sich in der hübschen nächtlichen Fotokulisse, und selbst von der reinen Fortbewegung zu Fuß wird man ständig durch Schießerei-Passagen abgelenkt, die sich weniger befriedigend anfühlen als das erste HALO von 2001. Einen von beiden Schnitzern könnte ich locker verzeihen, wenn mich die jeweils andere Mechanik begeistern würde, aber Ghostwire hat, was das Gameplay angeht, einfach kein Fleisch auf den Rippen.
Wenn dann auch noch kleinere Problemchen von überall her dazukommen, versetzt das einem so wackligen Gerüst wie Ghostwire: Tokyo den Todesstoß. Auf die Far Cry-Struktur kam ich ja schon zu sprechen, die auf der Karte verteilten Fragezeichen sind da noch das geringste Problem. Für bestimmte Story-Beats und Errungenschaften muss ich außerdem die 250.000 Seelen einsammeln, die in der Stadt verteilt sind. Keine Sorge, das sind keine Viertel Millionen Sammelobjekte, die Seelen kommen in Packen von 100 bis 250. Es sind also nur ungefähr 2000 Collectibles, für die man laut Fans etwa 30 Stunden braucht, und die man vor der letzten Mission gesammelt haben muss, um alles zu sehen.
Diese 30 Stunden, in denen ich noch kaum Nebenmissionen oder andere interessante Punkte in der Welt gesehen habe, werden schließlich begleitet vom inkompatibelsten Protagonisten-Sidekick-Paar seit Jahren. Mit Akitos Charakter habe ich durchaus Spaß; ein bisschen schnell wechselt der anfangs panische Millennial zwar in den Doomslayer-Modus, aber die Vermischung typischer Horrortropes und japanischer Mythologie inklusive Studio Ghibli-Anleihen mit der ihm bekannten Spielwelt fängt das gut auf. Wirklich schlimm ist jedoch KK, dessen Stimme regelmäßig hallend durch den DualSense-Controller raunt und dessen englische Synchronisation tonal so wenig zum Inhalt des Gesagten passt, als würde er ein Piranha Bytes-Spiel vertonen. Dazu kommt, dass die Übersetzung vieler der Dialoge ins Englische so schlecht zu sein scheint, dass die beiden Figuren völlig aneinander vorbei reden. Zwischendurch habe ich die Sprachausgabe ins Japanische gestellt, damit ich das Gesprochene nicht mehr verstehe und das schlechte Writing nicht mehr so auffällt. Das hatte aber leider auch den Nachteil, dass ich während der Gefechte nicht mitlesen konnte und damit erst recht keine Charakterisierung für die beiden langweiligen Dudes für mich stattfand. Ich kann nur vermuten, dass das im Japanischen besser ist.
Nach acht Stunden habe ich diesen visuell hübschen Trip ins nächtliche Tokyo schließlich schweren Herzens und ein bisschen verärgert abgebrochen. Wenn wenigstens die Bewegung in der Welt ein wenig besser wäre, ich hätte auf die Story gepfiffen und einfach erkundet. Warum dieses Spiel keine Parkour-Systeme oder wenigstens einen frei nutzbaren Enterhaken hat, kann ich mir beim besten Willen nicht erklären. Da mich aber weder die Erkundung der Welt noch die Spielmechaniken noch die Geschichte von Tango Gameworks’ neuestem Spiel irgendwie berühren können, versuche ich mir meinen Tokyo-Kick vielleicht doch lieber nochmal über NEO: The World Ends With You oder die kürzlich veröffentlichte Switch-Version von 13 Sentinels: Aegis Rim zu holen.
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