Du kennst es. Endlich mal am Wochenende frei, die Kinder sind im Sommerlager, PlayStation an, eine Spielehülle aus dem Regal gegriffen, Disk eingelegt. Du freust dich auf dieses japanische RPG, von dem du schon so viel gehört hast. Es beginnt gut, nach einer stylischen Cutscene mit dem stummen Protagonisten, der in einer Schule mit seinen Freunden und Freundinnen abhängt und zwischendurch in eine metaphysische Zwischenwelt gezogen wird, in der Monster aus der Kognition von Menschen entstehen, die sich den sieben Todsünden verschrieben haben. Die schikanieren in der echten Welt ihr Umfeld, indem sie in der Metawelt als Herrscher über ihre Domäne die Wahrnehmung anderer Menschen beeinflussen. Zum Glück kannst du, ja du, als Protagonist mit übernatürlichen Fähigkeiten, die du beim Pakt mit einem Dämonen erlangt hast, und deinen ebenso ausgestatteten Mitschülern ihre Pläne vereiteln. Dazu musst du nur in die kognitive Sphäre der Herrscher eindringen und dich auf die Suche nach den Juwelen machen, die die missgeleiteten Ideale der von den Todsünden eingenommenen Verbrecher repräsentieren.
Und dann fällt dir auf, dass du zwar die Hülle von Persona 5 Royal aufgemacht hast, da aber die Disk von Monark drin war, weil du wieder nicht ordentlich aufgeräumt hast. Ups.
Es ist aber auf den ersten Blick auch sehr einfach, in Monark eine Art Low-Budget-Kopie von Persona 5 zu sehen. Koch Media selbst – immerhin Publisher beider Titel hier im Westen – hat den Vergleich ordentlich breitgefahren. Nicht ohne Grund wahrscheinlich, denn Monark ist zwar kein Erstlingstitel, aber hier drüben ist LancArse als Studio kaum bekannt. Und die Parallelen sind, wie der Einstiegstext deutlich machen sollte, geradezu absurd. Zumindest was die übergreifende Story und das Setting angeht. Doch Monark ist alles andere als eine Kopie von Persona, und abgesehen von den oberflächlichen Ähnlichkeiten so viel mehr als ein JRPG. Im Kern ist Monark der Nachfolger eines absoluten Geheimtipps, den aber hierzulande kaum jemand gespielt haben dürfte. Denn LancArse hat vor vielen, vielen Jahren das enorm komplexe Lost Dimension für die PlayStation Vita entwickelt, das – weil es eben für die PlayStation Vita entwickelt wurde – von keiner Sau gespielt worden ist.
Daher hier ein kurzer Abriss: In Lost Dimension wird ein aus versklavten Psychokinese-Nutzern gebildetes Squad-Team in einen riesigen Turm geschickt, der mitten in Tokyo entstanden ist und die Leute dort wahnsinnig macht. In einem Taktik-RPG, das Echtzeitbewegung und Rundenstrategie mischt, steuere ich alle diese Squadmitglieder im Team. Jeder Soldat hat eine eigene Waffe und spezielle Fähigkeiten, die sich grundsätzlich von denen der anderen unterscheiden: so hat einer zum Beispiel die Macht über das Feuer, während ein anderer die Gedanken von Materie lesen kann und damit Gegenstände auf dem Spielfeld kontrolliert. Zwischen den Kämpfen freunde ich mich mit den Figuren an, die alle eine eigene tragische Backstory mitbringen und verdammt gut geschrieben sind.
Besagter Turm besteht aus mehreren Ebenen und wird von einer mysteriösen Macht kontrolliert. Diese Macht hat jedoch Schläferagenten in die eigene Einsatztruppe geschleust, und pro Ebene muss ich eins meiner Teammitglieder exekutieren, nachdem ich zuvor durch Detektivarbeit und Gedankenlesen hoffentlich herausgefunden habe, wer der aktuell aktivierte Schläfer ist. Schaffe ich das nicht, stehe ich im finalen Kampf den Verrätern gegenüber. Und um all diese Komplexität noch zu toppen, muss ich Lost Dimension mindestens zweimal durchspielen, da mein eigener Charakter Wissen aus dem ersten Spieldurchgang mitnimmt und ich erst alles sehen kann, wenn jede Figur mindestens einmal nicht der Verräter war. Es ist hervorragend, und ich würde Lost Dimension jedem und jeder mit Zugriff auf eine Vita empfehlen.
Warum ich euch das hier so ausbreite? Nun, willkommen in Monark, dem Lost Dimension 2.0. Gerade im Kampfsystem fällt das auf: Monark übernimmt das Strategiesystem aus Lost Dimension bis hin zu denselben Fähigkeiten, die die Hauptfigur mitbringt und verfeinert es noch weiter, sodass ich vor lauter Möglichkeiten kaum weiß, was ich als nächstes tun soll. In vier anfänglichen kurzen Kapiteln stellt mir Monark außerdem mein Team aus Mitschülern vor: Jede und jeder davon hat spezielle Fähigkeiten, die sich aus seiner oder ihrer Persönlichkeit ableiten. Und alle haben sie eine eigene Motivation, die im weiteren Verlauf des Spiels mit meiner eigenen kollidieren könnte: Zwei meiner Teammitglieder sind von Todsünden besessen, ebenso wie ich selbst. Alle drei kommen wir zunächst gut miteinander klar, weil wir die anderen Todsünden-Jünger – die mit den namensgebenden Monark-Sünden verbunden sind – aus der Welt schaffen wollen, um eine Barriere zu lösen, die die ganze Schule im Bann hält. Sind diese anderen jedoch erledigt, muss ich abwägen, denn ich kann nur ein Teammitglied dauerhaft in meinen eigenen engeren Zirkel aufnehmen. Verbünde ich mich mit einem der Dämonen-Paktierer, baut sich seine Motivation in meine eigene ein, und am Ende steht die Barriere vielleicht immer noch. Verbünde ich mich mit dem Sohn der Rektorin, muss ich vielleicht meine Freunde verraten und besiegen, denn die Rektorin selbst schickt mich überhaupt erst auf die Quest, alle Monarks zu besiegen und am Ende auch meinen eigenen niederzuringen. Will ich die Schule befreien, zur Not auch im Tausch gegen meine eigene psychische Gesundheit? Ist sie mir egal, und ich möchte nur meine Macht ausüben? Oder verdicke ich willentlich den Nebel, der die Schule gefangen hält, weil ich lieber selbst herrsche als es anderen zu überlassen? Monark adaptiert die variable Handlung von Lost Dimension in das clever geschnürte Korsett seines Schul-Settings. Ich könnte nicht glücklicher damit sein, wie LancArse ihr großartiges eigenes Figurensystem auf den großen Bildschirm bringt. Ich hoffe bloß, dass Monark unter den exzessiven Persona-Vergleichen nicht gelitten hat, denn dieses Spiel hat es absolut verdient, mehr Leute als nur eine ausgewählte japanophile Blase zu erreichen.
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