Das Licht, ich habe das Licht gesehen!
Es ist 8:06 Uhr am morgen, die Sonne strahlt, und ich sitze in Unterhose im Wohnzimmer, zwei Joy-Cons wie Red-Bull-Dosen in den Händen gekrallt, und spiele The Legend of Zelda: Tears of the Kingdom. Müsste ich nicht eigentlich arbeiten? Klar, aber erst später. Ich stehe früh auf, nicht weil ich muss, sondern weil ich… sonst abends nicht schlafen kann. Schließlich bewege ich mich kaum, nur von der Couch zum Schreibtisch und an den Kühlschrank.
Link hingegen bewegt sich, als hätte er nichts anderes im Leben. 80% meiner Spielerfahrung bestehen aus Fortbewegung, von der ein gutes Drittel sogar Spaß macht. Das ist ein Riesending, denn es ist eine gigantische Verbesserung gegenüber Breath of the Wild, das sich zum Ziel gesetzt hat, Klettern in Spielen zu revolutionieren und zur Hauptmechanik zu machen – und mir dann die Langeweile als Spaß zu verkaufen, die ich verspüre, während ein grüner Platzhalter-Kreis langsam heruntertickt, während ich, noch viel langsamer, an irgendeiner Felswand klebe.
Ich bin kein Fan, das liest man aus diesem Text schnell heraus. Wer eine Welt so offen, so weit und so größtenteils leer an spannenden Orten designt, um die Bewegung und Erkundung als Mechanik schmackhaft zu machen, sollte sich echt nicht so viel Mühe geben, diese dann so schal wie möglich zu machen. Dass ich Pferde nur an bestimmten Ort rufen und dann auch nicht unbegrenzt weit zu mir pfeifen kann, habe ich Breath of the Wild nicht verziehen. Und dass ich auf jeder verdammten Klettertour wahllos von Regen überrascht werden kann, der mich im schlimmsten Fall den ganzen Weg wieder nach unten rutschen lässt, das halte ich wie James Stephanie Sterling für ein frustrierendes Unding.
“Aber es ergibt doch total Sinn!”
Ja klar ergibt das Sinn! Aber ich will nicht, dass mein Spiel Sinn ergibt, sondern dass es Spaß macht. Und das hat in Breath of the Wild – für mich! – wenig.
Tears of the Kingdom macht das inhärent besser. Denn nun, da das Klettern nicht mehr zentrale Innovation, sondern Beiwerk ist, darf ich es endlich auch mit zahllosen Mechaniken umgehen. Treppen aus Holz bauen? Kein Problem, dank der neuen Ultrahand-Fähigkeit. Einen ganzen Berg nach oben springen, indem ich mich unter einen kleinen Vorsprung stelle und mich durch die Decke porte? Auch dafür gibt’s eine Fähigkeit! Und wenn grade kein Vorsprung da ist, klebe ich eine Rakete an mein Schild und lasse mich damit nach oben katapultieren, oder ich baue fix einen Heißluftballon. Da ich außerdem jederzeit und überall aus Holz, etwas Feuer und einem Pinienzapfen einen gigantischen Aufwind und dank der Belohnung aus dem ersten Tempel, zu dem einen das Spiel leitet, einen potenten Rückenwind produzieren kann, brauche ich wirklich nie wieder klettern. Dass einem das Spiel in einer recht frühen Questline dann den Froggie-Anzug, mit dem man bei Regen nicht mehr rutscht, vor der Nase rumwedelt, wirkt da schon fast lächerlich. Brauch ich nicht, danke! Ein Glück.
Diese zusätzliche Bewegungsfreiheit macht die Erkundung der Oberwelt erträglich. Immerhin gibt es jetzt nämlich auch einiges mehr zu entdecken, was auch interessant sein kann. Nicht nur Camps mit Gegnern, aus denen ich am Ende dann eine Waffe mitnehme, die nach fünf Schlägen bricht (keine Angst, dazu komme ich auch noch). Die Abgründe mit der Unterwelt, die fliegenden Inseln, die mich mit Schatzkarten für die Unterwelt versorgen und sogar den ein oder anderen Boss bereit halten, das macht Laune. Und die Schreine sind diesmal auch erträglich, weil die Fähigkeiten Links so viel besser sind als in Breath of the Wild – statt schwer kontrollierbarer Physikspielereien, meiner Nemesis in allen Puzzlespielen, die mehr Physik einbauen als Skyrim rollenden Käse zulässt, gibt’s nun Bauen, Bauen, Bauen. Und gelegentlich ein fast schon wirklich als Zelda-Puzzle zu bezeichnende Kopfnuss mit Zahnrädern, Zeitzurückdrehen und Plattforming. Nie wieder komisch auf Kugeln in Stasis einhauen!
Und anstatt mich nur alle zehn Minuten mal einen Korok finden zu lassen, lässt mich Tears of the Kingdom nun tatsächlich auch mal das Gefühl fühlen, etwas zu entdecken. Riesige in den Boden geritzte Glyphen, geheime Brunnen, die in den Abyss führen, magische Hasen, die mich in Höhlen führen und auf Puzzle aufmerksam machen, die sich von denen in den Schreinen unterscheiden… Und habe ich erwähnt, dass es diesmal wieder richtige Tempel mit Puzzles und Kämpfen gibt, anstatt wie bei den vier Bestien aus dem Vorgänger teils verwirrende Kletterrätsel um jeweils eine, meist physikbasierte Mechanik zu konzipieren? Es ist traumhaft.
Ach, du schärfst schon dein Messer, weil ich Breath of the Wild hier so durchgehend runterputze? Dann warte kurz ab, einen hab’ ich noch, denselben wie eigentlich jede:r andere: Die Waffen. Die Waffen! War ja angekündigt. Während dir dein Messer vor Empörung zerbricht, weil du es zu stark angeatmet hast, lass mich erklären. Ich hab’ eigentlich nichts gegen die brüchigen Waffen. Sie geben mir aber auch nichts. Und sie illustrieren als System meiner Meinung nach gut, wie die Intention des Spiels, mich damit zu motivieren, sagenhaft versagt: Meistens kann ich Kisten getrost stehen lassen, weil sowieso wieder nur irgendein Bogen drin steckt. Das führt dazu, dass ich oft keine Sekunde darüber nachdenke, wie ich ein optionales Ziel in einem Schrein erreiche, und so gut wie alle Monster-Außenposten ignoriere. Bringt ja nix. Einfach weiter, woanders nach Spannung suchen. Zweitens versorgt mich das Spiel sowieso überall dort, wo ich es brauche, mit den entsprechenden Werkzeugen. Eine Höhle voller Felsbrocken, die ich zerschmettern muss, um weiter zu kommen? Dann liegen definitiv überall alte Schwerter herum, die ich mit Steinen zu Hämmern kombinieren kann. Jeden Stock kann ich mit den Materialien, die schon die ersten storyrelevanten Gegner droppen, in potente Schwerter verwandeln – was also für Werkzeuge gilt, gilt auch für Waffen: Sie sind immer da, es gibt nie Not, und nie Freude, wenn ich doch mal etwas leicht Stärkeres finde. Einen Drang, meine Taschen aufzuwerten, habe ich deswegen auch nicht, was die Koroks angenehm egal macht. Denn viel lieber, als auf ihre Bitten zu hören, klebe ich die verfluchten Dinger an eine Rakete und ballere sie in den nächsten Ozean.
Wenn alle zwei Monate irgendwer auf Twitter die Diskussion anstößt, ob irgendein Subsystem von Breath of the Wild total revolutionär geil / richtig schlimm war, verkneife ich mir immer meine Meinung. Jetzt, wo es Tears of the Kingdom als Referenzpunkt gibt, kann ich aber einfach mal unter dem Deckmantel einer Rezension auf die Kacke hauen: Tears of the Kingdom ist gut. Nicht mega geil – dafür hat man immer noch viel zu schnell alles gesehen, dafür sind die Tätigkeiten in der offenen Welt viel zu sehr Abarbeiten ohne wirklichen intrinsischen Spielsinn, dafür labern die Figuren zu viel sich wiederholenden Fluff und lösen in den Hauptquest immer noch jedes Rätsel für dich, bevor du überhaupt den Raum richtig sichten konntest.
Aber es macht den Schritt von Hyrule als lebloser Transitwelt mit einer Hand voll letztlich enttäuschender Landmarks zu einem horizontal und vertikal gespannten Netz aus Aufgaben und Aktivitäten, von denen die meisten nun Spaß machen. Und die, die keinen Spaß machen, lassen sich nun mit einem Flammewerferpenis-bewehrten Mech, einer Laser-Kampfdrohne oder einem Raketenschild umgehen oder trivialisieren.
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