Wir öffnen für euch jeden Tag ein Türchen in unserem Adventskalender und präsentieren euch jeweils einen unserer ganz persönlichen Lieblings-Autoren, die einen kleinen Gastbeitrag für uns und euch verfasst haben. Am 19. Dezember geht es ums Wetter.
Heavy Rain
Gastbeitrag von Benedikt Klinghammer, schreibt auf http://pixelzwist.de.
Sturmwinde, die uns, als Regentropfen getarnte Nadelstiche ins Gesicht treiben. Wasserlachen an Gehwegrändern, die in eitlen Reflexionseffekten ihre stiefeldurchnässende Realität verharmlosen. Windböen, die in unseren Haarschöpfen ihre Spielwiese finden, immer im Wettstreit um die windigsten Bad-Hairday-Kreationen.
Man will nicht raus, dann muss man doch, und Fluchen tröstet über das Unwohlsein nur halb hinweg. Jeder Schritt einer zuviel, jeder trübe Blick aus den Tiefen der Schalkrause einer, der untrüglich Trübliches zeigt. Die Wangen gespannt, jede Berührung wächsern kalt, das Gewebe gummigleich tot, und da wo Leben verharrt, brodelt es kribbelnd, ameisengleich unter der Haut. Beschlägt das Bewusstsein mit juckender Pein. Schneereste liegen unförmig zerdrückt in kalten Ecken. Konservieren die Spuren, den Dreck, menschlicher Häufung. Spotten der Symmetrie menschenhandgestutzter, immergrüner Parkanlagen. In den eiskalten Atemzügen, die Inneres augenblicklich in gefühlter gläserner Kristallität erstarren lassen, dünstet totes, in verkrusteten Lagen vom Asphalt blätterndes Laub, den säuerlich erdigen Geruch der Verwesung aus. Die Unwilligkeit des Sonnenlichtes Präsenz zu zeigen, gewöhnt die Augen an den schummerig kontrastlosen Grauton, dessen Nuancen man Konturen abzuringen versucht, immer wieder durchsetzt von gleisenden Lichtquellen, die in ihrer unbarmherzigen Künstllichkeit, blendend und stechend die Pupillen engen.
Und dann kehrst du Heim. Und mit der Schlüsseldrehung empfängt dich ein würziger Schwall warmer, umschmeichelnd unmschließender Luft, die Verheißung eines dampfenden Kaffee`s, die Gemütlichkeit warmen Lichtes und noch wärmerer Kissen.
Und du freust dich über die Gemächlichkeit und Gnade des Winters. Der dich mit einem Nichts an Schönheit, Aktion und Getöse, allein Kraft seiner Kontraste, so glücklich zurücklässt.
Man verzeihe mir meine romantisierte Einleitung. Aber wie sonst beschreibt man ein Gefühl, eine Stimmungslage, deren Imitat in Spielen (mehrheitlich; Spiele wie Harvest Moon oder Rennspiele stellen die Ausnahme) auf einen Effekt grafischer Natur heruntergebrochen wird?
Wettereffekte haben sich, als dynamisierendes Element steriler Welten schnell etabliert. Durch einen einfachen Partikeleffekt (Oder, noch einfacher, einer animierten Textur die, ähnlich geringbudgetierter Actionfilme die zur Anzeige eines Brandes schlicht eine Flamme vor die Kamera halten, über den Bildschirminhalt gelegt wird) gelingt es ihnen, mal besser, mal schlechter, Bewegung und Stimmung in eine Szenerie zu tragen. Gleichwohl bleibt die Anzeige dieser Szenenvariationen fast immer nur ein grafischer Effekt, dessen Essenz weiter Erzfeind polygonaler Technik bleibt. Denn sowohl Wind, Regen als auch Schnee sind Elemente deren Berechnung über das Volumen funktoniert, und mit der polygonalen Flächenberechnung (genauer: Der Texturveränderung durch Pixel-Shader) nicht ausreichend abgebildet werden kann. Natürlich versucht man sich, gerade in Bezug auf Regeneffekte, an allerlei Tricks.
War die Berechnung einzelner Tropfen, samt deren Zerstäubung bei Auftreffen auf Levelgeometrie in “Ultima IX:Ascension” noch Zucker für meinen Grafikhurenfetisch, suhlte ich mich nur kurze Zeit später in spiegelnden, durch Regentropfen in Aufruhr versetzten Quecksilbertümpeln (meine logische Erklärung übrigens, warum der Rest der Grafik so missgestaltet ausfallen musste) eines “The Elder Scrolls: Morrorwind”.
Nachdem die Darstellungsproblematik von Wasser mit Aufkommen der PS3 ( und den Versprechungen der Lod-Techdemo),eigentlich als gelöst betrachtet werden konnte, machte mich “Cryostasis” Stutzen, das für die Simulation jedes Wassertropfens ein Jahr Lebenszeit der Grafikkarte forderte. Der Deal schien mir fair, das Ergebnis weniger. Scheinbar war meine Geforce schon ziemlich am Ende, denn mehr als ein kümmerliches Rinnsaal ward mir nicht gegönnt.
Mittlerweile belegte man nasse Szenerien mit einer Specularity-Map, die Level in einen Glanz tauchte als wäre eine, mit speckgespickten Putzmobs bestückte Putzkolonne, zudem in germanischer Gründlichkeit, über ausnahmslos alle Texturen gefahren. Kurzer Zeit später versah man diese triefenden Texturlappen zudem mit einer Animation, die eine Flussrichtung simulieren sollte. Auch gerne unbeeindruckt von physikalischen Gesetzen, in Gebäuden oder den Berg hinauf, transpirierten die Level nun in impertinenter Weise.
Und der Regeneffekt selbst? Weiterhin simulieren die wenigsten Spiele wirkliche Regentropfen sondern legen verschiedene “Regentropfenebenen” vor die virtuelle Kamera mittels der in Verbindung von Richtung, Fokus und Geschwindigkeit ein dynamisches Regenverhalten simuliert werden kann. Das sieht soweit ordentlich aus, hat aber den Nachteil das die Unbeständigkeit der Stärke, vor allem aber der Windrichtung, ausgeklammert wird. Und es sind doch gerade die Böen, die uns frösteln und schauern lassen, und, ganz ohne haptische Schnittstelle, physisches Unwohlsein erzeugen.
Überhaupt der Wind: Dass Stilleben tote Szenerie ist, hat man mittlerweile verstanden. Die Art der Bewegungserzeugung ist aber noch immer von grober Kleinteiligkeit bestimmt. So wird Bekleidung im Zuge der Charakteranimation bewegt, die Geräuschkulisse aus diffusen Ambient-Sounds erzeugt und Gräser und Gestrüpp durch eine zufällige Polygonbewegung zum Leben erweckt. Alles in, mitunter krassem Gegensatz zueinander.
Eine ganzheitliche Windberechnung, die, von der Wolkenbildung bis zur Flussrichtung der einzelnen Partikel, eine durchgängige Strömungsberechnung (und sei sie noch so grob) bietet, leistet keine der großen Engines, und steht scheinbar auch nicht auf der Agenda der Entwickler.
Vielleicht auch deshalb, weil der Stimmungsgewinn durch Wettersimulation einer Konzentration auf eben jene bedarf. Das Gefühl des Kampfes mit den Naturgewalten, das sich höheren Kräften ausgeliefert fühlen, das schlussendliche Hinnehmen einprasselnder Regenmassen in der Gewissheit nichts dagegen tun zu können, all das sind Momente subtiler Emotion die Spiele bereitzustellen nur schwerlich in der Lage sind. Denn sie bedingen ein Selbstverständnis der Spielfigur als Mensch mit alltäglichem Erfahrungshorizont. Und eine Verweigerung des typischen hehren Ziels, der Weltenrettung oder Terroristenjagd, dessen Brisanz einen Fokus auf das Wettergebahren ins Lächerliche führen würde.
Wenn Spiele aber die Ruhe fänden den Menschen im Menschsein zu portraitieren, sie könnten in der Wettersimulation ein gleichwohl präzises wie emotionales Instrumentarium zur Stimmungsmodulation des Spielers finden.
Und dann verlören wir uns auch in Computerspielen im sanften Treiben umhertaumelnder Schneeflocken die sich, verschränkend, verbindend, verschleiernd auf spröde Ecken und Kante setzten, ihnen die Schärfe und das Alter nehmend, ihre Form neu schrieben. Ungeachtet der Dunkelheit, würden wir unsere Füße durch den Neuschnee schieben, die Finger in kindlichem Übermut in die Dichte der Flocken grabend, durch Landschaften wandeln, derer funktionale Benennung als Straße, Gehweg oder Park, sie sich mit der Verhüllung entledigten. Und im matten Schein safrangelber Gaslaternen, deren Widerschein sich in den Schneewehen mit dem dunklen Blau des Umraumes mischt, und unseren Weg diffus erleuchtet, würden wir den Winter weniger sehen als vielmehr fühlen.
3 Kommentare
Nahezu poetische Gedanken zu diesem Thema! Ich bin kein Experte aber ich gehe davon aus dass realistisch simulierte Wettereffekte die Hardware der aktuellen (und auch kommenden) Konsolengeneration dezent überfordern dürfte.
Das wäre es, ein Spiel über das Wetter. Ohne anthropomorphe Figuren. Eine Dramaturgie des Wetters.
Wobei, ich durfte mal ein bisschen in Flower reinschauen, und das war es ungefähr.
Der Text ist aber echt sehr barock:)
wenn general purpose gpu computing in den grafiksystemen vereinheitlicht wird (durch z.b. microspfts compute shader), sind so stark aufwändige partikeleffekte wesentlich greifbarer.