Wenn man Nintendo-Fans fragt, welche ihre Lieblingsserie ist, dann nennen sie Spiele wie Smash Bros, Mario Kart, Zelda, Animal Crossing, Metroid und natürlich die 2D-/3D-Marios. Bis irgendjemand dann doch mal „Pikmin“ sagt, muss man schon ziemlich viele Leute fragen. Oder direkt mich. Die Pikmin-Spiele sind nämlich seit dem ersten Teil meine absolute Lieblingsserie von Nintendo.
Jeder Teil wurde von der Kritik gelobt, aber keiner vom Publikum auch nur annähernd so gut aufgenommen, wie die oben genannten anderen Nintendo-Serien. Ich nehme an, dass der Pikmin-Franchise keinesfalls ein Geldgrab für Nintendo darstellt, aber es ist ihm bisher nicht gelungen, ein weiteres Aushängeschild der Firma zu werden, so wie es Shigeru Miyamoto zu Gamecube-Zeiten vorschwebte. Stattdessen fliegt die Reihe seit 22 Jahren irgendwie als respektabler, aber nicht übermäßig erfolgreicher „Fan Favorite“ unter dem Radar der breiten Spielerschaft.
Nun, 10 Jahre nach dem letzten Teil, versucht Nintendo mit Pikmin 4 (und der gleichzeitigen Switch-Neuauflage der ersten beiden Teile) erneut, das geniale Echtzeitstrategiespiel mit den winzigen Pflanzenwesen und nicht weniger winzigen Besuchern aus dem All einem größeren Publikum näher zu bringen. Und wie sie es versuchen! Für Kenner der Serie ist es sogar einer der wenigen Kritikpunkten am aktuellen Spiel, denn die Entwickler kümmern sich so sehr um die Neueinsteiger, dass das Spiel für erfahrene Pikmin-Spieler die ersten ein bis zwei Stunden ziemlich lahm beginnt. Es wird einfach zu viel haarklein erklärt, was sich eigentlich auch für Anfänger beim Spielen von alleine erschließen sollte. Und auch der Schwierigkeitsgrad der Kampagne ist im Vergleich zu den Vorgängern deutlich geringer. Gerade am Anfang fehlt die echte Herausforderung. Hinzu kommen noch neue Komfort-Features, wie das optionale Zurückspulen der Tage in 3-Minuten-Schritten, wenn einmal etwas schiefgelaufen ist. In den Vorgängern musste man immerhin den ganzen Tag erneut spielen, so man es wollte, was immerhin etwa 15 Minuten vertaner Spielzeit entspricht. Und von Oatchi, dem zweibeinigen Wunder-Hund, der das Spiel nochmal eine ganze Spur einfacher und komfortabler macht, will ich gar nicht erst anfangen…
Aber sei’s drum. Wenn es dem breiteren Erfolg dient, habe ich kein Problem damit. Vor allem, weil das Spiel nach Abschluss der eigentlichen Kampagne (was etwa 20 bis 25 Stunden dauert) noch tonnenweise Inhalte für mindestens weitere 20 Stunden bietet, die dann auch die echten Pikmin-Profis fordern. Und da rede ich noch gar nicht vom spaßigen Mehrspielermodus, der ähnlich gut gelungen ist, wie der des dritten Teils.
An dieser Stelle folgender Hinweis: Ich bin nicht so Noob-freundlich drauf wie Nintendo. Wer wirklich überhaupt keine Ahnung hat, um was für ein Spiel es sich hier handelt, sollte vielleicht erst meinen Artikel zu Pikmin 3 lesen, in dem ich das Spielprinzip und die Entwicklung der Serie vom ersten bis zum dritten Teil ausführlich erkläre. Hier gehe ich jedoch frech davon aus, dass ihr bereits mit der Reihe vertraut seid…
Die Story von Pikmin 4 ist Serien-typisch eigentlich nicht besonders kompliziert und wer die Dialogboxen einfach immer wegdrückt, verpasst zwar viel Witziges und sicherlich auch etwas vom Charme des Spiels, aber steht dadurch spielerisch nie auf dem Schlauch. Aufmerksame Pikmin-Kenner werden jedoch bald merken, dass es sich hier gar nicht um eine richtige Fortsetzung handelt, sondern das Spiel inhaltlich eher zwischen den Teilen 1 und 2 spielt: Captain Olimar ist auf dem Planeten PNF-404 (die Erde!) abgestürzt und hat einen Notruf abgesetzt. Diesem folgen neben dem Rescue Corp, dem auch der Spieler angehört, auch noch andere, ebenfalls winzige Raumfahrer. Und so muss das Rescue Corp am Ende nicht nur Captain Olimar retten, sondern auch einen ganzen Haufen gestrandeter Weltraum-Glücksritter.
Die erste Neuerung erwartet einen direkt zu Beginn in Form des Avatar-Editors. In Pikmin 4 übernimmt man erstmals keinen vorgegebenen Protagonisten, sondern entwirft einen eigenen. Und das ist nicht die einzige neue RPG-Anleihe, denn im weiteren Verlauf kann man auch nützliche Gimmicks (z.B. Bomben und Minen) und Verbesserungen (beispielsweise eine größere Reichweite der Trillerpfeife) beim Wissenschaftler des Rettungsteams gegen gesammelte Rohstoffe eintauschen. Tja, und dann ist da auch relativ schnell jener Oatchi, das Hundeartige Wesen, auf dem man nicht nur reiten kann, sondern der auch wie die Pikmin aktiv auf der Karte eingesetzt werden kann. Und zwar für so ziemlich alles: Sachen ausgraben oder tragen, Gegner angreifen und später (man kann ihn im Laufe des Spiels trainieren und somit verbessern) sogar als Louie-Ersatz, also eine zweite Figur, die einen eigenen Pikmin-Trupp führen kann, damit man auf der Karte zwischen zwei „Einsatzteams“ hin- und herschalten kann. Eine dritte Figur, wie in Pikmin 3, gibt es dieses Mal allerdings nicht, so dass auch der Multitasking-Faktor wieder etwas heruntergefahren wurde. Aber warum sollte man sich den Stress mit mehreren Teams in der Kampagne überhaupt machen? Immerhin haben die Entwickler das Zeitlimit wieder einmal aus dem Spiels genommen. Pikmin 1 hatte ja ein 30-Tage-Limit, was das Spiel relativ schwer machte. In der Fortsetzung wurde dies komplett gestrichen, nur um in Pikmin 3 wieder eingeführt zu werden, allerdings deutlich softer (100 Tage). Somit ist es in der Kampagne von Pikmin 4 relativ egal, wie schnell oder langsam ihr vorgeht.
Aber noch einmal zurück zu Oatchi: Er ist nicht nur ein niedlicher Schweizer-Taschenmesser-Wunder-Hund, quasi ein Super-Joker-Allzweck-Pikmin, sondern ein weiterer Faktor, der das Spielprinzip im vierten Teil noch bequemer und einfacher macht. Und zwar weil man auf ihm reiten kann. Inklusive des ganzen Pikmin-Trupps, der aus maximal 100 Pikmin bestehen kann. Das bedeutet auch, dass der Puzzle-Aspekt teilweise „ausgehebelt“ werden kann: War es in den Vorgängern noch so, dass beispielsweise Wasser ein Hindernis war, dass einzig mit den blauen Pikmin überwunden werden konnte, weil (fast) alle anderen Pikmin-Arten darin jämmerlich ertranken, heißt es nun einfach „Alle aufsitzen!“. Auf Oatchis Rücken kommen nun auch alle anderen Pikmin unbeschadet ans andere Ufer.
Aber ich will hier nicht den Eindruck vermitteln, dass Pikmin 4 jetzt nur noch ein quietsch-buntes Baby-Spiel sei, weil alles leichter und bequemer geworden ist. Die genannten Punkte, wie z.B. Oatchi und die kaufbaren Hilfsmittel/Upgrades, vereinfachen nicht nur, sondern erweitern die Spielmechaniken selbstverständlich auch. Pikmin 4 ist bei weitem das abwechslungs- und umfangsreichste Spiel der Serie bisher! Also, liebe „Profis“, lasst euch auf keinen Fall vom zunächst gemächlichen Beginn der Kampagne einlullen. Da kommt noch was. Und zwar ganz viel!
Kein neues Pikmin-Spiel ohne neue Pikmin-Arten! Neben allen Pikmin-Stämmen aus den Vorgängern – Rot (Feuer), Gelb (Elektro), Blau (Wasser), Weiß (Gift), Schwarz (Stein), Lila (Urs ähm, Muskelprotze) und Pink (Flieger) – gibt es im vierten Teil zwei neue Arten: Die hellblauen Eis-Pikmin können nicht nur Gegner einfrieren, sondern auch Wasserflächen gefrieren lassen, so dass die anderen Arten sie gefahrlos überqueren können. Das macht sie sowohl im Kampf als auch bei Umgebungsrätseln sehr effektiv. Und dann gibt es noch die neon-grünen Leucht-Pikmin, auf die man in den neuen Nachtmissionen trifft, welche eine gelungene Bereicherung der Spielmechanik sind. Diese Nachtmissionen sind eine Art „Tower Defense“, das sich deutlich hektischer spielt als das neuerdings eher gemütliche „Tagesgeschäft“. Gegen Ende werden sie sogar ganz schön knackig, was den Schwierigkeitsgrad angeht.
Eine weitere Bereicherung bzw. Abwechslung im Gameplay stellen die Höhlenmissionen dar. Sie sind zwar nicht wirklich neu, weil es sie schon in Pikmin 2 gab, aber immerhin sind sie zurück. Die habe ich im dritten Teil wirklich vermisst! Und dann gibt es noch die „Dandori Battles“, eine weitere Abwechslung zur Hauptspielmechanik: Die Dandori Battles sind eine Art „Gegenstände sammeln um die Wette“, ähnlich dem Mehrspieler-Modus von Pikmin 3. Es gibt sie in zwei Varianten, entweder im Split-Screen gegen einen KI-Gegner oder alleine gegen ein Zeitlimit. Und wie schon bei den Nachtmissionen, so geht es auch hier deutlich hektischer und fordernder zu, als im gemütlich-entspannenden „Tagesgeschäft“. Die Dandori Battles sind dann auch der Mutliplayer-Modus von Pikmin 4, den ihr im Split-Screen gegeneinander oder Coop gegen die KI spielen könnt. Und das macht mir mindestens genauso viel Spaß, wie der gute Multiplayer von Pikmin 3. Vielleicht schade, dass er nicht auch online funktioniert, aber gemeinsam auf der Couch ist sowas eh viel lustiger.
Das bringt mich, neben dem zu gemächlichen Beginn der Kampagne, mit dem die Entwickler offensichtlich Neueinsteigern entgegen kommen wollen, zum zweiten echten Kritikpunkt an Pikmin 4: Es gibt auch in der Kampagne einen Coop-Modus. Eigentlich ein Grund „Yay!“ zu rufen, aber leider ist der scheiße. Erinnert ihr euch noch an den Coop-Modus von Super Mario Galaxy, wo der zweite Spieler nur als Geister-Cursor unwichtigen Quatsch machen konnte? Genau so sieht der Kampagnen-Coop von Pikmin 4 aus. Wenn euer Mitspieler also nicht gerade ein sechsjähriges Kind oder die neunzigjährige Omi ist, könnt ihr den komplett vergessen. Leider…
Pikmin 3 (Deluxe) hat den deutlich cooleren Coop-Modus und Pikmin 1 die knackigere Herausforderung, aber als Gesamtpaket ist Pikmin 4 definitiv das bisher beste Spiel der Reihe. So viel Inhalt und Abwechslung bot bisher keiner der Vorgänger! Und der Umstieg von der bisherigen Haus-Engine auf die Unreal Engine 4 hat ihm optisch auch sehr gut getan. Erfahrene Spieler müssen anfangs etwas geduldig sein, weil die Lernkurve sehr weich geraten ist, werden aber spätestens nach Erreichen des ersten Abspanns umso mehr belohnt. Mein Wort drauf! Bleibt nur zu hoffen, dass Nintendos Rechnung mit der größeren Einsteigerfreundlichkeit auch aufgeht und man mit diesem Teil mehr Leute ins Boot holen kann als bisher. Verdient hat es dieser charmante Mix aus Echtzeitstrategie, Umgebungspuzzle und Exploration schon seit mehr als 20 Jahren!
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