Die 11 Bit Studios schicken uns in ihrem neuesten Survival-Management-Spiel, The Alters, auf eine interplanetare Bergbaumission. Gerade erst ist das Team am Ziel der Reise angekommen, sterben auch schon alle bei der Landung auf dem trostlosen Planeten. Alle bis auf Jan Dolski. Ganz knapp schafft er es, die rettende Basis auf der Planetenoberfläche zu erreichen. Diese ist eine Art „fahrendes Riesenrad“ in dessen Mitte sich die einzelnen Module befinden. Nachdem sich Jan etwas in der Umgebung umgesehen hat, entdeckt er auch das seltene Mineral „Rapidium“, auf das es seine Auftraggeber abgesehen haben. Die Mission scheint also doch nicht komplett verloren zu sein. Allerdings hat Jan ein klitzekleines Problem: Auf der hellen Seite des Planeten ist die Strahlung der hiesigen Sonne tödlich. Und er hat nur wenige Tage Zeit, bis ihn der Sonnenaufgang an seinem jetzigen Standort einholt. Folglich muss Jan die Basis so schnell wie möglich fit machen, um sie von dort wegbewegen zu können und so Zeit zu gewinnen, bis die Rettungsmission von der Erde eintrifft. Aber wie soll er das ganz alleine in so kurzer Zeit bewerkstelligen? Seine Vorgesetzten von AllyCorp schlagen ihm über Funk eine unorthodoxe Lösung vor…
Da die Station über einen potenten Quantencomputer verfügt und Jan Rapidium gefunden hat, gäbe es die Möglichkeit, dass er Quantenklone, sogenannte Alters, von sich selbst erschafft, um die fehlende Crew zu ersetzen. Und damit steht der Spieler vor der ersten von vielen moralischen Entscheidungen, die das Spiel im weiteren Verlauf noch bereithält.
Wer ohnehin auf Aufbau- bzw. Management-Spiele steht, ist bei The Alters schonmal goldrichtig! Das Gameplay besteht im Wesentlichen aus dem eigentlichen Basenmanagement und der Exploration der Umgebung, da es Rohstoffe zu entdecken und abzubauen gilt. Beides ist sehr gelungen, macht viel Spaß und sieht dazu noch richtig, richtig schick aus. The Alters gelingt auch die Balance zwischen Optionsfülle und Überfrachtung sehr gut, bei der manche Genrekollegen entweder schnell langweilig werden oder den Spieler irgendwann mit Mikromanagement in den Wahnsinn treiben. Je weiter man seine Basis ausbaut und neue Technologien erforscht, desto weniger muss man sich um den Kleinkram kümmern, der noch die ersten Spielstunden bestimmt.
The Alters ist wirklich ein richtig gutes Survival-Management-Spiel. Aber was es in meinen Augen so herausragend macht, ist die Kiste mit den Quantenklonen. Das funktioniert nämlich so: Der Quantencomputer hat Jans komplette Erinnerungen gescannt. Die stellen sich als Zeitstrahl dar, auf dem alle wichtigen Entscheidungen in seinem Leben von seiner Geburt bis heute zu finden sind. Ihr kennt das: Was wäre gewesen, wenn ich nicht zur Uni gegangen wäre? Was wäre, wenn ich mich damals nicht vom Partner getrennt hätte? Wie wäre mein Leben verlaufen, wenn ich keine Kinder gehabt hätte? Und so weiter. Diese potenziellen Abzweige nutzt der Quantencomputer für alternative Versionen von Jan. Auf diese Weise entstehen nicht einfach Kopien von ihm, sondern ganz eigene Personen mit unterschiedlichen (virtuellen) Lebensläufen und eigenem Charakter. So kann man z.B. einen Arzt-Jan oder einen Botaniker-Jan oder einen Psychologen-Jan erschaffen. Man bekommt so aber nicht nur das jeweils benötigte Crew-Mitglied, sondern auch unterschiedliche Individuen, die ab einem gewissen Punkt zu ganz unterschiedlichen Menschen geworden sind. Und neben den Ressourcen und der Basis muss man eben auch diese Individuen im Spiel managen.
Dies geschieht zum einen natürlich durch den Bau entsprechender Module, wie man es von anderen Aufbauspielen kennt. Sinkt die Stimmung unter der Crew, kann man beispielsweise das Essen verbessern oder Freizeiträume bauen. Abends nach der Arbeit Bier-Pong spielen oder ein gemeinsamer Kino-Abend mit der ganzen Crew im Gemeinschaftsraum wirken bei mieser Stimmung Wunder. Und nebenbei sind die eigens für das Spiel produzierten (Kurz-)Filme vom Comedy-Duo „Chris & Jack“ ziemlich cool. Aber vor allem muss man mit ihnen sprechen! Auch, um ihre aktuellen Wünsche zu erfahren, wie z.B. einen Fitnessraum, aber in erster Linie geht es um die Existenz der Alters an sich und die seelische Verfassung eines jeden Jans an Bord, einschließlich des Originals. Denn durch seine Alters lernt Jan Dolski eben auch sehr viel über sich und sein eigenes Leben. All die getroffenen Entscheidungen, die uns am Ende zu dem Menschen machen, der wir sind. Und das ist alles soooooo gut geschrieben! Auch wenn fast alles am Spiel erstklassig ist, gilt doch mein ganz besonderer Beifall den Autoren bei 11 Bit Studios. Ach, und natürlich Alex Jordan, der Jan und alle seine Alters hervorragend eingesprochen hat.
Stell dir vor, du bist Bäckereifachverkäufer-Jan*, der gerade im Klonlabor erwacht. Dann kommt dieser Typ rein, der fast genau so aussieht wie du, und erklärt dir, dass du ein Klon von ihm bist und all deine Erinnerungen eigentlich nicht echt, sondern Extrapolationen seiner Erinnerungen sind. Ach, und außerdem bist du auf einer Weltraummission und existierst eigentlich nur, damit du dem Original den Arsch retten kannst. Und was mit dir geschehen wird, wenn das Rettungsteam wirklich kommen sollte, weiß auch noch keiner so genau…
Das verdau erstmal, Bäckereifachverkäufer-Jan*!
(* Spoiler: Den gibt’s im Spiel natürlich nicht wirklich.)
Anders als in meinem blöden Beispiel oben, wird das Thema im Spiel durchaus tiefsinnig behandelt und die Handlung strotzt nur so vor kleinen und großen Entscheidungen, die schließlich zu einem, von ganz vielen Enden führen. Und eben weil die Dialoge und Figuren so klasse geschrieben sind, haben mich einige der Entscheidungen so kirre gemacht, dass ich das Spiel immer wieder pausieren musste, um erstmal gründlich darüber nachzudenken. Und nicht nur das: Zwischen den Spiel-Sessions habe ich auch oft über meinen eigenen „Erinnerungsstrang“ und meine „Abzweige“ nachgedacht. Es ist ja vielleicht meinem Alter geschuldet (Midlife-Crisis, dies, das…), aber ich kann mich nicht erinnern, wann es ein Videospiel das letzte Mal geschafft hat, mich dazu zu bringen, über meine eigenen Lebenswege nachzudenken… Ich sage das nicht oft, denn wir reden hier immer noch über Videospiele, aber ich fand The Alters inhaltlich tatsächlich ziemlich deep.
Mal alle die Hand hoch, die ein Survival-Management-Spiel primär wegen der Story und den Charakteren spielen… Keiner? Dachte ich mir. Wäre ja auch zu verrückt! Aber im Falle von The Alters lege ich allen, die beim Genre „Aufbau-/Management-Spiel“ eher gelangweilt abwinken, aber ihre Videospiele mit einer tollen Geschichte und guten Figuren mögen, tatsächlich ans Herz, dem Ganzen eine Chance zu geben. Seht es einfach wie ein 3rd-Person-Action-Adventure, nur mit anderen Mechaniken.
Im Übrigen ist The Alters auch als Spiel wirklich zugänglich. Ich fand es nicht sonderlich schwer und das Zeitlimit in den einzelnen Akten („Der Sonnenaufgang naht!“) dient eher der allgemeinen Spannung und ist keine Wand, vor die man das Spiel ganz schnell fahren kann, wenn man mal einen Fehler macht. Es dient, ähnlich wie bei den Pikmin-Spielen, eigentlich nur dazu, dass man das Ziel nicht aus den Augen verliert. Außerdem setzt das Spiel jeden Morgen, wenn Jan erwacht einen neuen Auto-Save. Hat man mal einen Tag absolut unproduktiv verplempert oder beim Erkunden erst viel zu spät die gerade dringend benötigte Ressource gefunden, wiederholt man einfach ein oder zwei Tage, was nicht wirklich viel echte Zeit kostet.
Also, traut euch ruhig mal an The Alters ran, auch wenn das normalerweise nicht eure Baustelle ist. Es lohnt sich!
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