The Conduit von High Voltage Software spaltet derzeit die Meinungen:
Die Einen sind vor Begeisterung kaum auf den Stühlen zu halten, weil die Wii aus technischer Sicht endlich ihre FPS-Referenz bekommen hat. Die Anderen schauen nur knallhart auf Gameplay, Leveldesign und Story, welche das Spiel in Anbetracht anderer aktueller Shooter relativ alt aussehen lassen. Die Wahrheit liegt, wie so oft, eher irgendwo dazwischen.
Für mich ist The Conduit schlicht das GoldenEye für die Wii. Rares N64-Kultspiel von 1997 würde nämlich, so es denn heute, also 12 Jahre später, erschienen wäre, auch sehr ähnliche Besprechungen bekommen wie aktuell The Conduit.
GoldenEye schaffte damals etwas, was bis dahin als unmöglich galt: Es war der erste First-Person-Shooter, den man auf einer Konsole spielen konnte, ohne dabei von den PC-Spielern ausgelacht zu werden. Es war natürlich kein Ersatz für einen anständigen PC-Shooter, aber man konnte es tatsächlich sehr gut mit dem Gamepad spielen, ohne sich ständig die Finger zu brechen und den Controller frustriert gegen die Wand zu werfen.
Inzwischen sind spielbare FPS auf Konsolen Normalität geworden. Was das Handling angeht, so hat sich seit GoldenEye allerdings wenig getan. Noch immer ist ein Gamepad mit zwei Sticks kein vollwertiger Ersatz für die Maus-Tastatur-Kombo geworden, und noch immer „mogeln“ die Entwickler sehr stark mit der Spielgeschwindigkeit, dem Autoaiming und extrem großzügigen Trefferzonen herum, um Egoshooter auf Konsolen überhaupt genießbar zu machen. Konsolen-Shooter funktionieren, aber sind noch immer keine ernstzunehmende Konkurrenz für anständige PC-Shooter.
Kein Wunder also, dass das Steuerungskonzept der Wii schon seit 2006 bei vielen Konsoleros die Hoffnung nährt, endlich etwas zur Referenzsteuerung der PC-Shooter aufschließen zu können. Allerdings gab es bisher, mit einer einzigen Ausnahme (Metroid Prime 3), keinen einzigen Wii-FPS, den man wirklich hätte ernstnehmen können. Bis heute, denn High Voltage haben es wirklich geschafft, mit The Conduit einen Konsolen-Egoshooter zu basteln, der steuerungstechnisch keine Wünsche offen lässt. Natürlich spielt man immer noch nicht wie an einem PC, aber trotzdem stellt das Spiel einen ähnlichen Entwicklungssprung dar wie seinerzeit GoldenEye. Die Entwickler haben tatsächlich das Potenzial, welches die WiiMote von Anfang an versprach, in Perfektion umgesetzt.
Und wenn ich perfekt sage, dann meine ich wirklich perfekt: Obwohl die Steuerung schon mit dem Standard-Profil glänzend von der Hand geht, hat man zusätzlich ein kleines Anpassungsmenü für die Steuerung integriert. Öffnet man dies, so wird man ob der Möglichkeiten regelrecht erschlagen. Hier kann alles, aber auch wirklich alles angepasst werden. Vermisst man bei vielen Konsolen-FPS schon die Möglichkeit, die Buttons anders zu belegen, so bietet einem The Conduit Tuning-Optionen, wie man sie nur von Hardcore-PC-Shootern der späten 90er-Jahre kennt. Selbst aktuelle PC-Shooter bieten da deutlich weniger.
Es ist nicht übertrieben, wenn ich sage, dass The Conduit bezüglich der Steuerung das derzeit beste Konsolen-FPS überhaupt ist. Ja, richtig gehört: Das Spiel setzt nicht nur auf der Wii Maßstäbe, sondern stellt konsolenübergreifend die momentane FPS-Referenz dar! Und das sogar ganz ohne MotionPlus-Support. Ich habe keine Ahnung, wie sie es gemacht haben, aber High Voltage haben den WiiMote-üblichen Lag auf ein derartiges Minimum reduzieren können und die Steuerung dermaßen präzise hinbekommen, dass MotionPlus hier überhaupt nicht vonnöten ist.
Und zu allem Überfluss sieht das Spiel auch noch ziemlich schick aus. Natürlich nach Wii-Maßstäben, versteht sich. Ich würde nicht so weit gehen wollen, zu behaupten, dass The Conduit das bestaussehendste Wii-Spiel überhaupt ist, wie es mancherorts zu vernehmen ist. Es gehört grafisch aber mit Sicherheit zu den Top-Titeln auf Nintendos weißer Gelddruckmaschine und zaubert den einen oder anderen Effekt auf den Bildschirm, den man bisher auf dieser Konsole für unmöglich hielt.
Doch genug des Lobes. Kommen wir zu der eigentlichen Problematik eines GoldenEye, welches 12 Jahre nach seiner eigentlichen Zeit erscheint:
Das Leveldesign, die Story, das Gameplay, die Gegner-KI, die Rätsel – The Conduit ist ein Retro-FPS durch und durch. Dadurch wird es natürlich extrem angreifbar, besonders wenn man es gnadenlos und unabhängig von der Plattform mit anderen aktuellen Shootern vergleicht. Trotz ASE (ein Gadget, das man primär zum Lösen diverser Rätsel im Spiel benutzt) und einem großen Haufen verschiedener Waffen, von denen man immer nur zwei gleichzeitig tragen kann, wirkt das Spiel im Kern wie ein direkter Nachfahre von 90er-Jahre-Shootern der Marke Quake. Keine erweiterten Spielelemente wie z.B. Fahrzeuge, Waffen- bzw. Charakter-Upgrades oder gar dynamische Missionsziele sind hier zu finden. Das Leveldesign ist sehr konservativ und streng linear. Keine größeren Außenareale, keine weitergehende Interaktion oder Zerstörung der Umgebung. Die Story des Spiels, in der es um eine Alien-Invasion und konspirative Illuminaten geht, wird solide, aber ohne viel Klimbim inszeniert und hinterlässt aufgrund des episodenhaften Cliffhanger-Endes einen etwas schalen Nachgeschmack. The Conduit tut einfach so, als wäre in den letzten 10-15 Jahren rein gar nichts im Egoshooter-Genre passiert.
Aber anders als einige andere Kritiker komme ich nicht zwangsläufig zu dem Schluss, dass hier jemand bei aller Konzentration auf den technisch perfekten Wii-Shooter das eigentliche Spieldesign aus den Augen verloren hat. Vielmehr ist es für mich mehr als offensichtlich, dass die Leute von High Voltage ganz große Fans von 90er-Jahre-Egoshootern sind und bei der Entwicklung nur eines vor Augen hatten: Ein GodenEye für die Wii! Und genau das ist es auch geworden, inklusive aller Unzulänglichkeiten gegenüber heutigen Genre-Vertretern.
Wenn man einen Old-School-Shooter ohne viel Firlefanz nicht zu schätzen weiß, wird man The Conduit spielerisch unter Garantie ziemlich doof finden.
Damit wir uns aber richtig verstehen: Das was es macht, macht das Spiel sehr gut. Nur hält es einem direkten Vergleich mit heutigen Genrestandards einfach nicht stand. Wenn man aber zu den Leuten gehört, die nicht jede FPS-Weiterentwicklung der letzten Jahre auch automatisch für einen echten Zugewinn halten, wie beispielweise der unsägliche Trend, zugunsten von Auto-Healing völlig auf Medi-Packs zu verzichten (BTW: Irgendwann muss ich mal einen Artikel über die Kiddies schreiben, die sich heutzutage „Hardcore-Gamer“ schimpfen, aber eigentlich der Hauptgrund für die fortschreitende „casualisierung“ vieler Hardcore-Genres sind…), wird man auch mit der etwa achtstündigen Singleplayer-Kampagne gut unterhalten.
Man könnte an dieser Stelle das Fazit ziehen, dass The Conduit lediglich für alte Säcke sowie Fans von Old-School-Egoshootern zu empfehlen ist und ansonsten lediglich als relativ spaßfreie Tech-Demo taugt, die eindrucksvoll zeigt, was auf der Wii in Sachen Grafik und FPS-Steuerung möglich ist und zukünftig vermutlich in weiteren (und vielleicht spielerisch besseren) Lizenz-Titeln mit der Quantum 3 Engine zu sehen sein wird.
Wäre da nicht noch der ausgezeichnete Online-Multiplayer, den so niemand anderes auf der Wii bietet: Bis zu 12 Spieler können in The Conduit online in diversen Spielmodi (DM, CTF, etc.) mit- und gegeneinander antreten. Ohne nennenswerten Lag, Friend-Codes oder sonstige Einschränkungen, die andere Online-Titel auf der Wii oft plagen, kann man hier extrem viel Spaß haben. Zusätzlich wird auch WiiSpeak unterstützt, so dass bei den Team-Modi tatsächlich sinnvoll kommuniziert werden kann.
Der gut ausbalancierte Online-Multiplayer von The Conduit kann eigentlich jedem FPS-Fan uneingeschränkt ans Herz gelegt werden. Aber wenn man wie ich zu den Leuten gehört, die ihre Online-FPS-Unschuld schon vor langer Zeit mit Titeln wie Quake verloren haben und denen UT3 zuletzt viel zu überladen und verzettelt erschien, dann sind diese Zeilen hier als regelrechter Kaufbefehl zu verstehen. Ernsthaft jetzt!
15 Kommentare
Interessanter Artikel. Als großer Fan von 90er-Jahre-Egoshootern muss ich mir den Titel merken, falls ich mir mal eine Konsole kaufe.
Was mich etwas stört, ist dass hier offenbar „streng lineares“ Leveldesign mit den klassischen Egoshootern gleichgesetzt wird. Das ist nicht so! Doom ist voll von nichtlinearen Levels, und auch Quake hat einem immer wieder die Möglichkeit gegeben, erst mal hierhin und dorthin zu laufen und am Rande des Wegs auch alle möglichen Nebenbereiche und Secrets zu entdecken. Das extrem lineare Schlauch-Leveldesign (das ich persönlich einfach hasse, weil es unsinng einschränkend ist und meinen rientierungssinn beleidigt) ist erst so ab 2000 zum Standard geworden, und zwar auch gerade deshalb, weil nebensächliches Zeugs wie Fahrzeuge und ausgewalzte Filmsequenzen in den Vordergrund gerückt wurden.
Ich gehöre in das Lager der „Meh“-Sager. Wenn die Entwickler ihre Engine in Zukunft für interessantere Settings benutzen bin ich aber gerne für einen zweiten Blick bereit. [url=http://uk.wii.ign.com/objects/143/14352829.html]The Grinder[/url] geht da für mich schon in die bessere Richtung.
Zu den Medi-Packs. Ich habe vor zwei Tagen FEAR gespielt und war von den „modernen“ Shootern schon so eingelullt, dass ich das erste Mal gestorben bin, weil ich einfach vergaß die Medi-Packs überhaupt zu benutzen. So schnell gewöhnt man sich an bequeme Dinge.
Ich sehe in ihrem Verschwinden aber kein so krasses Problem, wie die coolen Hardcore-Gamer. ;)
spielt lieber quakelive …hopp… los jetzt ;D
@ decx: Ich finde QuakeLive prinzipiell sehr cool (läuft im Browser, ist umsonst, usw.).
Da gibt es nur leider ein kleines Problem: Ich fand Q3A schon damals doof und leider ist QuakeLive nichts anderes als eine Neuauflage von Q3A.
Auf gamefront ist grad zu lesen daß sich the conduit in Europa und USA 150 000 mal verkauft hat…ist ja nicht sooo dolle :(
Tja, da zeigt sich wieder, dass sich Qualität eben doch nicht immer durchsetzt. Ist mit Polyneux ja das gleiche: Wir stehen zwar besuchermäßig besser da als die meisten anderen deutschen Spieleblogs, aber gegen GS, 4Players, etc. können wir einfach nicht anstinken. ;)
Und wie bei den Wii-Besitzern, so ist es bei uns in erster Linie auch Eure Schuld, liebe Leser. Es gibt Euch zwar, aber irgendwie scheint uns niemand großartig weiterzuempfehlen…
Von unseren Follower-Zahlen bei Twitter will ich gar nicht erst anfangen (nur ein verschwindend geringer Anteil der Polyneux-Leser verfolgt uns auch auf Twitter)…
Aber lieber klein und schmutzig als groß und langweilig. 8)
Ich hab es nicht geschafft in ein Online-Gefecht einzusteigen: Ewig lange Wartezeiten, ständig steigen Leute aus und ein und zum Schluß hat keiner sich aktiviert. Ganz merkwürdige Lobby, nach 15 Minuten hatte ich keine Lust mehr.
Was mich noch mehr irritiert: Ordentliche FPS gab es schon vor The Conduit auf der Wii und ich meine nicht das im Artikel erwähnte Metroid, dass ich persönlich ziemlich bescheiden fand. Brother in Arms funktionierte, wenn auch nicht prächtig. Dafür war Call of Duty: World at War ziemlich gelungen und hat sogar Online-Funktionen in Hülle und Fülle. Bis auf die total beschränkte Offline-MP-Funktion ist das meiner Meinung nach eher eine Referenz als The Coduit, auch wenn es nicht „exklusiv“ Wii ist. Red Steel wurde hier auch vergessen, welches für mich eher das Golden Eye der Wii ist: Too little too late aber für ein System in den Kinderschuhen igentlich ganz ok. Warten wir Teil 2 ab.
@MK:
Hatte online keine Probleme. Das ständige Ein- und Aussteigen hat man ja bei jedem Online-Shooter.
Was MP3 angeht, so gehören wir beide (die MP-Serie hat mich nämlich auch nie richtig gepackt) wohl zu einer Minderheit, denn die meisten Leute finden es großartig. Ich fand’s technisch top, aber diese einsame Atmosphäre turnt mich bei MP total ab.
Die anderen Wii-Shooter (mit etwas Wohlwollen kann man ja sogar Eledees dazu zählen) habe ich nicht vergessen. Zu COD, Red Steel und Co. habe ich schon Anfang 2007 einen Wii-Shooter-RoundUp geschrieben, der aber leider noch nicht wieder im Archiv ist. Ich liefere den Link die Tage mal nach…
[quote]Auf gamefront ist grad zu lesen daß sich the conduit in Europa und USA 150 000 mal verkauft hat…ist ja nicht sooo dolle :([/quote]
150’000 für den ersten Monat sind nicht so dolle?
Also ich weiß ja nicht, für eine neue Marke ist das eigentlich ziemlich gut. Nur weil manche Tophits z.B. auf den HD-Konsolen sich 10x so oft verkaufen, heißt das nicht, dass kleinere Titel deswegen automatisch ein Flopp sind. Zumal sich Wii-Spiele auch über einen längeren Zeitraum ordentlich verkaufen können, das haben schon mehrere Titel gezeigt. Diese konnten mitunter sogar die Million knacken, auch bei einem ähnlichen Start ;).
Was ist denn mit den Leuten, die FPS auf Konsole spielen wollen und die Steuerung als gleichwertig ansehen? Warum muss immer wieder darauf rumgehackt werden, anstatt einfach einzusehen, dass es eine persönliche Geschmackssache ist, sonst nüschd!?
Es gibt nun einmal Meinungen, die sind offensichtlich falsch. (Natürlich nicht, das ist nicht wirklich ernst gemeint. ;))
Ohne Frage gibt es Konsolenshooter, die vollkommen zu Recht viele Anhänger haben, aber ich denke, schnelle, ‚aim-lastige‘ und vertikale Shooter können auf der Konsole nur von Robotern ordentlich gespielt werden.
Ich habe eine Zeit lang in einer WG mit 4 bis 6 Leuten bis zum Erbrechen XIII gespielt. Wir waren alle auf fast exakt dem gleichen Niveau und ständig mit Tunnelblick im Flow. Da waren viel ausweichen, exakt gezielte und getimete Granatenwürfe und das Angreifen im Fluge, von erhöhten Stegen aus, aus Gängen, die in der Zimmerdecke endeten, gefragt – Ich kann mir kaum vorstellen, daß dies so auch auf der Konsole möglich gewesen wäre.
Sorry, aber mit Geschmack hat das echt nichts zu tun. Dass die Maus/Tastatur-Steuerung einem Gamepad überlegen ist, ist nichts worüber man ernsthaft diskutieren kann. Leute, die trotzdem behaupten, es wäre gleichwertig und nur eine Frage der Gewöhnung, haben entweder nie ernsthaft einen Shooter auf dem PC gespielt und wissen es daher nicht besser, oder gehören schlicht zu den Leuten, die sich einfach alles schönreden.
Die Wii-Steuerung kann man in Bezug auf FPS irgendwo zwischen diesen beiden Steuerungen einordnen, so sie denn, wie im Falle von The Conduit, vernünftig umgesetzt wird.
Das mit der Steuerung sehe ich auch so. Gegen Maus / Tasta kommt bis dato noch nichts an, auch wenn auf vielen Wegen versucht wird.
Die Wii-Shootersteuerung ( selbst hier bei Conduit ) finde ich interessant und gut gelungen, aber für ernstahftes Spielen ( ;) ? Darf es sowas überhaupt geben ? ;) ) ist es für mich auf die dauer einfach zu anstrengend. Oder ich habe noch keine entspannte Position gefunden… aber bei Counduit ist einfach nach 1-2 Stunden schlicht und einfach schluß, weil ich nicht mehr kann, oder einfach keine Lust mehr habe, den Arm auf den Monitor zu richten.
Ähnlich ging es mir auch bei allen shootern auf dem DS.. einfach zu anstrengen, gute Idee, nett umgesetzt und für kurze Zeit wirklich spaßig, aber längere Multiplayersessions reizen mich da echt nicht.
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Ich sag mal ganz gehässig und ironisch: Die Steuerung via Maus/Tastatur ist halt leichter, einfacher zugänglich und deshalb für grobmotoriker und noobs besser geeignet ;)
Hier noch der Link zu meinem [url=http://www.polyneux.de/archiv/215-die-hoffnung-stirbt-zuletzt-.html]Wii-Shooter-RoundUp[/url] vom Januar 2007.