Kleine Indie-Studios machen kleine Indie-Spiele. Ist doch logisch. Oder? – Es sei denn, man versucht es mit einem „kleinen AAA-Spiel“, so wie Ember Lab. Mit überschaubarer Spielzeit, keinen großen Experimenten und ohne aufblähenden Firlefanz. Das Ganze dann aber poliert, poliert, poliert!
Sprach‘s und liefert mit Kena: Bridge of Spirits ein Debüt ab, das sich wirklich nicht hinter viel größeren Produktionen verstecken muss. Das klassische 3rd-Person-Action-Adventure sieht aus wie ein AAA-Spiel und spielt sich auch so. Natürlich ist Kena kein God of War oder Horizon: Zero Dawn. Der Focus der Geschichte ist viel kleiner, das Kampfsystem deutlich simpler, die Spielwelt kleiner und nach spätestens 10 bis 12 Stunden ist man auch durch. Auf der anderen Seite ist das was man bekommt aber derartig poliert und fehlerfrei, dass es kaum zu glauben ist, dass es sich hier um den Erstling eines kleinen Studios handelt, das bisher nur computer-animierte Werbespots gemacht hat.
Die junge Kena ist eine „Geisterführerin“, die verlorenen Seelen beim Übergang ins Jenseits hilft, indem sie noch offene “Angelegenheiten” in der Welt der Lebenden für sie erledigt. Eigentlich ist sie gerade in eigener Sache unterwegs zum heiligen Bergschrein, aber der Weg dorthin wird von einem mächtigen bösen Geist versperrt. Um ihr eigenes Vorhaben erledigen zu können, muss sie zunächst den Menschen am Fuße des Berges helfen, deren Dorf durch den Einfluss des bösen Geistes von allerlei Monstern heimgesucht wird. Zur Seite stehen ihr dabei kleine putzige Naturgeister, die Rot.
Obwohl Ember Lab eigentlich in Los Angeles sitzt, wirken Storytelling und Worldbuilding eher wie von einem japanischen Studio. Gerade die Art und Weise, wie hier Themen wie Tod und Verlust, aber auch die Koexistenz von Mensch und Natur verarbeitet werden, erinnert sehr an die Studio Ghibli-Filme. Die großen Gamelan-Einflüsse (Südostasien) in der Musik von Jason Gallati tun ihr Übriges zu diesem Eindruck. Rein audio-visuell ist Kena wirklich sehr, sehr schick geworden. Aber, so könnte man einwerfen, Ember Lab ist ja auch ein Animationsstudio, das sollten sie auf jeden Fall können. Wie sieht es denn mit dem Rest aus? Die Welt ist voll von schicken Spielen, die trotzdem wenig taugen…
Die Spielwelt präsentiert sich als Open-World-Spiel mit relativ großen Arealen rund um das Dorf, welches selbst als Hub fungiert. Tatsächlich wird man aber sehr linear durch die Geschichte und die Welt geführt. Man kann sich zwar prinzipiell frei bewegen, aber durch Geisterbarrieren und erst später verfügbare Fähigkeiten ist der Fortschritt ganz klar linear von den Designern vorgegeben. Im späteren Verlauf kann man in vorher besuchten Bereichen noch Sammelkram suchen und kleinere Mini-Side-Quests erledigen, was durch ein Schnellreisesystem auch recht bequem von der Hand geht, aber Open-World im Sinne von HZD & Co. ist Kena definitiv nicht. Und genau das ist eine der cleveren Entscheidungen der Entwickler, denn durch dieses eher old-schoolige Führen des Spielers bleiben Handlung und Welt überschaubar und (aus Entwicklersicht) besser kontrollierbar. Das Ergebnis ist auch hier, ich verwende das Wort heute wirklich inflationär oft, poliert. Keine Bugs, keine Macken, keine Schlampereien, wie sie ungleich größere Teams noch Wochen und Monate nach Release aus ihren Spielen patchen müssen.
Kenas Bewegungsset und die Kampfmechanik folgen einem ähnlichen Muster: Es gibt im Verlauf des Spiels zwar einige Fähigkeiten freizuschalten (z.B. den Bogen und den damit verbunden Grappling Hook) und auch diverse Upgrade-Möglichkeiten, aber Ember Lab sparen sich den heute oft üblichen Overkill bei den Talentbäumen und Kampf-Kombos, der mich oft den Kopf schütteln lässt, weil ich beispielsweise in God of War auch mit weniger als 30 Prozent von Kratos‘ Kampf-Moves bequem durch das Spiel komme. Das soll aber nicht heißen, dass man in Kena nur stumpfes Button Mashing geboten bekommt. Das Kampfsystem ist wirklich gut und knackig, aber eben nicht überladen. Ebenso die Kämpfe selbst. Schon auf der zweiten Schwierigkeitsstufe sind die meisten Bosskämpfe eine echte Herausforderung. Aber immer eine faire, weil die Mechaniken und die Steuerung wirklich präzise funktionieren und die Bosse ganz klassisch gelesen werden müssen. Wenn man verkackt, weiß man auch warum und macht es beim nächsten Mal besser.
Natürlich kloppt man sich nicht nur durch das Spiel. Das wäre in auch Anbetracht der inhaltlichen Themen etwas merkwürdig. Kena: Bridge of Spirits ist ein typisches 3D-Action-Adventure und beinhaltet natürlich auch viel Erkundung, Platforming und das Lösen von Umgebungsrätseln. Neben Kenas primären Fähigkeiten spielen hier auch ihre kleinen Helfer, die Rot, eine Rolle. Im Kampf verwendet man die Rot überwiegend für aufladbare Aktionen (Spezial-Attacken, Gegner ablenken, Heilung besorgen, etc.), aber bei den Rätseln haben die Entwickler ein wenig bei Nintendos Pikmin geklaut: Oft muss man irgendwelche Statuen wieder auf ihre Sockel stellen, magische Steine an die richtigen Plätzen legen, Felder bewässern oder verdorbene Magiebarrieren beseitigen. Hierzu kann man die kleinen Heinis wie die Pikmin als Möbelpacker oder Sprengkommando einsetzen, was ich als Pikmin-Fan für eine sehr schöne Zusatzmechanik im Spiel halte.
Der einzig wirkliche Kritikpunkt, der mir zu Kena: Bridge of Spirits einfällt ist, dass Ember Lab dann doch nicht komplett auf den Sammelkram der „großen“ Genre-Vertreter verzichtet haben. Überall im Spiel gibt es InGame-Währung zu finden, die einem schon nach kurzer Zeit aus dem Portemonnaie rieselt, weil man gar nicht weiß, wohin mit dem Zeug. Zum Teil braucht man sie für die Upgrades, aber darüber hinaus ist ihr Hauptzweck, davon lustige Hüte für die Rot zu kaufen. Kann man machen, muss man aber nicht. Das Freischalten und Kaufen der Hüte für die Rot ist die einzige nennenswerte Sammelaufgabe im Spiel und sie ist ziemlich pointless, wie die Franzosen sagen.
Ansonsten bekommt man mit Kena: Bridge of Spirits ein kleines, aber durch und durch kompetentes und sehr schönes Spiel, dass sich so überhaupt nicht nach „kleiner Indie-Bude“ anfühlt. Auf der PS5 gefallen zudem die sehr kurzen Ladezeiten und die gute Nutzung des DualSense-Controllers (z.B. beim Bogenschießen). Und weil das Spiel zum Release nicht zum Vollpreis, sondern für schlappe 40 € angeboten wird, ist es für Freunde des Genres eigentlich ein absoluter No-Brainer!
1 Kommentar
Tolles kleines Spiel, hat mir viel Spass gemacht.
Bonuspunkte: läuft auch auf der Bauern-PS4, nur wurde die maximale Anzahl der dargestellten (mitlaufenden) Waldgeister auf ca. 25 limitiert (andere Grafik-Downgrades wird es sicher auch geben aber dazu kann ich nix sagen, mein Bildschirm läuft eh nur mit 720p)