Es ist wohl für uns alle eine dicke Überraschung gewesen, die in den Foren und den Gaming-Newsseiten die Runde machte: Irrational Games wird bis auf Ken Levine und 15 weiteren Kollegen aufgelöst, um Spiele in einem kleineren Rahmen zu entwickeln. Sie werden 2K erhalten bleiben, die auch weiterhin die Bioshock-Lizenz besitzen. Um die Entwickler, die entlassen werden, wird man sich wohl keine Sorgen machen müssen. Levine kündigte in seiner Nachricht an, dass sie volle Unterstützung bekommen, um neue Anstellungen zu finden und in den Nachfolge-Tagen haben auch schon mehrere Studios ihr Interesse an ihnen bekundet. Um die ehemaligen Irrational Games-Mitglieder mache ich mir also nicht mehr sorgen, als um die entlassenen Entwickler von Turbine Inc, die es eine Woche vorher erwischt hat. oder die ungefähr 700 Mitarbeiter der Video Game and Internet Division von Disney, die kürzlich entlassen wurden. Ich mache mir dabei auch keine Sorgen um die Bioshock-Marke, denn für mich persönlich hat die Serie mit Infinite eigentlich auch schon ihren Höhepunkt erreicht. Es war aber eine bestimmte Stelle bei Levines Nachricht, die mich nachdenklich machte und am meisten überraschte.
To meet the challenge ahead, I need to refocus my energy on a smaller team with a flatter structure and a more direct relationship with gamers. In many ways, it will be a return to how we started: a small team making games for the core gaming audience.
[…]
In time we will announce a new endeavor with a new goal: To make narrative-driven games for the core gamer that are highly replayable. To foster the most direct relationship with our fans possible, we will focus exclusively on content delivered digitally.
Gerade dieses Zitat blieb bei mir hängen, weil bei Gamasutra am selben Tag ein ähnlicher Artikel erschienen ist. Dieser handelte jedoch über die Zukunftspläne eines anderen, ebenso bekannten Entwicklers und ist wegen der Meldung bezüglich Irrational Games etwas untergegangen. Die Rede ist von dem Artikel “With new perspective on life and games, Cliff Bleszinski plots next move.” Bleszinski hat Epic Games fast vor eineinhalb Jahren verlassen und seitdem haben wir bis auf einige Tweets und kleinere Meldungen nicht gehört, woran er als nächstes arbeitet – wenn er überhaupt arbeitet. Nun haben wir eine konkretere Vorstellung bekommen und eine bestimmte Stelle im Artikel ist mir im Kontext um die Auflösung von Irrational Games besonders aufgefallen.
“PC is where I’m going to wind up. That’s where the community is,” he says. “The trend will always be the core. If I start a studio, I want a community manager there day one. I want weekly video or podcasts; I want task lists available on the subreddit. When my wife and I play Rust, before we play, we check the subreddit. Whenever you get a little bored with a game, someone issues an update. I feel like a game developer again, where I get to check out the build list.”
“The whole ‘old guard,’ where you get a Game Informer cover and an E3 reveal, is dead,” says Bleszinski. “I’ll never make another disc-based game for the rest of my career, and [at E3] they’re trying to woo buyers from Target and Walmart?”
Bleszinski sagt im Kern fast dasselbe, was auch Levine sagt. Sie wollen beide lediglich digitale Spiele produzieren, womit sie die Fans stärker einbinden können. Dabei geht es in beiden Fällen speziell um die Core-Gamer. Zufällig wurden beide Berichte am selben Tag veröffentlicht.
Bezüglich den Entlassungen bei Irrational Games hatte Leigh Alexander bei Gamasutra einen Artikel (Irrational Games, journalism, and airing dirty laundry) geschrieben, nach dem die komplette Schließung von Irrational Games abzusehen war. Aus verständlichen Gründen will sie keine Namen nennen, doch ihr wurde mehrfach berichtet, Irrational Games werden ganz dicht gemacht, wenn sich Bioshock: Infinite nicht wesentlich besser als das erste Bioshock verkaufen sollte. Der Aufwand hinter Bioshock: Infinite ist nämlich besonders hoch gewesen. Irrational Games haben 5 Jahre lang an dem Spiel gearbeitet, während die Entwicklungs- und PR-Kosten jeweils auf 100 mio Dollar kommen sollen. Polygon haben im Zuge von Levines Nachricht ein Interview (Ken Levine and the Infinite Idaho) mit ihm kurz vor dem Release von Bioshock: Infinite veröffentlicht, der eine problematische Entwicklung andeutet. Levine ist ein Perfektionist und es wurde sehr viel Content geändert oder ganz rausgeschnitten, um es damit noch besser machen zu können. Elizabeth hat beispielsweise einen neuen Look bekommen, während die bekannte Szene mit dem Pferd aus dem Spiel entfernt und damit umsonst entwickelt wurde. Das Spiel wurde mehrfach verschoben, wenn ein Release-Datum überhaupt feststand. Wenn man sich nur diese Zusammenhänge anguckt, dann scheint es sehr verständlich zu sein, dass Levine aus der Block Buster-Produktion aussteigen und sich stattdessen kleineren Projekten widmen möchte, in denen es mehr Spielraum zum Experimentieren gibt. Polygon hat mittlerweile einen weiteren Artikel (The final years of Irrational Games, according to those who were there) veröffentlicht, der meine Eindrücke bestätigen scheint. Irrational Games haben Hilfe von 2K Marin gebraucht, um Bioshock: Infinite beenden zu können, die Arbeit mit Levine wird als sehr fordernd und anstrengend bezeichnet und die Zahl der Abgänger schien hoch gewesen zu sein. Die Schließung von Irrational Games scheint eine Mischung aus mehreren Faktoren zu sein, die alle in eine ähnliche Richtung gehen.
According to those with whom we spoke, the closure was the combined result of unfettered creative freedom, lower-than-expected sales, the butting of heads between Levine and his employees and the unrealistic expectations of big-budget game development.
Auch hier muss ich wieder an Bleszinski denken. Bleszinski sagt es in dem Gamasutra-Interview zwar nicht so deutlich, aber wenn er auf den kompletten Retail-Markt verzichten will, dann offenbar um kleinere, risikofreundlichere Projekte anzufangen. Das wird besonders dann deutlich, wenn er von kreativen Risiken spricht, die im Triple A-Bereich nicht machbar sind und Bioshock: Infinite scheint beispielhaft für seine Ansichten zu sein. Er möchte jedenfalls nicht nur für Gears of War bekannt sein und ist der Meinung, ihn ihm würde noch mehr stecken.
Besonders interessant ist das Thema aber, weil es keineswegs neu ist. Spiele-Entwickler, die aus der Big Budget-Produktion in kleinere Indie-Gefilden wechseln, gibt es schon seit längerer Zeit. Bleszinski und Levine sind nur promintere Namen. Phil Fish hatte bei Ubisoft gearbeitet, bevor er Fez entwickelt hatte. Lucas Pope, der Mann hinter Papers, Please, war zuvor bei Naughty Dogs. “The Opposite of Fail: The story of FTL” erzählt über Justin Ma und Matthew Davis, die bei 2K Games gearbeitet haben, um dann mit FTL ihr eigenes Spiel zu machen. “From AAA to doing it our way” ist eine Reportage von Polygon über Rick Burton, Brian Chung sowie Avery Wong und Kelvin Nishikawa, die von der Mainstream-Entwicklung in den Indie-Bereich wandern. Während ich diesen Artikel schreibe, muss ich die ganze Zeit an einen bestimmten Auszug denken. Dieser bezieht sich auf die Frage, warum diese Leute gewechselt sind.
“It’s the stifling,” Wong says, of working in AAA development. “Unless you’re the one calling the shots, you’ll get to work on a small block of a game to make sure someone else’s dream becomes a reality. There’s only so much you can do to ensure someone else’s dream happens before you’ve had enough and put yourself first.”
[…]
“Most game developers breaking into the industry want to make their own game, but in order for your vision to be carried out, you need to be the creative director behind it, not just an artist or an engineer,” Nishikawa says.
[…]
“I was around for the infamous ‘march of death’ at BioWare, when the first Mass Effect came out. We were originally told it would be a two-month job and it turned into a nine-month job. By the end of it, there were so many developer burnouts, that it led to BioWare reviewing their policy to make sure it never happened again. I couldn’t risk going through that once more,” Burton says.
Neben der Frage der kreativen Freiheiten frage ich mich, wie attraktive die Spiele-Industrie für Arbeitnehmer eigentlich ist. Man hört immer wieder mal Geschichten aus der Spiele-Industrie, nach denen die Entwickler bis zur Erschöpfung arbeiten. Crytek gaben mit ihrem RyseFacts-Hashtags an, dass sie 11.500 Mahlzeiten für ihr Crunch-Team ausgegeben haben. “Death March: The long, tortured journey of Homefront”, berichtet über die Entwickler von Homefront, bei der die Entwickler unter hohen Druck gearbeitet haben.
“You begin asking yourself questions like, ‘What the hell am I really doing? Why is it that I have spent more time with the people in the cubicle next to me than I have with my own family and friends for a year and counting?’” he said. “Because I might as well have moved out to Siberia for 13 months. Because nobody heard from me. That was true of a lot of people. I’m not sure who lost family, or what long term ramifications it had, but none of it positive. You don’t become a stronger friend or a stronger family member from not being present.”
Ich vermute der große Reiz bei der Spiele-Entwicklung ist der kreative Prozess, bei dem der Entwickler etwas beisteuern kann. Aber was hält den Entwickler eigentlich noch, wenn er beim kreativen Prozess nur noch eine untergeordnete Rolle spielt, weil das Projekt nach heutigen Triple A-Maßstäben so riesig geworden ist und er Arbeiten verrichtet, die er auch in anderen Bereichen – u.a. Softwareentwicklung – in wesentlich angenehmeren Verhältnissen verrichten kann? Oder ein kleineres Indie-Studio eröffnet, in dem er seinen kreativen Freiraum behalten kann? Ich persönlich bin schon seit einigen Jahren Softwareentwickler und ich erinnere mich daran, zu meiner Anfangszeit eine Anzeige von Valve gelesen zu haben. Ich weiß nicht mehr, worum es genau ging, aber ich kann mich noch daran erinnern, mich in der Position sehen zu können, wenn ich die nötigen Leistungs-Anforderungen erfüllen würde. Aber wozu? Um in einen Job zu arbeiten, in dem ich nicht zwingend mehr verdiene, aber bis zum umfallen crunche? Um dann wahrscheinlich nur ein Zahn im Getriebe zu sein, der lediglich an Teilaspekten arbeitet und die Visionen eines anderen realisiert, wie es auch schon Avery Wong beschreibt? Der Indie-Bereich auf der anderen Seite wirkt dagegen wesentlich attraktiver, um als Entwickler mehr Freiheiten zu haben. Es gibt ja schon einige finstere Prophezeiungen bezüglich der Spiele-Industrie, wie es werde irgendwann zu einem 2. Spiele-Crash kommen, die Triple A-Produktion werde irgendwann zu teuer werden oder DRM, DLC‘s und F2P würden das Gaming zerstören. Ich möchte nun vorsichtig die Frage in den Raum werfen, was eigentlich mit der Triple A-Sparte wird, wenn denen die ganzen Entwickler weglaufen.
1 Kommentar
Sehr interessante Fragestellung. Auf der einen Seite werden sicher immer wieder neue Entwickler nachkommen. Es kann ja nicht unendlich viele Indieteams geben. Der Vorteil eines AAA-Studios dürfte außerdem ein halbwegs geregeltes Einkommmen sein (vgl. mit einem eigenen Indiestudio). Aber bei mir war das auch ein Grund, warum ich mich nicht weiter Richtung Spiele-Industrie umgesehen habe, sondern einem “normalen” Entwicklerjob nachgehe und die Kreativität lieber im Hobby auslebe.
Vielleicht führt es früher oder später auch zu gänzlich neuen AAA-Studios mit gesünderen Strukturen? Man wird ja noch träumen dürfen ;)