Modern Warfare ist 2007 erschienen. Bislang habe ich den Mehrspieler-Modus dessen, was später die Mutter aller gehasst-geliebten-Mehrspieler-Modi der Post-Halo-Ära werden sollte, nicht angerührt. Nun komme ich nicht mehr davon los. Der Versuch einer Erklärung.
Kotzerei
2007, Leipzig. Die Gamescom heißt noch Games Convention und es ist das erste Mal, dass ich eine Spielemesse aus beruflichen Gründen besuche. Ich war 2006 schon da, aber das nur zwecks Besäufnis und die letzte Erinnerung an den Abend ist, dass ich vor den Volkspalast gekotzt habe. Es sollte das erste und letzte Mal sein, dass ich bei einem europäischen Event kotze. Um Gähnen in Technicolor geht es 2007 auch nicht, als wir vor der Messe warten und ein grimmiger Typ, der den Quotenbrutalo-ich-hab-die-Minigun-UND-die-Muskeln in jedem Schwarzenegger-Frühwerk mimen könnte, uns abholt. In einem tarnfarbenen Humvee. Wir fahren zu einem alten Fluggelände und dort findet die Feierlichkeit zu Modern Warfare statt. Ich habe nicht die geringste Ahnung von diesem Spiel oder gar Feierlichkeiten zu Spielen, aber es gibt kostenlosen Alkohol, man kann reichhaltig essen und überall sind Bildschirme aufgebaut, auf denen Trailer laufen und man hier und da selbst zocken kann. Das kommt alles schon megalomanisch rüber.
Sieben Jahre später. Hinsichtlich größenwahnsinniger Inszenierung sollte sich nichts ändern, das habe ich bei diversen Call of Duty-Events gelernt. In ganzen Hangars, die man in Los Angeles anmietete, in “Events”, die daraus bestanden, dass ich mich 13 Stunden in der Economy-Class herumschlagen durfte, um exklusiv einen Trailer zu sichten und dann zurückzufliegen. Oh, und der Alkohol war weiterhin gratis. Zum Kotz-Happening auf europäischem Boden gesellte sich noch eines auf amerikanischem Grund und mein letzter Gedanke beim öffnen des Toilettendeckels war “Geil, auf zwei Kontinenten gekotzt! Achievement unlocked!”
Und an allem ist Modern Warfare schuld.
Ohne mich
Der vierte Teil der Call of Duty-Reihe gilt, ob man ihn nun mag oder nicht, zu Recht als Meilenstein. Er hat das Genre der langweilig und austauschbar gewordenen Weltkriegs-Shooter beerdigt, er hat den Grundstein für schnelles Gameplay gelegt, er hatte eine Mission in Tchernobyl, die auch sieben Jahre nach Erscheinen noch zu den herausragendsten Momenten des FPS-Genres gehört. Und er hatte einen Mehrspieler-Modus. Den ich erst einmal überhaupt nicht beachtet habe. Warum auch? Mehrspieler-Zocker, das waren in meinen Augen Anno 2009 oder 2010, als ich das Game dann endlich auch einmal gekauft habe, strange Typen. Vor deren Skills ich Angst hatte. Was sollte ich da? Mich sinnlos runterballern lassen? Das würde keinen Spaß bringen. Ohne mich.
2010 / 2011. Ich habe mehrere hundert Stunden in Black Ops verbracht und den höchsten aller Ränge im Mehrspieler-Modus geholt. Wir, die verdammte “DEDZ”-Crew, waren saugut unterwegs, damals, im Winter 2010. Täglich zig Stunden (immerhin dieses Vorurteil über MP-Zocker hat sich bewahrheitet), gesunde Kill-Death-Ratio, Hassbotschaften anonymer Mitspieler – alles dabei. Wir haben den Laden gerockt und es war das erste und letzte Mal, dass mich ein Mehrspieler-Modus, bei dem der Sinn darin besteht, andere umzunieten, interessiert hat. Kein Call of Duty davor oder danach hat das geschafft. War quasi ein Ausrutscher – aber einer, der Ende 2011 dann diesen schönen Text für dieses schöne Blog hier ergab.
2014: Ob da überhaupt noch jemand unterwegs ist, frage ich mich, als die Modern Warfare-DVD in den Schacht gleitet. Bestimmt nicht. Diese Call of Duty-Bande braucht doch immer nur das aktuellste Game, kauft dann im November des Folgejahres das nächtste und schaut ohnehin nur in den Mehrspieler-Modus. Ob die überhaupt wissen, dass das Spiel auch den Versuch unternommen hat, eine Story via Singleplayer zu liefern? Vermutlich nicht. Hach, diese Vorurteile über Call of Duty-Zocker. Sie sind so einfach zu kultivieren, schließlich ist die Bande so leicht greifbar – man muss nur in der ersten Novemberwoche eines jeden Jahres zuschauen, wie sie zombiegleich die Gamesläden der Welt aufsuchen. Und. Die. Rechnung. Von. Activision. Jedes. Mal. Wieder. Aufgeht.
Gern geschehen, Opfa!
Nö, dem beuge ich mich nicht. Warum auch? Es sind schließlich noch etwas über 2.000 Menschen online, als ich auf den Menüpunkt “Mehrspieler” klicke. 2.000! Wunderbar! Damit kann man was anfangen. Warum mache ich das eigentlich überhaupt? Gute Frage. Keine perfekte Antwort drauf. Vermutlich deshalb, weil ich eben schauen wollte, ob da noch was geht.
Was geht da denn nun? Surprise! Zunächst einmal ist das Menü zum Erstellen eigener Klassen wunderbar schlank. Keine Berechnungen notwendig, um hier drauf zu kommen, welche Waffe mit welchem Perk funktionieren könnte und den entschiedenden Vorteil von 2,9 Millisekunden im Kampf liefert. Keine zigdrölfzig Extras. Kein Mikromanagement nötig, um den eigenen Kämpfer zu betreuen oder gestalten. Stattdessen ein angenehm schmales Menü an Optionen. Basteln wir mal ein wenig – sprich: etwa eine Minute – und die Klasse steht. Zig Karten per DLC gab’s damals auch nicht. Gut, einen DLC gab es, aber das war es auch schon. Nix mit Season Pass, nichts mit Extras, die nur bekommt, wer nach dem Spielekauf nochmal in die Tasche greift. Alles easy.
Gut, das Matchmaking ist bisweilen etwas zäh, schließlich muss sich unter diesen 2.000 erst einmal die kritische Masse an Mitspielern finden. Aber es geht. Team Deathmatch und mein Favorit “Herrschaft” sind noch ganz gut besucht.
Seither werde ich mehrheitlich runtergeschossen. Wieder und wieder und wieder. Nicht, weil ich es nicht verstehe, sondern weil die, die es verstehen, eben schon lange dabei sind und das Spielchen hier auswendig kennen. Woher ich das weiß? Sieht man recht zügig am Level bzw. Prestige-Grad. Hält mich das ab? Nö. Im Gegenteil! Ich habe mich selten so gefreut, ein Spiel mit 7:23 Kills zu verlassen. Ey sieben Abschüsse! Und einer davon war sogar deren Primus. Gern geschehen, Opfa!
Wo sind die Nazis?
Auffällig ist, dass es keinerlei Hassnachrichten im Nachgang gibt. Kein “Nazi”, “Gay motherfucker”, “Motherfucking gay” oder dererlei – in Black Ops war das noch Standard, die Kinder regen sich halt gern auf und haben in etwa die (Selbst)Reflektion einer 30 Jahre alten Windschutzscheibe. Nicht hier. Stattdessen kommt bisweilen sogar ein “Good game!” – mein Weltbild bricht zusammen. Vermutlich ist das hier die alte Garde, diejenigen, die Ü30 sind und hiermit angefangen haben, als sie noch kleine Twentysomethings waren – wie ich seinerzeit. Die haben echt die Ruhe weg und sind freundlich. Ich fasse es nicht.
Weil das so angenehm ist, treffe ich mich mittlerweile abends sehr gerne mit dieser kleinen, feinen CoD-Parallelgesellschaft (Begriff von Sven geklaut). Das sind nicht die Kids, die im Jahrestakt die Updates kaufen, das sind nicht die Rage-Quitter, nicht die homophoben, kleinen Hater. Die machen das hier nur noch zum Spaß, ohne Sinn, ohne Ziel. Stimmt nicht ganz: Level 55 will ich schon packen. Bei 33 bin ich und der Aufstieg verläuft hier längst nicht so einfach und steil wie in anderen Teilen der Reihe. 10 Punkte für nen Abschuss nur? Yip. So schaut das aus und um weiterzukommen, hilft nur eins: verschiedene Waffen nehmen, mit denen gewisse Anzahlen an Kills erzielen, dafür Bonuspunkte erhalten. Heißt: über kurz oder lang muss ich alter Sniper-Verächter dann halt doch noch zur Dragunov greifen. Bäh.
Genau wie ich. Endlich der perfekte Mehrspieler-Modus für einen, der Mehrspieler-Modi auch 2014 noch nicht so recht abkann.
(Post Scriptum: Die im Text verwendeten Bilder sind während der CoD XP enstanden.)
5 Kommentare
Wir sind auch in den letzten Monaten hin und wieder mal zu CoD4 zurückgegekehrt, wobei es von den CoDs der Titel war, den ich am meisten online gespielt habe.
Was aber nervt: Abgesehen von absoluten Pros gibt’s da recht oft gehackte Spiele/Lobbys, sehr viele Spieler laufen mit den übermächtigen Scharfschützengewehren herum und – aus heutiger Sicht wahnwitzig – es gibt keine Host-Migration!
PS: Ich hab in den hunderten Stunden CoD so gut wie nie irgendwelche Hassnachrichten bekommen (Sprachchat aber auch meist gemieden bzw. im Party-Chat gewesen).
Mist, das mit den Hacks hatte ich vergessen. Ist mir neulich echt zum ersten Mal passiert – ich hatte keine Ahnung, wie zur Hölle das auf einer ansonsten doch recht geschlossenen Plattform wie Xbox Live überhaupt gehen soll. Naja, auf einmal konnte ich gefühlt 50 Meter hoch springen und hatte permanentes Rennen drin. War irgendwie spooky.
Hassnachrichten bekomm ich immer nur via Text. Muss die irgendwann mal alle abfotografieren und ein Blog dazu machen, wenn’s das nicht schon gäbe..
@volker: Ich könnte Dir -wenn du möchtest- ein paar Hass-nachrichten schicken.
Man hilft ja wo man kann…..
Mit CoD4 verbinde ich die schönste Krankschreibung meines Lebens. Wegen einer Armverletzung war ich zwei Wochen außer Gefecht, den Arm sollte ich laut Arzt möglichst schonen. Modern Warfare war da sowas wie ein Lust-/Frustkauf. Ich meine, es war nur der linke Arm und den braucht man eh nur für WASD, die waghalsigen Manöver waren dem (rechten) Mausarm vorbehalten. Long story short: So exzessiv habe ich wohl nie wieder einen Shooter online gespielt.
CoD4 war schlank, knackig und verdammt spaßig. Radar, Luftschlag und Hubschrauber – mehr Killstreaks brauchte es nicht. Bis heute habe ich nicht verstanden, warum die Nachfolger in der Hinsicht immer größer werden mussten. Wer braucht den ganzen Kram?
Danke für den Tipp! Habe COD4 zuerst (und zuletzt) mal auf einer LAN-Party in kleinem Kreis gezockt. Jetzt wieder ausgegraben und ich muss sagen, es macht meist echt Gaudi. Außer wenn die von Dir erwähnten COD-Versteher mal ernst machen und die Spawn-Spots becampen. Ab und zu verirrt sich auch mal ein Cheater auf die Server, aber der ist meist schnell wieder weggevotet.