„Duhuu, Frau Rieger?“ – „Ja, SpielerZwei?“ – „Warum bin ich anders als die anderen Spieler?“ – „Öhmm, …“
Wie nicht anders zu erwarten, wusste auch Frau Rieger, die normalerweise die Antworten auf wirklich alle Fragen kennt, nichts zu entgegnen. Dabei wird das eigentliche Problem immer offensichtlicher: Half-Life 2, DOOM 3, Black, Project: Snowblind, Quake 4, Serious Sam 2…
Zu fast allen Shootern der letzten Zeit habe ich eine Meinung, die mehr oder weniger stark vom Tenor der breiten Masse abweicht. Allgemeine Reviewer-Lieblinge lassen mich nicht selten kalt und eher mittelmäßig beurteilte Spiele schießen sich in mein Herz.
Mancher mag nun denken: „Der Fall liegt doch auf der Hand! Du bist einer dieser Typen, die mit Absicht gegen den Mainstream schwimmen und aus Prinzip anderer Meinung sind, nur um sich abzusetzen und vielleicht auch noch zu provozieren. Du, SpielerZwei, bist der fleischgewordene Uli-Stein-Pinguin, der das Plakat mit der Aufschrift „Dagegen!“ hochhält; egal worum es geht.“
Das wäre eine Möglichkeit. Allerdings sagt mein Therapeut, dass ich diese Phase mit der Pubertät schon vor Jahren hinter mir gelassen habe. Zudem ist die Sache ja keinesfalls erschöpfend ausgelotet, wenn man mir vorwirft, immer pauschal gegen die Masse anzurennen.
Nehmen wir mal 3D Realms´ Prey:
Das Spiel ist ein Beispiel dafür, dass der Hase auch in die andere Richtung laufen kann. Die Mainstream-Presse findet Prey toll, ideenreich und empfehlenswert. Die spielenden Bewohner von Kleinbloggersdorf (sagt man das noch?), welche den VierSpielern normalerweise näher sind als GameStar und Co., finden das Spiel hingegen mehrheitlich zwar ideenreich, aber unterm Strich dennoch nicht empfehlenswert.
Im Falle von Prey teile ich, ebenso wie mein Kollege SpielerVier, jedoch die Einschätzung der GameStar, wenn auch aus teilweise anderen Gründen als die lustigen IDG-Schreiberlinge, die gerade mal wieder ihre Wertungskästen dermaßen verschlimmbessert haben, dass mir nur noch der Begriff „Realsatire“ als Umschreibung einfällt („Objektive Spielspaßkurve“, anyone?).
Der einzige Kritikpunkt an Prey, den ich durchaus teilen kann, ist die kurze Spielzeit von ca. 6 Stunden. Das ist für einen Vollpreistitel wirklich wenig. Da braucht man keinen Redaktionspraktikanten, der den „Euro-Pro-Spielstunde-Index“ mit dem Taschenrechner berechnet, um entscheiden zu können, dass 6 Stunden Unterhaltung für etwa 45 Euro wirklich etwas mager sind. Allerdings erfassen solcherlei Milchmädchenrechnungen nicht die Qualität der persönlich erlebten Unterhaltung. Was nützt mir auf der anderen Seite ein extrem in die Länge gezogenes Spiel, wenn es durch die Länge irgendwann langweilig wird? Titan Quest war zum Beispiel in dieser Beziehung gegen Ende recht grenzwertig. Wenn ich bei einem Spiel am Ende froh darüber bin, dass es zu Ende ist, dann ist das eigentlich auch kein so gutes Zeichen…
Auf der Habenseite hat Prey eine gute Story, eine dichte Atmosphäre, einen Sack voller toller Ideen, aus denen andere Entwickler mindestens 10 Spiele gemacht hätten, und eine technisch fehlerlose Umsetzung zu verbuchen. Prey hat mir von der ersten bis zur letzten Minute Spaß gemacht. Keine Langeweile, kein Generve, kein branchenüblicher Dilettantismus.
Natürlich kann man sich an den Indianerklischees stören, die das Spiel unbestritten sowohl in die Story als auch das Gameplay einbettet. Kollege Vier hat in seinem Artikel schon darauf hingewiesen, aber auch gleich richtiggestellt, dass das Verwenden dieser Klischees nicht zwangsläufig zu einem Klischeespiel geführt hat. Tatsächlich ist Prey in Bezug auf seine Narrativität einem Half-Life 2 um Lichtjahre voraus und Tommy spielt als Identifikationsfigur und Sympathieträger schlicht in einer ganz anderen Liga als ein Gordon Freeman, der sich nur dadurch vom Doom-Trooper unterscheidet, dass man ihm einen Namen und eine Brille samt Schnurbart spendiert hat…
Und doch ist es gerade Tommy, über den sich die Kritiker aufregen. Ich weiß nicht, wer diesen Satz als Erster geschrieben hat, aber ich weiß dass ich ihn mindestens zwanzigmal von verschiedenen Autoren auf verschiedenen Websites gelesen habe. Jener Satz, der als Totschlagargument für die Missbilligung Preys herhalten musste und nebenbei wieder einmal mehr Beweis dafür ist, dass Abschreiben nicht nur ein beliebter Sport unter Schülern ist, lautet sinngemäß wie folgt: „Tommy ist ein völliger Unsympath, weil er gleich in den ersten 5 Minuten des Spiels seinen Großvater und seine Freundin anschnauzt und zwei betrunkene Kneipengäste mit der Rohrzange vermöbelt.“
Dieser Satz macht auch völlig Sinn, wenn man lediglich die ersten 5 Minuten des Spiels spielt und sich daraus eine Meinung zusammenzimmert. Würde man das Spiel jedoch etwas länger spielen, müsste man, unabhängig vom individuellen Bildungsniveau, irgendwann dann doch erkennen, dass hier ein glaubwürdiger Charakter mit Ecken und Kanten aufgebaut wird, der zehnmal mehr Identifikationspotential und Tiefe besitzt als 99% der handelsüblichen Spielhelden. Und wenn man mal das Klischee Klischee sein lässt, kann man auch erkennen, dass hier neben der großen Geschichte von der Alieninvasion eine zweite Geschichte erzählt wird. Die Geschichte von einem Charakter, der seine Herkunft verleugnet, um so vermeintlich besser in der Realität bestehen zu können, dann aber nach und nach erkennt, dass gerade seine Herkunft ihn zu etwas Besonderem macht und am Ende sogar der Schlüssel zur Hauptgeschichte ist. Der Weg dorthin ist jedoch kein leichter. Tommy ist zu Beginn ein ignoranter Egozentriker, der erst über den Verlust seiner Lieben und die damit verbundenen Schmerzen zu seiner wahren Bestimmung findet. Charakterentwicklung par excellence! Etwas woran die meisten storybasierten Spiele und auch viele Filme oft scheitern…
Aber genug davon. Über Prey wollte ich ja nur am Rande schreiben. Hauptsächlich geht es hier um mich und meinen Spielgeschmack. Oder besser darum, warum sich mein Spielgeschmack den still und heimlich festgelegten Fronten des Spielgeschmacks entzieht.
Auf der einen Seite die bösen Printmagazine, die jeden Hype bis zum Erbrechen zelebrieren und relativ leicht zu enttarnende Lakaien der Spielindustrie sind. Auf der anderen Seite die sogenannte „Indie-Szene“, die alles, was auch nur ansatzweise nach Mainstream riecht, ablehnt und schon mal aus Prinzip doof finden. In der Mitte, quasi im Kreuzfeuer der Normandieerstürmung: Ich.
Was also stimmt mit mir nicht? Bin ich nur ein wenig pervers oder habe ich vielleicht gar keinen Geschmack? Oder einfach nur kein Rückrat? Und was sollen nur meine Leser von mir denken? Da rege ich mich in einem Artikel über die GameStar auf und stelle mich im nächsten wieder auf ihre Seite. Ich weine um die geringen Verkaufzahlen von Psychonauts und lobe wenig später ein absolutes Hype-Spiel. Bei so viel Inkonsequenz muss doch unweigerlich die eigene Glaubwürdigkeit auf der Strecke bleiben, oder?
Aber vielleicht ist es ja auch genau andersherum. Vielleicht bin ich der Einzige, der sich unabhängig von Hypes, Trends und Herdenzwängen einzig und allein mit dem beschäftigt, um das es hier geht: Spiele!? Bin ich gar eine Lichtgestalt in einem ansonsten dunklen und völlig verdorbenen Land namens „Rezensionien“? Quasi der Franz Beckenbauer unter den Spielejournalisten? Aber wenn dem so wäre, warum bin ich dann immer noch nicht reich und berühmt? Fragen über Fragen…
Also wenn ich jetzt aus all den Möglichkeiten wählen müsste, würde ich wohl „pervers“ nehmen. Das klingt irgendwie schick: „Sag mal, bist du nur inkonsequent oder einfach nur opportunistisch?“ – „Weder noch. Ich bin pervers!“ – „Ach so. Na dann…“
Aber mal Spaß beiseite:
Prey hat mir mal wieder gezeigt, dass man niemandem in Bezug auf Geschmack und Spaß trauen kann. Wiederholt es noch einmal mit mir und Agent Mulder im Chor: Traue niemandem! Hätte ich mich auf die üblichen Feindbilder und vermeintlichen Brüder im Geiste verlassen, wäre mir mit Prey ein echt gutes Spiel entgangen, das mich wirklich bestens unterhalten hat. Immerhin hat die allgemeine Abneigung des „Indie-Lagers“ dem Spiel gegenüber schon dazu geführt, dass ich mir Prey erst einige Wochen nach Erscheinen gekauft habe. Wahrscheinlich hätte ich es mir spätestens nach dem Artikel von SpielerVier dann doch gekauft, aber wer weiß…
Letztendlich kam die Kaufentscheidung (noch vor SpielerViers Artikel) dann eher spontan. Aus Langeweile, weil derzeit kaum gute PC-Spiele erscheinen. Wenn in letzter Zeit ein paar mehr interessante Titel veröffentlicht worden wären, hätte ich mich vermutlich auf die einschlägigen Meinungen verlassen und Prey nie im Leben gespielt. Die Zeitschriften hypen es und die meisten Blogger schmähen es: Alles klar. Thema erledigt.
Mann, da habe ich ja noch einmal Glück gehabt! Ich bin jetzt zwar pervers, aber dafür kenne ich die Wahrheit über Prey…
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