Mit Untoten hat man nichts als Scherereien. Von den Toten wiederaufzuerstehen, festigt den Glauben an die Götter scheinbar ungemein: Die meisten Untoten sind religiöse Fundamentalisten. Da der Kaiser schon kurz nach seiner Krönung beschloss, von der Kirche Steuern zu verlangen wie von jedem anderen Unternehmen, waren die Untoten ihm von Anfang an nicht zugetan. Die Einführung des Wahlrechts für Frauen verbesserte das Verhältnis nicht gerade und spätestens seit der Legalisierung von gleichgeschlechtlichen Lebenspartnerschaften – ein Anliegen der Elfen – hat der Kaiser von den Untoten keine Unterstützung mehr zu erwarten.
Nicht, dass die übrigen Fraktionen im Rat viel pflegeleichter wären. Den Zwergen geht es vor allem um die Wirtschaft. Da ist eine allgemeine Krankenversicherung eher hinderlich, weil sie die Unternehmer Geld kostet. Imps sind Ingenieure und Wissenschaftler, bei deren Forschung Sprengkraft und Detonationsgeschwindigkeit eine ungünstig große Rolle spielen. Die Echsen würden den Kaiser am liebsten noch heute absetzen und durch einen gewählten Präsidenten ersetzen.
Verlass ist in Divinity: Dragon Commander nur darauf, dass sich diese fünf Fraktionen niemals einig sind. Dennoch ist man auf ihre Unterstützung angewiesen. Nach dem Ableben des alten Monarchen versuchen neben dem rechtmäßigen Kaiser auch seine drei Geschwister, ihren Anspruch auf den Thron geltend zu machen. Auf militärische Weise. Der Kaiser führt also Krieg um des lieben Friedens willen und wird dabei unterstützt von vier Generälen, die sich untereinander auch nicht grün sind.
Glücklicherweise ist der Kaiser ein Drache. Mit einem Jetpack.
Dragon Commander hat Schichten, wie eine Zwiebel oder eine Matrjoschka-Puppe. Es ist ein Actionspiel in einem Echtzeitstrategiespiel in einem Rundenstrategiespiel in einem, nunja, Rollenspiel wäre vielleicht zu viel gesagt. An Bord der Raven, des kaiserlichen Luftschiffes, bewegen wir uns mittels einer Iconleiste am unteren Bildschirmrand von Raum zu Raum, ganz ähnlich wie in der Hyperion in StarCraft II. Ein Hauch von Rollenspiel weht durch die Gänge des Schiffes, weil man in den Gesprächen mit den NPCs alle Nase lang Entscheidungen treffen muss, die die Einstellung der NPCs und ihrer Fraktionen zu uns, dem Kaiser, ebenso beeinflussen wie ihre Beziehungen untereinander. Manche Charaktere haben eigene Handlungsstränge, die auf mehrere Arten enden können, je nach Gesprächsverlauf.
Beugen wir uns auf der Brücke über den Kartentisch, wechselt das Spiel in den Rundenstrategiemodus, der frappierend an den Brettspielklassiker Risiko erinnert. In jeder Runde werfen die Gebiete, die man bereits erobert hat, Geld ab, mit dem man neue Einheiten baut. Mit dieser Armee verteidigt man die Gebiete, die man bereits hält, oder rückt in Feindesland vor. Kommt es zur Schlacht, kann man entweder einen seiner vier Generäle entsenden oder die Truppen selbst anführen. Die Generäle verlieren meist mehr Einheiten als man selbst und ihr Einsatz kostet Geld. Dennoch kommt man nicht um sie herum, denn auch Drachen können sich nicht zerteilen und deshalb in jeder Runde nur an einer Front aktiv werden.
Greift der Kaiser selbst in den Kampf ein, schaltet das Spiel in den Echtzeitstrategiemodus, der für sich genommen nicht übermäßig kompliziert gestrickt ist. Zum Glück, wie wir später feststellen werden. Jede Seite startet mit den Einheiten, die sie im Rundenstrategiepart aufs Feld geführt hat. Es gibt nur eine Ressource: Rekruten. Die gewinnt man in Rekrutierungszitadellen, die man nur an bestimmten Punkten auf der Karte bauen darf. Hat man Rekruten, kann man Rüstungsfabriken, Kasernen etc. bauen – auch diese nur an fest vorgegebenen Punkten – und bekommt neue Einheiten, um den Feind schließlich mit einer übermächtigen Armee von der Karte zu fegen.
Zu Beginn der Kämpfe muss man nicht unbedingt taktisch vorgehen, sondern vor allem schnell. Je mehr Rekrutierungszitadellen, desto besser, denn die Gesamtanzahl an möglichen Rekruten ist durch die Bevölkerungsstärke der entsprechenden Provinz im Rundenspielmodus beschränkt. Die maximale Größe der eigenen Armee wird bestimmt durch die Anzahl an Zitadellen, die man hält, und – ganz wichtig – durch die Unterstützung der Bevölkerung im jeweiligen Landstrich. Und da haben wir die Verbindung durch die verschiedenen Spielebenen bis ganz nach oben zu den politischen Entscheidungen auf der Raven, durch die wir uns eben jene Unterstützung sichern oder sie verspielen. In den Gebieten der Untoten habe ich momentan einen echt schweren Stand.
Das Zünglein an der Waage ist dann oft der Drache. Mit einem Tastendruck wird der Kaiser zur flammenspeienden Echse, fegt dank des Jetpacks auf seinem Rücken in Sekundenschnelle über das halbe Schlachtfeld, steckt Bodeneinheiten in Brand und weicht der feindlichen Luftabwehr aus. Dragon Commander wird zum Actionspiel und das macht so gewaltig Spaß, dass man leicht aus den Augen verliert, dass die Echtzeitstrategie weiterläuft, dass die eigenen Armeen weiter Führung brauchen und neue Einheiten ausgebildet werden sollten.
Man kann recht viel davon auch in Drachengestalt steuern, doch bringt einem das Spiel das kaum nahe. Während StarCraft II in seiner Kampagne schrittweise an die Komplexität des Spiels heranführt und selbst neue Einheiten einzeln vorstellt, wird der Echtzeitstrategiemodus von Dragon Commander in einer Handvoll Videos eher oberflächlich erklärt. Es wird erwartet, dass man sich das meiste selbst aneignet. Die nötigen Tastenkombinationen, um auch in Drachengestalt einigermaßen Herr des Schlachtfelds zu bleiben, erfährt man über mehrere Ladebildschirme hinweg. Ich musste deshalb den Schwierigkeitsgrad für die ersten Spielstunden deutlich nach unten schrauben, zumal die KI recht clevere Spielzüge drauf hat und man im Rundenstrategiemodus schon in deutlicher Unterzahl startet.
Die Freiheit auf dem Rundenstrategiefeld bringt leider auch mit sich, dass an den Echtzeit-Einsätzen nichts geskriptet ist. Es gibt zwar eine ganze Reihe sehr schön designter und für sich betrachtet abwechslungsreicher Karten, aber die zugrundeliegenden Mechaniken sorgen dafür, dass sich die Einsätze unterm Strich über die Dauer der Kampagne hinweg für mich zu eintönig spielen. Zumal die Kampagne insgesamt zu lang geraten ist. Speziell der dritte und finale Akt hätte in dieser Länge und Ausdehnung nicht sein müssen, zumal er zur Geschichte auch nichts Wesentliches mehr beiträgt.
Die Niederungen der Echtzeitstrategie verleihen den Verhandlungen im Rat Bedeutung. Man lernt schnell, dass es günstig ist, es sich mit keiner Fraktion komplett zu verscherzen, sondern möglichst Entscheidungen zu treffen, mit denen man sich das Wohlwollen der Mehrheit sichert. Nur wechseln die Mehrheiten andauernd. Wenn man diesen Kurs des politischen Opportunismus durchzieht, ist am Ende niemand richtig unglücklich, aber auch keiner wirklich zufrieden. Eine klar erkennbare politische Linie gibt es in unseren Entscheidungen dann nicht. Keine Vision, wie der Staat nach Ende des Krieges einmal aussehen soll.
Das Wunderbare an Dragon Commander ist, dass trotz seiner seichten und humorvoll präsentierten Fantasywelt die an den Drachenkaiser herangetragenen politischen Fragen ganz reale Themen unseres Alltags sind. Sollten Frauen genauso viel verdienen wie Männer? Natürlich! Aber deine bisherige Strategie, zuerst die weiblichen Generäle ins Feld zu schicken, weil die weniger kosten, kannst du dann vergessen. Es ist so leicht und so verlockend, nur auf die persönlichen Vorteile im Runden- und Echtzeitstrategiemodus zu schauen und eher mit Mehrheiten und Meinungsumfragen zu hantieren als mit den tatsächlichen Inhalten. Was für Folgen es wohl hat, wenn man stattdessen zu seinen Überzeugungen zum Thema Wehrpflicht, zu Sex und Gewalt in den Medien oder zur Frage des Verbots von Kampfhunden steht?„Ihr wollt, dass ich Schmusi töte?“
So erzählt Dragon Commander am Ende mehr über den heutigen Politikbetrieb, als ich von einem lockeren Fantasyspiel mit Drachen und Jetpacks erwartet hätte. Es geht allerdings auch nicht so weit, wie es hätte gehen können. Unterschiedliche Enden, die dem Spieler die Auswirkungen seiner Entscheidungen noch einmal deutlich vor Augen führen, hätten sich statt eines für alle Spieler identischen, kurzen Abspannfilmchens geradezu angeboten.
1 Kommentar
Ich habe mir das Spiel jetzt im Steam Summer Sale geholt.
Den RTS-Teil finde ich nicht wirklich gelungen. Mag sein, dass es daran liegt, dass ich es nicht kapiere und entweder haushoch überlegen bin oder einfach nur langsam in der Defensive totgedrückt werde. Als Drache übers Schlachtfeld zu fegen ist spaßig, aber sobald der Gegner Luftabwehr hat, taugt es gar nichts mehr. (Eventuell müsste man den Drachen auch noch mehr ausbauen, was ich sträflich vernachlässigt habe, weil es meiner Meinung nach nicht so viel bringt.*) Ich beschränke mich daher eher auf die Risiko-Variante mit automatischen Kämpfen. Dabei hatte ich einen schweren Start, weil ich den ersten Akt sobald es ging abgeschlossen habe, womit man im zweiten Teil ziemliche Startschwierigkeiten hat.
Die politischen Entscheidungen versuche ich in meinem ersten Durchgang eher nach meinem Gutdünken zu treffen als auf die Reaktion der Fraktionen. Allerdings macht es bei vielen Anfragen die Reduzierung auf Ja/Nein schwer, seine Linie irgendwie durchzuziehen. Z.B. die Rücknahme der Steuergesetze, wo ich entweder “Ja, abschaffen” oder “Nein, beibehalten” aber nicht “Ja, vereinfachen” als Option habe. Zumindest wenn man auf die Berater hört, reden die Gegner von einer kompletten Abschaffung / Steuerausfällen statt von einer Reform mit ggf. nur etwas geringeren Einnahmen. Überraschenderweise bin ich mit diesem meinem Regierungsstil bei keiner Fraktion unter 50% und bei dreien sogar über 70% Zustimmung. Also von wegen, man kann es nicht allen Recht machen.
* Wenn ich bei automatischem Kampf eine Gewinnwahrscheinlichkeit von >75% habe, braucht es keinen Dracheneinsatz (noch nicht einmal Generäle, das kann die Armee für sich alleine ausmachen). Bei 50/50 kann man mit den Karten und Generälen die Gewinnchancen leicht nach oben heben und wenn man (viel) drunter liegt (<35%), habe ich in der Regel auf dem Schlachtfeld keine Chance, weil der Gegner mich einfach überrollt, weil er mit doppelt so vielen Einheiten, perfektem Micro-Management und Einsatz der Spezialfähigkeiten den Drachen (also mich) locker auskontert.