Würde man mich fragen, welches Tier ich in einem Videospiel niemals übernehmen möchte, wäre die Ratte vermutlich unter den Top drei. Warum? Nun, ich halte Ratten für ziemlich fiese Biester. Sie sind nicht nur extrem gefährlich, sondern auch extrem schlau – und die Kombination macht mir Angst. Ratten sind im Gegensatz zu anderen Viechern alles andere als sozial, so zumindest mein Eindruck. Hat eine Ratte eine Wahl, ob sie stirbt oder eine andere Ratte killt, wird sie sich für letzteres entscheiden. Sie ist ichbezogen, nur auf das eigene Überleben bedacht und dabei willens, über Leichen zu gehen. Ratte ist nicht umsonst eine ziemlich fiese Beleidigung. Die in Sachen Straßenkredibilität unantastbare Punkband Slime hat im Song “Nazis raus” den Vergleich von Ratten und Nazis gezogen, gipfelnd in der Textzeile “Töte die Ratte, wo du sie siehst” – was angesichts des Umstands, dass Ratten gerade bei Punkern beliebte Haustiere sind (hey! Mega-Anti-Establishment!), schon fast ein wenig zynisch rüberkommen mag. Warum dieser Tierwelt-Exkurs? Weil ich in Castlevania: Lords of Shadow 2 ständig als Ratte herumlaufen muss. Und mich das abfuckt.
Zu Beginn ein wenig spoilern, für diejenigen, die den Vorgänger und das 3DS-Game Mirror of Fate nicht kennen (ihr Banausen!): Kollege Gabriel Belmont zieht gegen das Böse zu Felde, macht die Höllenviecher platt und endet am Ende selbst als fieser Typ, während das Spiel mit einem Cliffhanger par excellance schließt: Dracula, so der neue Name des Ex-Belmont, befindet sich stark gealtert in einer Gegenwarts-Welt und ist mit Unsterblichkeit gestraft worden. Blöd gelaufen.
Mirror of Fate erweitert die Geschichte um ein wenig Familiendrama: Gabriel Belmonts Sohn Trevor, von dem Papa nix weiß, zieht gegen ihn in den Krieg, wird vernichtet, weigert sich aber selbst in Vampirform und mit neuem Namen Alucard, so ein übler Kerl wie Papa zu werden. Es folgt der Enkel Simon, der mit Papas Hilfe Gabriel dann doch noch erledigt, allerdings nicht so richtig. Kurzgesagt: Opa kommt wieder und das einige Jahrhunderte später, schließlich ist er unsterblich und die Gegenwart irgendwie ziemlich uncool für ihn. Zu gut, dass sein Buddy Zobek, seines Zeichens wie Gabriel (einst) Mitglied der Bruderschaft des Lichts, ihm seinen finalen Tot anbietet. Im Austausch soll Gabriel lediglich helfen, die Wiederkehr Satans (yup, auch der ist mit an Bord) zu verhindern. Klingt nach einem abendfüllenden Actionfilm? Ist nur die Ausgangsbasis für Lords of Shadow 2.
Das natürlich ein mächtiges Erbe antritt, haben Mercury Steam mit dem Vorgänger doch einen Titel geschaffen, der wirklich zu fesseln vermochte. Wie das? In meinem Fall war es die Kombination aus erkunden, traumhaften Fantasy-Landschaften (erinnert sich noch wer an den Turm mit den Krähen drum herum?) und einem wahrhaft epischen Soundtrack (und außer dem Soundtrack von Shadow of the Colossus hat kaum ein Soundtrack das Prädikat “episch” verdient). Das Kampfsystem hatte sicher auch seinen Reiz und die Erkenntnis, dass Lords of Shadow dem Spieler ganz subtil die Geschwindigkeit nicht nur vorgibt, sondern geradezu aufzwingt und man es nur dann packt, wenn man im Takt tanzt. Aber darum hab ich es nicht gespielt. Es hat mich seinerzeit einfach für rund 40 Stunden gefangen genommen und das wie kaum ein Titel dieser Tage.
Lords of Shadow 2 soll daran nun anknüpfen und versucht dabei die Quadratur des Kreises: Es will nicht ganz das Alte sein, aber eben auch nicht völlig neu, sondern ein wenig von beidem. Damit könnten wir hier schon abbrechen und sagen, dass das ja nur danebengehen kann, aber im Großen und Ganzen ist es das leider nicht. Leider? Ja, leider.
Gabriel B. will sterben, da waren wir stehengeblieben. Deshalb nimmt er die Jobs von Zobek an und kämpft in der Gegenwart gegen einen ominösen Trupp Wissenschaftler, die allesamt in Satans Diensten stehen und davon abgehalten werden sollen, die Rückkehr des ehemals schönsten Engels vorzubereiten. Würde Gabriel über seine volle Kraft verfügen, wäre all das vermutlich ein Spaziergang, aber nach mehreren hundert Jahren Schlummer ist der Vampirfürst nicht nur gealtert, sondern auch noch schwach geworden. Hat er allerdings erst mal wieder Blut geleckt (schlechter, aber nicht unbegründeter Wortwitz!), geht’s aufwärts und nach und nach erlangt er seine Kräfte zurück. Bis dahin bewegt er sich aber besser ungesehen fort. Richtig gelesen: Lords of Shadow 2 besteht zu nicht unerheblichen Teilen aus Stealth-Passagen. Da täuscht und flüchtet man, “übernimmt” Feinde, bewegt sich ungesehen fort und wechselt bisweilen sogar die Gestalt.
Etwa, um zu einer Ratte zu werden. Die nehmen die Gegner schließlich nicht wahr und in deren Körper kommt man durch den einen oder anderen Lüftungsschacht. Insgesamt ist das schon arg erbärmlich: Da spielt man den Prinzen der Finsternis und der Kumpan kann nichts mehr, als sich in ein Gossenviech zu verwandeln, um Gegner zu umgehen, die auch Darksiders entsprungen sein könnten. Überhaupt: Diese Gegenwarts-Szenen sind nicht nur ungewohnt, sondern auch unpassend, Gabriel wirkt deplatziert, ein einziger Anachronismus, der zudem äußerst müde und traurig aussieht, der schlicht keine Lust auf den Scheiß mehr hat. Mein Mitbewohner kam rein, sah das und meinte “Das ist aber nicht mehr Castlevania, oder?” Ich wünschte, ich hätte “Nee, das ist irgendein Mech-Stealth-Action-RPG” antworten können. Konnte ich nicht.
Viel besser sind die Sequenzen, in denen man in Draculas Burg unterwegs ist. Dort trifft er auf alte Bekannte, denen man in Lords of Shadow schon den Garaus gemacht hat und die nun wieder da sind, schließlich stehen sie in Draculas Diensten und möchten ihren Herrscher gern bei sich behalten. Blöd nur, dass die Burg eine Art Traumsequenz ist, die übrigens dramaturgisch ganz gut inszeniert wurde. Wenn Gabriel auf seine Frau trifft, die ihm alles über seinen Sohn erklärt und warum es nötig war, dass er beim Kampf gegen die Finsternis selbst zur Finsternis wird, dann muss man Mercury Steam schon ein Händchen fürs Geschichten erzählen lassen. Außerdem ist die Atmosphäre in der natürlich nicht verlassenen Burg um einiges besser als in der Gegenwart. Hätte man die Mauern und Zinnen doch nie verlassen!
Hätte, hätte, Fahrradkette. Wir steigen um auf Konjunktiv: Ebenfalls wünschenswert wäre gewesen, dass die Entwickler dem Spieler nicht so mordsmäßig nervend zur Hand gehen. Etwa, in dem man ihm deutlichst zeigt, wo er als nächstes hinspringen muss, symbolisiert durch einen Schwarm Fledermäuse, die um den entsprechenden Punkt kreisen. Standardmäßig geht das sogar noch weiter und ein Wegfindungs-Feature ist aktiviert. Immerhin lässt sich das ausschalten, wie auch die Quicktime-Events – die allerdings angenehm selten sind, also nicht wirklich stören. Nur die Fledermäuse, die hätte ich auch gerne weg gehabt, dann hätte ich mich auch belohnt gefühlt, wenn eine Sprungpassage bestanden wurde. So fühl ich mich ein wenig minderbemittelt, offenbar traut mir Mercury Steam ja nicht zu, dass ich den Weg alleine finde. Verdammte Casualisierung immer!
In Sachen Kampf ist man immerhin hart geblieben: Wer nicht ausweicht, blockt, kontert und den einen oder anderen Move lernt, kommt nicht weit. Stumpfes Knöpfchendrücken ist hier nicht. Stattdessen lohnt es, sich mit den verschiedenen Kombos zu beschäftigen und die Erfahrungspunkte, die Gabriel durch das Erledigen von Feinden sammelt, weise in neue Fähigkeiten zu investieren. Derer gibt es ohnehin mehr als genug: Schattenpeitsche, leeres Schwert und Chaoskräfte können auf verschiedene Weise verbessert werden, zu allem Übel gibt’s auch noch verschiedene Spezialfähigkeiten für jede der drei Waffen, die per Steuerkreuz ausgewählt werden. Etwa Eisblöcke schießen oder Brandgranaten oder Fledermausschwärme oder oder oder – klingt genauso komplex, wie es sich steuert und die ersten Stunden ist der Lords of Shadow 2-Spieler definitiv von der Bedienung und Vielfalt der Möglichkeiten erschlagen. Immerhin muss man nicht jede davon nutzen, denn die entsprechenden Rätsel, die den Einsatz bestimmter Kräfte verlangen, sind selten. Leider! Auch hier wäre mehr drin gewesen.
Wer an die Bossfights in Lords of Shadow denkt, erinnert sich beinahe zwangsläufig an Shadow of the Colossus, denn ebenso groß sind einzelne Gegner ausgefallen, die erst mal erklettert werden mussten, ehe man ihnen das Schwert – oder in diesem Fall die Peitsche – gab. Hier gibt’s ebenfalls einen Bruch: Zu Beginn kämpft Gabriel noch gegen einen hochhaushohen Angreifer, der seine Burg zerlegen will, die späteren Gegner sind allerdings eher schmaler ausgefallen. Kniffelig sind die Biester dennoch und hier bin ich Mercury Steam sogar dankbar dafür, dass es während der Bosskämpfe Autosaves gibt, einige davon dauern nämlich gut und gerne eine Viertelstunde. Wären sie doch noch so gigantomanisch wie im Vorgänger! Ha! Schon wieder Konjunktiv.
Vielleicht lässt sich Lords of Shadow 2 auch am Besten als genau das beschreiben: Es hätte sein können. Aber es ist nicht geworden. Nicht ganz. Was bleibt? Ein Game, dass nicht schlecht ist, absolut nicht. Die Stealth-Passagen und das nervige Händchenhalten beim Klettern abgezogen, ist da unterm Strich immer noch ein äußerst atmosphärisches Abenteuer mit schön inszenierter Handlung und fordernden Kämpfen, allerdings komplexem Entwicklungssystem und manchmal nerviger Steuerung. Wer das verzeihen kann, wird top unterhalten. Ich hab’s verzeihen können, weil mir die Saga um die Belmonts am Herzen liegt, weil ich das Drama um Vater, Sohn und Enkel interessanter finde als technische Unzulänglichkeiten. Und weil es außerdem ein Abschluss ist, ein Nachfolger ist ja laut Mercury Steam ausgeschlossen. Vielleicht ganz gut so. Man soll schließlich aufhören, wenn’s am schönsten ist – auch wenn das in dem Fall geheißen hätte, nach Lords of Shadow keinerlei Nachfolger zu entwickeln.
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