Es war einmal, vor langer, langer Zeit …
da standen überall große Kästen aus bunt angemalten Spanplatten herum. In jeder Kneipe, Pommesbude oder sonstiger Lokalität waren diese Dinger anzutreffen. Es gab sogar ganz bestimmte Orte, die einzig und allein der Aufstellung dieser geheimnisvollen Kästen dienten; sogenannte “Spielhallen”, “Spiel-O-Theken” oder, wie der Franzose auch sagt, “Arcades”. Wenn man in diese Kästen eine Mark einwarf, dann erstrahlte auf dem eingelassenen Röhrenmonitor ein Videospiel, welches man über einen Joystick und einen oder mehrere Knöpfe steuern konnte.
Ja, liebe Kinder, so war das damals wirklich. Kein Scheiß. Natürlich waren zu dieser Zeit auch schon die Home-Computer und Spielkonsolen erfunden worden, aber erstens waren diese noch nicht so verbreitet wie heute und zweitens hatte dieses Spielen an öffentlichen Orten auch eine nicht zu unterschätzende soziale Komponente: Man traf sich in Kneipen oder Arcades zum gemeinsamen Videospielen, Essen, Trinken und Schnacken. Verrückt, oder? Das können sich Jugendliche von heute gar nicht mehr vorstellen. Gemeinsames Videospielen läuft heute übers Internet und wenn man sich dann doch mal wirklich irgendwo trifft, starrt jeder in der Gruppe ganz apathisch auf sein eigenes Smartphone, um krampfhaft jede Art von echter sozialer Interaktion zu vermeiden.
Aber wie dem auch sei, gab es damals einen ganz besonderen Arcade-Automaten: 1985 erschien von Atari so ein Spanplattenkasten namens Gauntlet, der etwas anders aussah als die anderen Spanplattenkästen, weil er Bedienelemente für sage und schreibe vier Spieler (!) besaß, während das normale “Arcade Cabinet” in der Regel maximal zwei Spielern Platz bot. Und die vier Joysticks mit jeweils zwei Buttons hatten auch ihren Sinn, denn Gauntlet bot einem die Möglichkeit, diesen frühen Dungeon Crawler zu viert im Coop zu spielen. Das war damals geradezu sensationell! Leider bin ich aber in der Niedersächsischen Provinz aufgewachsen und hatte 1985 auch noch keinen Führerschein, weshalb meine Kumpel und ich nur äußerst selten die Gelegenheit hatten, dieses Vierspieler-Faszinosum live zu erleben, beispielsweise in einer großen Spiel-O-Thek in Osnabrück, der nächstgelegenen größeren Stadt. In unserem Kaff gab es zwar auch einen Gauntlet-Automaten in einem Bistro, aber hierbei handelte es sich leider nur um die Sparvariante für maximal zwei Spieler. Da konnte man im Grunde gleich die sehr gute C64-Umsetzung spielen, die zudem nicht permanent nach Mark-Stücken gierte…
Aber was war dieses Gauntlet eigentlich für ein Spiel? Ich sagte ja schon, dass es einer der ersten Dungeon Crawler bzw. Hack’n’Slay-Titel war. Aus der Top-Down-Perspektive steuerte man seine Spielfigur durch labyrinthartige Level, die es von Monstern zu befreien und deren Ausgang es zu finden galt. Man konnte unter den folgenden Helden wählen, die nicht nur verschieden aussahen, sondern sich auch unterschiedlich spielten: Warrior, Wizard, Valkyrie und Elf. Oder eben alle vier, wenn man einen der legendären Vier-Spieler-Automaten fand. Neben den Monstern gab es noch diverse Items in den Levels, wie Zaubertränke, Schätze, Nahrung oder Schlüssel, um bestimmte Bereiche zu öffnen. Außerdem gab es auch Warps, unsichtbare Hindernisse und jede Menge versteckte Bonus-Bereiche in den Levels. Im Solo-Modus war das ganz unterhaltsam, im Coop aber der absolute Wahnsinn, weil man sich beispielsweise bei den Items einigen musste und es phasenweise auch immer mal wieder “Friendly Fire”-Situationen gab. Außerdem hatte man nur einen gemeinsamen Bildausschnitt, weshalb alleine schon die Fortbewegung innerhalb der scrollenden Level eine gewisse Koordination verlangte.
Wenn man so will, ist Gauntlet der Ur-Opa von Diablo und Co., noch nicht so komplex und ohne die heute üblichen ARPG-Elemente, aber die Verwandtschaft ist unverkennbar. Noch viel unmittelbarer ist allerdings der Einfluss Gauntlets auf viele großartige Spiele der folgenden Jahre, wie z.B. Segas Alien Syndrome (1987) oder meine Amiga-All-Time-Favorites, Alien Breed (1991), The Chaos Engine (1993) und Into The Eagle’s Nest (1987).
Nach diversen Fortsetzungen und Umsetzungen für so ziemliche jede denkbare Spielplattform auf diesem Planeten, erschien 2005 mit dem ziemlich lahmen Gauntlet: Seven Sorrows (PS2) der vorerst letzte Titel der Reihe. Doch nun, fast 30 Jahre nach Erscheinen des Original-Spiels, wagt Warner Bros. Interactive unter dem schlichten Titel Gauntlet einen weiteren Versuch, der bekannten Marke neues Leben einzuhauchen. Das von Arrowhead entwickelte Spiel kommt als eine Art “Reboot” oder “Re-imagining” des Originals daher. Und es ist tatsächlich relativ nah dran an den frühen Inkarnationen der Reihe. Allerdings war wohl auch den Entwicklern klar, dass man mit einer 1-zu-1-Umsetzung des ultra-simplen Gameplays von 1985 heute kaum noch einen Spieler länger bei der Stange halten kann. Folglich hat man Gauntlet zusätzlich ein paar rudimentäre ARPG-Mechaniken verpasst, wie sie heute eigentlich allgemeiner Standard sind: Die Figuren leveln mit der Zeit auf und verbessern so ihre Fähigkeiten. Außerdem kann man mit dem gesammelten Gold Extra-Waffen und -Fähigkeiten kaufen. Zudem sind die vier Charaktere auch nicht mehr mit nur einem Stick und zwei Buttons zu steuern, sondern erfordern aufgrund ihrer erweiterter Fähigkeiten nun ein voll belegtes Gamepad (Maus/Tastatur-Steuerung ist auch möglich, aber nicht so das wahre Bier). Die beiden Nahkämpfer, Warrior und Valkyrie, spielen sich trotz zusätzlicher Moves gewohnt unkompliziert. Der Elf spielt sich gar wie ein reinrassiger Twin-Stick-Shooter und ist damit wohl der anfängerfreundlichste Charakter im Spiel. Der andere Fernkämpfer, der Wizard, ist das genau Gegenteil vom Elf, denn mit seinen insgesamt neun Zaubersprüchen erfordert er eine Menge Kombo-Einarbeitungszeit und ist damit eher etwas für Profis. Beherrscht man seine Steuerung aber, so ist er definitiv der mächtigste Charakter im Gauntlet-Quartett.
Wie schon im Original, ergänzen sich die vier Charaktere sehr gut im Coop und idealerweise spielt man das Spiel natürlich zu viert. Der Multiplayer kann lokal, übers Internet oder in einer Mischung aus beidem gespielt werden. Es sind sowohl geschlossene Partien möglich, zu denen man seine Steam-Kontakte einlädt, als auch offene Spiele mit irgendwelchen Honks, die man nicht kennt. Da ich nicht besonders gerne mit irgendwelchen Honks spiele und von meinen Steam-Kontakten derzeit niemand Gauntlet besitzt, habe ich die meiste Zeit mit meinem Sohn den lokalen Coop gespielt. Couch-Coop ist bekanntlich der beste Coop. Zwei Spieler sind bei Gauntlet eigentlich zwei Spieler zu wenig, aber wir hatten trotzdem unseren Spaß. Vor allem mein Sohn, weil ihm sofort auffiel, dass Gauntlet nicht gerade wenig mit seinen geliebten Skylanders gemeinsam hat. Bis auf die vielen Figuren natürlich. Vier fand er dann doch etwas wenig. Zumal der Wizard in seinen Augen einfach nur “doof” ist. Und die Grafik war ihm irgendwie auch etwas zu düster, womit er ganz nebenbei einen weiteren Unterschied zum Original festgenagelt hat, obwohl er es natürlich mit Skylanders verglich.
Das alte Gauntlet war hell und bunt. Das neue Gauntlet ist dagegen dunkel und grau-braun. Das ist nicht direkt hässlich, aber auch nicht besonders hübsch. Das Level-Design unterscheidet sich ebenfalls grundlegend vom Original, weil man statt vieler kleiner und einfach strukturierter Level nun weniger, aber deutlich größere Abschnitte spielt. Die Schlüssel zum Öffnen von Türen und die Geheimräume sind immer noch da, aber trotzdem fühlt sich das Spiel durch seine veränderte Level-Struktur anders als das Original an. Irgendwie weniger “arcadig”. Obwohl man immer noch die rettende Nahrung zerstören, den Mitspielern das Gold klauen und die mühsam eingesammelten Schlüssel unnütz verplempern kann, fehlt diese gewisse Portion Chaos, die den Gauntlet-Multiplayer immer so witzig machte. Das hat auch damit zu tun, dass die Gegnermassen im Remake deutlich überschaubarer sind. Zwar spawnen sie immer noch unendlich aus den Nestern, solange man diese nicht zerstört hat, aber es sind definitiv viel weniger Monster auf dem Bildschirm, als man es aus den späteren Stages des Automaten kennt, wo man irgendwann zwangsläufig vom “Aufräumen” zum “Durchrennen” überging, um überhaupt weiterzukommen.
Ja, das neue Gauntlet macht tatsächlich Spaß. Speziell im Multiplayer, aber für ein paar Stündchen durchaus auch solo. Trotzdem wollte sich bei mir nicht mehr so recht das alte Gauntlet-Spielgefühl einstellen, welches ich mir erhofft hatte. Die Gründe dafür zu suchen, ist im Grunde müßig. Ich bin kein Teenager mehr, hänge auch nicht mehr mit Freunden in Arcades herum und mag meine Spiele heute in der Regel deutlich komplexer als damals in den 80ern. Das neue Gauntlet macht ein paar Dinge anders als der alte Spanplattenkasten, aber kaum eines dieser Dinge würde ich jetzt eindeutig als “schlechter” bezeichnen wollen. Auf der anderen Seite ist es näher am Original als die meisten anderen Gauntlet-Inkarnationen der letzten 20 Jahre.
Will sagen: Zeiten ändern sich, Frisuren ändern sich, ja sogar Rezepte für Eintopf ändern sich. Die Tatsache, dass ich mein Gauntlet-Feeling von damals mit dem Remake nicht reproduzieren konnte, muss nicht unbedingt an Arrowheads eigentlich gelungenem Spiel liegen…
1 Kommentar
Ich kann die Kritik voll und ganz nachvollziehen. Ging mir so ähnlich. Nur dass meine Begegnung damals eben auf dem Amiga war. Es ist schon anders als damals.
Ich muss aber zugeben, dass ich die Einfachheit sehr entspannend fand. Auf große Story gepfiffen und einfach los. Auch wenn es mit dem Elf dann meistens in wildem im Kreis rennen und nach hinten feuern geendet hat.
Der Magier hat mich schon beim Tutorial ein bisschen abgeschreckt als ich gemerkt habe, wie unübersichtlich das zaubern mit den vier Buttons ist. Da bin ich viel zu faul zu.
Schade finde ich es auch, dass es (also soweit ich das bis jetzt gesehen habe…) nur für Steam erschienen ist. Gerade mit dem Multiplayer wäre das ein lustiger Titel für die Konsole gewesen. Mein Rechner steht halt am anderen Ende der Wohnung ;)