Moin! Heiko hier.
Gestern war wieder die Kripo da. Zum dritten Mal in anderthalb Jahren! Aber da mir meine Alten schon nach der zweiten Hausdurchsuchung verboten haben, mir jemals wieder einen C64 zu kaufen, endete das Ganze in einem surrealen Kaffeekränzchen mit meinen Eltern und den beiden Beamten, die es total klasse fanden, dass ich der bösen Raubkopiererei endgültig abgeschworen habe.
Als ich meinem Kumpel Gerd heute in der Freistunde davon erzählte, hat er sich vor Lachen nicht mehr einbekommen: “Wenn die wüssten! Du hast doch nur deswegen keinen Computer mehr, weil dich deine Eltern sonst achtkantig rausgeschmissen hätten. Ich dachte schon bei der zweiten Hausdurchsuchung, dass dich dein Alter eigenhändig erwürgt. Kannst froh sein, dass es nur ein Computer-Verbot gab.” – “Ja, aber wenn ich ehrlich bin, vermisse ich das stundenlange Diskettenkopieren im Moment auch überhaupt nicht. Wirklich gespielt habe ich ja am Ende sowieso kaum noch. Nur kurz reinschauen und dann schnell weiterverschicken. Seit ich meinen 80er-Führerschein habe, gurke ich total viel in der Gegend herum, schraube an meinem Moped rum und so Zeug. Ich habe wieder viel mehr Zeit für andere Sachen. Und wenn wir im Sommer mit der Penne durch sind, wäre eh keine Zeit mehr für den ganzen Warez-Kram drin gewesen”, meinte ich. – “Was machst du denn überhaupt nach dem Realschulabschluss, Heiko? Ich hab immer noch keinen echten Plan.” – “Ich auch nicht. Aber das Praktikum in der Autowerkstatt, das ich in den letzten Sommerferien gemacht habe, hat total Bock gemacht. Mal sehen, vielleicht fange ich da sogar ‘ne Ausbildung an.” – “Echt? Ich dachte immer, dass du später mal was mit Computern oder so machst.” – “Ist doch kein Widerspruch. Ich sach dir Gerd, du kannst bald nichts mehr ohne Computer machen. Als ich in der Mercedes-Werkstatt war, waren die auch gerade dabei, ihre gesamte Buchhaltung und Lagerhaltung auf EDV umzustellen. Und in den Autos selbst sind auch immer mehr Computer drin.” – “Echt? Wusste ich gar nicht”, sagte Gerd. – “Klar! Und in ein paar Jahren hat jeder so’n Ding zuhause, da geh ich jede Wette ein.”
Gerd setzte sein zweifelndes Gesicht auf. Dabei sah er immer aus wie eine Peter Venkman-Parodie, was übrigens volle Absicht war, denn Ghostbusters war seit drei Jahren sein absoluter Lieblingsfilm. “Für meine Alten ist der Computer immer noch eine Voodoo-Kiste und Videospielen schlimmer als Kiffen. Meine Fantasie reicht echt nicht aus, um mir vorzustellen, dass die sich mal selbst einen Computer kaufen.” – “Deine Eltern vielleicht nicht, aber spätestens wenn unsere Generation erwachsen ist, werden die Dinger überall sein. Das ist die “Revolution in den Kinderzimmern”, von der die Computerzeitschriften immer schreiben. Und wir beide sind ein Teil davon, Gerd!” – “Durch das Raubkopieren von C64-Spielen? Ja, is klar, Heiko”, sagte er mit seinem besten Venkman-Gesicht. – Ich seufzte.
Als ich vor etwa drei Jahren bei meinem Kumpel Kurt in Münster zu Besuch war, haben wir auch seinen Onkel, den Bauingenieur besucht. Der hatte sich gerade einen brandneuen Macintosh gekauft. Das Teil mussten wir uns natürlich unbedingt ansehen, weil sonst niemand, den wir damals kannten, einen Computer privat zuhause hatte. Bei einem Preis von ungefähr 9000 Mark auch kein Wunder. Kurts Onkel hatte nicht ein einziges Spiel für die Kiste, aber wir fanden das Ding trotzdem geil. Ein paar Monate später hatte ich dann meinen ersten 64er, für den ich unzählige Quadratmeter Rasen in der ganzen Nachbarschaft gemäht hatte. Im Vergleich zum Apple Macintosh war so ein Homecomputer zwar ein Schnäppchen, aber zusammen mit dem Diskettenlaufwerk kostete mich der Spaß immer noch über 800 Mark! Das Geld war trotzdem bestens angelegt, denn man bekam die Software komplett umsonst, täglich frisch auf dem Schulhof.
“Mensch Gerd, wenn die Raubkopiererei nicht wäre, dann hätten sich die Homecomputer doch niemals so rasant verbreitet. 120 Mark für ein Spiel? Welcher Jugendliche kann das denn bezahlen?! Commodore, Sinclair, Schneider und Atari verdanken Leuten wie uns ihre hohen Verkaufszahlen.” – “Die Programmierer der Spiele sehen das aber bestimmt etwas anders, Heiko”, grinste Gerd. – “Jede Revolution hat eben auch ihre Opfer”, konterte ich trocken. Venkman-Gerd schüttelte nur den Kopf. “Und du meinst ernsthaft, dass all die Kids mit ihren 64ern und den Diskettenboxen voller raubkopierter Spiele die Computer-Revolution voranbringen? Die werden doch schon seit 20 Jahren überall in der Industrie, Verwaltung und Forschung eingesetzt.” – “Ja, aber nicht privat, Mensch! Die Computer sind jetzt in den Kinderzimmern angekommen. Und bald werden sie auch die Wohnzimmer erobern. Mein Wort drauf, Gerd.” – “Hmm”, machte Venkman. “Du guckst eindeutig zu viele Science Fiction-Filme. Als nächstes erzählst du mir, dass Autos irgendwann von Computern gesteuert werden …” – “Das wird noch dauern, kommt aber bestimmt auch irgendwann. Wir beide werden das auf jeden Fall noch erleben”, sagte ich. Gerd zeigte mir nur einen Vogel.
Da kam Andi um die Ecke: “Moin! Habt ihr schon die neue U2? Das ist das Album des Jahres!” – Andi macht in Tapes. Er tauscht aber nicht, so wie wir, sondern nimmt Geld dafür, dass er Mitschülern seine Platten aufnimmt. Darum finden wir Andi auch scheiße. Was er macht ist schlicht kriminell. – “Nee, danke. Ich kann das betroffene Genöle von Bono nicht ab”, meinte Gerd. – “Die Joshua Tree ist aber der absolute Hammer. Und ich habe sie sogar auf CD! So eine geile Qualität habt ihr noch nicht gehört, Jungs. Nur fünf Mark für die Aufnahme, weil ihr es seid.” – Wie gesagt, Andi ist scheiße. Wegen Typen wie dem wird die Musikindustrie irgendwann garantiert den Bach runter gehen.
Als Andi andere potenzielle Kunden entdeckte, schlich er endlich weiter. Gerd erzählte mir noch, dass er sich vielleicht bald einen AMIGA kaufen wolle. Die Spiele seien viel geiler und die “Versorgung” ähnlich gut wie beim C64. Die Kiste würde mich ja auch reizen, aber zuerst muss ich wohl mal zuhause ausziehen…
Munter bleiben!
Heiko ist ein selbstständiger KFZ-Meister irgendwo im Emsland. Ausgedacht hat ihn sich SpielerZwei für seine Kolumne “Heikos Garage” in der WASD. Dieser Text wurde im Januar 2017 für die 11. WASD-Ausgabe mit dem Heft-Thema “Revolution” geschrieben. (Mit Dank an Markus Weissenhorn für das schicke Artwork!)
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