Ein Propagandaspiel der Europäischen Raumfahrtagentur klingt nicht nach Spaß. Es klingt nach trockenen Zahlen, glorifizierten Mythen über Erfolge, die vielleicht gar nicht so erfolgreich waren, und dröger Monotonie. Umso erstaunlicher, was Mars: Horizon für ein gutes Rundenstrategiespiel geworden ist.
Na gut, es ist unfair, Mars: Horizon ein “Propagandaspiel” zu nennen. Schließlich ist es von Auroch Digital in Zusammenarbeit mit der ESA entstanden, nicht im Auftrag der Agentur. Dass die europäischen Profis einen kritischen Blick auf die Präsentation ihrer Arbeit geworfen haben, kann man wohl trotzdem behaupten: Schließlich spart Mars: Horizon bei der Auswahl der Raumfahrtagentur, mit der man das Spiel beginnen möchte, auch nicht mit gewissen Stereotypen, die der ESA zugute kommen. Klar hat man als Good Guy Europe die besten Bedingungen, gemeinsame Missionen mit anderen Agenturen durchzuführen, und unsere American Buddys bei der NASA haben einen dicken Technologievorsprung, von dem wir so direkt profitieren können. Die Japaner sind den Amerikanern dicht auf den Fersen, und die Chinesen? Denen fliegen zwar mehr Raketen noch beim Start um die Ohren, dafür lernen sie aber auch aus ihren Crashs viel besser als ESA, NASA, Japan und die Sowjetunion und bauen einmal gescheiterte Trägerfahrzeuge viel besser nach als die Konkurrenz.
Ob diese Stereotypisierungen nun unter positiven Rassismus fallen oder in historischen Daten verankert sind, fest steht: Sie sorgen für ein interessantes Wettrennen. Denn Mars: Horizon beginnt 1956, zu Beginn des Space Race, und verlangt uns schon dann die beste Leistung ab, die man mit ausgemusterten Marschflugkörpern und einem Wetterballon leisten kann. Denn nur, wenn die ersten kümmerlichen Versuche zumindest leidlich beeindruckende Ergebnisse liefern und wir den Rückhalt der Öffentlichkeit bekommen, fließt die monatliche Förderung, und eines der großen Ziele der Raumfahrtära rückt in in greifbare Nähe…
Ob wir nun versuchen, Laika vor den Russen ins All zu schießen und dort bedauerlich eingehen zu lassen oder uns lieber mit Japan zusammenschließen, um bessere Mondsonden zu bauen, liegt ganz bei uns. Das Spiel endet, sobald eine Agentur eine bemannte Marsmission erfolgreich durchführt. Doch bis dahin ist es ein weiter Weg, auf dem die historischen Stationen der Weltraumforschung erreicht werden müssen. Von orbitalen Wettersatelliten über bemannte Mondmissionen bis zu Venus-Impaktoren braucht es viel spezialisierte Ausrüstung, für die viel geforscht werden muss. Und wenn dabei eine Rakete verfrüht Feuer fängt oder eine Nutzlast ihre Kommunikationsausrüstung verliert, dann ist das zwar nicht gut für die Agenturkasse, aber doch zumindest – Bonus der chinesischen Agentur hin oder her – gut für die Wissenschaftler in Mission Control.
Die Mischung aus Konkurrenz und Kooperation der fünf agierenden Raumfahrtagenturen macht jedoch nur einen geringen Teil der spielerischen Herausforderung aus. Die eigene Konfiguration aus Control Tower, Hangars, Startrampen und PR-Büros gilt es im Aufbausimulator-Stil ebenso zu optimieren wie die einzelnen, für jede Mission neu konfigurierbaren Trägerraketen. Manche Oberstufen funktionieren von Haus aus gut mit bestimmten Boostern, manche muss man erst einmal auf gut Glück zusammenschustern, bevor man feststellt, dass sie ja doch gemeinsam abheben können. In manche Raketen passt per se kein Mensch, sie sind aber potent genug für eine kleine Fotografiesonde und so billig, dass man auch vier davon verheizen kann, anstatt zu einer teuren, zuverlässigen zu greifen. Auch auf die PR des eigenen Landes im Kalten Krieg sollte man achten: Manche Missionen werden pressewirksam publik gemacht, und auf denen sollte keine Experimentalrakete spektakulär in Flammen aufgehen, ob gewollt oder nicht. Denn wenn die reißerische Boulevardpresse das Agenturprestige zu weit nach unten drückt, sinkt die monatliche Förderung. Zu wissen, dass das schlecht ist, ist keine Raketenwissenschaft.
Im Kern ist Mars: Horizon ein spaßiger, toll inszenierter Balanceakt aus Risikoreduktion, wenn es darauf ankommt, und Experimentierfreudigkeit, wenn genug Geld vorhanden ist und niemand (von bemitleidenswerten Tieren einmal abgesehen) davon Schaden nimmt. Und ich vermute mal stark, dass das näher an den Alltag einer Raumfahrtagentur herankommt als so manch verkopfte Nummernkalkulation, die man sich sonst in so einem Spiel vorstellen könnte.
1 Kommentar
Cool, das kannte ich gar nicht. Als Raumfahrt-aficionado muss ich das vielleicht irgendwann mal testen…