Was ihr über Samurai zu wissen glaubt, ist eine Lüge – und Schuld ist Tom Cruise. In The Last Samurai zoddelt er umher mit besoffener Haarmähne als westlich-weißer Retter eines ganzen Landes und verzückt das nach Ehre gierende Kino. Samurai, diese selbstlosen Motherfucker, wehren sich gegen Einflüsse aus dem Westen, doch das gelingt selbstredend nur mit dem Einfluss westlicher Alkoholiker. Nicht erst 2003 schrieb ein Kulturgut die ambivalente Geschichte der japanischen Krieger-Elite neu, doch The Last Samurai gilt bis heute als Vorbild vieler Bücher, Spiele und Filme, die schlecht recherchierte, für faschistoide Ziele missbrauchte Schriften zum Standardwerk erlesener Kämpfer erdachte. Bushido, der vermeintliche Ehrenkodex der Samurai, entspringt gefährlicher Umdeutung naiver Halbwahrheiten und wird in etlichen Filmen und Spielen auf ein Podest erhoben.
Dient Tom Cruise freilich nur als bemüht makelloser Haudegen mit alkoholhaltigen Augenringen in Ab-, dann bärenstarker Anwesenheit von Moral und Ehre, also eine Art Posterboy für die Werte, die auch christlich-westlichen Rittern nachgesagt werden, stammt die Geschichte und das Drehbuch von ganz anderen Menschen, die einer im Krieg begonnenen Umschreibung Tribut zollt: das Erfinden eines Ehrenkodex für eine Elite, die manchmal nicht mehr war als Bürokraten und Banditen. Inazo Nitobe veröffentlichte 1899 “Bushido: The Soul of Japan”, wohlwissend in englischer Sprache, da es ihm an Kunde und Feingefühl fehlte, um das Leben der Samurai faktennah beschreiben zu können, und prägte den Begriff Bushido nachhaltig. Nitobe verband das Ehrgefühl christlicher Werte mit den vermeintlich ähnlich ritterlichen Samurai, zitiert aus der Bibel und von westlichen Autoren, spricht dem Bushido gar eine Präsenz zu, die auch abseits der Samurai ein ganzes Land geprägt hat, obwohl nichts dergleichen – oder zumindest in der Ausprägung – der Fall war. Als die japanische Regierung das Buch im Krieg für Propaganda nutzte, viele Jahre nachdem japanische Gelehrte das englische Originalwerk kritisierten, erstarkte damit auch das Bild der Samurai als Kämpfer für das Gute in Kultur aller Art.
Ganz so einfach war es jedoch nicht. Wolfgang Schwentker schreibt in “Die Samurai”:
“Zu keiner Zeit handelte es sich bei den Samurai […] um eine homogene soziale Schicht mit spezifischen militärischen und administrativen Pflichten. Ihre Aufgaben als Vasallen eines höhergestellten Herren wurden immer wieder neu ausgehandelt und festgeschrieben.”
Tatsächlich verschweigt etwa The Last Samurai in der Darstellung der Samurai-Rebellion, wie vermutlich nur eine Minderheit der Krieger mit Waffengewalt auf die anstehende Restauration des Landes reagierte. Schwentker schreibt dazu:
“Der größte Teil der ehemaligen Samurai war bereit und selbstbewusst genug, sich auf die Herausforderungen der Moderne einzulassen.”
Kann The Last Samurai noch als effektives Hollywood-Epos für zumindest dröge Begeilung sonntäglicher Langeweile begriffen werden, gilt das für gute Samurai-Filme nicht mehr. Am ehesten hat Akira Kurosawa die Welt der feudalen Krieger-Elite geprägt und nebenbei das japanische Kino auch filmisch verzaubert. Von verzwickten Mordfällen (Rashomon) und dem ungreifbaren Wahnsinn im feudalen Spuk (Ran) bis hin zum beinahe satirisch anmutenden Zwist zweier Banden (Yojimbo) setzte Kurosawa den Samurai ein Denkmal, das immer schon zeitgleich zu bersten und zu verklären drohte.
Wo nun die Verbindung besteht zwischen einem der größten Regisseure der Filmgeschichte und einem Indie-Spiel namens Trek to Yomi? Fragt das mal den Creative Director des Spiels, der im Duell gegen “realistisches Marketing” mit seinem stumpfen Katana angreift bis sogar das wimmernde Kichern eines Mannes namens Peter Molyneux bis nach Japan reicht. Um Vorbilder wie Kurosawa, aber auch um Realismus geht’s da, ganz so, als ob das zwei Themen sind, die sich im best price Kimono unter den buttrigen Blicken einer Buddha-Statue von Woolworth mal eben in vier Stunden Spielzeit einbinden lassen. Na, möglich wäre es.
Nur nicht bei Trek to Yomi.
In Trek to Yomi wird auch das Bushido vom Protagonisten Hiroki erwähnt. Als er auf einen anderen Samurai trifft, versichert Hiroki ihm, dass er dem Bushido folge. Was genau das heißt, bleibt unklar, wie so viele vermeintliche Referenzen, die eher als Stichwörter in den Raum geworfen werden und als nie verorteter Windhauch flüsternd verstummen.
In den Zwischensequenzen vermag ein Hauch Kurosawa aufkommen, und dieser Hauch ignoriert in säuselnder Stärke filmische Eigenarten des Regisseurs in weiten Teilen, doch kann ein Duell Lehrer gegen Bösewicht mit dem plötzlichen Schnitt vom Angriff flüchtig an das Duell in Kurosawas Sanjuro erinnern. Viel mehr als das bleibt nicht übrig, weil das Studio hinter Trek to Yomi, wie bei so vielen Spielen, die die Meister*innen des Kinos anrufen und dann stotternd auflegen, das sogenannte Gameplay ohne Andacht an die Vorbilder und somit möglichst kontextlos als Hauptteil entwickelt hat. Die meiste Zeit besteht das Spiel aus dem Kampf gegen andere Figuren, ausgelöst durch Kombos, Parieren und Zweitwaffen. Sobald das Interaktive übernimmt, bleibt von der zarten Annäherung an ein Filmgenre die auswendig zu lernende Liste mit Tastenkombinationen übrig, die zu beschreiben nur bedeuten kann: Eine mögliche Vision einer Geschichte im eigensinnigen Stil ordnet sich dem Gameplay unter.
Einem Spiel die Interaktivität vorwerfen, mag nur dann doof erscheinen, wenn man die eigens vom Studio posaunte Verneigung vor Regie-Legenden ignoriert. Kurosawas Filme und Trek To Yomi teilen, außer der bloßen Darstellung der Samurai, nur wenig, dabei hat der Chef-Entwickler nicht weniger als größtmögliche Authentizität versprochen.
“Initially, the gameplay I had in mind was the main reason I wanted to make Trek to Yomi, but with that aspect eventually taken care of by Flying Wild Hog, my attention turned to the atmosphere and overall visual direction, as well as ensuring that the game was as authentic as possible not only to the cinematic references we were using, but also to the Edo period and Japanese Samurai culture.”
Gleichwohl wird hier dreierlei deutlich: 1. die “cinematic references” werden als bloße Filme über Samurai, nicht aber – besonders bei Kurosawa – als humanistisches Kino verstanden, 2. ein “authentisches” Spiel über Samurai dürfte nicht ver-, sondern aufklären, was dem Samurai-Kino der 50- und 60er Jahre zumindest teilweise gegenübersteht und 3. beißt sich die fünfstündige, zur Hälfte in einer Unterwelt ähnlichen und mit zombie-gleichen Gegnern gefüllte Umgebung mit einer akkuraten Bebilderung der Edo-Periode und der ohnehin ambivalenten Samurai-Kultur.
Gelingen soll all das mit fahlen Anspielungen, dreiminütigen Reminiszenzen und nonchalanten Zitaten. Heißt der Lehrmeister der Hauptfigur ausgerechnet Sanjuro, versteht man die Intention des Studios sofort: Erzählt wird nur durch Bekanntes in simpelster Form. Adaptiert wird der Name eines weltbekannten Films und Filmcharakters mit einer im Samurai-Genre bekannten Form der Einführung des “swordsman”, indem Sanjuro als Vaterfigur und Kampfmeister der noch kindlichen Hauptfigur im Lehrduell den Kampf beibringt. So beschreibt etwa Filmkritiker Alain Silver in “The Samurai Film” das Kennenlernen mit den Protagonisten wie folgt:
“Whether this character is developed as a hero or an anti-hero, his physical introduction into the scene and the viewer’s apprehension of him as the potential dramatic center are basic to all samurai films. While this does not need to be a true samurai […] he must, even if a kyokaku, be armed. In this manner, the sword may be seen as chambaras fundamental icon, and the whole genre as a manifestation of the ideal which regarded the swordsman and his weapon as one.”
Nur wenige Minuten später ziehen exakt sieben Samurai aus, um einen Gegenangriff zu starten. Derlei plumpe Verweise verweilen freilich nur kurz, muss doch umgehend der Kampf beginnen, den der Spielende zu steuern hat. Wie so viele Games, die als Hommage weltbekannte Regisseure (ja, tatsächlich meist Männer) ausrufen wie der Jahrmarkt-Intendant vor der Losglück-Bühne die ganz großen “Gewinne, Gewinne, Gewinne” verspricht, verkommt das Ergebnis des Treffens von Story und Gameplay zur peinlichen Sause.
Es wird schlicht zu viel. Alles. Ein Feind, der noch die Chance hat, ein Feind von Bedeutung, von Rang und Namen und belebten Pixeln zu werden, bleibt gesichtslos – und das tausend mal. Die Gepanzerten, die Lanzenträger, die Zombies, die schiere Menge aus allen macht den Hauptteil des Spiels aus, und bedenkt man dabei, dass tatsächlich Blocken und Zuschlagen aus der Vielzahl von Möglichkeiten im Kampfsystem die effektivste Methode bleibt, kann aus der Spielmechanik, selbst in der Utopie aus der Loslösung der Story vom Gameplay als einziges Element, nichts Kluges gewonnen werden. Trek To Yomi ist ein fades Spiel, das zwar Kombos und Bögen und Parieren verbindet, die daraus entstehenden Möglichkeiten aber viel zu selten nutzt.
Viele Spiele scheiterten indes daran, wie eine Geschichte die Spielmechaniken unterstützt und nicht einfach losgelöst davon existiert. In oftmals festen Kameraperspektiven schafft Trek To Yomi tatsächlich einen Hauch von Bildmontage, die dem Versuch einer wie auch immer gearteten “filmischen” Inszenierung leise applaudiert. In Kämpfen verweilt das Bild in 2D-Perspektive, spielt dabei aber mit Objekten in Unschärfe, die im Vorder- oder Hintergrund im besten Fall ein Geschichtchen erzählen, oft jedoch nur imposante Ausschmückung der Szenerie bleiben. Von unten späht die Kamera auf eine Brücke, halb versehrt von Flammen, während ein Bogenschütze zum Schuss ansetzt, und auch der Kampf, der von Licht und Schatten zeugt hinter den Türen eines Hauses, kann durchaus beeindrucken.
Abseits davon öffnet sich die Welt in eine dreidimensionale Ebene, die das Erkunden erlaubt und so teils beeindruckende Perspektiven ermöglicht. Trek To Yomi kann schlicht wunderschön sein. Doch auch hier vollzieht eine vermeintliche Stärke die Wandlung zur gastgebenden, grantigen Eigenschaft des Spiels: Es nutzt sich ab. Geschlitzt wird, geballert und getötet und zerkleinert, stundenlang und in jeder Phase der Geschichte, nie aber variiert das Tempo oder Intensität oder die Motivation; aus Rache muss all das sein, Reue sowieso, fünf Gegner hier, drei da, ein Zwischenboss vor der 90-sekündigen Filmsequenz, bis nach 4 bis 6 Stunden alles erzählt ist. Auch das Element der Erkundung, das ja durchaus die stilistischen Mittel eines Kurosawas nonchalant übernehmen könnte, bietet den Spielenden meist nur Munition für sekundäre, also egale Waffen.
In der Schönheit des Spiels und in der reinen Interaktion mit Knöpfen und Kombos und Kämpfen liegt nichts verborgen, wird nichts erzählt, bleibt alles abgetrennt. Ein kritischer Kommentar auf die Kultur der Samurai? Eine schamlose, aber respektvolle Verbindung stilistischer Eigenarten Kurosawas? Eine schelmische Gratwanderung zwischen Film und Spiel? Nö. Vielleicht bisschen hiervon und davon, aber nie mehr als es nur anzudeuten.
Erwähnt man ganz von selbst in Interviews und Marketing einen der größten Regisseure, die das Kino je gesehen hat, muss nicht gleich ein ähnlich wuchtiges Epos als Ergebnis entstehen. Gewisse Ansprüche aber sollten gestellt und überprüft werden. Die Art, wie Kurosawa seine Szenen aufbaut und zeigt, etwa wie in Yojimbo der Ronin immer wieder in der Mitte des Bildes zwischen zwei Parteien die Lust an Zwietracht offenbart oder die Konfrontation des Revolverhelden mit dem Ronin im Wirtshaus sich allein auf den Wirt und den Antagonisten konzentriert und nur die wandernde Hand zum Schwert eine prickelnde Spannung erzeugt – das funkelt und frivolt.
Zumal das Stumpfgehaue als dargebotene Spielmechanik viel zu sehr der Wichtigkeit des Kampfes in Samurai-Filmen widerspricht. Alain Silver beschreibt das so:
“Like the gunfight, an encounter between master swordsmen frequently serves as the climax of the film, the event toward which most for the early narrative and character development is genotypically directed. […] In most films there is a considerable amount of preliminary swordplay in which protagonist and antagonist may display prowess by defeating a number of non-principals as preludes to the final duel.”
Zu Beginn in Sanjuro etwa drängt der Protagonist eine kleine Armee zurück, nur um direkt danach erstmals seinen tragischen Endgegner zu treffen. Von hektischen Bewegungen zu Beginn bis zum Finale entfesselt Kurosawa einen einzigen Schwertstreich als ultimative Unbefriedigung typischer Samurai-Werte. Ähnlich seien sie sich gewesen, heißt es von Sanjuro, der die vermeintlich zufriedenen Samurai harsch angeht und davon spricht, das beste Schwert sei das, was in der Scheide bleibt. Von solcher Kraft hat Trek To Yomi nichts zu bieten, höchstens vage Andeutungen, die aber eben nur in einer steinern Zwischensequenz in der Dauer von 20 Sekunden erzählt werden.
Kämpfe oder Duelle in Kurosawas Filme sind selten austauschbar. Man erinnere sich an das erschöpfende Lanzenduell in Die verborgene Festung oder die brutale Belagerung in Ran, die nur von manchmal zarter Musik begleitet wird und auch in der Filmografie Kurosawas einen Höhepunkt bildet. Vergleicht man das eigene Werk, ganz gleich welcher Herkunft, mit derart monumentaler Filmgeschichte, muss erlaubt sein, darauf hinzuweisen: Demut ist gar nicht so verkehrt, Diggi. Einfach mal tief stapeln, so generell.
Wie seinerzeit Ghost of Tsushima verklärt Trek To Yomi ein durch Edelmut gestähltes Bild und prangt es als Prämisse auf die Geschichte der Handlung; dem Schutz der Bevölkerung wird ein Gefühl äußerster Hingabe verliehen, der Verlust von Meister und Ziehvater wird auf die Hauptfigur übertragen, damit diese folgend als auserkorener Held und gerechter Krieger scheitern darf, um die Todeswelt Yomi zu betreten.
Abseits filmischer Referenzen will der Creative Director etwaigen Realismus bieten, somit wird auch der Ehrenkodex der Samurai erwähnt. Nitobe hat das Bushido nicht nur als Kodex für einen Kriegeradel betrachtet und somit als japanischen Teil historischer und gegenwärtiger Kultur festgeschrieben, so zumindest die Interpretation nicht weniger Menschen. So schreibt Schwentker in “Die Samurai”:
“Bezeichnend war, dass er diesen [bushido] nicht mehr als eine Ideologie für eine Elite, sondern als eine Zivilreligion verstand, die gegenüber den materiellen und kulturellen Einflüssen des Westens ein spirituellen und kulturellen Einflüssen bildete.”
Mit beinahe zitternder Faszination, die aus jedem Wort die Verehrung der Samurai lusttropfte, schrieb Nitobe über jegliche Vollkommenheit, die ein Krieger auszuleben vermochte an jedem Tag. “[S]elbst die blutigsten Taten eines Samurai” waren laut Nitobe von “Zartheit, Mitleid und Liebe” geprägt. Die Selbstopferung durch Aufschlitzen des Bauches assoziiere man in Japan, so Nitobe, als “edelstes Verhalten” und “berührendster Leidenschaft”.
Mitsuo Kure stellt dazu in “Samurai – An Illustrated History” klar:
“Wenn wir uns mit dem Leben der nicht zur Samurai-Klasse gehörigen Menschen in der Samurai-Zeit beschäftigen, dann erfahren wir von ihren heftigen Protesten gegen die Folgen dieses Kodex. […] Wir sollten die romantische Illusion nicht mit der Wirklichkeit vermischen, der mittelalterliche Samurai war abergläubisch und irrational. Vor allem aber galt ihm das menschliche Leben nicht viel.”
Neben Nitobes Bushido hat Yamamoto Tsunetomo mit dem “Hagakure” das Bild eines vermeintlich allgemeingültigen Kodex geprägt und das bereits zu Beginn des 18. Jahrhunderts. Als in Japan weitestgehend Frieden einzog, begann auch die Verklärung der Samurai. In der Einleitung der deutschen Fassung vom Hagakure heißt es:
“Im Laufe der Zeit, vor allem ab dem Ende des 17. Jahrhunderts, setzte die Sehnsucht nach der ruhmreichen Vergangenheit ein, nach Schlachtenlärm und Tod. Ab dieser Zeit werden die Samurai und Krieger in eine von der Realität weit entfernte Welt gerückt […]”
Immer mehr wurden die Taten der Samurai “verklärt” und es entstand “das Bild des Samurai, wie er kaum jemals wirklich war”. Trek To Yomi und Ghost of Tsushima, die beide nach Aussagen der Entwickler*innen nicht nur Kurosawas Erbe antreten, sondern auch historisch wertvoll sein wollen, bedienen diese Fantasie. Die Helden beider Spiele versagen, zweifeln an den Regeln der Samurai generell oder eigener, durch Samurai geprägter Werte, doch werden dabei immer als Individuen verstanden, die am Status quo der Krieger-Elite nicht rütteln. Ehrenvoll und geil, so sind sie halt, und hier erleben zwei Männer eine ganz persönliche Reise, die trotz Verlust und Zweifel dann doch wie erwartet endet. Kurzfristige Rückschläge mögen zwar ausgehen von strikten Regeln, die so ohnehin nie oder nur begrenzt für etwaige Perioden galten, aber die finale Erlösung natürlich auf den Werten der Samurai aufbaut und nicht niederreißt.
Beide Spiele vereint die Ambition der jeweiligen Studios. (Un)Gewollt nähert man sich dabei auch der übergroßen Verehrung mancher Samurai-Persönlichkeiten, die zwischen Pathos und Propaganda auch Mythos und Wahrheit bis heute mischen. Miyamoto Musashi etwa, Autor von “Das Buch der fünf Ringe”, dient nicht nur unzähligen fiktiven Werken als Vorlage, er wird bis heute als vielleicht größter Samurai verehrt. In seiner Grabinschrift etwa heißt es:
“Nicht nur war Musashi ein vollendeter Schwertkünstler, er war zugleich ein Meister der Etikette, der Musik, des Bogenschießens, der Reiterei, der Kalligrafie, der Arithmetik und der Poesie. […] Er war das große Beispiel eines edlen Menschen”
In der Biografie “Ein Leben unter Waffen” schreibt William De Lange:
“Über seine Taten und Erlebnisse, für die er schon zu Lebzeiten berühmt wurde, erschienen schon bald immer mehr Erzählungen. Und es brauchte nur noch einige weitere Jahrzehnte, bis die erste Biographie innerhalb seines eigenen Jahrhunderts erschien.”
Zu Lebzeiten Begründer eines Kampfstil und Gewinner zahlloser Duelle, nutzen obskure Management-Heinis Miyamoto Musashi bis heute als Vorbild für – wasauchimmer. Für das neue Start-Up mag es unabdinglich sein, die Ratschläge japanischer Schwertmeister zu befolgen, die unter anderem so lauten:
“Ohne die Augäpfel zu bewegen, sollte man beide Seiten rechts und links im Blick behalten.”
“Man zieht das Schwert in der Vorstellung, daß es darum gehe, den Gegner zu erschlagen.”
“Die Füße bewege man, indem man die Zehenspitzen ein wenig anhebt, aber mit den Fersen kräftig auftritt.”
Auch im Hagakure, das laut Verlag zu einem “angstfreien” Leben führen soll und somit als Lebensratgeber vermarktet wird, hat derlei bus- und bahnbrechende Hochkaräter zu bieten:
“Wenn man etwas liest, sollte das still geschehen. Wer laut liest, strapaziert seine Stimme.”
“Prächtig aussehende Menschen kann man getrost übersehen; wichtig ist, dass ein Mann Stärke hat.”
“Wenn wichtige Dinge anstehen und man sich die Ohrläppchen mit Speichel reibt und tief durch die Nase ausatmet, ist man der Situation gewachsen und es regelt sich alles von selbst. Das ist das Geheimnis. Auch wenn es einem schwindlig wird, hilft es, Speichel auf die Ohrmuscheln zu geben, sofort hat man wieder einen klaren Kopf.”
Erwischt! Mit den gleichen Mitteln arbeite ich hier wie die beiden Spiele: Unterschlagung. Natürlich haben beide Werke und Persönlichkeiten nicht den Ruf erlangt, der heute in der ganzen Welt und in Fiktion und Dokumentation auserzählt wird, ohne dafür etwas getan zu haben. Das Buch der fünf Ringe birgt erstaunliche Ansichten eines ambivalenten Samurai, über den Siegfried Schaarschmidt, Übersetzer der deutschen Ausgabe der Fünf Ringe, folgendes schreibt:
“Unendliche Legenden ranken sich um alles, was mit Musashi zu tun hat; und wie immer, wenn die Quellenlage unsicher ist: Sie haben auf ihre Weise recht, sind vielleicht der wahren Wahrheit näher als die nüchternen Fakten.”
Über die Beerdigung des Samurai heißt es zum Beispiel:
“Und auch dies ein Detail, von dem Legenden und Dokumente einstimmend berichten: dass es bei der Trauerfeier für ihn aus heiterem Himmel einen lauten Donnerschlag getan habe.”
De Lange schreibt dazu:
“Inmitten des heftigen Regens vollzog Musashis Mentor Akiyama Wanao die letzen Riten. Kaum dass er mit der Totenmesse fertig war, durchdrang ein greller Blitz den dunklen Regenvorhang, gefolgt von einem Donnergrollen, das schier nicht enden wollte.”
Es ist herrlich: Von einem “lauten Donnerschlag” bis zum “grellen Blitz” und einem “Donnergrollen”, das “schier nicht enden” wollte, ausgerechnet in der Regenzeit, so baut man Legenden und Mythen, die nicht nur individuell für eine einzige Person stehen, sondern als Beispiel jener sagenhafter Kämpfer, die wir Samurai nennen. Trek To Yomi und Ghost of Tsushima adaptieren dies für ganz eigene Zwecke: Jin Sakai und Hiroki erleben ihre Vendetta und Heldenreise nicht trotz ihres Daseins als Samurai, sondern genau deswegen. Sie geben nicht auf, weil sie Samurai sind, selbst dann, wenn ihr Dasein als Samurai anfangs noch für Probleme sorgt. Das vermeintlich ambivalente Ende von Ghost of Tsushima beispielsweise überzieht jede Entscheidung der Spielenden mit dem üblichen Bushido-Zuckerguss.
Ein schönes Beispiel, wie es anders geht, ist der Film Vendetta for a Samurai von Kazuo Mori nach einem Drehbuch von Kurosawa. Der Film zeigt Toshiro Mifune als überragenden Samurai, der einen Mann nach dem anderen besiegt, während eine Stimme aus dem Off kommentiert, Mifunes Charakter habe an jenem Tag 33 Feinde besiegt, obwohl Dokumente belegen, dass es womöglich nur zwei waren, und dann wird die eigentliche, die “wahre” Geschichte erzählt. Hier kämpfen Samurai mit zitternder Hand, zu verängstigt für den Kampf, und sagen einen Satz, der bis heute nachhallt und sowohl das Genre der Samurai-Filme als auch Kurosawa perfekt beschreibt:
“Being Warriors… what a misfortune.”
Ein Scheitern und Verzweifeln, das den Körper erfasst und weitere Handlungen unmöglich macht, ist stets präsent im Kino über die Samurai. Familien und Freundschaften, die Jahrzehnte überdauerten, brechen entzwei im Kreise der feudalen Krieger, denen Ehre oder Bushido nichts oder zumindest nicht das erwünschte Ergebnis bringen. In Spielen wie Trek to Yomi und Ghost of Tsushima ist Erfolg hingegen der ständige Begleiter beinahe jeder einzelnen Minute; die Interaktivität ist exakt nur auf Weiterkommen ausgelegt, mit jedem erlegten Feind wird der Spielende besser und schaltet – mal mehr, mal weniger umfassend – neue Kombos, Waffen oder Gedichte frei.
Startet dann eine 2 bis 6 minütige Zwischensequenz, zerbricht der Protagonist plötzlich an dieser oder jenen “Wendung”, fällt auf die Knie, als ob die tausend Kämpfe und somit tausend Erfolge grad eben nie stattgefunden haben. Was sich liebt, das beißt sich, so lautet bestimmt ein vom Westen verklärtes Sprichwort aus einem japanischen Sammelband über Thunfisch-Dosen, und doch bleibt es falsch, denn während sowohl Trek to Yomi als auch Ghost of Tsushima in den besten Momenten einen Mythos spielbar machen, blenden die Studios die Koexistenz von Interaktivität und Film mit ohrenbetäubender Sturheit aus.
Nach der glorreichen Erstürmung eines Forts stehen Lehrer und Meister in Ghost of Tsushima an einem Tor – und blicken einander nicht an. Die Kamera zuckt nicht, die Charaktere ebenso nicht, eine Statik lässt sich nieder, die der zuvor atemlosen Knopfdrückerei nun die Bewegung entzieht und zum Film wird, obwohl andererseits der Film nicht an Kurosawa erinnert, schlimmer noch: eine Regie-Assistenz beim studentischen Kurzfilm über Blaubeeren-Dünger hätte das agiler arrangieren können.
Dass sich das Studio hinter Ghost of Tsushima mit einem “Kurosawa-Modus” brüstet, der das Spiel in Schwarz-Weiß hüllt, zeugt von beinahe ungeheurer Selbstverherrlichung. Im Interview mit Indiewire heißt es:
“We knew early on that we wanted to include a black-and-white filter so that you experience the game in a way as close to the source material as possible”
Als Open World erdachtes und letztlich mit unzähligen Geschichten entwickeltes Spiel über Samurai verkommt Ghost of Tsushima genau dazu: ein Spiel über Samurai, aber keines, das Kurosawa, historischer Authentizität oder ausgewählten Filmgenres gerecht werden kann. Trek to Yomi, trotz deutlich kleinerem Budget, kommt allein durch die Kürze des Spiels und festen Kameraperspektiven näher dran an was auch immer das Studio den Vorbildern zugeschrieben hat, kann das Problem dennoch nicht lösen.
Beide Spiele können in einem luftleeren Raum für Spaß sorgen. Ohne die anmaßenden Vergleiche der Entwickler. Doch Lehren sollten gezogen werden. Warum nicht Samurai-Filme generell als Vorbilder zitieren? Bringst du dein Spiel explizit in die Nähe von Kurosawa, musst du Ansprüchen gerecht werden, die von Schauspiel bis zur Beleuchtung nahezu meisterhaft umgesetzt wurden. Nur noch peinlich wird es allerdings, wenn Ghost of Tsushima so überlebensgroß sein will wie Die Sieben Samurai oder Rashomon, in jeder Hinsicht, sogar als reines Spiel, aber nicht mal als Beilage zum HappyMeal taugt. Historische Fakten werden ignoriert, Filmpraxis als Adaption simpelster Easter-Eggs verstanden, Interpretationen möglicher Motive von Bildsprache oder Charaktere sind nahezu nie möglich.
Zumal die Verehrung Kurosawas seitens vieler Entwickler umgekehrt auch dessen Schaffen beinahe ignoriert: Weder hat Kurosawa nur Filme in Schwarz-Weiß gedreht, noch waren Samurai das einzige Thema seiner Filmografie. Bekannte Regisseure wie Kobayashi oder Gosha haben das Samurai-Kino ähnlich beeinflusst wie Kurosawa, werden von Spiele-Studios nur fast nie genannt. Im Westen eher unbekannte Regisseure wie Kihachi Okamoto sind tatsächlich eher geeignet für Action-Filmspiele, hat er doch großartige Filme wie Samurai Assassin und Kill! inszeniert. Filmkritiker Alain Silver schreibt:
“Where Gosha’s protagonists transform the reflective giri/ninjo struggles of Kobayashi’s figures into active ons and, in a few instances, even manage to free themselves from the double bind of duty and conscience, the men of Okamoto’s films are altogether unconcerned with such questions. […] Even a simple sense of honor is not a crucial issue in Okamoto’s chambare narratives. Violence, then, is not an attempt at resolution of an ethical conflict, as much as it is a depersonalized manifestation of power and discontent.”
Themen, die durchaus in Ghost of Tsushima und Trek to Yomi angeschnitten werden, allerdings in fahlen Bildern erzählt und durch ständiges, konträr zur Geschichte funktionierendes Gameplay unterbrochen werden.
Dieses lange Zeit von Männern dominierte Kino findet in Taboo von Nagisa Oshima einen wunderbar queeren Höhepunkt, der ebenfalls einer offensichtlich als Adaption gewollten Erwähnung würdig wäre, gleiches gilt für den (problematischen) Umgang mit Frauen etwa in der Crimson Bat-Reihe, an die eine Annäherung offensichtlich mehr verlangen würde als sieben kämpfende Samurai als Verweis.
Was bleibt, ist Popcorn. Gesalzen und gezuckert, geil karamellisiert und beinahe knisternd im Geschmack. Ghost of Tsushima und Trek to Yomi, von Multimillionen-Dollar-Produktion bis zum Indie-Titel, nähern sich mit tosendem Potenzial einer Kaste von Kriegern, die in historischen Fakten zu Mord und Totschlag neigen und dies vermutlich ohne Intention in der Spielmechanik charakterbäumig zelebrieren, während in filmischen Sequenzen das zuvor Gespielte als Suchtmittel für den alles bestimmenden Fortschritt vergessen wird und eine gegensätzliche, auf Ehre und Unehre heruntergebrochene Geschichte erzählt wird; Samurai-Filme hingegen greifen Themen aus der (japanischen) Nachkriegszeit auf, verarbeiten sinnlose Gewalt und nutzen Bildsprache und Schauspiel für den Untergang ganzer Reiche.
Wenn es ach so plump im Ergebnis wird wie bei Ghost of Tsushima und Trek to Yomi, sowohl in Spielmechanik als auch im Filmteil, wünscht man sich den Mantel des Schweigens herbei, getragen und weitergegeben von einem Mann, der dann doch manch ein Samurai-Schmarrn erträglich macht: Tom Cruise, dieser ehrenvoller Motherfucker.
1 Kommentar
danke fuer den schoenen artikel!