Das Gute bei Polyneux ist ja, dass wir immer total spät zu jeder Party kommen. Und ihr wisst von den Spezial-Experten natürlich schon alles über die Fortsetzung des Kult-Spiels Outcast von 1999:
Outcast – A New Beginning ist wieder so ein AA-Spiel, das nach den AAA-Sternen greift und dabei maximal okay’ish geworden ist. Ein Open-World-Action-Adventure, das aus dem Ubisoft-Baukasten kommen könnte und dabei zwar ganz schick aussieht, aber genau null Innovationen im Gepäck hat. Schade Banane.
Natürlich sind die Spezial-Experten auch alle im Bilde, was die Qualitäten des Originals angeht. Es war ein Open-World-Pionier, der damals neue Dinge wagte, aber dem Spieler auch einiges zumutete: Kein HUD, das den Spieler bequem durch die große Welt und seine Aufgaben lotste. Und die Sprache der Einheimischen musste auch erst mühsam erlernt werden. Aber, und jetzt kommt’s, Voxel-Engine! Yeah! Na, dann ist ja alles klar…
Sicher, es ist ja ganz niedlich, wenn Redakteure nicht im komplett luftleeren Raum agieren und sich wenigstens Youtube-Videos des Originals anschauen und ein paar Technik-Features aus der Wikipedia abschreiben, bevor sie den Nachfolger dann eben doch mit den aktuellen Genre-Platzhirschen wie Horizon, God Of War oder FarCry vergleichen. Aber die meisten haben es halt nicht wirklich selbst gespielt. Zumindest nicht 1999. Sonst wüssten sie nämlich, warum alte Säcke wie ich Outcast seit 25 Jahren auf einem kleinen Altar beweihräuchern…
Ja, wir kamen, um über die damals neue offene Welt und die interessante Grafik-Engine zu staunen, für die man seinerzeit einen richtig fetten Rechner brauchte, um sie wirklich genießen zu können. Aber wir blieben wegen der unglaublichen Immersion, der liebevoll gestalteten Welt und den sympathischen, humorvollen Figuren, allen voran Protagonist Bruce Willis Cutter Slade. Bei den ganzen Rückschauen wird nämlich gerne vergessen, dass Outcast auch ein sehr dialoglastiges Spiel war, das sich unheimlich viel Mühe mit dem World-Building gab. Darum ist es für mich auch völlig zweitrangig, ob Appeals Fortsetzung 25 Jahre später immer noch schick aussieht (Ja, tut sie, auch wenn es diesmal „nur“ die Unreal Engine 4 ist.) oder wieder spielerische Maßstäbe setzen kann (Nein, kann sie natürlich nicht. Kein Stück.). Viel wichtiger ist doch die Frage, ob es Spaß macht, nach so langer Zeit wieder in der Haut des Ulukai zu stecken und dem Planeten Adelpha und seinen Bewohnern einen weiteren Besuch abzustatten… Spoiler: Wie sau!
Spielmechanisch ist A New Beginning tatsächlich ein absolut durchschnittliches 3rd-Person-Action-Adventure geworden, das seinem Publikum keine größeren Stöckchen in die Speichen steckt. Man findet sich recht schnell in der Welt zurecht und der Schwierigkeitsgrad ist eher moderat. Sicherlich eine Konsequenz aus den Verkaufszahlen des Vorgängers, die dann auch zum damaligen Bankrott des Studios führten. Aber alleine diese Feststellung unterschlägt schon, wie viel Spaß das Movement in der Spielwelt tatsächlich macht: Slade bekommt direkt am Anfang ein Jetpack, das man im weiteren Verlauf noch ordentlich upgraden kann. Die Fortbewegung damit funktioniert so gut, dass ich das eigentliche Schnellreisesystem des Spiels, die Stargate-ähnlichen Daokas, nach ein paar Spielstunden nur noch bei sehr großen Entfernungen genutzt habe. Durch die spaßige und unkomplizierte Fortbewegung relativiert sich auch das konservative Quest-System. Ja, die meisten Haupt- und Nebenquests laufen auf die genre-üblichen Botengänge, Fetch-Quests und Eskort-Missionen hinaus. Aber alles geht so locker-flockig von der Hand, dass es einfach nicht nervt. Zumal jede Mission in nette Geschichten und NPC-Dialoge eingebettet ist und man ohnehin einfach Bock hat die wunderschöne Spielwelt weiter zu erkunden. Gar nicht mal so angestaubt ist übrigens die Möglichkeit, die meisten Hauptquest-Stränge im Spiel völlig unabhängig voneinander und in beliebiger Reihenfolge anzugehen. Daraus ergibt sich allerdings der Nachteil, dass das Pacing der Hauptgeschichte stark davon abhängt, wie viel ihr vorher Erkundet und wie ihr mit den Quests umgeht. Da ich schon sehr früh eher auf Exploration der hübschen Welt gesetzt habe, hatte ich entsprechend den Eindruck, dass das Storytelling im Mittelteil eher auf der Stelle tritt, um sich im letzten Drittel dann geradezu zu überschlagen. Aber dieses Problem habe ich auch bei anderen Open-World-Titeln oft. Ebenso das daraus resultierende Gefühl am Ende eher over-powered zu sein, weil die starke Exploration meist auch entsprechende Upgrade-Vorteile durch optionale Nebenaufgaben mit sich bringt.
Aber bevor ich mich weiter im üblichen Review-Einerlei verstricke und euch auch noch das (tatsächlich ganz coole) Upgrade-System von Waffen und Fähigkeiten haarklein beschreibe und euch versichere, dass das Kampfsystem okay, aber auch nicht weltbewegend ist, ohrfeige ich mich an dieser Stelle selbst und wiederhole meine Einleitung: „Das wisst ihr ja alles schon! Von den Spezial-Experten!“
Kommen wir also wieder zu dem zurück, was wirklich wichtig ist: Dem Herz des Spiels. Und das ist auch 25 Jahre später wieder am richtigen Fleck! Man merkt der Welt Adelpha, den einheimischen Talaner und dem sympathischen Cutter Slade durch und durch an, dass hier wieder die Entwickler des Originals am Werke waren und nach so langer Zeit endlich die Fortsetzung umsetzten konnten, die sie schon 1999 direkt im Anschluss machen wollten, aber leider vorher pleite gingen. Und weil das Herz wieder dabei ist, sprang bei mir auch gleich wieder der Funke über. Ungeachtet der ganzen „objektiven Mittelmäßigkeit“, die das Spiel heute, nachdem andere Spiele 25 Jahre lang Zeit hatten, Appeals Vision unzählige Male weiter auszuformulieren, darstellt.
Abgesehen vom etwas unausgewogenen Story-Pacing und kleineren Bugs und Glitches, die bei „großen Titeln von kleinen Studios“ kaum zu vermeiden sind und, zumindest in der PS5-Fassung, schon größtenteils fleißig weggepatched wurden, habe ich eigentlich nur einen echten Kritikpunkt: Wo zum Teufel ist Manfred Lehmann? Im Gegensatz zu den ursprünglichen Outcast-Entwicklern und dessen Komponisten Lennie Moore (wieder mit tollem, symphonischen Score), ist er dieses Mal leider nicht mit von der Partie. Die deutsche Stimme von Bruce Willis und Kurt Russell war beim ersten Outcast tatsächlich die Kirsche auf der Sahnetorte. Seine Synchronarbeit hat damals viel dazu beigetragen, dass sich Cutter Slate als Figur so stark in mein Gedächtnis eingebrannt hat. Sehr schade! Allerdings macht seine Vertretung, Torsten Münchow (u.a. die deutsche Stimme von Brendan Fraser), auch einen ganz ordentlichen Job, so dass man sich nicht zu sehr ärgern muss. Dass die Gags und Dialoge manchmal etwas cheesy sind und die Avatar-artige Story immer mal wieder den Kitsch streift, ist jedenfalls nicht seine Schuld, sondern wohl eher so ein Franzosen-Ding. Luc Besson-Fans wissen Bescheid…
Ich habe meinen etwa 40-stündigen zweiten Besuch auf Adelpha jedenfalls sehr genossen und würde mich auch über einen weiteren freuen. Outcast – A New Beginning kann die damalige „Sensation“ des Vorgängers selbstverständlich nicht wiederholen, hat mir als späte Fortsetzung eines Klassikers aber trotzdem besser gefallen, als ich vorher zu hoffen gewagt hatte. Aber hey, das ist nur die Meinung eines alten Mannes, der das Original seit dem Erscheinen zu seinen absoluten Lieblingsspielen zählt und auch sonst dem Open-World-Genre nicht abgeneigt ist. Außerdem bewerte ich meine Videospiele nicht mit dem Maßband, sondern mit dem Bauch…
Neueste Kommentare