Als Schüler und Student habe ich früher sehr gerne zeitraubende Aufbau- und Strategiespiele gespielt. Diese Art von Spiel, bei der man um 23:56 Uhr denkt, “Nur noch kurz den Bau von XY abwarten, dann mache ich Schluss für heute” und – BÄM! – ist es plötzlich 5:00 Uhr morgens. Heutzutage muss ich aber so tun, als wäre ich ein verantwortungsvoller Erwachsener und bevorzuge daher meist anders strukturierte Titel. Ich meine damit nicht unbedingt “kürzer”, denn ich versenke auch heute noch gerne unzählige Stunden in einem einzelnen Videospiel. Aber bei beispielsweise Fallout 4, Horizon: Zero Dawn oder Heroes of the Storm fällt es mir deutlich leichter, einen Punkt zu setzen, an dem es heißt: “Schluss für heute”.
Irgendwann im Juni bekomme ich also unaufgefordert diesen Preview-Key zu Aven Colony per Email: “Häh? Habe ich das überhaupt angefragt? Noch nie davon gehört. **googelt** Ah, ein SciFi-Aufbauspiel. Zeitfresser-Alarm! Kommt aber eh erst Ende Juli raus. Und Previews machen wir grundsätzlich nicht…” – Und so ignorierte ich das Spiel erst einmal weitere vier Wochen. Dann kam etwa zwei Wochen vor Release noch eine Mail mit einem Upgrade-Key zur Verkaufsversion des Spiels: “Puh, ihr seid aber hartnäckig. Na gut, kurzes Anschauen kann ja nicht schaden…” – Mehrere durchspielte Nächte später: “Diese verdammten Aufbauspiele! Ich bin wieder voll auf Droge, ihr Schweine…”
Der obige Absatz lässt mich vielleicht wie einen arroganten, verwöhnten Profi-Kritiker aussehen, hat aber einen völlig anderen Hintergrund: Ich kenne mich. Und ich weiß, was passiert, wenn ich erstmal mit so einem Ding anfange. Aus diesem Grund bin ich seit fast 20 Jahren sehr vorsichtig, was dieses Genre angeht. Wenn ich überhaupt noch eines dieser Spiele anfasse, dann nur die wirklich großen Titel, wie z.B. Civilization oder Anno. Und dann in der Regel auch nur, wenn ich Urlaub habe und dadurch nicht Gefahr laufe, ohne eine Mütze Schlaf bekommen zu haben, zur Arbeit zu müssen.
Ihr ahnt es schon, es kam, wie es kommen musste: Ich habe bisher zwar erst ca. 35 Stunden Aven Colony gespielt, doch diese 35 Stunden kamen überwiegend durch ungeplante Nachtschichten zustande. Aber genug von mir und meiner Drogensucht! Was ist dieses Aven Colony eigentlich genau?
Aven Colony ist das Debüt von Mothership Entertainment, einer vierköpfigen Indie-Entwickler-Bude aus Texas. Bei dem Spiel handelt es sich um handelsübliches Heroin eine klassische Aufbau-Simulation, genauer gesagt um einen City Builder. Es gilt den Planeten Aven Prime für die Menschheit zu kolonisieren. Die Kampagne besteht aus neun großen Karten, auf denen man jeweils einen Koloniestandort aufbauen muss. Auf diesen Karten soll man aber nicht einfach nur eine funktionierende Infrastruktur für die Kolonisten erstellen, sondern erhält noch diverse zusätzliche Aufgaben. Diese dienen einerseits der angenehm flachen Lernkurve, bringen andererseits aber auch eine simple, aber trotzdem recht unterhaltsame Geschichte voran, die sich in erster Linie über sich selbst lustig macht, da sie im Stil von klassischem SciFi-Trash der 50er- und 60erjahre präsentiert wird. Außerdem gibt es noch einen Sandbox-Modus, in dem man die neun Gegenden der Kampagne und zwei zusätzliche so bespielen kann, wie man möchte.
Wasser-, Energie-, Luft-, Rohstoff- und Nahrungsversorgung müssen ebenso im Auge behalten werden, wie die Zufriedenheit der Kolonisten. Außerdem gilt es, der Widrigkeiten der neuen Welt Herr zu werden, die vom Eissturm bis zur Seuchenepidemie reichen. Das kennt man als PC-Spieler natürlich alles aus unzähligen ähnlichen Spielen der letzten 30 Jahre. Aven Colony bietet eigentlich auch nichts, was andere Spiele nicht schon vor ihm gemacht haben. Trotzdem ist es nicht langweilig und biete einen sehr angenehmen, entspannten Spielfluss. Der Schwierigkeitsgrad hält sich in Grenzen, die Bedienung ist komfortabel und alle Mechaniken werden im Spiel schön erklärt, weshalb sich Aven Colony auch wunderbar für Genre-Neulinge eignet. Das soll aber nicht heißen, dass es nichts für alte Hasen wäre, sondern nur dass das Spiel einen sehr hohen Grad an “Polishing” und Zugänglichkeit besitzt, der manchen Genre-Kollegen fehlt. Auch wenn es im Grunde sehr fair ist und den Spieler nicht im Minutentakt mit irgendwelchen aus dem Hut gezauberten Katastrophen ständig unter Duck setzt, spielt sich Aven Colony nicht von selbst. Tatsächlich ist es mir sogar dreimal gelungen ein Kampagnen-Szenario komplett gegen die Wand zu fahren, so dass ich es von vorn beginnen musste. Das lag selbstverständlich an meiner eigenen Blödheit bei der Planung und nicht daran, dass plötzlich irgendein “Gorgon der Schreckliche” meine Siedlung überraschend angriff.
Schick sieht es übrigens auch aus. Das Spiel läuft in der aktuellen Unreal-Engine und erlaubt erstaunliche Kamera-Zooms. Man kann aus der Vogelperspektive, in der man es üblicherweise spielt, so weit in die Siedlung herein zoomen und die Kamera dabei frei bewegen, dass man sogar einzelne Kolonisten bei ihrem Weg zur Arbeit begleiten kann. Der Detailgrad ist für ein Spiel von einem nur vierköpfigen Indie-Team schon irre. Und die Sounduntermalung, bei Spielen dieser Art nach etlichen Stunden oft irgendwann ein echter Nervfaktor, geht auch in Ordnung. Zumindest ging sie mir auch nach über 30 Stunden noch nicht auf den Zeiger, was ein gutes Zeichen ist…
Wenn man besonders knackige Herausforderungen oder große Innovationen sucht, dann wird einen Aven Colony nicht vom Hocker hauen. Aber davon einmal abgesehen, ist es ein sehr schön designter SciFi-City-Builder ohne Macken, der sich komfortabel und chillig spielt, ohne dabei zu langweilen. Aven Colony ist besonders für Konsolenspieler eine Empfehlung, da diese nicht so sehr in Alternativen schwimmen wie wir PC-Spieler. Und der moderate Preis von etwa 30 Ocken ist die Kirsche obendrauf.
2 Kommentare
Sehr schön geschriebener Artikel.
Ich erkenne mich darin wieder. Auch ich bin seit vielen Jahren clean.
Aus diesem Grund werde ich diesen Titel NICHT anfassen.
Obwohl, ich kann ja mal auf Youtube nach dem Gameplay schauen.
Nur mal schauen, mehr nicht!