Wir öffnen für euch jeden Tag ein Türchen in unserem Adventskalender und präsentieren euch jeweils einen unserer ganz persönlichen Lieblings-Autoren, die einen kleinen Gastbeitrag für uns und euch verfasst haben. Heute geht es um Skyrim.
Fear and Loathing in Skyrim
Gastbeitrag von Gunnar Lott, in einem früheren Leben Chefredakteur großer Spielemagazine, heute Pressesprecher bei einer Onlinegames-Firma. Nebenbei bloggt er unter dem Kampfnamen Herr Kaliban und veröffentlicht halbwegs regelmäßig Gespräche über Retrogames als Podcast.
Ich habe dieses Problem mit virtuellen Welten.
Für mich funktionieren sie nicht, meistens.
Andere, beneidenswerte Menschen von großer innerer Stärke, schauen lässig darüber hinweg, wenn in Detroit Sprayer stundenlang an der Wand stehen und nicht merken, dass aus ihren Spraydosen gar keine Farbe kommt. Andere stören sich nicht daran, dass in Gotham ein kleiner Anstaltsleiter mit einem miesen Track Record mal eben Bürgermeister wird und dann auch noch Teile der Innenstadt als Gefängnis ausweist, obwohl man anderswo ohne Bürgerinitiative nicht mal einen Bahnhof ausbauen kann. Anderen macht es nichts aus, dass die Stadtwachen in allen Städten, von Weißlauf bis Einsamkeit, alle Probleme mit den Knien haben — und die Geschichte ohne gebührende Ehrfurcht dem visitierenden Weltretter erzählen, anstatt ihm erstmal einen roten Teppich auszurollen und ihm ein Heißgetränk und die Jungfrauen des Ortes anzubieten.
Ach, die Logik.
Und doch spiele ich Skyrim. Und doch macht mir das Spiel Spaß, auch in der 20plus-ten Spielstunde.
Eigentlich ist alles falsch: Die Dialoge sind Unsinn, größtenteils; man gibt mir nicht das Gefühl, jemand Besonderes zu sein; ständig passiert irgendwas Absurdes; der Kampf ist merkwürdig körperlos; die Animationen machen aus Charakteren zombifizierte Schaufensterpuppen. Einen Kampf gegen einen Drachen im Hof der Magierakademie habe ich komplett verpasst, weil das Biest genau während eines Dialogs angegriffen hat, als ich mit dem Gespräch fertig war, hatten die Kollegen das offenbar kränkliche Tier schon erlegt. Und, am Schlimmsten, alle naselang kommt jemand gelaufen und will einen Brief überbracht, ein Beziehungsproblem gelöst oder seinen Hof gekehrt haben und immer fehlt die wichtigste Dialogoption: »Fick Dich, Du Depp, sehe ich aus wie ein Laufbursche?«
Warum tu’ ich mir das an? Nun, es ist eben ein großes, freies Rollenspiel. Und Rollenspiele sind, trotz Charakteridentifikation und Story und ausgefeilter Welt, Spiele, in die man nicht einsinkt, wie in ein Action-Adventure oder einen Ego-Shooter.
Rollenspiele lebt man. Daran muss man eben ein bisschen arbeiten.
Ein Vergleich, um es zu verdeutlichen: Wenn ich, sagen wir, Crysis 2 spiele, so ist das eine intensive Erfahrung wie bei einem Kinofilm – ich bin in jeder Sekunde angespannt und voll dabei, ducke mich instinktiv unter den Kugeln weg und darf nicht gestört werden, sonst geht mein Erlebnis kaputt. Wenn ich aber aufhöre, ist es erstmal vorbei. Wenn ich aber ein Rollenspiel spiele, so ist das eigentliche Spielen weniger wichtig, ich kann dabei auf dem zweiten Monitor Mails checken, eine Pizza essen und mich mit der Katze unterhalten. Aber in meinem normalen Tag ist das Spiel ständig präsent: Ich denke über meine nächsten Wege nach, über den mangelnden Platz im Inventar, über Orte, die ich besucht habe. Und ich rede mit Freunden über meine Erlebnisse. Es gibt ja so vieles, mit dem man sich beschäftigen kann.
Das klingt jetzt einigermaßen trivial, aber der Gedankenansatz erklärt zum Teil die dauerhafte Faszination von (Online- wie Offline-)Rollenspielen. Skyrim begleitet mich jetzt schon einige Zeit so, wie andere Leute das von WoW kennen. Naja, nicht ganz so, aber es geht in die Richtung.
Ich mache halt die Mini-Quests (die unter »Verschiedenes«) erst gar nicht, ich sage mir zwischendurch, wenn die Leute mir dumm kommen, immer wieder mein Mantra Ich bin der Thane von Weißlauf und der Erzmagier der Akademie und Jesus wurde auch vom normalen Volk verkannt auf. Ich freue mich an Kleinigkeiten, an der Landschaft, am Laufen durch die Welt, an der Länge meines Schwertes.
Ich spinne mir im Kopf eine eigene kleine Heldengeschichte zusammen, in der ich den Nonsense ausblende. Und genügend Bausteine für diese Geschichte gibt mir Skyrim auf jeden Fall: Ich habe eine handfeste Schildmaid geheiratet und bin jetzt in den Dungeons als Ehepaar unterwegs; ich bin auf den höchsten Berg gestiegen und habe das Land, mein Land, unter mir ausgebreitet gesehen – nicht ohne einen wohligen Anflug von Heimatliebe zu empfinden. Ich bin mit klopfendem Herzen durch Zwergenruinen geschlichen, immer auf der Hut vor den Gefahren einer unbekannten Kultur. Ich habe Sonnenuntergänge in freier Natur erlebt, bin durch atmende Wälder gewandert, habe für mein Land gekämpft, habe Wunder geschaut.
Für all das bin ich dankbar. All das macht Skyrim zu meinem Spiel des Jahres, zu einem Blumenstrauß wunderbarer Momente, auch wenn ich hin und wieder mal ein paar Stängel Unkraut dazwischen herausklauben muss.
Aber hey, wenn der doofe Hund mich noch einmal in einem Verliesgang einsperrt, weil er, anders als andere Gefolgsleute, mir immer direkt auf der Pelle hockt und nicht auf’s Schubsen reagiert, werfe ich die DVD aus dem Fenster, verdammt!
4 Kommentare
Recycling vom Recycling? ;)
Das habe ich doch am 10.12. schon streckenweise beim Herrn Kaliban selber gelesen mit dem Hinweis, dass es doch eine aktualisierte Version eines alten Artikels ist.
Trotzdem volle Zustimmung :)
@Hazamel
Herr Kaliban hat eine zeitlang noch täglich frische Artikel geschrieben, bis… naja.. zwei Worte: Arrow + Knee
:)
Der Arme… ich sehe schon: Pfeile gefährden die Kreativität
Schöner Artikel. So ähnlich geht es mir bei RPGs auch, wobei mein Herz eher für Dark Souls schlägt. Vielleicht ist das auch der Grund, warum ich Skyrim bisher links liegen gelassen habe. Mir ist die Welt einfach zu konservativ ausgelegt. Das ist alles fraglos hervorragend umgesetzt, aber wurde halt auch am Reissbrett entworfen. 1000mal gespielt usw. Aber vielleicht gebe ich dem Spiel ja nochmal eine Chance…