Als mich SpielerZwei in sein Büro rief, war mir ein wenig mulmig zu Mute. Das konnte nichts Gutes bedeuten… seit Ewigkeiten hatte ihn niemand mehr zu Gesicht bekommen. Böse Zungen munkelten, ihn hätte die Dota-Sucht gepackt, aber darauf gebe ich natürlich nichts. Jedenfalls war es seltsam, jetzt so überraschend zu ihm bestellt zu werden. Der Weg durch die düstere Mahnhalle der Polyneux-Redaktion zog sich diesmal unangenehm hin. Vorbei an den aus toten Augenhöhlen auf mich herabstarrenden Let’s Player Köpfen, die von früheren Generationen erlegt worden waren, damals, als das noch legal war. Ich hatte das ja nie so ganz verstanden… musste irgend so ein archaisches Männlichkeitsritual gewesen sein. Endlich erreichte ich das Zimmer mit der Nummer “2”. Klopf, klopf.
“Frau im Bikini!” schallte es mir prompt entgegen, und ich trat ein. “Wir müssen reden! Mir ist zu Ohren gekommen, dass unter den Kollegen Unmut über Ihren Arbeitsstil herrscht.” – “Das… das ist aber seltsam, bei mir hat sich nie jemand beschwert… mache ich zu wenig? Ich weiß, dass ich nicht die produktivste Schreiberin bin, aber ich habe hier diese Bildchen…” “Papperlapapp, wir sind hier nicht in der Malstunde vom Kindergarten! Es heißt, sie wären nicht kritisch genug in Ihren Artikeln. Diablo 3, Animal Crossing, Don’t Starve und jetzt auch noch Beyond. Wissen Sie, wie hoch die Wahrscheinlichkeit ist, dass einem normal entwickelten Videospieler all diese Titel gefallen?”- “Nun, ich bin vielleicht ein besonders positiv denkendes…” – “Das geht so nicht weiter! Mir wäre es ja egal, aber das Internet verlangt Verrisse. Der Ruf Polyneuxs steht auf dem Spiel.”
Ich fühlte mich mies. Tatsächlich, ich hatte bisher so gut wie nur Positives geschrieben. Das lag daran, dass ich ein Spiel normalerweise nach wenigen Minuten zur Seite lege, wenn ich merke, dass es mir nicht gefällt. Und nun hatte ich den Schlamassel. Bestimmt hassten mich alle.
“Alle hassen Sie, Frau im Bikini.” SpielerZwei wirkte nun ein wenig verzweifelt, wie er dort hinter seinem wuchtigen Ebenholz-Schreibtisch saß. “Volker hört seit letzter Woche nur noch Celine Dion und Christian kommt auf keine 100 Zeilen Hass mehr, weil er ständig nur diese Lobhudeleien von Ihnen hört…” Da versagte ihm die Stimme, und er begann jämmerlich zu schluchzen. Ein schwer zu ertragender Anblick. “Oh je, oh je, mir waren die Folgen meines Handelns nicht bewusst. Aber ich möchte versuchen, mich zu bessern! Mein nächster Artikel wird vor kritischem Aufklärungsjournalismus nur so triefen.” Unfähig, zu sprechen, hielt mir SpielerZwei einen Steam-Code entgegen. “Vielleicht… hilft das. Es ist ein Tower Defense Spiel. Wenn das einer besprechen möchte, ähm, kann, dann Sie, Frau im Bikini.”.
Hochmotiviert begab ich mich mit dem Code in mein Büro im Keller. Ich würde das schon schaffen! Und welche Ehre, ein Testmuster bekommen zu haben! Damit war ich nun so etwas wie ein professioneller Videospielejournalist. In Gedanken sah ich mich schon am Fachbesuchertag über die GamesCom flanieren. Die anderen Polynesen mussten großes Vertrauen in meine Fähigkeiten haben, dass sie mir dieses Kleinod überließen. Auf geht’s!
Bei dem kürzlich bei Steam erschienen “Defense Technica” handelt es sich also um einen Vertreter des beliebten Tower Defense Genres, bei dem man seine Basis mit hohen Gebäuden vor kleinen Angreifern schützen muss. Zumindest bei mir beliebt. Auf meinem Grabstein soll einmal stehen, dass ich der Mensch war, der alle jemals erschienenen Tower Defense Spiele durchgespielt hat. Das wäre für meine Hinterbliebenen zwar wahrscheinlich ein wenig peinlich, aber für mich durchaus ein Lebensziel, mit dem ich mich anfreunden könnte. Dieses Jahr gab es mit “Primeworld Defenders” schon einen guten Vertreter des Genres, und ich warte gespannt auf “Defense Grid 2”.
Tja, und damit wären wir auch schon bei dem, was “Defense Technica” maßgeblich auszeichnet… es ist ein “Defense Grid” Klon. Ein uninspirierter, liebloser, feiger Versuch, von dem Erfolg des Originals zu profitieren. Und nein, da hat nicht irgendein Praktikant bei Steam versehentlich Screenshots für das falsche Spiel hochgeladen. Enttäuschte Kommentare wie “Ich dachte zuerst, dies sei eine Fortsetzung von Defense Grid. Welch eine Überraschung, als dem nicht so war.” (das habe ich jetzt grammatikalisch ein wenig angepasst und die blumige Ausdrucksweise zurückgeschraubt, aber ihr wisst, wie es aussehen würde, wenn es ein echter Kommentar wäre) häufen sich nicht nur in den Steam Foren. Die gesamte Optik, der Aufbau der Level, das Setting, das immer in der Bildschirmmitte zentrierte Fadenkreuz… das fällt selbst in dem nicht gerade für seinen Innovationsreichtum bekannten Tower Defense Genre unangenehm auf.
Und leider machte “Defense Grid” bereits vor 5 Jahren alles besser. Es hatte einen sympathischen Computerkumpel, der einem zur Seite stand und es schaffte, die im Grunde unzusammenhängenden Level in eine feine kleine Story einzubinden. Es steuerte sich erstklassig. Es gab ein motivierendes Ranglistensystem. Und vor allem musste man tatsächlich taktieren, und konnte einen Level auf verschiedene Arten lösen. Um Highscores zu knacken grübelte ich teilweise lange wegen der idealen Position eines einzelnen Turms.
Ganz anders nun bei “Defense Technica”. Schon als ich den ersten der 22 Level startete, hatte ich vergessen, warum ich eigentlich hier war. Irgendetwas mit verfeindeten Alienrassen, deren Beweggründe mir auf tristen Texttafeln näher gebracht werden sollten. Und um es vorwegzunehmen: Ich habe sämtliche Level mit derselben Taktik durchgespielt. Vorne Feuer, hinten Laser, dazwischen alle anderen Türme. Masse statt Klasse. Dies wäre ein Spoiler gewesen, wenn ihr das Spiel jemals spielen würdet, aber das werdet ihr nicht. Es mag sein, dass die strategische Komponente aus ihrem Versteck gekrochen kommt, wenn man überall eine perfekte Bewertung erreichen möchte, aber die Motivation dazu hielt sich bei mir in Grenzen, weil ich die ganze Zeit über verdammt wenig Spaß hatte. Während sich bei mir normalerweise selbst bei mittelmäßigen Tower Defense Titeln schnell ein ungesunder Suchtfaktor einstellt, legte ich bei “Defense Technica” nach jedem Level eine Pause ein.
Das Beste habe ich noch gar nicht erwähnt! Es gibt bereits eine Mobile Version dieses Spiels. Das habe ich bei Steam besonders gerne… “Fieldrunners 2” anyone? Habt ihr jemals alle Türme darin freigeschaltet, ohne euer Privatleben in ungesundem Maße zu vernachlässigen? Fairerweise sollte aber bei “Defense Technica” dazu gesagt werden, dass laut den Entwicklern die PC Version die ursprüngliche Version war, an der zuerst gearbeitet wurde, und dass es deshalb eigentlich kein Port ist. Sie soll das “beste Spielerlebnis” bieten, weil das Balancing optimiert wurde und die Mobile Version so zurechtgebogen wurde, dass man möglichst viel echtes Geld für In-Game-Content ausgibt. Nun… ein offenes Geheimnis, aber trotzdem würde es mich als Käufer der Mobile Version wurmen, das so von den Entwicklern zu lesen. Das größere Problem ist aber, dass die PC-Version Elemente enthält, die sehr stark an ein schlechtes Mobile Game erinnern. Woher auch immer die kommen mögen, wenn es doch kein Port ist! Vielleicht wollte man einfach nur nicht, dass es zu gut wird, damit die Verkaufszahlen der iPhone Version nicht einbrechen. Diese soll nämlich gar nicht so schlecht sein.
Ich muss allen Ernstes hinter jedem getöteten Gegner Credits aufsammeln. Was soll das, bin ich ein defekter Scheibenwischer? So kam ich mir jedenfalls vor, als ich versucht habe, die auf der gesamten Map gleichzeitig verendenden Gegner mit meinem Cursor zu erwischen. Vielleicht hat einer der Entwickler “Plants vs Zombies” gespielt und hielt das deshalb für eine gute Idee… wegen den lustigen Sonnen. Aber wisst ihr was? Es hat seine Gründe, warum euer großes Vorbild “Defense Grid” auf so etwas verzichtet hat. Wenn man kaum zoomen kann und die Maps so groß sind, dass man ständig nur am herumscrollen ist, ist es pure Folter, hinter den Gegnern aufräumen zu müssen. Es macht keinen Spaß, keinen Sinn und mich wütend.
Je mehr Level man freischaltet, desto mehr Türme kommen hinzu, man kennt das. Das Update-System von “Defense Technica” wäre sogar ganz ansehnlich, denn jeder Turmtyp hat einen kleinen Skilltree, mit dem man ihn weiterentwickeln kann. Leider kommt man aber gefühlt zu langsam an Skillpoints, die Rate passt erst bei den späteren Leveln. Man braucht also sehr viel Geduld. Ich würde mich nun eigentlich darüber ereifern, dass hier gedankenlos das ursprünglich auf Micropayments basierende System des Mobile Ablegers übernommen wurde… aber glücklicherweise handelt es sich ja wie bereits klar gestellt um keinen Port. Haha.
Das klingt jetzt alles sehr von Bitterkeit durchtränkt, aber während ich die ersten 18 Level Defense Technica spielte, war ich glücklich. Glücklich darüber, endlich einen Verriss für Polyneux schreiben zu können. Und glücklich darüber, mit jedem Level dem Ende näher zu kommen. Dann formatierte ich meinen PC und durfte feststellen, dass ausgerechnet ein Savegame nicht übernommen worden war. Kurz vor dem Ende. Ich schrie. Wütete. Weinte bitterlich. Das ging doch nicht… ich musste es doch zu Ende spielen! Alles andere hätte ich den Entwicklern gegenüber unfair gefunden. Ich heulte mich bei meinen verständnsivollen Polyneux-Kollegen aus und zog dann doch in Erwägung, an dieser Stelle abzubrechen. Als ich mich gerade mit dem Gedanken angefreundet hatte, diese Gurke nie wieder starten zu müssen, fand ich beim Dateien sortieren auf meiner Backup-Festplatte zufällig das Savegame. Die Freude war… gewaltig…
Eine Woche später war ich tatsächlich durch. Schwer gezeichnet von der psychischen und physischen Tortur (mein Mausarm war bereits seit Tagen dauerverkrampft und pochte gefährlich) tippte ich die letzten Zeilen nieder und schleppte mich dann in die Korrekturkatakomben der Redaktion. Dort barte ich, wie es Brauch ist, den Zettel auf und ließ meine Kollegen drüber lesen. Es war ein voller Erfolg! Sie beglückwünschten mich zu meinem kritischen Artikel und ich freute mich des Lebens. Alles schien perfekt zu sein. Doch dann erhielt ich eine Benachrichtigung von Steam… Es hatte ein “Defense Technica” Update gegeben. Wegen zahlreicher Beschwerden war die Funktion entfernt worden, dass tote Gegner Credits fallen lassen, die man von Hand einsammeln muss. Ich beschloss, nie wieder über ein Spiel zu schreiben, das mir nicht gefällt.
2 Kommentare
Die Einleitung ist übrigens komplett erfunden. In Wirklichkeit bin ich noch viel unfreundlicher und brülle die Redakteure grundsätzlich an bis sie weinend mein Büro verlassen.
Außerdem haben wir den wuchtigen Schädelthron und die unheimlichen Rüstungsstatuen aus dreiäugigen Krokodilen und laserbewehrten Haien wegredigiert. Wir fanden schon immer, dass SpielerZwei einen viel zu protzigen Führungsstil… Oh, ein geheimnisvoll glühender Trank! Danke SpielerZwe…*röchel*!