Schon als Ryse – Son of Rome Ende 2013 als exklusiver Launch-Titel für Microsofts Xbox One herauskam, wurde es nicht gerade mit Lob überschüttet. Mit “Fantastische Grafik, toll inszeniert, aber durchschnittliches und zu kurzes Gameplay mit einer flachen Story” kann man das Gros der Kritiken zusammenfassen. Als dann 2014 irgendwann die unvermeidliche PC-Version raus kam (das Schicksal, das früher oder später nahezu allen Exklusiv-Titeln von Microsoft widerfährt) war deren Grafik, den entsprechenden Rechner vorausgesetzt, noch geiler. Ansonsten hatte man eigentlich nichts verändert.
Dementsprechend war Ryse auch kein Titel, den ich überhaupt spielen wollte. Aber dann lachte mich das Teil im letzten Steam Sale zu einem Spottpreis an, so dass ich “Ach, was soll’s?” dachte und kurzentschlossen zugriff. Inzwischen habe ich es sogar gespielt, was ich leider nicht über alle meiner Steam Sale-Einkäufe sagen kann, aber Ihr kennt das ja…
Nun, wie fand ich das letzte Spiel der Yerli-Brüder? – Nicht gut. Allerdings differiert meine Meinung etwas von den eingangs erwähnten Kritiken. In Bezug auf die Grafik gibt es natürlich keine Diskussionen: Die PC-Version von Ryse ist mit das Geilste, was man sich derzeit als Grafik-Demo für den potenten Spiele-Rechner auf die Festplatten hauen kann. Die Mission, mit diesem Spiel zu zeigen, was die Xbox One und die aktuelle CryEngine grafisch drauf haben, war schon 2013 geglückt und die PC-Version setzt da noch mal einen drauf. Gleiches gilt für die Inszenierung, welche mit aufwendigen Motion-Capture-Charakteranimationen, tollen Zwischensequenzen, sehr guten (englischen) Sprechern und einem passenden Soundtrack über jede Kritik erhaben ist. Soweit, so nyce.
Was die Geschichte angeht, so muss ich Ryse sogar etwas in Schutz nehmen. Ja, sie ist nicht wirklich tief und ziemlich vorhersehbar. Aber ich fand sie durchaus solide und auch nicht schlimmer als viele Hollywood-Action-Blockbuster der letzten 20 Jahre. Und wenn man sich anschaut, was für eine gequirlte Schyße uns Crytek zuletzt mit Crysis 2 und 3 story-technisch zugemutet hat, ist die Rache-Geschichte um den römischen Legionär Marius geradezu sensationell… ok.
Das “durchschnittliche Gameplay” kann ich dagegen gar nicht unterschreiben, denn es ist schlicht weg ganz große Schyße. Das Kampfsystem wirkt auf mich wie gewollt und nicht gekonnt. Irgendwie als hätte jemand zum Ego-Shooter-Programmierer gesagt: “Mach mal sowas wie bei God of War oder den Spielen von Platinum Games. Eine Hack’n’Slay-Mechanik mit Blocken, Rollen, verschiedenen Angriffen und coolen Finishing Moves!” Der hat dann wissend genickt und sich dabei gedacht “Kein Problem. So schwer kann das ja nicht sein.” – Ist es aber. Zumindest, wenn man eine Qualität anstrebt wie bei den genannten Vorbildern. Da ist es mit einer halbgaren Nachahmung nicht getan. Die Kämpfe in Ryse fühlen sich einfach nicht richtig an. Außerdem ist der QTE-Anteil des Gameplays so hoch, dass ich teilweise das Gefühl hatte, eher Rock Band oder Guitar Hero zu spielen. Da hilft dann auch das mehr oder weniger sinnfreie Upgrade-System der Fähigkeiten und die einfallslosen Auflockerungs-Sequenzen – bestehend aus konservativen Ballista-Baller-Einlagen, völlig wahllosen Strategieanweisungen an die Truppen und unglaublich steifen Vorrücken-Ducken-Zurückschießen-Vorrücken-Abschnitten – nichts mehr.
Noch viel schlimmer als das amateurhaft wirkende Kampfsystem ist das schreckliche Leveldesign. Das Spiel besteht komplett aus Schläuchen, die nur dann mal eine Alternativroute oder einen Abzweig anbieten, wenn es gilt, eines der langweiligen Collectibles zu verstecken. An sich habe ich überhaupt nichts gegen Schlauch-Level, sofern sie gut gemacht sind. Aber bei Ryse sind sie leider nicht gut gemacht. Die meiste Zeit läuft man wie auf Autopilot einfach geradeaus. Ständig wird der Spielfluss der Inszenierung geopfert, indem man dem Spieler immer wieder die Kontrolle über Marius entzieht, damit irgendetwas erzählt oder gezeigt werden kann. Ryse wirkt dadurch mehr wie ein Film als ein Spiel. Die Level sind zudem die meiste Zeit komplett von Umgebungsinteraktion befreit. Nur wenn es dem Designer passt, kann man mal sporadisch die eine oder andere Vase zertrümmern oder eine Belagerungsleiter umwerfen. Alles völlig inkonsequent und willkürlich verteilt. Auf jede zerstörbare Vase kommen hundert andere Gegenstände, die sich nicht einmal per Ballistabeschuss ankratzen lassen. Das zerstört jede Glaubwürdigkeit und Immersion und macht Ryse zu einer höchst sterilen Spielerfahrung. Nebenbei erinnert es in diesem Punkt frappieren an Crysis 3.
Habe ich die ca. 8 Stunden Spielzeit bereut? Nein, nicht komplett, denn Ryse sieht, wie schon erwähnt, grandios gut aus, erzählt mit viel Aufwand eine okaye Geschichte und ich habe es zudem für nur knapp über zehn Euro günstig erstanden. Spielerisch ist es jedoch eine komplette Nullnummer. Wäre die viel kritisierte kurze Spielzeit länger gewesen, wäre mir unter Garantie irgendwann der Kragen geplatzt.
Vergoldete Hundehaufen, bei denen man erst feststellt, was man da wirklich aufgehoben hat, wenn es schon zu spät ist, gibt es unter den sogenannten AAA-Spielen heutzutage viele. Da ist Ryse eigentlich kein Titel, über den man sich besonders echauffieren müsste. Das wirklich Traurige an Ryse und eigentlich allen Crytek-Spielen seit dem ersten Crysis, welches ich damals noch ganz gut fand, ist aber, dass die Crytek-Geschichte Anno 2004 richtig vielversprechend begann: Das erste Far Cry war ein Hammer! Es sah nicht nur unglaublich gut aus, sondern hatte auch eine überzeugende Spielmechanik, eine toll designte offene Spielwelt, eine sensationelle Physik-Engine und verfügte über eine bis heute fast unerreichte Gegner-KI. Und das von einem deutschen Entwickler! Ein fantastischer AAA-First-Person-Shooter aus Deutschland, dem Land, das in der Regel sonst nur Strategie-, Aufbau- und Managerspiele hervorbringt. Das freute mich und ich hegte große Sympathien für das Team der Yerlis. Aber dann konnte ich in den folgenden Jahren dabei zuschauen, wie jedes weitere Spiel von Crytek schlechter als das vorhergehende wurde. Spätestens mit Crysis 3 waren sie dann bei mir komplett unten durch. Die CryEngine ist nach wie vor eine der besten Engines am Markt, aber der ganze Rest, der eben auch zu einem guten Spiel dazugehört, wurde immer schlechter.
Ich weiß nicht, ob Cevat Yerli irgendwann schlicht beschlossen hat, dass der Michael Bay-Weg der Weg der Firma Crytek sein soll, oder ob er seine Firma selbst als deutsches Pendant zu id software begreift, also eher eine Engine-Schmiede, deren Spiele eigentlich nur als Showcase für die zu verkaufende Technologie dahinter dienen – was nebenbei bemerkt ein Klischee ist und meiner Meinung nach gar nicht zutrifft, weil ich alle id software-Spiele super finde (ja, sogar RAGE!). Jedenfalls macht mich die Entwicklung vom einstigen Hoffnungsträger der deutschen Videospielindustrie zum heutigen Produzenten von geistlosen und ärgerlich dummen Hochglanzspielen sehr traurig, wenn ich sie so Revue passieren lasse. Schöner Schyß, Crytek…
3 Kommentare
” (das Schicksal, dass früher oder später nahezu allen Exklusiv-Titeln von Microsoft widerfährt) ”
Ich warte immer noch sehnsüchtig auf gears of war 2-3½…….
Ich bin ja kein besonders großer GoW-Fan, habe aber auch nur den ersten Teil auf dem PC gespielt. Ich würde es wesentlich lieber sehen, wenn Epic UT/Unreal wiederbeleben würden (ja, ich weiß, dass da gerade dieses neue UT-Projekt mit einem Mini-Team entwickelt wird, bin diesbezüglich aber nicht besonders zuversichtlich). Für mich war das letzte gute Epic-Spiel Bulletstorm…
Übrigens Danke für den Hinweis auf einen übersehenen Rechtschreibfehler. ^^
Schöner Meinungsartikel, sehr anschaulich geschrieben :)
Und leider alles wahr, warum stellt Crytek nicht sowas wie einen Spieldesigner ein?