Ich habe ja eigentlich die Absicht, Artikel relativ aktuell zu verfassen. Also Reviews nah an den jeweiligen Releases, aber beim letzten Metal Gear war das einfach nicht möglich — zu groß ist MGS V: The Phantom Pain und zu viel Zeit musste ich investieren. Mittlerweile habe ich nach über 200 Stunden Gameplay 100% und alle Achiements erreicht und ich sehe mich langsam in der Lage, das Spiel beiseite zu legen und mich anderen Dingen zu widmen. Duschen zum Beispiel. Oder spoilerhaft zu schreiben. Am besten beides. Ach, verdammt, Fallout 4, Legacy of the Void und der Bloodborne-DLC sind auch noch da. Also schnell.
Wäre dies eine konventionelle Review mit einer Skala von 0 bis Sahnetorte, dann wäre alles andere unter einem Score im Bereich eines Zuckerschocks gelogen und einen Hinweis darauf habe ich schon im ersten Absatz geschrieben — ich habe ungefähr 200 Stunden unbezahlt, in meiner Freizeit und ohne berufliche Bindung mit MGS V verbracht. Nach dem Abspann habe ich nicht mehr mit demselben Eifer wie zu Beginn des Spiels gezockt, aber nach so vielen Stunden ist das auch normal. Würde ich sagen, dass MGS V gar nicht so gut sei, dann müsste ich mir ernsthafte Gedanken über meine Spielgewohnheiten machen und mir eine gewisse Portion Selbsthass unterstellen. Ich rede deshalb über die Spielzeit, weil ich glaube, dass man in MGS V sehr viel Zeit investieren kann und dabei leicht aus den Augen verliert, was so gut oder vielleicht sogar so herausragend gegenüber der Konkurrenz sein mag.
Ich würde jedenfalls so weit gehen und MGS V als eine kleine Revolution im Stealth-Bereich bezeichnen, die das Genre um das Open World-Erlebnis erweitert hat, ähnlich wie es das diesjährige Invisible Inc mit seinen Strategie-Elementen tat. Viele Gameplay-Mechaniken wurden natürlich nicht komplett neu erfunden, aber in einen sinnvollen Rahmen gepackt. Mein Vorzeigebeispiel sind die von mir oft erwähnten Ferngläser, mit denen sich Wachen markieren lassen und für die man sich bei jeder Mission einen Spähpunkt sucht. Ähnliches gab es schon in Far Cry oder Crysis, wirkte dort aber nie wie ein wesentlicher Bestandteil des Spiels. Ebenso wirkt sich in Phantom Pain wie in kaum einem anderen Spiel das Wetter und die Tageszeit dynamisch auf das Gameplay aus. In der Nacht sehen die Wachen merklich schlechter, weswegen sie sich mit Scheinwerfern aushelfen, die ich umgehen muss. Zwischen den Tageszeiten gibt es Wachablösungen. Sandstürme und Regen beeinträchtigen nicht nur die Seh-, sondern auch die Hörfähigkeiten. Natürlich gibt es Spiele mit Tag- und Nachtwechsel und natürlich kann man sich in vielen anderen Spielen in Schatten verstecken, aber mir will kein Spiel einfallen, welches die Wetterverhältnisse so konsequent in das Gameplay einbezieht. Dabei mag es keinen Anreiz geben, sämtliche Missionen am helllichten Tag zu absolvieren, wenn sich die Gegner nicht an die Spielweise des Spielers anpassen würden. Relativ spät im Spiel hatte ich Rauchgranaten verwendet, wodurch ich in den anschließenden Missionen zum ersten Mal Soldaten mit Gasmasken begegnet bin. Früh trugen die Soldaten wiederum Helme, weil ich sie mit Kopfschüssen aus meiner Betäubungswaffe einschläferte, und später Schutzwesten, weil ich wegen den Helmen Körpertreffer austeilte. Dazu kommt der absolute Perfektionismus, den Kojima Production technisch wieder vorlegen. Das gesamte Spiel wirkt lupenrein und ohne offensichtliche Mängel. Die KI-Gegner verhalten sich nachvollziehbar und mein Charakter bewegt sich sehr flüssig und direkt. Ich hätte mir nur eine Taste gewünscht, mir der ich manuell in Deckung gehen könnte wie bei Splinter Cell: Blacklist oder Deus Ex: Human Revolution. Die automatische Variante in MGS V konnte mitunter anstrengend werden.
Die Erweiterung um eine Open World hat mir sehr gut gefallen und wirkte auf mich wie die konsequente Fortführung bisheriger Metal Gear-Ableger, wie Snake Eater. Ich sehe durchaus noch mehr Potential in diesem Bereich, würden die Entwicklungskosten nicht so hoch ausfallen. So kann die reine Anreise zu meinem Missionsziel interessant gestaltet sein, was mich an Crysis erinnert und mir oft bei Sandbox-Spielen der Art GTA fehlt. Hier ist eine große Karte und dort ist ein Punkt — nun guck und entscheide selber, wie du dort hinkommst. In den neueren Ableger der GTA-Reihe wurde ein GPS implementiert, das mir den idealen Weg vorkaut und mir die Aufgabe abnimmt, selber meinen Weg zu bestimmen. In Phantom Pain bleibt die Anreise zu den Missionszielen interessant, weil Wachposten umgangen werden müssen, die anderes als die in Far Cry 2 nicht zu penetrant sind, während sich bei mir eine Vorfreude auf den nächsten Stützpunkt, den ich infiltrieren werde, entwickelt. Zugegeben, irgendwann war auch bei mir der Punkt erreicht, an dem ich versuchte, möglichst viele Laufwege mit dem Helikopter zu skippen und meine Neben-Missionen so zu legen, dass ich sie möglichst zeitsparend angehen kann, aber das kann bei einer dreistelligen Spielzeit passieren. Bei der Ankunft des jeweiligen Stützpunktes stehen mir mehrere Herangehensweisen offen und es bleibt mir überlassen, welche ich wähle. Ich erinnere mich gerne an den Nachschubaußenposten der Mission „Engel mit gebrochenen Flügeln“, in der ich einen Soldaten befreien musste. Ich vermied die bewachte Brücke und überquerte direkt den kleinen Fluss unter der Brücke, bestieg eine Bergwand und schlich mich seitlich in das Fort, während ich die Lichter eines Scheinwerfers während eines Sandsturms zerstörte. In einer anderen Neben-Mission musste ich wieder in dieses Fort eindringen und ich habe diesmal einen Pfad benutzt, der mich zu einem erhöhten Plateau führte, wodurch ich von oben eindringen konnte. Ich hatte gar nicht bemerkt, dass es sich um denselben Nachschubaußenposten handelte. Trotz der Open World ist das Leveldesign sehr detailreich und es gibt immer wieder Bergspalten, die man erklettern kann, oder kleine Schächte, durch die man krabbeln kann. Dabei ist zwar kaum eine Basis so komplex wie das Camp Omega aus Ground Zeroes, aber dafür sind sie alle relativ offen und bieten dem Spieler kleinere Ecken, in denen sich versteckte Schleichwege erkunden lassen. Das ist gut, weil ich mich als Spieler durch die Erkundung meiner Umgebung und der Belohnung durch einen versteckten Schacht oder ähnliches sehr smart fühle.
Als schönes Feature sehe ich auch den Tape-Recorder. In einem Schleicher gibt es sehr viele Ruhephasen und Wartezeiten, in denen man beispielsweise die Gegner beobachtet. Diese Ruhephasen gibt es in MGS V außerdem auch in der Open World zwischen den Stützpunkten. Deswegen macht es Sinn, den Spielern ein Tool zu geben, mit denen sie sich während den langsameren und uninteressanteren Parts beschäftigen können, indem sie sich Musik oder Gespräche zwischen den Charakteren anhören und somit die Möglichkeit haben, ihre Zeit etwas sinnvoller zu verbringen. Schade ist, dass die mitunter repetitiven Funksprüche von Miller und Ocelot über die Tape-Tonspur sprechen. Schön wäre es vielleicht auch gewesen, wenn man sich Making Off-Podcasts oder ähnliche Behind the Scenes-Aufhnahmen anhören könnte. Musikalisch haben mir die 80er Pop-Songs sehr gut gefallen, obwohl sie eigentlich nicht zu meinem persönlichen Musikgeschmack passen, aber dafür passen sie umso besser in das Setting um das Jahr 1984. „Take on Me“ hat es mir zum Beispiel angetan, obwohl oder gerade weil ich das Lied als Oldie-Schinken nie bewusst wahrgenommen habe. Ich mochte auch den eigenen Soundtrack von Ludvig Forssell, weil er seinen eigenen Stil hat und nicht wie der übliche Filmsoundtrack von Harry Gregson-Williams klingt. „Sins of the Father“ hatte mir nicht sonderlich gefallen, weil ich kein Fan von Donna Burke bin, aber dafür gefiel mir wiederum „Quiet’s Theme“ mit Stefanie Joosten, weil es diesen Aufbau hat.
Daneben gibt es so viele kleine Details, die ich sogar noch nach vielen Stunden entdecke und mitunter auch erst durch andere Spieler. Mit der Wasserpistole kann man Gegner elektrifizieren, wenn sie in der Nähe von Stromleitungen stehen. Die Gegner scheinen den Spieler wohl auch riechen können, wenn er längere Zeit nicht duschen war. Es gibt aber auch einige Kleinigkeiten, die ich mir noch zusätzlich gewünscht hätte. So scheinen die Funkgeräte der Gegner nicht mehr zerstörbar wie in MGS 2 und 3 zu sein. Ich denke es wäre auch schön gewesen, wenn man die Gegner zu bestimmten Funksprüchen zwingen könnte (z.B. „Suche abbrechen“) oder es überhaupt Möglichkeiten geben würde, die Funksprüche der Gegner zu stören oder generell mit ihnen interagieren zu können. Ich hätte mir auch gewünscht, dass es Konflikte zwischen den unterschiedlichen PMC’s geben würde. Dies hätte das Gameplay um neue Facetten erweitern können, weil sich damit neue Möglichkeiten ergeben. Versuche ich, einen Konflikt zwischen den Fraktionen zu provozieren und den Tumult für mich zu nutzen oder greife ich in einen bestehenden Konflikt ein? Die Spielwelt würde sich auch lebendiger anfühlen, obwohl mich die oft kritisierte Lebhaftigkeit, bzw. Unlebhaftigkeit von MGS V nicht stört. Es passiert in den Landschaften von MGS V nicht sonderlich viel, aber das hat mich nie gestört, weil ich in einem Metal Gear primär schleichen will und ich deswegen nichts anderes als feindliche Gegner und ihre Basen haben möchte. GTA V mag lebendiger wirken, blieb für mich aber größtenteils langweilige Kulisse und das brauche ich nicht und es würde auch nicht zum Spiel passen.
Das sind lediglich kleinere Wünsche, deren Ausbleiben mich aber nicht sonderlich stört. Dafür habe ich wiederum andere Punkte. Während mir die sogenannte Leblosigkeit der Open World egal war, hat mich die leere der Mother Base eher gestört. Die Mother Base kann wirklich sehr groß werden, aber es gibt leider kaum etwas zu entdecken. Mit dem Nebencharakter Paz gab es eine größere Überraschung und es gibt die Entwicklung des Battle Gears, aber ansonsten gibt es nichts auf der Mother Base und der erwähnte Battle Gear führt eigentlich auch zu nichts. Die Bosskämpfe sind eigentlich auch doof. Typisch für die Serie gibt es auch in MGS V wieder ein Sniper-Duell, welches aber nicht mit dem Bosskampf gegen The End aus Snake Eater heranreicht. Die anderen Kämpfe gegen die Gegner-Squads sind auch langweilig, weil es nur ums Ballern geht und alle anderen Metal Gear-Ableger mehr Varianz boten. Die Neben-Missionen taugen auch kaum etwas. Oder sie sind einfach zu zahlreich und zu ähnlich, um mich mit 150 Stück durchgehend zu unterhalten. Mir will immer noch nicht der Unterschied zwischen „Elimieren Sie die Panzereinheit“ und „Eliminieren Sie die Panzerfahrzeugeinheit“ einleuchten, aber von beiden gibt es ganze 14 Missionen, genauso wie die meisten anderen lediglich aus der Bergung von Soldaten bestehen. Es gibt kaum interessante Neben-Missionen, bis auf die ehemaligen Mother Base-Soldaten, die für die Side Quest um Paz notwendig sind. Peace Walker war da in der Hinsicht besser und bot abseits von den ganzen Vehiclen-Kämpfen abwechslungsreichere Nebenmissionen, wie Paparazzi, Ghost Photography oder Base Defense. In MGS V gibt es außerdem Tiere, die man optional einfangen kann und die notwendig für den 100%-Run sind, aber viele dieser Tiere kann man lediglich durch Fangkäfige einsammeln, da sie nicht im eigentlichen Spiel vorhanden sind. Die Locations dieser Tiere sind wiederum ohne Guide ein Akt der Unmöglichkeit, da es keine In Game-Hinweise gibt und man auf gut Glück die Fangkäfige platzieren muss. Beides, die Tiere und die Neben-Missionen, scheinen unter der hastigen Entwicklung gelitten zu haben.
Bekanntlich wurde Kojima Production scheinbar der Geldhahn zugedreht und das Spiel musste zügig abgeschlossen werden. Am stärksten finden sich die Einschnitte in der Handlung, worüber schon ausreichend in Form der fehlenden Mission 51 und dem Kapitel 3 berichtet wurde. Der Einschnitt ist auch kaum zu übersehen, weil sich die Handlung im zweiten Kapitel unvollständig anfühlt und recycelte Missionen scheinbar als Füllmaterial verwendet wurden. Damit meine ich nicht nur die Handlungsbögen, die nicht aufgelöst werden, wie bei Eli und dem Third Child. Das zweite Kapitel heißt Race, aber eigentlich wird das Thema nicht aufgegriffen. Ein Verräter befindet sich in der Mother Base und Plakate mit „Big Boss is watching you“ hängen in der Basis, aber es gibt keine spürbaren Änderungen innerhalb der Mother Base oder des Gameplays. Man spürt nichts von diesem Druck und der Angst, die Diamond Dogs würden von innen aufgefressen werden.
Dabei gibt es durchaus starke Momente und ich meine behaupten zu können, dass man hier einige kleine Silent Hill-Elemente erkennen kann. Dazu gehört der markante Nebel, wie bei dem Tal, welches zum House of the Devil führt und durch den Nebel und der Enge, die im Kontrast zur übrigen Open World steht, ein beklemmendes Gefühl aufkommen lässt, welches mich an Apokalypse Now erinnerte. Das folgende Industrie-Gebiet steht leer und durch eine Blutspur wird man in das Innere des bizarren House of the Devil geführt. Die besessenen Soldaten mit ihren ruckartigen und schnellen Bewegungen könnten wiederum direkt aus einem asiatischen Horror-Film stammen. Die Prolog-Mission und die Quarantäne-Zone der Mother Base waren ebenso stark inszeniert und man merkt dabei, dass dem Spieler eine lineare Spielweise aufgedrängt wird, was aber wiederum diese Inszenierung ermöglicht und im Rahmen durchaus machbar ist. Es hätte gerne mehr dieser Momente geben können.
Ich halte es aber auch schwer zu erkennen, wo die erforderlichen Einschnitte anfangen und wo möglicherweise bewusst Content ausgelassen oder nicht erzählt wurde. Viele Fans sind enttäuscht von MGS V, weil sie mehr erwartet haben und nicht „alles“ bekommen haben. Es fehlen Szenen, die in den Trailern gezeigt wurden und im Spiel nicht auftauchen. Sie haben das Gefühl, dass etwas fehlt und ich kenne dieses Gefühl. MGS V ist wirklich nicht vollständig. Mit jedem Trailer kamen ganz neue Erwartungen auf und die Vorfreude stieg — das Ding muss der Wahnsinn werden. Nun ist MGS V erschienen und ich frage mich, wie das fertige Spiel ausgesehen hätte — wie wahnsinnig hätte das werden können. Ich merke dann, dass ich etwas spüre, das nicht da ist. So etwas wie einen eigenen Phantomschmerz. Und ich denke, das ist das großartigste, was ein Spiel mit dem Untertitel „Phantom Pain“ machen könnte. Sicherlich nicht aus der reinen Unterhaltungsperspektive, in der lediglich versucht wird die Bedürfnisse der Fanboys zu befriedigen, sondern eher wie MGS 2 — Sons of Liberty eine Handlung über die Kontrolle der Informationsgesellschaft im digitalen Zeitalter erzählt und exemplarisch die Spieler, besonders die Fanboys, belog und betrog, indem es nicht nur deren Erwartungshaltung zertrümmerte, sondern auch die eigene Lore. Ob dies das Tabu gewesen wäre, welches Kojima brechen wollte und den Leuten so missfallen könnte, dass er die Industrie verlassen müsste? Ich weiß es nicht. Zumindest könnte man damit das abrupte Ende erklären. Dennoch kann man dabei die offensichtlichen Schwachpunkte der Erzählung nicht wegreden.
Zunächst ist es wiederum interessant, wie die Handlung von MGS V gegenüber seinen Vorgängern erzählt wird. Bekanntlich waren die vorherigen Metal Gear-Ableger immer sehr filmisch inszeniert und wirkten dementsprechend wie ein vollständiger Film in Überlänge. The Phantom Pain ist in der Hinsicht anders, indem es eher wie eine TV-Serie präsentiert wird. Jede Mission startet mit Credits (die leider mitunter zu viel vorweg nehmen). Die eigentliche Mission ist das Fleisch der Episode und es gibt immer so etwas wie einen Abspann in Form eines Epilogs. Dieser Abspann ist wie ein mysteriöser Cliffhanger, ein kleiner Teaser auf die nächste Episode, der Interesse an der Rahmenhandlung wecken soll. Ebenso hat auch der gesamte Cast in der Mother Base eine ähnliche Dynamik wie die Charaktere einer Serie. Wenn man zur Mother Base zurückkehrt, passiert meistens etwas mit den Charakteren und deren Beziehungen zueinander. Weil MGS V aber primär ein Spiel ist und seinem Gameplay folgt, welches die Cutscenes überdauert, passieren bei den Charakteren oft keine einschneidenden Veränderungen und es wirkt oft so, als würden sie auf der Stelle treten. Das war bei den vorherigen Ablegern anders, weil das Gameplay stringenter war. Davon abgesehen mag ich nicht beurteilen, ob dieser Episoden-orientierte Ansatz besser ist, als die filmische Inszenierung der Vorgänger, aber mir hat es prinzipiell gefallen, weil es eben anders als seine Vorgänger ist und in der Art abseits von den „In the next Episode of…“-Zwischensequenzen eines Deadly Premonition oder Alan Wake bisher nicht umgesetzt wurde.
Von den Charakteren an sich hat mir Huey sehr gut gefallen. In Peace Walker hatte er sich kaum von seinem Sohn Otakon unterschieden und er wirkte lediglich wie die ältere Version, die in einem Rollstuhl sitzt. In Phantom Pain wird mit dieser Erwartungshaltung gespielt und Huey ist nicht mehr der nette Entwickler, den man als Spieler rein aus Tradition erwartet. Die aggressive Haltung ihm gegenüber kam mir anfangs sehr überzogen vor, aber irgendwann haben sich die Hinweise zu sehr verdichtet und als er ohne Zweifel den Tod vieler meiner Soldaten verschuldet hat, schien jegliche Folter gerechtfertigt zu sein. Sein Sprecher, Christopher Randolph, liefert dabei eine starke Performance ab. Ich weiß nicht mehr den genauen Wortlaut, aber der Part um „You’re all alone, just like me“ war sehr stark.
Ähnlich stark fand ich auch Skull Face. Ich habe ihn gerne bei den Zwischensequenzen gesehen und einige Tapes mit ihm waren auch sehr gut. James Horan, als sein Sprecher, konnte mitunter einen herrlichen Bösewicht darstellen.
Völlig abgesehen von der häufigen Sexualisierung hatte mir auch Quiet sehr gut gefallen. Sie ist ein sehr starker Charakter, der als knallharter Badass in Form einer Mega-Killer-Scharfschützin präsentiert wird. Es ist schade, dass sie fast nackt herumlaufen muss und es viel zu viel japanischen Fan-Service gibt. Wenn es unbedingt sexy sein muss, dann hätte man dies auch weniger plump umsetzen können, wie etwa mit dem zugeknöpfteren Outfit zu Beginn des Spiels. In ihrer letzten Mission, in der sie und der Spieler sich gegen die russische Infanterie verteidigen müssen, wird zum Schluss nochmal schön das Thema um Rache und dessen Spiralwirkung aufgegriffen. Da sie viele russische Soldaten getötet hat, führen die Russen einen Rache-Krieg gegen sie und damit den Spieler. Die Ironie ist, dass dies für lange Zeit derselbe Antrieb für den Spieler gewesen ist.
Miller und Ocelot waren größtenteils am uninteressantesten und es ist eher ihre gespiegelte Beziehung zueinander, die hervorsticht. Miller wird aus Abscheu vor Big Boss zu einem Ausbilder vom Klon Solid Snake, während Ocelot eine Beziehung zu dem anderen Klon aufrechterhalten wird.
Den Twist um Big Boss fand ich wiederum großartig. Hier die Auflösung für jeden, der sich gerne Spoilern lässt: In der vorletzten, storyrelevanten Mission erfahren wir, dass wir gar nicht den echten Big Boss gespielt haben, sondern ein Double, dessen Erinnerungen und Äußeres verändert wurden. Es handelt sich um den Medic aus Ground Zeroes, der zu einem der besten Söldner von Big Boss’ Armee zählte und sich zwischen Big Boss und einer C4-Explosion warf. The Phantom Pain zeigt damit nicht den Abstieg von Big Boss zum bösen Dämonen, aber das ist eigentlich auch nicht nötig. Es gibt bereits zwei, bzw. drei Spiele, die die Vorgeschichte zu den Serien-Anfängen erzählen und schon versucht haben, die Entwicklung von Big Boss zu zeigen. Wir wissen eigentlich schon alles, was wir wissen sollten. In Peace Walker baute er schon nukleare Waffen und rekrutierte mit Chico einen Kindersoldaten, aber weil wir dort in seine Rolle schlüpften und er unser spielbarer Avatar war, sahen wir ihn als Helden. In MGS V benutzt er ein Double, stiehlt dessen Identität und opfert ihn gegebenenfalls sogar. Der Twist ist deshalb so gut, weil auch die Spieler verraten werden.
Dabei gibt es durchaus kleinere Hinweise im Spiel. Offensichtlich ist Eli der Klon Liquid, aber der Bluttest stimmt nicht überein. Die Beziehung zu Paz wird logischer, weil der Medic vermutlich unter den Schuldgefühlen leidet, die zweite Bombe nicht gefunden zu haben und sie möglicherweise auch nur als Engel des Friedens und nicht als Doppel-Agent kennen gelernt hat. Vor allem erklärt dies Big Boss’ passiveres Verhalten. Dieser Big Boss ist weniger eloquent als das Original, das sich in Peace Walker augenzwinkernd als Hobby-Fotograph ausgab und an den Weihnachtsmann glaubt. Er fühlt sich weniger „in charge“ an, weil er lediglich der Doppelgänger des legendären Söldners ist. Schon im Prolog wird er von dem mysteriösen Ishmael durch das Level geschubst, der wiederum mehr Autorität beweist.
Die Cutscene, in der wir die Wahrheit über Venom Snake erfahren, ist durchaus stark. Dieser Medic ist ähnlich wie Raiden aus Sons of Liberty ein Platzhalter für den Spieler. Wir erstellen einen Charakter und geben einen (möglicherweise unseren eigenen) Namen und Geburtstag ein. In dieser Cutscene wird nicht nur der Medic offiziell zum Big Boss erklärt, sondern auch wir, die Spieler, sind Big Boss. Wir haben die Reihe groß gemacht und sie über Jahre unterstützt — “thanks to you, I’ve left my mark. Where we are today? We built it. This story — this ‘legend’ — it’s ours”. Im nächsten Moment schiebt unser Big Boss eine Kassette mit der Aufschritt Operation Intrude N313 in einen MSX-Computer. Operation Intrude N313 war der Name der Mission aus dem ersten Metal Gear, welches 1987 für den MSX-II erschienen ist. Der Moment fühlt sich außerdem wie eine Übergabe an. Kojima wollte die Reihe schon immer abgeben und hat dies bisher aus unterschiedlichen Gründen nicht getan. Nun wissen wir, dass MGS V sein letztes Metal Gear geworden ist und wenn Big Boss sein Vermächtnis mit dem Medic teilt, dann ist es auch Kojima, der seine Reihe abgibt.
Leider gibt es tatsächlich nicht viel, was ich zusätzlich über die Handlung schreiben könnte und da komme ich auf die erwähnten Mängel selbiger zu sprechen. Ähnlich wie der unmittelbare Vorgänger Peace Walker geht The Phantom Pain sehr direkt mit seinen Themen um, da Kojima offenbar auch mehr Spaß am Game Design gefunden hat und die Chance hatte, seine große Vision eines Stealth Games zu realisieren. Im ersten Kapitel haben wir die Charaktere, die von ihrer Rache angetrieben werden. Der große Payoff bleibt aus und es gibt keinen Showdown mit dem Bösewicht Skull Face. Rache führt zu keinem befriedigenden Ende und sie kann sogar Menschen verzehren. Nachdem Skull Face verschwunden ist, brauchen die Diamond Dogs ein neues Ziel für ihre Wut und verlieren sogar ihr gegenseitiges Vertrauen, weil sie einen Verräter vermuten. Aber von diesen Anspannungen spürt man, wie schon erwähnt, nichts, weil das zweite Kapitel „Race” unterentwickelt ist und größtenteils aus bisherigen Missionen mit einigen Modifikationen besteht. Das Writing hat unübersehbar unter dem abrupten Entwicklungsende gelitten oder Kojima hat den Anschluss zu seinen besten Zeiten verloren. Zu dünn wirkt die Aufarbeitung der Themen. Parasiten sind als erzählerische Deus Ex Machina die neuen Nanomaschinen geworden. Der Twist um die Identität von Venom Snake kommt zu plötzlich, da es keinen Aufbau gibt. Es gibt zu viele kleinere Ärgernisse, wie eine Quiet, die nicht auf non-verbale Art kommunizieren will. Immerhin hat es Jahre gedauert, bis die Genialitäten von Sons of Liberty entdeckt wurden und ich muss auch zugeben, dass ich das Spiel früher nicht richtig einordnen konnte. Vielleicht ist The Phantom Pain ein ähnlicher Fall und in einigen Jahren wird man ganz anders über MGS V denken, aber ich persönlich halte das für sehr unwahrscheinlich.
Hätte es eine Möglichkeit gegeben, MGS V zu retten und vollständig veröffentlichen zu können? Ich vermute, dies hätte durch eine alternative Veröffentlichung möglich sein können und man hätte MGS V aufteilen und nach der Serien-Erzählung in Staffeln veröffentlichen können. Jedes Kapitel wäre eine Staffel gewesen, die ein zentrales Thema und eine Teilhandlung innerhalb der Gesamthandlung hätte. MGS V ist nämlich so groß geworden, dass es vermutlich niemanden stören würde, wenn es nur mit dem Prolog und dem ersten Kapitel erschienen wäre. Die Spielzeit schätze ich auf 20 bis 50 oder sogar 70 Stunden. Das erste Kapitel hat für sich eigentlich auch ein sauberes Ende. Zwischen den veröffentlichten Staffeln hätten die Spieler Zeit gehabt, um ihre Mother Base weiter auszubauen und in den FOB-Missionen gegen andere Spieler anzutreten, um damit eigene Geschichten zu erzählen und die Bindung an die Basen zu stärken. Dadurch hätten Events wie der Parasitenbefall der eigenen Mannschaft oder die Suche nach dem Verräter eine persönlichere Bedeutung bekommen. Aktuell läuft sogar ein Event, in der sämtliche nuklearen Waffen aller Spieler gejagt und entsorgt werden, um das Ende über die nukleare Abrüstung zu erspielen. Ein Problem könnte der Druck sein, mit jedem Teil neuen Content in Form von neuen Levels veröffentlichen zu müssen. Dann wiederum die Frage, wie lange sich das Gesamtprojekt MGS V noch hinziehen müsste und ob Konami, die ihre Stärken mittlerweile ganz woanders sehen, Interesse an diesem Projekt hätten. Denn mittlerweile scheint ihnen auch mehr daran gelegen zu sein, ihre Franchises und den Ruf ihrer Top-Entwickler in Grund und Boden zu rammen.
“I haven’t forgotten what you told me Boss. We have no tomorrow, but there is still hope for the future. In our struggle to survive the present, we push the future further away. Will I see it in my lifetime? Probably not. Which means there is no time to waste. Some day the world will no longer need us, no need for the gun or the hand to pull the trigger. I have to drag out this demon inside me and build a better future. That’s what I … heh … what we will leave as our legacy. Another mission, right Boss?”
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