Volker ist an allem schuld. Er und sein Text über Demon’s Souls, in dem er die Faszination dieses Spiels wunderbar zusammenfasst. Bei vielen Sätzen konnte ich nicht anders, als zustimmend zu nicken, außer bei einem: “Demon’s Souls ist schlicht das bessere der beiden RPGs”. An dieser Stelle ging meine innere Alarmglocke los, Nackenhaare richteten sich auf, wenige Sekunden später tat ich es ihnen gleich und tobte durchs Zimmer. Mein Körper gab mir unmissverständlich zu verstehen, dass er mit diesem einen Satz nicht einverstanden ist. Aber so sind Fans eben. In der Hoffnung bei Volker eine ähnliche Reaktion herbeizuführen, sei für den Anfang nur so viel gesagt: Dark Souls ist schlicht das bessere RPG. So!
Jeder, der schon einmal mit Dark Souls in Berührung kam, kennt das: Zu Beginn hat man keine Ahnung, was zu tun ist, man übersieht die rettende Tür beim Tutorialboss, danach schlägt man grundsätzlich erst mal den falschen Weg ein und lässt sich auf dem Friedhof von viel zu starken Skeletten ungespitzt in den Boden rammen. Später wird’s dann besser. Man versteht die Regeln dieses Spiels und was es von einem verlangt: Respekt, Planung und Vorsicht. Erste Erfolge schließen sich an. Der Taurusdämon auf den Zinnen fällt sehr schnell, weil man sich die Umgebung und den Sprungangriff zunutze macht. Das war schon fast zu einfach, denkt man sich und lacht innerlich über die ganzen Heulsusen. Dann heult man selber, da die Gargoyles auch im zwanzigsten Versuch partout nicht klein bei geben wollen. Irgendwann klappt’s dann doch. Arme werden hochgerissen und das Gamepad, das sich ob des darauf befindlichen Schweißfilms eher nach einem Stück Seife als nach Billigplastik anfühlt, segelt durch die Luft und trägt beim Kontakt mit dem Fußboden irreparable Schäden davon.
An diesem Punkt war ich vor ungefähr 170 Spielstunden. Ich habe Dark Souls nicht nur einmal durchgespielt, sondern gleich sechsmal. Das New Game Plus und neue Charaktere lockten. Aber schon bald musste ich feststellen: So grandios wie im ersten Durchgang, als unbelesenes Opferlamm, wird es wohl nie wieder. Das anfängliche Ungleichgewicht hatte sich zu meinen Gunsten verschoben. Dark Souls bot kaum noch Geheimnisse und Gemeinheiten, auf die ich nicht vorbereitet war. Die Abkürzung nach Blighttown ist da nur ein Beispiel. Bei der ersten Begegnung mit Seath einen Ring der Opferung dabeizuhaben, um keine Seelen zu verlieren, ein anderes. Schon im zweiten Durchgang legte ich mich nur mit ausgesuchten Gegnern an, im dritten ließ ich viele sogar komplett links liegen. Stunde um Stunde löste sich der Wissensvorteil Dark Souls‘ gegenüber mir in Luft auf. Bis auf ein klitzekleines Geheimnis.
Ich irrte damals durch den Darkroot Garden, ein finsteres Waldstück relativ früh im Spiel. Ich hatte mich verirrt und Baumwesen trachteten mir nach meinem kümmerlichen Restleben. Heiltränke waren natürlich längst aufgebraucht. Einzig die Turmruine am Horizont versprach Rettung, oder eben einen noch schmerzhafteren Tod – wir sind hier schließlich bei Dark Souls, machen wir uns nichts vor. Stattdessen traf ich dort auf eine fette, sprechende Katze. Alles war vollkommen still, so als ob sich die Baumwesen nicht in die Ruine trauten. Nach einem kurzen Plausch überließ mir die Katze einen Ring und hieß mich im Bund der Forest Hunter willkommen. Oh-kaaay. Ich legte also den Ring an und zuckte mit den Schultern als nichts passierte. Egal, weiter geht’s. Einige Spielstunden später – ich befand mich längst an einem anderen Ort innerhalb der Spielwelt – wurde ich plötzlich zurück in den Wald teleportiert. Dieses Mal griff mich niemand an. Niemand bis auf einen anderen Spieler, dessen Ausrüstung mir zu verstehen gab, dass er mir viele Spielstunden voraus war. Also ran an den Spe- tot! Ein Schlag genügte und ich wachte am letzten Leuchtfeuer auf. Ich ärgerte mich nicht weiter darüber. Damals überwog die Faszination mit anderen Spielern direkt kämpfen zu können. Stattdessen formten sich Fragen in meinem Kopf. Was war hier gerade geschehen? Warum? Wie?! Was mir damals noch nicht bewusst war: Der Ring sollte meine Eintrittskarte in ein völlig anderes Dark Souls sein.
Ein Dark Souls, in dem es nicht darum geht den nächstgrößeren Boss zu besiegen. Stattdessen eröffnete sich mir ein Spiel im Spiel. Das letzte große Geheimnis in Dark Souls: PvP. Ich stolperte da einfach rein und verfing mich sofort in der Faszination. Jene Begegnung mit einem anderen Spieler war nur ein Vorgeschmack auf das, was da noch kommen sollte. Es war mehr als nur ein ungewöhnlicher Onlinemodus. Das war Rollenspiel in Reinkultur.
Neun Bünde existieren im Spiel, jeder setzt den Fokus ein wenig anders, wenn es um Multiplayer geht und ist maßgebend dafür, ob und wie Spieler miteinander interagieren. Als Forest Hunter beschützte ich für mehrere Wochen den Wald vor Eindringlingen. Dann war ich Mitglied beim Way of Light und den Warriors of Sunlight und griff anderen Spielern bei Bosskämpfen unter die Arme. Später war ich als Darkwraith oder Drachenjünger hinter der Menschlichkeit oder Drachenschuppen meiner Opfer her. Das ergibt nicht nur ein relativ komplexes Fraktionssystem, sondern einen komplett optionalen Mikrokosmos, der einzig und allein durch das Engagement der Spieler am Leben erhalten wird. Dieses eigentlich großartige Prinzip scheiterte jedoch am launischen Netzcode von Dark Souls. Erst ein späterer Patch schuf Abhilfe, die längst nicht mehr nötig war.
In der Zwischenzeit machte nämlich die Spielerschaft aus der Not eine Tugend und ließ die PvP-Szene regelrecht aufblühen. Über Monate hinweg entschlüsselte die Community all die Variablen und Abhängigkeiten, die darüber bestimmen wie und wann ein Onlinespiel in Dark Souls zustande kommen kann. Wie groß darf die Leveldifferenz zwischen zwei Charakteren sein? Welche Bünde bieten sich für Duelle an? Wo sind die besten Orte für Zweikämpfe? Als der Patch schließlich kam, hatte sich längst eine eigene verschworene Szene gebildet: die Fight Clubs.
Dort gibt es nur eine Regel: Respekt vor dem Gegner. Allein daraus leitet sich ein eigener Verhaltenskodex ab, den so gut wie jedes Mitglied beherzigt. Erstens: Eine Verbeugung oder Begrüßung vor dem Duell ist Pflicht. Zweitens: Warte bis der Gegner seine Vorbereitungen (Kräuter und Waffenverzauberungen) abgeschlossen hat. Drittens: Heiltränke gehören sich nicht. Daran hat sich bis heute nichts geändert. Es ist wahrlich ein kleines Stück Arbeit dort Anschluss zu finden. Immerhin findet man bevorzugt mit Level 100 bzw. 120 zueinander. Fragt nicht warum, es hat sich einfach so durchgesetzt. Also will ein darauf abgestimmter Build entworfen werden, mehr noch: Plötzlich ist man mit ganz anderen Problemen als im eigentlichen Spiel konfrontiert. Man beginnt sich mit optimalen Winkeln für einen erfolgreichen Backstab zu befassen oder achtet penibel darauf, unter 25% der maximalen Tragfähigkeit zu bleiben, um ja die größtmögliche Bewegungsfreiheit zu haben. Und wo bekommt man eigentlich schnell und einfach dieses Ausdauerkraut her, das so eine Art legales Doping in der Szene ist?
All die Zahlenspielereien haben sich am Ende bezahlt gemacht. Mittlerweile besitze ich drei Charaktere, die ich nur für diese Fight Clubs hochgezüchtet habe. Mit Builds und Ausrüstungen, die für das ursprüngliche Dark Souls größtenteils unbrauchbar sind (“Zwei Sicheln statt Schwert und Schild – ist der denn bescheuert?”). Tatsächlich gibt es in den Fight Clubs aber keinen Build, den es nicht gibt. Vom schwer gepanzerten 0815-Ritter samt Zweihänder, bis zu nackten Avataren, die einem nur mit Bogen bewaffnet das Leben zur Hölle machen. Alles ist vertreten und erlaubt. Diese Vielfalt zieht mich persönlich immer wieder in die geheimen Arenen zurück. Dort stehe ich dann mit meiner Spielfigur herum und warte auf Gegner oder lasse mich gleich selbst beschwören. Pikanterweise liegt die durch DLC hinzugekommene Arena brach, während die von Spielern organisierten Kämpfe florieren. Es ist eine kleine Parallelgesellschaft, die sich in der Nische des Programms eingenistet hat und dort rund um die Uhr ehrenhafte Zweikämpfe austrägt.
Gerade dort ergibt die gerne für den Offline-Modus benutzte Phrase plötzlich Sinn: Jeder Kampf ist ein Bosskampf. Jeder Kontrahent will studiert werden. Aber es ist nicht nur das, was mich so an die Onlinekomponente fesselt. Es ist vor allem auch die Herzlichkeit der Community dieser geheimen Fight Clubs. Man kann zum fünften Mal in Folge auf Blackknight666 treffen, der genauso aussieht und zuschlägt, wie sein Name vermuten lässt. Man kann schimpfen und toben, wenn man zum sechsten Mal unterliegt und dann wieder mit diesem Typen zusammengewürfelt wird, der vermutlich cheatet und die bessere Internetverbindung hat und generell hellsehen kann und überhaupt und sowieso. Dann tanzt man zum siebten Mal diesen Todestanz mit ihm. Jetzt ist man vorsichtiger, Blackknight666 kommt diesmal gehörig ins Schwitzen. Am Ende verliert man aber doch. Er ist einfach besser. Und gerade wenn man sich vor Schande verkriechen möchte, trudelt eine Nachricht von ihm ein: “great duel! keep it up buddy (:”
Und spätestens dann weiß ich wieder: Dark Souls ist mehr als nur das bessere RPG.
4 Kommentare
Verdammt. Ich bin offenbar ein äußerst unehrenhafter Zocker. Ich hab einmal einen umgemacht, als er sich verbeugt hat :) Aber die erwähnte Stelle ist zum PvPen immer noch die Beste. Vor allem, wenn man zu zweit ahnungslose N00bs durch den Wald jagd und so lange bekämpft, bis sie freiwillig den nahen Abgrund hinunterspringen. Bei näherer Betrachtung hab ich das zwar auch schon das eine oder andere Mal gemacht, aber das war.. was anderes!
Zivilisierter wird’s dann in der Undead Burg (wo der Drache das erste Mal landet) und dem kleinen Platz nach dem Kampf mit Artorias. Der Wald ist eher so der Wilde Westen in Dark Souls, aber ungeschlagen wenn es darum geht an Seelen zu kommen!
Wieder was gelernt – da war ich noch gar nie. Allerdings hab ich bislang auch keinen Char gezielt auf PvP gelevelt, sondern bin meist mit meinem Lvl 120er losgezogen, der ja nach zwei kompletten Durchläufen schon ganz gut ausgestattet ist. Verdammt, sollte ich nun wirklich nochmal mit “Dark Souls”.. hm..