Erzählen in Spielen ist immer eine anstrengende Sache. Meistens endet das Ganze recht bumsblöd. Vor allem Open-World/Semi-Open-World Titel leiden darunter, dass maximale Freiheit und eine stringente Erzählung sich doch leider (meist) ausschließen. „Dein Vater ist entführt. Bitte reinige die Kanalisation vom Mutantenschleim.“
Eine Möglichkeit besteht darin, die Geschichte in einigen wenigen Brocken nach und nach zu veröffentlichen und dabei genug Raum für die eigene Imagination zu lassen. Eine Taktik, der sich die Souls-Reihe bis zum Erbrechen bedient hat. Zwar macht das das Spiel nicht unbedingt tiefgründiger, sorgt aber meist für eine stringenteres World-Building.
Mit diesem Mittel schaffte es Dishonored seinerzeit, eine interessante Welt zu gestalten, in der die einzelnen Details in Tagebüchern, belauschten Gesprächen etc. nur angedeutet wurden – soweit sie fürs Vorankommen nicht unbedingt erforderlich waren. Wer wollte, konnte den ganzen Quatsch links liegen lassen und sich aufs Schleichen oder heimliches Metzeln konzentrieren. Alle anderen verstanden die Genese und Abgründe dieser dunklen, viktorianischen Stadt, die Hauptstadt der bekannten (?) Welt war und von einer seltsamen Rattenpest heimgesucht wurde, und die gleichzeitig Spielplatz mehrerer politischer Intrigen und Verschwörungen war.
Das Design dieser Welt war geprägt vom technologischem Fortschritt – Container mit Walöl betrieben elektrifizierte Laserschranken und raketenbewehrte Wachtürme – und dem verbotenen Glauben an eine dunkle Gestalt, die in Träumen des Protagonisten aus dem „Void“ sprach.
Dank der Anwerbung des Art-Directors von Valve sah die Welt von Dishonored 1 über weite Teile wie die steampunkige Version einer Combine-Besatzung aus.
In dieser Version eines viktorianischen Englands musste der „Royal Protector“ Corvo Attano seine Unschuld beweisen, wurde er doch zu Unrecht des Mordes an der Königin beschuldigt. Im Laufe der Handlung stürzte er mit einer kleinen Verschwörertruppe, den „Loyalisten“, den kommissarischen Usurpator vom Thron um die kleine Emely, Tochter der Königin, auf den Thron zu setzen.
Vorspulen zum zweiten Teil: 15 Jahre sind vergangen, die Erbin sitzt auf dem Thron, und wird natürlich von ihrem Vater, der passenderweise auch gleich ihr Leibwächter (und Protagonist des ersten Teils) ist, in der Kunst des Prügelns und Schleichens unterwiesen. Beides Fähigkeiten, die sie gut beherrscht; findet sie das Leben als Königin doch ziemlich langweilig. Außerdem hat man als Chefin ja auch das Recht, die Freizeitgestaltung etwas großzügiger zu planen als der gemeine Plebs.
Das ruhige Leben aus sich-vor-der-Politik-drücken und über Dächer schleichen ändert sich aber recht schnell. Ein Staatsstreich findet statt, und innerhalb weniger Minuten ist sie gezwungen, Haus und Hof zu verlassen und in Richtung Süden nach zu fliehen.
Besagter Staatsstreich dauert ungefähr fünf Minuten. Die „neue“ Monarchin (die im ersten Teil von Dishonored erst in dem DLC auftauchte) marschiert geradewegs in den Thronsaal und schmeißt die alte Regentin aus.
Im ersten Teil sah der Machtwechsel noch so aus, dass militärische, kirchliche und finanzielle Unterstützer beseitigt, sowie eine Mehrheit im Parlament sichergestellt werden musste.
Die neue Königin ermordet lediglich medienwirksam einige bekannte Kritiker der überforderten Monarchin und nimmt mehr oder weniger im Vorbeigehen den Thron mit. Nennenswerten Widerstand aus Heer und Stadtwache scheint es nicht zu geben (Mehr oder weniger die halbe Leibgarde macht mit. Hm). Man muss ja jetzt nicht unbedingt ein Game-of-Thrones-mäßiges Ränkespiel abfackeln, aber ein bisschen mehr, nun ja, Machtkampf (mit Betonung auf Kampf) wäre ganz nett gewesen. Das Gefühl, eine gestürzte Monarchin zu sein, stellt sich nicht wirklich ein.
Nennenswerte Hilfe erhält die Gute auch im weiterem Verlauf nicht.
Die Unterstützer der frisch vom Thron befreiten Mittzwanzigerin belaufen sich im Wesentlichen auf einen altersschwachen Erfinder und eine einarmige Schiffskapitänin. Man könnte meinen, eine gestürzte Kaiserin – oder ihr Leibwächter-Papa, die Kampagne kann man nämlich jeweils mit beiden Figuren bestreiten – hätte mehr Freunde gehabt.
Andererseits: sonderlich warm wird man mit der guten Emely auch nicht. Im Gegenteil, je länger das Spiel fortschreitet, desto unsympathischer wird sie. Offenbar hatte die Gute nicht nur keinen Bock aufs Regieren, sondern auch keine Lust, das Elend in ihrem Reich zu verhindern. Der bösartige Regionalfürst von Serkonos, der das Proletariat in den Minen verheizt, war ja nicht erst seit gestern an der Macht.
Die große „Erkenntnis“, dass sich etwas ändern müsste, wirkt daher ziemlich aufgesetzt, vor allem, weil ihre Unterstützer ihr das ganze durch ihre Unlust am Regieren verursachte Elend offenbar auch nicht wirklich übel nehmen. Vollends ärgerlich wird es, wenn in diesem Kontext was von „Leben am Hof ist auch kein Zuckerschlecken“ kommt. Ja, steife Tischregeln kann man schon mit Draufgehen im Bergwerk vergleichen. Der ganze Handlungsbogen hat den unangenehmen Beigeschmack von Elendstouristen, die erst im Slum in Dahka begreifen, dass das alles ein „ganz ganz schwieriges Thema“ ist.
Die einzige Figur, die so etwas wie eine charakterlich nachvollziehbare Wandlung durchmacht, ist der altersmüde Erfinder aus dem ersten Teil. War er früher noch ein arroganter Soziopath, bereut er seine Taten und versucht verzweifelt, so etwas wie Erlösung zu finden. Die gewandelten Motive erfährt der Spieler aber auch nur, wenn er das „Heart“ – die hm, Gedankenlesmaschine (?) – aus dem ersten Teil verwendet. Generell ist die Figurenzeichnung nicht so dicht wie im Erstlingswerk. Waren die Loyalisten dort zwar ein amoralischer und bösartiger Haufen, so handelten sie doch alle nach nachvollziehbaren Motiven. Auch die gute Charakterzeichnung des Protagonisten des Knife of Dunwall-DLC schafft der zweite Teil nicht.
Die Guten sind die Guten, während die Bösen klar die Bösen sind. Zwar hat man versucht, der neuen Königin so etwas wie ein Motiv für ihre Taten anzudichten, allerdings zerfällt das ziemlich schnell angesichts der Leichenberge, die sie um einen herum auftürmt.
Der wahnsinnige Erfinder ist böse, weil er ein diabolisches Genie zu sein hat, und der Regionalfürst (der übrigens ganz famos von Vicent D’Onofrio gesprochen wird) ist das Abziehbild eines verzogenen Bengels.
Überhaupt hat man als Spieler die ganze Zeit das Gefühl, dass die Entwickler ziemlich ambitioniert zu Werke gegangen sind, aber letztlich doch entweder zeitlich nicht fertig geworden sind oder einfach nicht genau wussten, wie man die eigentlich gute Ausgangsidee für die Fortsetzung richtig umsetzen kann.
Und so erlagen sie der Versuchung, Dinge zu entschlüsseln und aufzudecken, bei denen das nicht unbedingt notwendig gewesen wären.
War im ersten Teil nicht wirklich klar, wer oder was das mechanische „Herz“ , welches Hinweise und Gedanken der NPCs preisgab, bewohnte, wird dies hier ziemlich direkt (fiese Stimmen würden sagen einfallslos) deutlich gemacht.
Das größte Übel ist aber die Gestaltung des „Outsiders“. Im Erstlinkswerk war der Herr der ewigen Leere noch eine enigmatische Figur. Es wurde nie ganz klar, ob er ein Dämon, ein Mensch, oder ein Gott war und warum er einigen Menschen sein „Zeichen“ und seine Fähigkeiten verlieh. Zwar wurde von der Fachpresse stellenweise kritisiert, dass die Figur keinen wirklichen Einfluss auf das Spiel hatte, aber der charismatische und undurchsichtige Kerl hat viel zu der düsteren und fiebrigen Stimmung beigetragen. Auch war die Art, wie er das Vorgehen des Spielers kommentierte, gut geschrieben worden. Im zweiten Teil erfährt man leider sehr viel über ihn und seine „Herkunft“, was ziemlich unnötig war. Der Ausstrahlungskraft des geheimnisvollen Gesellen wird viel genommen. Musste das denn sein?
All das ist ziemlich ärgerlich, weil Dishonored 2 trotzdem ein ziemliches steiles Spiel geworden ist.
Handlungsort ist diesmal Serkonos, südlichste Stadt des Imperiums mit Anleihen an Malta, Südfrankreich und Italien.
Serkonos ist weitverzweigt und verwinkelt, und als obsessiver Sammler und Erkunder kann man in den Levels gerne schon mal 2-3 Stunden zubringen, bevor man überhaupt mal eine Hauptquest erledigt hat. Das Artdesign ist nicht mehr ganz so tight wie im ersten Teil, aber die hübschen, sonnendurchfluteten Straßenzüge verbreiten ihr eigenes Mittelmeerfeeling. Verbunden mit der perfekten Soundkulisse ist die Kletterei über die Häuserzüge ein ziemliches Erlebnis (in einem Level habe ich einfach mal für fünf Minuten innegehalten und der nächtlichen Soundkulisse aus Vögeln, Straßenlärm, Meeresrauschen und Grillenzirpen gelauscht. Ja, ich brauche Urlaub). Vor allem das Meer. Selten hat man ein so schönen Wellengang dargestellt bekommen (Im Ernst. Der ist großartig geworden. Ich habe noch nie eine so schön gestaltete See gesehen).
Insgesamt sind die Setpieces schön designt, aber ihnen haftet nicht mehr ganz das beeindruckende, leicht fiebrige und alptraumhafte des ersten Teils an. Das Artdesign ist trotzdem recht stimmig. Gigantische Mamutbäume, steile Häuserschluchten und die kantigen Körper der Figuren sind gut gelungen. Auf den ersten Blick wirken die Fassaden wie Urlaubskulissen; mit zunehmender Erkundungsdauer zeigen sich später immer mehr Risse im Paradies, in Form von korrupten Polizisten, Kriminellen in dunklen Seitengassen und von Pestfliegen überrannte Wohnungen.
Auch das Leveldesign fühlt sich angenehm flüssig und zusammenhängend an, wobei einige Setpieces mehr in Erinnerung bleiben als andere. Die Villa des bösartigen Erfinders (offenbar braucht jeder Teil einen genialen, aber skrupellosen Wissenschaftler) ist ein solches, auch die Erkundung der Villa eines Minenbesitzers ist recht innovativ gestaltet worden. Weiter ins Detail gehen geht hier nicht, da ansonsten die Pointe vorweggenommen wird.
Schleichen und Meucheln funktioniert aufgrund der in die Höhe gebauten Stadtteile und Innenanlagen ziemlich gut, rücksichtsloses Ballern eher weniger. Aber gut, man spielt die Reihe auch nicht, wenn man in Levels grundsätzlich keine Gegner überleben lassen will. Dank der Fähigkeiten des Outsiders kann man mit etwas Geschick und Glück aber recht schnell aus brenzligen Situation auf Dächer oder Laternenpfähle fliehen. Überhaupt sind die Fähigkeiten fast durchweg nützlich und unterstützen diverse Stile. Während der Schleicher die Verwandlung in ein Schattenwesen, welches schwieriger zu entdecken ist, bevorzugt, können Freunde der gröberen Konfliktlösung auch direkt einen Wespenschwarm auf die Stadtwache hetzen. Beide Protagonisten haben unterschiedliche Talentbäume, wobei Corvos Fähigkeiten bereits mehr oder weniger aus dem ersten Teil übernommen wurden.
Die Gestaltung der Welt ist ebenfalls großartig geworden. Die riesigen Areale bieten mehrere Möglichkeiten, um ans Ziel zu gelangen, und laden auch zum Erkunden ein. Wer sich umschaut, findet neben Loot auch die eingangs erwähnten kleinen Geschichten in Form von Tagebüchern oder belauschten Gesprächen, oder unter Umständen sogar eine kleine Sidequest.
Die einzelnen Level fühlen sich auch sehr viel lebendiger und vor allem glaubwürdiger an als z.B. die City-Hubs im kurz zuvor erschienenem Deus Ex: Mankind Divided. Dort konnte man die Stadt in Schutt und Asche legen, und die relevanten NPCs würden das mehr oder weniger auch nur mit einem Schulterzucken kommentieren.
In Dishonored hat man zumindest die Illusion, dass die Taten in der Welt eine Auswirkung haben; lässt man zu sehr die Sau raus und tötet ohne Unterlass, tauchen immer mehr Pestfliegen in der Stadt auf, und das Ende verdüstert sich.
Trotz der obigen Kritikpunkte entfaltet es seinen ganz eigenen Sog (ich verbrachte ein Wochenende 16 Stunden am PC. Ich war völlig am Ende).
Irgendwann werde ich nochmal nach Serkonos aufbrechen, und sei es nur, um die Achievements auf 100% zu bringen.
Nur leider wird sich das Spiel immer den Vergleich mit dem ersten Teil stellen müssen. Und den kann es leider nur verlieren.
Nachtrag: Die Verkaufszahlen scheinen offenbar weit hinter den Erwartungen geblieben zu sein. Ob der Mittelmeerurlaub überhaupt noch eine Fortsetzung – und sei es nur ein DLC erhält – bleibt erst einmal fraglich.
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