Tower Defence-Spiele sind schon eine interessante Gattung: Man erzählt sich, daß bereits vor 20 Jahren, in Form eines Arcade-Kabinetts, der erste Vertreter dieses Genres auf den Markt kam. Zum Durchbruch verhalf ihnen kurioserweise erst die massenhafte Verbreitung von Internetanschlüssen, denn lange Zeit handelte es sich dabei um den einzigen Vertriebsweg für die Tower Defence-Games. Auch ist kein kommerzieller Publisher für den späten Erfolg verantwortlich. Die ersten modernen Tower Defence-Varianten entstammen der Mapping- und Modding-Szene und manifestierten sich als von Enthusiasten erstellte Karten für immens populäre Strategiespiele wie “StarCraft” und “WarCraft III”. Doch auch den Sprung aus dieser einigermaßen abgeschlossenen Szene schafften sie erst über den Umweg Flash-basierter Browserspiele, darunter “Desktop Tower Defense”, das nicht nur unter Spielerinnen und Spielern aus dem Mainstream-Bereich, sondern erstmals auch im großen Maße unter dedezierten Nicht-Spielern Bekanntheit erlangte. Der Hype um dieses relativ neue und bis dato relativ unbekannte Subgenre muss seinen vorläufigen Höhepunkt vor etwa zwei Jahren erlebt haben. Kurz darauf begannen die ersten Indie-Entwickler käuflich zu erwerbende Titel zunächst für den PC zu veröffentlichen und 2008 gab es dann auch Unterstützung von großen Studios und Publishern und erste Konsolen- und Handheld-Spiele. Interessant ist, dass mit “Demigod” und “Defense of the Ancients” jüngst ein ganz ähnliches Genre eine ganz ähnliche Entwicklung durchgemacht hat, nur kenne ich mich damit trotz intensiven Bemühungen meines Cousins, mir das näher zu bringen, nicht aus.
Zwei der bekannteren PC-Download-Titel, ein Casual- und ein Hardcore-Game, will ich im Folgenden näher vorstellen, doch zunächst gilt es noch zu klären, worum es sich bei Tower Defence-Spielen eigentlich genau handelt. (Wer den Weg hierher nicht über eine Suchmaschine gefunden hat und wessen erste und bislang einzige Konsole nicht die Wii ist, kann diesen Absatz gern überspringen). Der Titel verrät es bereits: In allen Tower Defence-Spielen, die ich bisher kennen gelernt habe, gilt es, durch den Bau von Verteidigungstürmen in mehreren Wellen angreifende Gegnergruppen davon abzuhalten, ein bestimmtes Ziel zu erreichen. Es ist jedoch wichtig, zu begreifen, wenn man sich mit diesem Thema befaßt, dass durch Veränderung einzelner Parameter in diesem einfachen Schema völlig unterschiedliche Spiele mit ganz eigenen Charakteristika entstehen können. Auf den ersten Blick mögen sich viele Tower Defence-Spiele extrem ähnlich sehen, doch in Wahrheit besteht zwischen verschiedenen Titeln oft ein Unterschied wie Tag und Nacht, genau wie man “Ground Control” schlecht mit “Anno” vergleichen kann.
In manchen Spielen besteht jede Gegner-Welle aus den gleichen Geschöpfen, in anderen Spielen gibt es vielleicht einen gut gepanzerten Boss und viele schwächere Nebenfiguren. Mal können sich die Creeps frei bewegen, mal schreiten sie auf einer oder mehreren festen Wegen voran. Manchmal sieht man sich in jedem Level mit einer neuen Herausforderung konfrontiert, manchmal baut man seine Türme vom Anfang bis zum Ende auf ein und der selben Karte auf und entwickelt sie immer weiter. Wie in Echtzeit-Strategie-Spielen lassen sich durch den Einsatz von Spezialfähigkeiten- und Items, der Möglichkeit, verlorene Leben zurück zu gewinnen, besonderen Upgrades, durch Mauern, Fallen oder Ähnliches viele verschiedene Variationen erdenken. Auch bei der Wahl des Szenarios scheint es keine Grenzen zu geben, Tower Defence-Spiele wurden schon im Fantasy-, im Science-Fiction- oder im Endzeit-Genre angesiedelt, ich bin schon gegen Zombies, futuristische Roboter und einfache, bunte geometrische Formen angetreten. Einen Aspekt haben jedoch fast alle Games gemein: Das Management von Ressourcen ist fast immer der zentrale Dreh- und Angelpunkt. In der Regel startet man mit einem kleinen Budget, baut die ersten einfachen Türme und erhält für jeden zerstörten Gegner neue finanzielle Ressourcen, so dass man gegen das Eintreffen der nächsten, stärkeren Welle von Kreaturen mit neuen, stärkeren Türmen gewappnet ist. Aber wie sieht es nun im konkreten Fall aus?
Immortal Defense von Radical Poesis Games & Creations ist vollkommen abgespaced, auf eine Siebziger-Jahre-Retro-Art-und-Weise abgespaced. Die verschiedenen Tower, hier “Punkte” genannt, die zur Verfügung stehen, werden am unteren Bildschirmrand von ovalen Portraits, die stark an die Figuren aus der Zeichentrickserie “Captain Future” (“Future”, das will ich hier noch einmal betonen, ihr Hoshies, nicht “Planet”) erinnern, dargestellt und repräsentieren zudem ein bestimmtes Gefühl. Der Love-Point beispielsweise stärkt die Fähigkeiten anderer benachbarter Punkte, der Wisdom-Point wird mit jedem erledigten Raumschiff ein wenig stärker, der Strategist schwächt die Verteidigung und so weiter. Das stellt einen hohen Anspruch an die strategische Planung, denn wählt man die falschen Punkte in einem Level aus, in dem nicht die passenden gegnerischen Einheiten erscheinen, wird man keinen Stich landen. Noch verrückter als die anthropomorisierten Tower sind jedoch die Grafikeffekte, die man allerdings zum Glück auch herunter regeln kann: Der gesamte Bildschirm verschwimmt, glüht und blitzt, so dass man sich bisweilen fühlt, als wäre man im falschen Film gelandet, nämlich “2001 – Odyssee im Weltraum”.
Noch eine Spur durchgeknallter ist die Story von “Immortal Defense”. Als ein Bewohner des Planeten Dukis muss man verschiedene Invasionsflotten befeindeter Imperien zerstören. Sein Körper verbleibt auf dem Planeten, doch sein Bewußtsein befindet sich im sogenannten Pathspace. Pathspace ist quasi ein dem Hyperspace übergeordnete Ebene, in der der Geist mehr oder weniger unabhängig von Zeit und Raum agieren kann und gottgleiche Fähigkeiten verliehen bekommt. Auf der einen Seite wirkt diese Geschichte schon sehr gekünstelt, andererseits macht es auch Spaß, sich vorzustellen, dass die geometrischen Figuren, die sich auf zwei gespiegelten Linien oder Bézierkurven auf einen Endpunkt hin bewegen, Schlachtschiffe im Hyperraum wären, die sich, bis an die Zähne bewaffnet, schneller als mit Lichtgeschwindigkeit auf seinen Heimatplaneten zu rasen, auf dem sich nicht nur Freunde und Familienmitglieder, sondern auch der eigene Körper befinden; (Ich bin nun einmal mit Zeichentrickserien im Privatfernsehen groß geworden und nicht mit phantasievollen Geschichten über Dreiecke). Die anderen Figuren in der Geschichte bedrohen, beschimpfen und verhöhnen einen zwar gelegentlich, was natürlich ein prima Ansporn ist, sie von der Karte zu fegen, leider ist es jedoch immer all zu offentsichtlich, dass Alliierte sich verraten und die Guten plötzlich die neuen Bösen sind.
Anders als in allen anderen Tower Defence-Spielen nimmt der Mousezeiger hier eine besondere Rolle ein: Mit ihm positioniert und verbessert man nicht nur die Türme, sondern als eine Art Finger Gottes fügt er jeweils einer gegnerischen Einheit (mit einem Spezialangriff auch einer ganzen Gruppe) Schaden zu, sobald er sich in ihrer Umgebung befindet. Zusätzliche Schlagkraft erhält der Mousezeiger in der Nähe von verbesserten Love und Circuit Points; wenn bestimmte Creeps die Fähigkeiten seiner eigenen Türme außer Kraft setzen, stellen sich die Fähigkeiten des kleinen Pfeils als enorm nützlich heraus. Die Gegner kann man zwar nicht immer leicht auseinander halten (oder in manchen Fällen überhaupt erkennen), sie besitzen jedoch vielfältige Eigenschaften: Es existieren Einheiten mit wenig Lebenspunkten, die sich im Gegenzug aber überaus schnell fortbewegen können, Einheiten mit einer dicken Panzerung, mit Sprengstoff beladene Schiffe, die ihre Nachbarn mit in den Tod reißen, bis hin zu mächtigen Bossgegnern, die zu besiegen mehrere Minuten dauert.
Die wichtigste Tugend, mit der man beim Spielen von “Immortal Defense” aufwarten sollte, ist Verzicht. Im späteren Verlauf der einhundert Level umfassenden Kampagne sollte man penibel darauf achten, ausschließlich diejenigen Einheiten zu bauen und zu verbessern, die dem Gegner auch wirklich den höhsten Schaden zufügen, denn zu Beginn jedes Levels steht einem nur der Betrag zur Verfügung, der im vorangegangenen Level übrig geblieben ist (plus einem kleinen Bonus). So kann es schon einmal vorkommen, daß man am Ende eines der fünf Abschnitte, die mit einem starken Endgegner abschließen, zu wenig Vermögen besitzt und die letzten drei oder vier Level wiederholen muß. “Immortal Defense” ist alles andere als casual und wohl am Ehesten geeignet für Personen, die gern ihrem eigenen Highscore hinterher jagen, sich ärgern, wenn in der Auswertung am Ende des Levels keine “100 %” aufblinken und nach dem Ende der Kampagne auch noch sämtliche Challenge-Levels durchspielen oder selbst welche mit dem Editor erstellen wollen.
“Immortal Defense” gibt sich minimalistisch und konzentriert sich auf den Kern der Tower Defence-Mechanik, Plants vs. Zombies dagegen kaschiert durch diverse Mini-Spiele und andere, vom Haupt-Spiel ablenkende Aktivitäten, wie den Zen-Garten, daß es deutlich mehr Spiel-Tiefe besitzt als vergleichbare Titel. Zwar ist man nicht auf Ressourcen und bestehende Tower aus vorangegangenen Levels angewiesen, was dazu führt, dass man die wenigsten Herausforderungen des Story-Modus wiederholen muss, man muss die finanziellen Mittel zum Bau von Verteidigungs-TürmenPflanzen jedoch selbst erwirtschaften; durch den zusätzlichen Anbau von Sonnenblumen auf dem Spielfeld, die auch während eines Angriffs durch neue Zombie-Wellen abgeerntet werden müssen.
Das Spielfeld selbst besteht aus sechs Geraden, also deutlich mehr als bei anderen Genre-Vertretern üblich. Der Kriegsschauplatz befindet sich allerdings nicht immer im Vorgarten des eigenen Hauses, das es vor den sich nach Gehirnen verzehrenden Untoten zu beschützen gilt – Auf dem Dach, im Garten, in dem der Rasen von einem großen Schwimmbecken unterbrochen wird und in der Nacht, in der es nebelig ist und keine Sonne den Sonnenblumen Energie spendet, ist man mit zusätzlichen Aufgaben konfrontiert: Im Pool müssen zuerst Seerosenblätter gepflanzt werden, auf dem Dach Blumentöpfe bereit gestellt werden, bevor man dort Verteidigungseinheiten positionieren kann, und das alles, während sich die ersten Zombies bereits auf den Weg gemacht haben, den Kopf des unbekannten Grundbesitzers anzuknabbern. Die Zombies sind auch keine uniforme Masse, ihre vielfältigen Persönlichkeiten machen einen Großteil des Charmes von “Plants vs. Zombies” aus (für den Rest zeichnen sich die fröhlich im Takt der Musik wippenden Pflanzen und, nicht zu vergessen, Crazy Dave, Gebrauchtschiffhändler Stan nicht unähnlich, verantwortlich).
Jeder der 26 zombiefizierten Gegenspieler stellt eine einzigartige Gefahr dar: Grubenarbeiter graben sich unter dem Rasen hindurch, Stabhochspringer hüpfen über die vordersten Pflanzen hinweg, Gargantuas hauen sämtliche Gewächse mit einem Telefonmast zu Brei, Bungie-Springer stehlen Töpfe und Planzen aus der Luft, et cetera. Gegen all diese Angriffe gibt es mindestens eine Pflanze, die dem Paroli bieten kann, genau wie auf Seiten der Zombies auf eine sehr humorvolle Weise: Es existieren Kartoffel-Minen, Walnuß-Wälle, Erbsen-Spucker, Pilze, die ihre giftigen Sporen verschießen, stachelige Büsche und Kakteen und fast fünfzig andere Einheiten, die man im Laufe der Story dazu gewinnt oder Crazy Dave abkauft, mit Münzen und Diamanten, die die Zombies während des Spiels verlieren und aufgesammelt werden müssen oder aus dem Zen-Garten stammen. Nur stehen einem anfangs nur bis zu sieben verschiedene Pflanzen zu Verfügung, so dass man genau darauf achten muß, welche Figuren aus seinem Pflanzen-Repertoire man einsetzt; fehlt einem der Stein zur Schere auf Seiten der Zombies, nimmt das Spiel ein jähes Ende.
Weitere Slots muss man sich, wie viele der Goodies im Spiel, teuer einkaufen. Auch wer beispielsweise den Tree of Wisdom auf über einhundert Fuß Höhe anwachsen lassen will, was einem nicht nur den Gewinn eines Steam-Achievements einbringt, sondern auch wertvolle Tips, die das Hilfe-Menü einem vorenthält, und die Möglichkeit, die Zombies mit coolen Sonnenbrillen aus der Zukunft auszustatten und die Rasenmäher, die letzte Verteidigungslinie, wenn die Zombies alle Pflanzen in ihrer Bahn gefressen haben, optisch aufzumotzen, muss tief in die Tasche greifen und lange dafür im Zen-Garten Gold farmen, den Endlos-Modus oder mehrfach die Kampagne, die dann aber auch mit anderen Gegnern und einigen zufällig ausgewählten Pflanzen aufwartet, spielen.
“Plants vs. Zombies” kommt zu Beginn ganz unscheinbar daher, man schaltet jedoch nach und nach immer neue Inhalte frei, so dass man mit diesem “Casual”-Titel mindestens so viel Zeit verbringen kann wie mit einem ausgewachsenen japanischen Rollenspiel; ohne, dass einem dabei langweilig werden würde. Nicht zuletzt sorgen diverse Mini-Spiele für Abwechslung, denn durch die Veränderung weniger Parameter des simplen Spielkonzepts entstehen vielfältigste neue Herausforderungen: Mal spielt man auf Seiten der Zombies und muß sich durch einen Dschungel aggressiver Pflanzen beißen, mal bleibt einem als einzige Waffen gegen die untoten Horden nur ein Haufen Nüsse, mit denen man “Bowling” spielt, dann gibt es einen Modus, in dem sich Pflanzen und Zombies gleichermaßen in Vasen verstecken, die man einzeln zerbrechen muß, es existiert gar eine “Bejeweled”-Variante mit Pflanzen statt Juwelen namens “Beghouled”.
Man muß sich bei neuen Gameplay-Variationen stets auf die veränderten Gegebenheiten einstellen und ihnen mit unterschiedlichsten neuen Lösungs-Strategien begegnen. Darin sehe ich die besondere Stärke von Tower Defence-Spielen – eine einfache Idee ermöglicht unendlich viele Spiele, die alle einen einzigartigen Charakter besitzen. Daher sollte man diese Spiele-Gattung auch nicht belächeln, sondern auf die gleiche Art und Weise behandeln wie zum Beispiel Titel aus dem Jump & Run- oder Adventure-Genre.
5 Kommentare
Yay, Plants vs. Zombies – das einzige Tower Defense Spiel das mich wirklich bei der Stange halten konnte.
Da fällt mir ein, ich müsste mal wieder nach meinem Zen-Garten kucken.
Ich weiss nicht ob es angemessen ist die Bandbreite der Tower-Defense Variationen als etwas Besonderes herauszustellen… sieht dies bei allen anderen Genres doch ganz ähnlich aus. Im Vergleich sind Tower-Defense-Spiele sogar ein relativ eingeschränktes Genre… Plants vs. Zombies und Immortal Defense sind hier die löblichen Ausnahmen die durch Narration und Gameplay-Abwechslung die Genregrenzen aufbrechen. Lediglich Meinung und so, was ich allerdings als fast schon groben Fehler ansehen würde: Das iPhone nicht zu erwähnen. Gut, auf der Plattform passiert viel Langweiliges, aber wenn sich neben den unzähligen Puzzlespielchen ein Genre durchgesetzt hat, dann Tower Defense.
;)
Btw. was ich schon immer mal wissen wollte: Ist Zuma ein Tower Defense mit einem Turm?
DIch finde DEFENSE GRID spielt in der gleichen Liga…
Die GemCraft-Spiele sind doch auch ein nettes Beispiel, wie man das Genre zwar grundsätzlich klassisch, aber trotzdem außergewöhnlich angehen kann. Der TD-RPG-Crossover von GemCraft erinnert insofern stark an die PuzzleQuest-Spiele.
@Ben: Zuma, Luxor, Tumble Bugs und Co. sind keine TD-Spiele. Aber wie deren Genre nun heißt, weiß ich auch nicht.
Im Zen-Garten passiert zum Glück nichts Schlimmes, wenn man sich darum ein paar Wochen lang nicht kümmert. ;)
Immortal und PvZ mögen löbliche Ausnahmen sein. Mein Punkt ist aber, daß für Tower Defence-Spiele nicht gilt: “Kennst du eines, kennst du alle”. [url=http://www.kongregate.com/games/larsiusprime/super-energy-apocalypse-recycled]Super Energy Apocalypse[/url] (Flash) ist ein weiteres und sicher nicht das letzte Beispiel für ein TD-Game, das durch besondere Gameplay-Elemente überrascht.
Wie der Iphone-Markt aussieht, weiß ich leider nicht.
Und Zuma.. Ich weiß ja nicht..