Nach 10 verbrauchten Leben war ich voller Zuversicht, gleich im nächsten Anlauf die korrekte Strategie zu finden, danach würde ich vielleicht noch höchstens drei oder vier Versuche benötigen, um meinen Plan in die Tat um zu setzen, und schon hätte ich den Raum geschafft. Nach 30 verlorenen Leben waren die einzigen Gedanken, die mir noch im Kopf herum schwirrten, folgende: “So müßte es doch… Nein, aber vielleicht so… Und wenn ich nun… Das hat zwar vor fünf Minuten schon nicht geklappt, doch möglicherweise…”. Nach 60 erfolglosen Anläufen fand ich den treibenden Chiptune-Sound der Hintergrundmusik plötzlich garnicht mehr so toll und hatte das unbestimmte Gefühl, die sich ständig wiederholende Melodie würde mich auf eine subtile Art und Weise verhöhnen und lächerlich machen. Nach 90 kläglich gescheiterten Versuchen war das Zimmer erfüllt vom lauten Geräusch auf einander knirschender Zähne, ich machte mir ernsthafte Gedanken darüber, wie viele neue graue Haare mir in den vergangenen Minuten gewachsen waren und hatte das Gefühl, gleich mit Blaulicht, Sirene und Herzinfarkt ins Krankenhaus gefahren werden zu müssen. Nach 120 katastrophalen Stürzen ins Nichts lag ich sabbernd in Fötenhaltung auf dem Sofa. Bis…
…irgendwann nach dem einhundertfünfunddreißigsten Versuch müssen im Inneren des Gasplaneten Jupiter zwei von unendlich vielen Molekülen so glücklich zusammengeprallt sein, daß das gesamte Universum für einen kurzen Augenblick aus seiner Bahn geworfen wurde. Das war der Zeitpunkt, in dem ich es durch diesen einen verfluchten Raum in “VVVVVV” geschafft habe – Durch einen von dutzenden! Abgesehen von zwei weiteren Screens, deren Bewältigung ich jedoch persönlich eher so als Lebensaufgabe einstufen würde (Baum pflanzen, Kind zeugen, in “VVVVVV” alle Trinkets holen), ist der Rest des Spieles glücklicherweise im Handumdrehen erledigt. Das hat man der Tatsache zu verdanken, daß sich in so gut wie jedem Raum einer oder mehrere Respawn-Punkte befinden. Und daß man, anders als es der an 8bit-Homecomputer angelehnte Grafikstil und das einfache Konzept des Spiels (mit den Optionen links gehen, rechts gehen und Gravitation umkehren), vermuten lassen, unendlich viele Leben besitzt.
Balance ist keine Kategorie, nach der man “VVVVVV” beurteilen sollte. Das Spiel ist nun einmal so schwierig oder einfach, wie es eben gerade ist. “Nicht jedes Szenario sollte es einem erlauben, jederzeit pausieren und im Menü einen einfacheren Schwierigkeitsgrad auszuwählen, manchmal muß man sich eben einfach durchbeißen. Und wer es problemlos bis zum Ende geschafft hat, sollte es womöglich noch einmal mit dem ‘No Deaths’-Modus versuchen.”, scheint einem Terry Cavanaugh, der dicke gemütliche Ire, bekannt unter anderem durch “Don’t Look Back”, sagen zu wollen. Das paßt irgendwie zu dem Bild, das ich von diesem Mann habe: Wer es auf einer kalten, steinigen und bankrotten Insel als mehr oder weniger einziger Indie-Spiele-Entwickler aushält, läßt sich vermutlich nicht von all zu vielen Schwierigkeiten aus der Ruhe bringen.
Überhaupt scheint “VVVVVV”, diese Hommage an die Ära der Heimcomputer, besser zur heutigen Zeit zu passen, als die Spiele der Neunziger und der Jahrtausendwende. So wie “Jet Set Radio”, wo man zu sorgloser Ravemusik auf Inlineskates durch bunte Mega-Städte cruiste und grelle Graffiti rebellisch sein und Revolutionen gegen eine totalitäre Obrigkeit anzetteln sollten. “VVVVVV” dagegen ist so konservativ, konservativer geht es nicht: Das gesamte Spiel besteht beinahe ausschließlich aus festen, beweglichen und sich nach Berührung auflösenden Plattformen, bei Kontakt auf der Stelle tödlichen) Spitzen, sowie der durchgehend grinsenden Spielfigur, “Captain Viridian”. Daneben existieren zwar auch ein paar simplizistisch, aber individuell gestaltete Pixelmonster, doch die Hauptcharaktere, der Captain und seine nach einem Unfall im gesamten Universum verstreute Crew, die man durch ebenfalls verstreute Dimensions-Tore wieder zurück auf das Schiff geleiten muß, unterscheiden sich allein durch eine unterschiedliche blasse Färbung. Auch die Hintergründe fallen nicht gerade durch ein hohes Maß an Kreativität auf, sie bestehen meist aus einfachen Tiles, wie man sie auf dem Desktop von Windows 3.1 finden kann – Kalter, schwarzer Weltraum, angedeutete Kabel und Rohre und andere monochrome Muster.
Trotz des (im wahrsten Sinne des Wortes ;) auf die Spitze getriebenen Minimalismus, Gameplay und Story betreffend, wird “VVVVVV” nie langweilig. Jeder neue Screen bedeutet eine neue Herausforderung, denn es gilt nicht nur, die korrekte Choreographie so lang einzustudieren bis sie einem in Fleisch und Blut übergegangen ist (das Spiel ist häufig viel zu schnell, um einfach so auf neue Hindernisse reagieren zu können). Oft muß man schon richtig seinen Grips anstrengen, um überhaupt erst einmal herauszufinden, was zu tun ist, um von Punkt A nach Punkt B zu gelangen. Terry Cavanaugh ist mit “VVVVVV” wahrlich eine Meisterleistung gelungen – Er versteht es wie kaum ein Zweiter, aus so wenigen Spielelementen, daß man sie an einer Hand abzählen kann, so viel, bestimmt 100 unterschiedliche Räume, für deren Bewältigung man gut und gern drei bis vier Stunden benötigt, zu machen. Dabei wird man immer wieder überrascht, wenn Cavanaughs Sadismus durchdringt und die Regeln, auf die man sich bisher immer verlassen konnte, plötzlich nicht mehr gelten und man auf der entgegengesetzten Seite des Raumes wieder erscheint, anstatt im nächsten Level zu landen, nachdem man zuvor durch einen Ausgang entschwunden war. Genau so kommt es vor, daß auf ein Mal der Boden, auf dem man sich bewegt, sich ebenfalls bewegt, nach oben, in Richtung einer Reihe lebensbedrohlicher Stacheln, schneller als einem lieb ist.
Auch wenn es in “VVVVVV” Momente gab, in denen ich es nicht erwarten konnte, den (übrigens großartigen) Abspann durchlaufen zu sehen, als der Zeitpunkt dann tatsächlich gekommen war, hätte ich am liebsten sofort wieder von vorn angefangen. Doch man muß seinen Spielstand nicht gleich löschen. Es besteht zum Beispiel die Möglichkeit, Abschnitte des Spiels gegen die Uhr erneut zu durchlaufen. Oder man stellt die Spielwelt einfach auf den Kopf und unternimmt den Versuch, alle 20 im Spiel verstreuten und versteckten “Sammlerstücke” zu finden und so neue Songs freizuspielen. Doch das ist, wie gesagt, eine Lebensaufgabe.
5 Kommentare
Haha.. Bei dem Raum im letzten Screenshot bin ich so 20-40mal gestorben, bis ich gemerkt hab, dass da ja eh nur so ein Trinklet is und man einfach in der Mitte weiter kann.
Aber dann hat diese “Ich muss dich besiegen, Du verf*%§tes Spiel”-Mentalität eingesetzt und ich hab mir das Trinklet geholt. Allein da bin ich sicher über hundert mal gestorben.
Endscore: 1333 Tode – 12/20 Trinklets
Mir hat die Demo schon gereicht. Der minimalistische Stil ist cool, aber die Chiptunes Musik nervt schnell und der Schwierigkeitsgrad lässt mich vor dem Kauf zurückschrecken.
Hm, ich fand die Demo zwar sehr cool, aber irgendwie zu leicht. Der Artikel liest sich jetzt nicht so als würde das Spiel so bleiben.
Wie würdest du denn die Demo-levels im Vergleich zum restlichen Spiel sehen? Bin ich einfach zu frustresistent oder kommen die wirklich schwierigen Stellen erst danach? Wenn’s doch so schwierig ist muss ich’s haben. :)
Hmm, nee, das eigentliche Spiel hat schon einige Stellen, die deutlich schwerer sind als die Demo (oder ich habe mich schon so sehr an die Schwierigkeit gewöhnt) – Die habe ich eben in 15 bis 20 Minuten durchgespielt, für das normale Spiel mit mittlerweile 18 Trinkets brauchte ich ca. 4 Stunden.
Falls dir die Demo halbwegs zusagt und 12 Euro nicht zu viel Geld für dich ist, empfehle ich, zuzuschlagen.
I’m late to the Party, aber Puh, geschafft. VVVVVV durch in 2:10 Stunden mit 1094 Toden, jedoch 211 davon allein im letzten Abschnitt! Fuck, war die Stelle schwer mit den Trampolin-Schnüren.
Durch den Rest (mit nur 8 Trinkets) bin ich recht gut durchgekommen, Super Meat Boy hat mich gut trainiert. :D
PS: in der PC Version von SMB ist der VVVVVV Captain ein freischaltbarer Charakter.