Ich mag es, wenn gestreikt wird. Dank des Ausstands der Lokführer verschwendete ich manche Stunde Lebenszeit mit dem Warten an Kleinbahnhöfen in der bayrischen Pampa. Diese Zeit werde ich niemals zurückbekommen, aber das ärgert mich nicht. Der Poststreik sorgte dafür, dass wichtige Schriftstücke ihre Empfänger verspätet erreichten und verhinderte die fristgerechte Zustellung einiger Drohbriefe von Behörden und Gläubigern an mich. Die nun fälligen Mangebühren werde ich niemals zurückbekommen, aber auch das ärgert mich nicht. Ohne das Streikrecht sähen wir Arbeitnehmer ziemlich alt aus und jeder, der sich über Streikende echauffiert, verhält sich wie ein Arschloch. Mein Motto lautet seit je her: Gewerkschaften vor, noch ein Tor!
Superhelden und andere Comicfiguren streiken nicht, jedenfalls ist mir ein solcher Fall nicht bekannt. Das mag jedoch daran liegen, dass ich selten Comics lese und auch die zahlreichen Marvel- und DC-Verfilmungen dieser Tage mich kalt lassen. Vielleicht wird da gestreikt wie verrückt, wer weiß das schon? Traurige Realität ist jedoch, dass mich das Rezensionsexemplar des aktuellen Superheldenklopperspiels „Batman: Arkham Knight“ aufgrund des Poststreiks arg verspätet erreichte. Über zwei Wochen musste ich vermeiden zu viele Informationen zum Spiel aufzunehmen, da mir das den Spaß nachhaltig verdorben hätte. Schon die übliche Trailerflut vor Veröffentlichung nervte mich schwer, einige Tage bis Wochen sich vor allen Rezensionen, News und Tweets wegzuducken, war ein Kraftakt. Doch gelang es mir das Meiste auszublenden und so ging ich schließlich relativ unbefangen an das Spiel heran.
Den direkten Vorgänger „Arkham City“ besitze ich zwar, jedoch steht er noch in meinem Regal der Schande. „Arkham Asylum“ habe ich sehr gerne gespielt. Besonders das Free Flow-Kampfsystem gefiel mir, da es einfach prima funktionierte. Auch diverse andere Spiele (z.B. Shadow of Mordor) bedienten sich dieser Technik später schamlos. Bestand die Spielwelt der Vorgänger noch aus einer Strafanstalt bzw. aus einem Teil Gothams, so ist in „Arkham Knight“ die ganze Stadt der Schauplatz. Scarecrow will mit seinem Gas erst Gotham, dann das ganze Land ins Chaos stürzen. Zur Seite steht ihm der titelgebende Arkham Knight, der eine besonders tiefe persönliche Abneigung gegenüber Batman hegt. Die Geschichte ist zwar reines Klischee, wird aber gut erzählt und enthält manche Überraschung. Auf diese werde ich, wie auch auf die Storydetails, nicht eingehen, um Spoiler zu vermeiden.
Auch spielerisch ist Arkham Knight unoriginell, aber gelungen. Schon die ersten Minuten fühlen sich gut und richtig an. Batman schwingt, fliegt und gleitet, wie es sich für einen Batman gehört. Das von vielen kritisierte, zweistündige Batmobile-Tutorial gefällt mir ebenfalls. Überhaupt fahre ich gerne durch Gotham, auch die später stattfindenden Schlachten gegen Panzerdrohnen des Arkham Knight sind unterhaltsam. Der Größte Kritikpunkt in dieser Hinsicht ist, dass der Einsatz des Batmobiles häufig erzwungen wirkt: Hier ein Brückenteil gerade rücken, da sich an einem Gebäude hochziehen, dann in einer brenzligen Situation das Fahrzeug per Fernbedienung herbeiholen und mit der schweren Bordkanone Geschütztürme ausschalten usw. Es scheint als habe Rocksteady sich vorgenommen, das an einen Panzer erinnernde Gefährt so oft wie möglich einzusetzen. Honest Game Trailers bringen es auf den Punkt: „A game so tanky, that you don’t have to be in your tank to tank. And in conclusion: Tank!”
Trotzdem rase ich mit Vergnügen durch Gotham und fahre alles kaputt und über den Haufen, was sich mir in den Weg stellt. Neben Mauern, Bäumen und Statuen, mähe ich auch Passanten um. Da Scarecrow von Anfang an mit offenen Karten spielt und sein Nervengas großzügig in der Stadt versprüht, wird diese bereits zu Anfang des Spiels evakuiert. Sprich, die Population Gothams besteht nur noch aus Verbrechern, da diese selbstverständlich die Einzigen sind, die sich nicht evakuieren lassen. Das bewahrt Batman davor, Unschuldige vom Bürgersteig zu rammen, denn – und das ist sicher – alle in der Stadt verbliebenen haben verdient, was sie bekommen. Dank Batmans Politik des Nicht-Tötens, sind etwaige Zusammenstöße nicht letal: Das Batmobile verteilt Stromschläge, die die Verbrecher in dem Moment betäuben, in dem sie mit 150 km/m von dem Batpanzer erfasst und durch die Luft geschleudert werden. Warum diese elektrischen Entladungen sie, trotz zermalmter Knochen und Organkompotts, diese Kollisionen überleben lässt, wird nicht geklärt. Auch schlägt Batman die Verbrecher gern ultrabrutal zusammen und lässt sie auf der Straße im Regen liegen, damit die Polizei sie aufliest und einsperrt. Das klingt zuerst plausibel, Zweifel an dieser Vorgehensweise kommen jedoch auf, denkt man darüber nach was mit Menschen passiert, wenn ihnen ein Kampfsportprofi seine gepanzerte Faust volle Wucht ins Gesicht rammt und sie dann auf dem Boden liegen lässt. Richtig: Sie erliegen ihren inneren Verletzungen, lange bevor Hilfe eintrifft.
Das alles mag kleinlich erscheinen, halten Menschen in Comic-Universen doch in der Regel mehr Prügel aus als ein UFC-Kämpfer. Jedoch verdeutlichen die Beispiele ein Dilemma, mit dem viele Comics und Comic-Umsetzungen kämpfen: Ihre Helden sind Kämpfer für das Gute, über das sie in Selbstgerechtigkeit die Definitionshoheit beanspruchen. Die einzige Grenze ihres unmoralischen Handelns ist das Töten. Der Batman aus Arkham Knight belügt seine Verbündeten nach System und geht mit unbedingter Rücksichtslosigkeit vor, die er durch seinen Einsatz für eben das selbstdefinierte „Gute“ rechtfertigt. Wer sich seiner Definition nicht anschließt, wird ignoriert, beiseitegeschoben oder eingesperrt. Die angewendeten Mittel sind mit denen seiner Gegenspieler identisch. Ihre Ziele, die Aufrechterhaltung einer Ordnung contra die Etablierung einer neuen Ordnung, unterscheiden sich nur marginal. Der Held selbst ist ein Tyrann und vielleicht noch monströser als der Schurke, da letzterer immer im Bewusstsein handelt Böses zu tun, während der Held, der die gleichen Verbrechen verübt wie seine Gegenspieler, dem Irrglauben aufgesessen ist, ein Kämpfer für das objektive Gute zu sein, das aber nicht existiert.
Es wäre allerdings unfair zu behaupten, dass Arkham Knight diesem Dilemma nicht Rechnung trägt. Im Gegenteil, das Spiel geht besser damit um, als die meisten anderen mir bekannten Medien. Batman ist (mal wieder) ein gebrochener, streitbarer Charakter. Als Spieler begleite ich ihn auf seinem Abstieg in die moralischen Untiefen, ohne aber etwas dagegen tun zu können. Der Held selbst gibt höchstens knappe Kommentare und Rechtfertigungen zu seinen Taten ab; häufig schweigt er ganz. Am Ende ist nichts Glänzendes mehr übrig, selbst optisch wird diesem Rechnung getragen, die Rüstung ist beschädigt und das Cape durchlöchert, das Gesicht zerschlagen. Die äußeren Blessuren sind ein Spiegel der inneren Zerwürfnisse Batmans, der durch die sich über die Dauer des Spiels zutragenden Ereignisse aufgerieben wird. Bevor der unvermeidliche Zusammenbruch erfolgt, schleppt er sich einem finalen Kraftakt entgegen. Und auch hier hat das Spiel nochmals eine überraschende Wendung parat.
Wie die Endsequenz aussieht und ob diese den Ereignissen nochmals einen neuen Dreh gibt, kann ich nicht beurteilen. Zwar habe ich fast alle Aufgaben bewältigt, gescheitert bin ich jedoch an den (vermaledeiten!) Riddler-Trophäen. Derer gibt es wieder zuhauf und sie stehen symbolisch für eines der größten Probleme von Arkham Knight. Es ist ein Open World-Spiel und diese werden im Überfluss veröffentlicht. Die Erzählung an sich ist zwar stark, doch da ich mir selbst aussuchen kann, in welcher Reihenfolge ich die Missionen absolviere, läuft diese nicht stringent ab, was der Dramaturgie schadet. Oft habe ich mich in Nebenaufgaben verloren, wie es bei Spielen dieser Art die Regel ist. Ein Pluspunkt in dieser Sache ist jedoch die eingeschränkte Verfügbarkeit von Sidequests: Während in Assassin’s Creed Unity, das ich direkt vor Arkham Knight spielte, gleich zu Beginn praktisch alle Aufgaben und Objekte auf der Karte als Piktogramme sichtbar gemacht werden, muss Batman diese erst entdecken. Manche werden erst im Verlauf der Story freigeschaltet. Das verhindert, dass die Fülle an Möglichkeiten mich erschlägt und bewirkt nebenbei, dass ich mich über jede zufällige Entdeckungen freue. Zumindest so lange, bis das Suchen nach den letzten Details meine Geduld strapaziert und ich es einfach nur geschafft haben möchte. Aber das ist einerseits ein persönliches, andererseits ein typisches Open World-Problem. Vielleicht wäre Arkham Knight durch eine strengere Führung ein noch besseres Spiel geworden. Aber das ist Spekulation, und hervorragend ist es auch so.
Man kann trefflich darüber streiten, ob Arkham Knight wirklich das beste Spiel dieser Konsolen-Generation ist, wie Justin McEllroy in seinem Test für Polygon behauptete. Jene, die ohnehin Unzufrieden mit den aktuellen Erzeugnissen der Spieleindustrie sind, werden ob einer solchen Aussage nur verächtlich lachen, denn für sie ist es ein perfektes Beispiel für Vieles, was das moderne Gaming im schlechtesten Sinne bedeutet: Innovationsarmut, Open World, Bombast-Inszenierung, unbedingte Popcornunterhaltung und Zielgruppentauglichkeit. Widersprechen kann ich ihnen nicht, halte aber als Freund des Spielemainstreams dagegen, dass in kaum einem Titel all die bekannten Elemente und Ansätze so brillant vereint werden wie in Arkham Knight. Umwerfend Neues wird Niemand entdecken, das Bekannte ist jedoch perfekt komponiert, inszeniert und präsentiert, sodass ich (fast) jede Minute genießen konnte. Meine größte Hoffnung ist nun, dass Rocksteady entsprechend ihrer Ankündigung kein weiteres Batman-Spiel mehr kreieren werden, denn dass sie sich darin nochmals selbst übertreffen, halte ich für äußerst unwahrscheinlich.
Nachbemerkung: Die Screenshots habe ich alle selbst mit #PS4share angefertigt. Deswegen sind sie auch mega-authentisch, aber qualitativ auch ein bisschen mau. #dealtwithit
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