Eines der schönen Dinge im Leben als Mensch ist, dass man sich zu jedem Mist eine Meinung bilden darf. Politik? Sicher. Religion? Klar. Videospiele? Und ob! Noch besser als das Bilden einer Meinung ist nur eines, nämlich diese zu ändern. Lieblingsfarbe? Gestern blau, heute rot. Lieblingsmusik? Gestern Ethno, heute Punk. Lieblingsgetränk? Gestern Bier, heute anderes Bier. Ah Freiheit, wunderbar! Aufmerksame Leser_Innen wissen, dass ich eine starke Meinung zu Open-World-Spielen zu hegen pflegte. Ich finde sie in den letzten Jahren zunehmend doof. Doch hat mir jetzt ein Spiel Anlass gegeben, diese an sich ausgezeichnete Meinung dezent anzupassen. Um welches Spiel es sich handelt? Nun, der Name steht im Header und ich habe nicht vor mich hier für Unaufmerksame zu wiederholen!
Horizon: Zero Dawn ist ein Open-World-Spiel, wie es openworldiger nicht sein könnte. Es open worldet praktisch an allen Ecken und Enden. Zunächst begleiten wir Protagonistin Aloy beim Aufwachsen in einer post-postapokalyptischen Welt voller Robotertiere. Nach diesem Tutorial und einer zum Gemetzel eskalierenden Reifeprüfung, wird die junge Kriegerin in ein freies Areal entlassen, in dem sie mehr oder weniger tun kann, was sie möchte. Ein Blick auf die Karte verdeutlicht: Hier ist Platz, hier ist sehr viel los. In geordnete Bahnen geleitet wird der Erkundungsdrang von einer manierlichen Rahmenhandlung, die den einen oder anderen unerwarteten Twist bietet und kompetent erzählt wird. Läuft Aloy anfangs noch planlos durch die (auch ihr) unbekannte Welt, so wird im Laufe der Spielzeit manches klarer und auch die Existenz am Wegesrande grasender Roboterpferde ergibt plötzlich Sinn. Wer die Trailer gesehen hat ahnt, dass mal wieder die Welt untergegangen ist und dass die verbliebenen Menschen neue steinzeitliche bis antike bis mittelalterliche Kulturen aufgebaut haben. Neben Menschen und Tieren, bevölkern tierähnliche Roboter die Welt, die, wie manch andere Technik, ein Erbe der alten menschlichen Zivilisation darstellen. Als junge Kriegerin macht sich Aloy auf dem Weg, um erst ihren Stamm, dann ein paar mehr Leute und schließlich, wer hätte es geahnt, die ganze Welt zu retten.
Nicht nur die Geschichte erscheint auf den ersten Blick wenig originell, auch die Spielelemente sind jedem vertraut, der bereits einen Open-World-Titel gespielt hat. Es gibt Haupt- und Nebenquests, es können Audiologs, Texte und anderer Kram gesammelt werden, es dürfen Banditenlager ausgeräuchert und übernommen werden, Lagerfeuer sind Speicher- und Schnellreisepunkte, die Karte wird durchs hacken langhalsiger Robodinos (Türme!) aufgedeckt Aloy kann Erfahrungspunkte sammeln, Fähigkeiten freischalten sowie Waffen und Rüstungen verbessern und es wird erkundet, erkundet, erkundet. Mancher Rezensent bezeichnete Horizon Zero Dawn als ein Best off der Open-World-Spiele und ich bin geneigt dem zuzustimmen. Und obwohl mich das ganze Sammeln, Erkunden und Freischalten eigentlich brutal langweilt, habe ich Horizon nicht nur durchgespielt, sondern, zum ersten Mal überhaupt, sogar platiniert. Denn Open World ist geil, verdammt! Wie kann das sein, dass mein Geschwätz von gestern plötzlich nichts mehr gilt und ich einfach alles zurücknehme und das Gegenteil behaupte? Das ist zugleich einfach zu erklären und schwierig auf den Punkt zu bringen.
Obwohl so gut wie alle Bestandteile des Spiels im vergangenen Jahrzehnt wahrlich zu Tode geritten wurden, bescheren sie mir in Horizon großes Vergnügen. Ich habe sogar alle Metallblumen und Plastiktassen eingesammelt, ohne dass mir dabei langweilig wurde. Irgendwie ist alles hervorragend aufeinander abgestimmt und die einzelnen Komponenten greifen so gut ineinander, dass ich mich stetig motiviert fühlte, mich weiter durch die Post-Post-Apokalypse zu schlagen. Und das buchstäblich, denn neben Erkundung und Crafterei besteht ein wesentlicher Teil von Horizon aus fieser Kloppe. Zwar existieren auch zahlreiche menschliche Gegner, aber die Hauptrolle spielen hier eindeutig die verschiedenen Roboviecher. Jeder der Aparillos weist unterschiedliche Stärken, Schwächen und Fähigkeiten auf, der Einsatz spezifischer Waffen ist der Schlüssel zum Erfolg. Aloy kann sich anschleichen, einzelne Maschinen durch einen technischen Trick auf ihre Seite ziehen oder sie einfach nach Strich und Faden vermöbeln. Besonders zu Anfang ist das leichter gesagt als getan, da alle Teile der Spielwelt Open-World-gemäß von Anfang an offen stehen und manche Bereiche erst später betreten werden sollten, da sonst der sichere Tod droht. Dann muss gewartet sowie gelevelt und später mit entsprechenden Waffen, Rüstungen und Perks zurückgekehrt werden, um ordentlich aufzuräumen. Aber auch wenn man als Spieler_In zum Ende hin Genre-typisch recht übermächtig wird, verkommen gerade die Kämpfe gegen mächtigere Gegner nie zum Kinderspiel und wenn man nicht auf der Hut ist, setzt es was.
Doch nicht nur unter der Haube ist Horizon ein bemerkenswertes Spiel. Als Aushängeschild der seit einigen Monaten erhältlichen PS4 Pro ist das Spiel eine wahre Augenweide. Die große Spielwelt ist landschaftlich sehr abwechslungs- und detailreich. Während das Startgebiet von verschneiten Bergen dominiert wird, verschlägt es Aloy später auch in den Dschungel oder in Steppen- und Prärie-Abschnitte, die die Grafikmesslatte für das angekündigte Red Dead Redemption 2 (und alle anderen Open-World-Titel) extrem hoch legen. Durch einen dynamischen Wetter- und Tageszeitenwechsel, wird die Landschaft mal in Sonnen- oder Mondlicht getaucht, in Nebel gehüllt oder durch heftigen Regen überschwemmt. Technikfreaks unken zwar über das Checkerboarding-Fake-4k, für mich ist das Bild in Verbindung mit HDR aber großartig anzusehen. Auch die normale Bauern-PS4 soll das Spiel in beeindruckender Qualität auf den Bildschirm zaubern und trotz der grafischen Pracht bleibt die Framerate auf beiden Systemen weitgehend stabil. Und im Gegensatz zu manchem Konkurrenzprodukt sieht die Landschaft in Horizon dabei nicht wie aus dem Baukasten aus, alle Details, jeder Baum, jeder Stein, jedes Haus, wirken wie von Hand platziert und erzeugen ein stimmiges Gesamtbild. Einzig die Fauna lässt etwas Abwechslung vermissen, es gibt nur sechs verschiedene (kleinere) Tiere, aber das ist zu verschmerzen und lässt sich aus Elementen der Geschichte erklären.
Verblüffend ist die Tatsache, dass dieses stimmige Gesamtkunstwerk vom niederländischen Studio Guerilla Games entwickelt wurde. Dieses war vorher durch die Killzone-Reihe bekannt, die grafisch zwar ebenfalls einiges hermachte, spielerisch jedoch bestenfalls Solides bot und inhaltlich absolut und total Banane war. Wie ihnen diese Großtat gelungen ist, ist mir ein Rätsel. Womöglich hat Sony die Holländer einfach solange mit Geld beworfen, bis sie nicht mehr anders konnten und dieses hervorragende Spiel auf die Beine stellten. Denn teuer war Horizon, daran besteht kein Zweifel. Und ich kann mir vorstellen, dass das Spiel trotz der hervorragenden Verkaufszahlen und der Lizensierung der Decima Engine an Kojima Productions sein Budget nicht wieder reinholt. Aber da Sony sich gerne mit Exklusivtiteln schmückt und diese wichtige Verkaufsargumente für ihre Spielkonsolen darstellen, dürfte eine Fortsetzung so sicher sein wie das Amen in der Kirche.
Und sollte eine solche angekündigt werden, würde ich dieser mit Wohlwollen entgegensehen. Denn einerseits denke ich, dass sich aus der Spielwelt und der Geschichte noch einiges herausholen lässt, andererseits ist Horizon eben ein sehr gutes Spiel, aber noch lange nicht perfekt. So leidet es unter den gleichen Pacingproblemen, wie alle Open-World-Spiele, die ihren Spieler_Innen die große Freiheit bescheren möchten. Besonders fallen diese ins Gewicht, wenn Aloy „ganz, ganz schnell“ zu einem bestimmten Ort rennen soll, um den ein oder anderen wichtigen Menschen zu retten, statt sich zu beeilen aber lieber erst einige Kräuter pflückt und ein Wildschwein totschlägt, nur um nach mehrstündiger Verzögerung doch rechtzeitig zur Rettung der bedeutenden Person zu kommen. Solche Situationen treten verhältnismäßig selten auf, kratzen aber arg an der Glaubwürdigkeit des Spiels. Hier stehen sich Entscheidungsfreiheit und Storytelling gegenseitig im Weg und eine zufriedenstellende Lösung, bei der die Spieler_In nicht eingeengt wird und die Geschichte trotzdem spannend bleibt, hat noch keiner gefunden.
Auch darüber hinaus hat Horizon ein paar Macken, die den positiven Gesamteindruck allerdings nicht zu trüben vermögen. Am meisten gestört hat mich vermutlich das permanente Gequatsche von Protagonistin Aloy, aber vermutlich wird man als Ausgestoßene, die nur mit einem wortkargen Ziehvater aufwächst, mit der Zeit einfach wunderlich. Also Schwamm drüber. Tatsächlich hat mich Horizon nach einer kurzen Fremdelphase ganz und gar gepackt und dann über mehr als 70 Stunden bestens unterhalten. Und das obwohl ich zuvor ebenso viel Zeit in das famose Yakuza 0 gesteckt habe, sapperlot! Dass ich mich jetzt im neuen Zelda festbeiße, verdeutlicht eines: Es ist der Frühling of Open World und ich bin nur ein kleines Fähnlein im Wind, dass heute Wasser predigt und morgen schon Wein aus dem Tetrapack säuft, weil ich nicht mehr zur Arbeit gehe oder mit anderen Menschen rede, sondern nur noch in offenen Welten abhänge und irgendwelchen Mumpitz crafte. Schade eigentlich, aber irgendwie auch schön.
6 Kommentare
Gebs zu: das Spiel hat Dir den Allzweckknüppel auf die Hinterbacke gepfropft und schnöde umprogrammiert und jetzt reitet Dich der kecke Aloy-Avatar, YIII-HAAA!
(Willkommen im Club, Bruder.)