Eine Faszination an Simulationsspielen ist es, etwas im Spiel zu machen, das man sonst nicht machen kann – ohne die negativen Seiten. Trucker sein klingt super, aber 10 Stunden durchs Land fahren und Raststättenklos klingen nicht so toll? Hier, spiel‘ Euro Truck Simulator, du kannst jederzeit Pause machen und nachdem du die kostbare Fracht in den Straßengraben gefahren hast, weil du auf dein Handy geschaut hast, lädst du neu und alles ist gut.
Ich persönlich würde ja gerne in einem sozialistischen Land leben, in dem alle gute Arbeit haben, die Produktionsmittel in der Hand der Gesellschaft sind, die Gesundheitsversorgung und auch der Lebensstandard allgemein super ist und die FDP niemals über die 5-Prozent-Hürde kommt. Die blutige Revolution dahin, die Gefahr einer Konterrevolution – es ist nicht ganz so leicht im echten Leben. Darum spiele ich erstmal Workers & Resources: Soviet Republic.
Das soll aber jetzt nicht heißen, dass Soviet Republic ein einfaches Spiel sei. Im Gegenteil: Es ist wohl eine der komplexesten Wirtschaftssimulationen überhaupt. Denke an Tropico hoch zwei. In Soviet Republic muss vor dem Bau einer Industrie der ganz Kreislauf, insbesondere die Versorgung der Arbeiter*innen, die deine Industrie antreiben, bedacht werden. Sie brauchen natürlich Essen, Kleidung, Krankenhäuser, Kulturstätten, Sportstätten, Abwasser, Heizung und Strom. Wenn ihre Kinder keinen Kindergartenplatz, keine Schule haben, können sie nicht arbeiten gehen. Der Arbeitsweg darf nicht zu lange dauern, entweder ist die Arbeitsstätte ungefähr 300 m entfernt oder es gibt eine ÖPNV-Verbindung zum Arbeitsplatz. Aber der Bus muss auch rechtzeitig und regelmäßig kommen, denn niemand wartet ewig an der Bushaltestelle. Auch arbeitet niemand für 24 Stunden, nach 8 Stunden muss die nächste Schicht hereinkommen. Im Supermarkt und dem Museum müssen die Besucher*innen natürlich auch von Arbeiter*innen betreut werden; wenn niemand da ist, um was zu verkaufen, kann auch niemand was kaufen. Falls geneigte Spieler*innen sich jetzt schon überfordert fühlen: Ja, es gibt Tutorials im Spiel und die erklären auch ganz gut die Grundlagen. Auch lassen sich bestimmte Aspekte des Spieles ein oder ausschalten. So kann man zum Reinkommen ins Spiel zum Beispiel das Abwassersystem abschalten und das Ausbildungssystem stark vereinfachen oder ohne Kriminalität und mit einem einfachen Verkehrssystem spielen.
Für mich gehört aber bei Soviet Republic zum Spielspaß genau diese zunehmende Komplexität dazu. Ich plane einen neuen Wohn- oder Industriekomplex detailliert durch, um dann die Pause rauszunehmen und fasziniert zuzusehen, wie meine fleißige Bevölkerung alle Rohstoffe ranschafft, um meine Vorstellungen in Pixelbeton zu gießen. Laut Beschreibung des kleinen Entwicklungsstudios 3Division ist Soviet Republic eine Städtebausimulation mit Soviet-Flair. Zu diesem Flair gehört auch der Ost-West Gegensatz. Gebäude, Rohstoffe und Arbeitskraft können entweder mit Rubel oder Dollar bezahlt werden. Sofern man diese hat. Man kann beides entweder leihen, natürlich rückzahlbar, mit Zinsen, oder man erwirbt sie durch den Export von Gütern. Diese müssen zur jeweiligen Grenze gebracht werden, Preisschwankungen inklusive.
Das Spiel ist noch im Early Access und ja, es gibt vereinzelt noch Bugs und Abstürze. Einer der Bugs, über den ich stolperte, wurde gleich im nächsten Update gefixt und meist läuft es stabil. Das Entwicklungsstudio hat eine klare Roadmap mit dem Ziel, das Spiel Ende 2022 zu veröffentlichen. Positiv ist auch, dass man in der Regel Spielstände einfach in die neue Version übernehmen kann, was angesichts der potenziellen Spieldauer eines Spiels auch nötig ist. Ein Land wird nicht so schnell erbaut wie das Spiel! Aber wie immer die Warnung bei Early Access: Niemand kann einem versichern, dass das Spiel fertig wird.
Zum Ende hin wäre es falsch über die politische Dimension des Spiels komplett zu schweigen, schließlich hat der Nachfolgestaat der Sowjetunion, Russland, die Ukraine überfallen, selbst ein ehemaliger Teil jener Sowjetunion. Das slovakische Entwicklungsstudio hat da auch klar Position bezogen und unter anderem zusammen mit der lebhaften Modding-Community des Spiels ein DLC zur Ukraine rausgebracht, dessen Einnahmen ans Ukrainische Rote Kreuz gehen. Auch gibt es in dem Spiel Aspekte, die kritisch sind: Eine Geheimpolizei, die die Loyalität überwacht und unglückliche Bewohner*innen ausschließt, war einfach Realität. Weiter ist es möglich Arbeitslager für Gefangene zu errichten, noch ein Aspekt der auch heute noch Realität ist in vielen Ländern. Aber, dass Immigrant*innen aus „Dritte-Welt-Ländern“ im Spiel immer keine oder kaum eine Bildung haben, ist schon ein sehr unschöner Aspekt im Spiel, ich würde mir da Nachbesserungen wünschen, die nicht Rassismus reproduzieren.
Nun, letztendlich ist Workers & Resources: Soviet Republic ein Spiel für alle, die gerne (anfängliches) Mikromanagement, Logistik und Automation lieben. Es hat eine steile Lernkurve, wen das schreckt, sollte was anderes spielen. Ich würde es auf jeden Fall allen empfehlen, die planen demnächst einen Staat zu übernehmen – um schon mal zu üben.
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